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VwGH 22.06.2022, Ra 2020/13/0038

VwGH 22.06.2022, Ra 2020/13/0038

Entscheidungsart: Beschluss

Rechtssätze


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Normen
BAO §238
IO §9 Abs1
RS 1
Gegenüber § 238 BAO ist § 9 Abs. 1 IO die speziellere Bestimmung (vgl. ).
Normen
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
RS 2
Der Vertreter hat darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft gewesen ist. Zudem spricht bei schuldhafter Pflichtverletzung die Vermutung für eine Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall (Hinweis E VS , 96/15/0049).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2001/14/0006 E RS 3
Normen
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
RS 3
Abgabenrechtliche Pflichten werden nicht erfüllt, wenn Abgaben, die zu entrichten gewesen wären, nicht entrichtet worden sind (vgl. ).
Normen
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
RS 4
Die nach § 9 BAO erforderliche Verschuldensprüfung hat von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom , 2004/13/0142). Ein Rechtsirrtum bzw. das Handeln auf Grund einer vertretbaren Rechtsansicht kann die Annahme eines Verschuldens ausschließen. Gesetzesunkenntnis oder irrtümlich objektiv fehlerhafte Rechtsauffassungen sind nur dann entschuldbar und nicht als Fahrlässigkeit zuzurechnen, wenn die objektiv gebotene, der Sache nach pflichtgemäße, nach den subjektiven Verhältnissen zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen wurde (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom , 2004/13/0073, sowie vom , 2007/13/0005, 0006 und 0007). Ein nicht vorwerfbarer Rechtsirrtum wird durch den bloßen Hinweis auf eine andere Rechtsmeinung im Übrigen noch nicht dargetan (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , mwN).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 2007/13/0024 E RS 2
Normen
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
UStG 1994
RS 5
Es spielt keine Rolle, ob eine Abgabennachforderung aus der Rückforderung zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuern oder aus der Vorschreibung von Umsatzsteuer entsteht (vgl. etwa zur Geltendmachung einer Haftung aufgrund zu Unrecht beantragter Vorsteuerbeträge ).
Norm
BAO §248
RS 6
Nach § 248 BAO ist dem Haftungspflichtigen Kenntnis über den haftungsgegenständlichen Abgabenbescheid, insbesondere über Grund und Höhe, zu verschaffen (vgl. ; , 2000/16/0227).
Normen
BAO §103 Abs1
BAO §224
RS 7
Bei der Geltendmachung von Haftungen gemäß § 224 BAO handelt es sich um Erledigungen im Einhebungsverfahren iSd § 103 Abs 1 BAO (§ 224 BAO findet sich im 06ten Abschnitt der Bundesabgabenordnung, der von der Einhebung der Abgaben handelt). Die Abgabenbehörden sind daher nach dieser Gesetzesstelle aus Zweckmäßigkeitsgründen trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung zur unmittelbaren Zustellung von Erledigungen an die zur Haftung Herangezogenen als Vollmachtgeber berechtigt (Hinweis B , 92/13/0288).
Hinweis auf Stammrechtssatz
GRS wie 93/14/0174 B RS 3
Normen
BAO §274
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51
RS 8
Die Nichtdurchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung durch das BFG stellt einen besonders gravierenden Verfahrensmangel dar, der im Anwendungsbereich der Grundrechtecharta (GRC) jedenfalls zu einer Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. etwa , mwN). Außerhalb des Anwendungsbereiches der GRC führt eine Nichtdurchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung dann zu einer Aufhebung der Entscheidung, wenn dieser Verfahrensmangel relevant im Sinne eines möglichen Einflusses auf die angefochtene Entscheidung sein könnte und der Revisionswerber eine solche Relevanz auch aufzuzeigen vermochte.
Normen
BAO §274
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
UStG 1994
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1
RS 9
Umsatzsteuerverfahren fallen in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, sodass sich für solche Abgabenverfahren aus Art. 47 Abs. 2 GRC das Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergibt. Da die Haftungsinanspruchnahme auch die Umsatzsteuer betrifft und damit zur Erhebung der Umsatzsteuer und insofern zur Durchführung von Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 GRC zu zählen ist, ist hinsichtlich der Umsatzsteuer von einer Anwendbarkeit der GRC auszugehen (vgl. etwa zu Nachsichtsanträgen betreffend Umsatzsteuer ).

Entscheidungstext

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und den Hofrat MMag. Maislinger sowie die Hofrätinnen Dr. Reinbacher und Dr.in Lachmayer und den Hofrat Dr. Bodis als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schramel, über die Revision des B in W, vertreten durch Mag. Martin Paar und Mag. Hermann Zwanzger, Rechtsanwälte in 1040 Wien, Wiedner Hauptstraße 46/6, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100467/2016, betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Mit Haftungsbescheid vom wurde der Revisionswerber als ehemaliger Geschäftsführer der M GmbH gemäß § 9 iVm § 80 BAO - soweit für das Revisionsverfahren noch relevant - zur Haftung für die Umsatzsteuer 2003 und die Körperschaftsteuer 2000 der M GmbH herangezogen.

2 Am brachte der Revisionswerber Beschwerde gegen den Haftungsbescheid und - gemäß § 248 BAO - Beschwerde gegen die der Haftung zugrundeliegenden Abgabenbescheide der Primärschuldnerin ein.

3 Nach abweisender Beschwerdevorentscheidung betreffend Haftungsinanspruchnahme beantragte der Revisionswerber die Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Mit Schriftsatz vom stellte der Revisionswerber Beweisanträge. Diese wurden vom Bundesfinanzgericht gemeinsam mit in der Beschwerde gestellten Beweisanträgen mit Beschluss vom abgelehnt.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde gegen den Haftungsbescheid teilweise Folge und schränkte die Haftung auf die oben genannten Abgaben ein. Begründend führte es aus, dass der Revisionswerber von bis Geschäftsführer der M GmbH gewesen sei. In Folge einer abgabenbehördlichen Prüfung sei es im Jahr 2008 bei der Primärschuldnerin - soweit für das Revisionsverfahren noch relevant - zur Wiederaufnahme der Verfahren hinsichtlich Körperschaftsteuer 2000 sowie Umsatzsteuer 2003 und Erlass neuer Sachbescheide für diese Jahre gekommen, die zu Abgabennachforderungen geführt hätten. Die Abgaben- und Wiederaufnahmebescheide für Körperschaftsteuer 2000 und die Umsatzsteuer 2003 seien dem Revisionswerber gemeinsam mit dem angefochtenen Haftungsbescheid zustellt worden. Über das Vermögen der Primärschuldnerin sei vom Gericht im Jahr 2005 der Konkurs eröffnet worden, der mit Beschluss vom  mit einer Verteilungsquote von 0,02 % aufgehoben worden sei. Die vom Haftungsbescheid erfassten Abgabenschulden der Primärschuldnerin seien bei dieser, soweit sie die Konkursquote von 0,02 % überstiegen, uneinbringlich. Der Revisionswerber habe in seiner Eigenschaft als Vertreter der Primärschuldnerin schuldhaft abgabenrechtliche Verpflichtungen (Entrichtung von Abgaben, Einreichung korrekter Steuererklärungen) verletzt. Diese Verletzung sei kausal für die Uneinbringlichkeit der Abgaben gewesen. Im Beschwerdeverfahren über die Haftung sei ein Antrag auf mündliche Verhandlung oder Entscheidung durch den Senat nicht gestellt worden. In der Beschwerde habe der Revisionswerber die Zustellung des Haftungsbescheids an seine Person, statt an den Zustellbevollmächtigten gerügt. Die Abgabenbehörden seien nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings aus Zweckmäßigkeitsgründen trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung zur unmittelbaren Zustellung von Erledigungen an die zur Haftung Herangezogenen als Vollmachtgeber berechtigt, weshalb sich die Zustellung als zulässig erweise.

5 Die Höhe der Abgabenschulden der Primärschuldnerin sei deren aktenkundigen Abgabenbescheiden, die zu Abgabennachforderungen durch die belangte Behörde geführt hätten, zu entnehmen. Das Bestehen dieser Ansprüche sei für das Verwaltungsgericht im Haftungsverfahren bindend. Diese Abgabenansprüche - die hinsichtlich der Umsatzsteuer aus der Nichtanerkennung steuerfreier Ausfuhrlieferungen und Vorsteuerbeträge resultierten - seien gemäß § 4 BAO (hinsichtlich der Körperschaftsteuer 2000) bzw. gemäß § 19 Abs. 2 UStG 1994 (hinsichtlich Umsatzsteuer 2003) im Zeitraum der Geschäftsführerschaft des Revisionswerbers entstanden und wären von ihm zu erklären und entrichten gewesen. Nach § 9 Abs. 1 IO werde durch die Anmeldung im Insolvenzverfahren die Verjährung der angemeldeten Forderung unterbrochen. Die Verjährung der Forderung gegenüber dem Schuldner beginne von neuem mit dem Ablauf des Tages, an dem der Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtskräftig geworden sei. Dieser Beschluss des Gerichts sei im Jänner 2018 erfolgt. Damit beginne die Frist des § 238 Abs. 1 BAO erneut zu laufen. Sie ende erst im Jahr 2023. Eine Verjährung der Haftung sei bei den der Primärschuldnerin bescheidmäßig vorgeschriebenen Abgaben daher nicht eingetreten.

6 Zur Verletzung der abgabenrechtlichen Pflichten führte das Bundesfinanzgericht aus, zu diesen Pflichten des Vertreters gehöre es auch, dafür zu sorgen, dass die gesetzlich vorgesehenen Abgabenerklärungen rechtzeitig und richtig eingereicht würden. Richtiges Einreichen bedeute inhaltliche Korrektheit. Es sei bei der Primärschuldnerin nach Durchführung einer abgabenbehördlichen Überprüfung zu erheblichen steuerlichen Nachforderungen für den Zeitraum der Geschäftsführertätigkeit des Revisionswerbers gekommen, weshalb davon auszugehen sei, dass die Primärschuldnerin, vertreten durch den Revisionswerber, die Abgabenerklärungen inhaltlich nicht korrekt eingebracht habe. Abgabenrechtliche Pflichten würden nicht erfüllt, wenn Abgaben, die zu entrichten gewesen wären, nicht entrichtet worden seien. Nach dem festgestellten Sachverhalt seien Abgaben in erheblicher Höhe nicht entrichtet worden, deren Entstehung und Fälligkeit im Zeitraum der Geschäftsführerschaft des Revisionswerbers lägen. Die Abgabenansprüche entstünden nach den Bestimmungen des § 19 UStG 1994 und § 4 BAO nicht erst mit der Feststellung der Abgabenbehörde, dass der Vorsteuerabzug bzw. die Steuerbefreiung unberechtigt gewesen seien. Habe der Vertreter schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so dürfe die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich gewesen sei. Beweismittel, aus denen hervorgehe, dass die Abgaben auch bei korrektem Einreichen der Steuererklärungen uneinbringlich gewesen wären, habe der Revisionswerber nicht vorgelegt, weshalb von der Kausalität der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit auszugehen sei. Aus den Abgabenbescheiden der Primärschuldnerin ergäben sich die geschuldeten Abgaben. Die (zunächst) nicht vorhandenen Rückstände resultierten aus den fehlerhaften Abgabenerklärungen, die von der Primärschuldnerin eingereicht worden seien. Im Rahmen des Ermessens seien die Haftungsbeträge aufgrund des langen Zeitabstands zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits zu reduzieren gewesen.

7 Der Revisionswerber erhob zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , E 4806/2018, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.

8 In der gegen das angefochtene Erkenntnis erhobenen außerordentlichen Revision wird zur Zulässigkeit geltend gemacht, das Bundesfinanzgericht habe keine ausreichenden Feststellungen zur Einhebungsverjährung getroffen. Es seien keine Feststellungen getroffen worden, ob und wann die Abgabenforderungen im Insolvenzverfahren angemeldet worden seien. Tatsächlich seien die Abgabenforderungen im Konkurs der Primärschuldnerin nicht ordnungsgemäß angemeldet worden; damit sei keine Hemmung der Verjährung nach § 9 IO eingetreten. Das Finanzamt habe dem Insolvenzgericht mit Schreiben vom lediglich nicht näher bestimmte Abgabenforderungen in der Höhe von 7 Mio. € mitgeteilt, womit es sich nicht um eine ordnungsgemäße Forderungsanmeldung im Sinne der Insolvenzordnung gehandelt habe. Ob solche Forderungsanmeldungen zur Hemmung der Verjährung führen könnten, sei in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch nicht beantwortet worden. Das Bundesfinanzgericht habe zudem keine ausreichenden Feststellungen zur Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten getroffen. Es lasse sich aus den wenigen getroffenen Feststellungen kein schuldhafter Pflichtverstoß des Revisionswerbers erkennen. Hätte das Bundesfinanzgericht diesbezügliche Feststellungen getroffen, dann hätte es zu der Erkenntnis gelangen können, dass der Revisionswerber immer inhaltlich richtige und vollständige Erklärungen abgegeben und sämtliche Abgaben rechtzeitig und vollständig entrichtet habe bzw. dass er zu jedem Zeitpunkt eine das Verschulden ausschließende vertretbare Rechtsaufassung gehabt habe. Soweit das Bundesfinanzgericht davon ausgehe, dass Abgaben in erheblicher Höhe nicht entrichtet worden seien, sei dies unrichtig, weil es sich bei den Abgabenschuldigkeiten um zurückgeforderte Vorsteuerbeträge handle. Es sei daher auch nach Auffassung des Finanzamtes keine Umsatzsteuer zu entrichten gewesen, sondern lediglich aberkannte Vorsteuerguthaben zurückzuzahlen. Das Bundesfinanzgericht habe zu Unrecht die gestellten Beweisanträge abgelehnt. Wären die Beweisanträge nicht abgelehnt worden, hätte das Bundesfinanzgericht zu dem Ergebnis kommen können, dass der Revisionswerber keine abgabenrechtlichen Pflichten verletzt habe und ihm kein Verschuldensvorwurf zu machen sei. Dem Revisionswerber sei zudem die im Jänner 2015 erlassene Beschwerdevorentscheidung betreffend die Abgabenbescheide der Primärschuldnerin nicht zugestellt worden, weshalb dem Revisionswerber jegliche Möglichkeit genommen worden sei, dagegen Beschwerde zu erheben. Ein Haftungsbescheid sei rechtswidrig, wenn dem Haftungsverpflichteten nicht gleichzeitig ein bekämpfbarer Bescheid über den Abgabenanspruch mitgeteilt werde. Der Haftungsbescheid sei dem Revisionswerber direkt zugestellt worden und nicht dem steuerlichen Vertreter. Es sei nicht begründet worden, wieso diese Zustellung zweckmäßig gewesen sein könnte. Der Revisionswerber sei nicht in die Lage versetzt worden, den Nachweis der Gläubigergleichbehandlung zu erbringen, weil er keine monatlich aufgegliederten Abgabenschuldigkeiten übermittelt bekommen habe. Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts habe der Revisionswerber einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen. Ein solcher Beschluss ist in jeder Lage des Verfahrens zu fassen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Gemäß § 238 BAO verjährt das Recht, eine fällige Abgabe einzuheben und zwangsweise einzubringen, binnen fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden ist, keinesfalls jedoch früher als das Recht zur Festsetzung der Abgabe.

13 Nach Abs. 2 leg. cit. wird die Verjährung fälliger Abgaben durch jede zur Durchsetzung des Anspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres, in welchem die Unterbrechung eingetreten ist, beginnt die Verjährungsfrist neu zu laufen.

14 Nach der gegenüber § 238 BAO spezielleren Bestimmung des § 9 Abs. 1 Insolvenzordnung (IO) (vgl. ) wird durch die Anmeldung im Insolvenzverfahren die Verjährung der angemeldeten Forderung unterbrochen. Die Verjährung der Forderung gegen den Gemeinschuldner beginnt von neuem mit dem Ablauf des Tages, an dem der Beschluss über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens rechtskräftig geworden ist.

15 Wenn die Revision vorbringt, das Bundesfinanzgericht habe keine Feststellungen dazu getroffen, ob eine Forderungsanmeldung im Insolvenzverfahren der M GmbH erfolgt sei und ob diese den Erfordernissen des § 103 IO genügt habe, ist zunächst darauf zu verweisen, dass dieses Vorbringen dem Neuerungsverbot unterliegt. Weiter führt die Revision selbst an, dass das Finanzamt die Forderung im Insolvenzverfahren angemeldet hat. Die Vorprüfung der Forderungsanmeldung im Sinne des § 103 IO ist vom Konkursgericht vorzunehmen (vgl. ). Dass diese Forderungsanmeldung vom Konkursgericht oder vom Masseverwalter als mangelhaft angesehen worden wäre, wird auch in der Revision nicht vorgebracht.

16 Die Revision moniert weiters, dass das Bundesfinanzgericht keine ausreichenden Feststellungen zur Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten getroffen habe. Der Revisionswerber habe immer inhaltlich richtige und vollständige Erklärungen abgegeben und sämtliche Abgaben rechtzeitig und vollständig entrichtet.

17 Im Haftungsverfahren nach § 9 BAO hat der Vertreter darzulegen, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen sei, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft gewesen ist. Bei schuldhafter Pflichtverletzung spricht die Vermutung für eine Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall (siehe ).

18 Abgabenrechtliche Pflichten werden nicht erfüllt, wenn Abgaben, die zu entrichten gewesen wären, nicht entrichtet worden sind (vgl. ).

19 Das Bundesfinanzgericht hat sich ausführlich mit dem Vorbringen des Revisionswerbers auseinandergesetzt und zu Recht darauf verwiesen, dass es bei der Beurteilung der Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten auf die Abgabe unrichtiger Steuererklärungen ankommt. Die Primärschuldnerin hat diese Beträge unstrittig nicht entrichtet. Soweit die Revision sich in dem Zusammenhang wiederholt und weitwendig im Ergebnis gegen die Richtigkeit der Abgabenvorschreibung wendet, sind diese Einwendungen nicht im Haftungsverfahren, sondern im Verfahren gemäß § 248 BAO zu klären.

20 Die nach § 9 BAO erforderliche Verschuldensprüfung hat von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen (vgl. ; ).

21 Für die Beurteilung der schuldhaften Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten kommt es im Revisionsfall daher entgegen der Ansicht der Revision nicht nur darauf an, ob der Revisionswerber für eine ordnungsgemäße Buchhaltung bei der Primärschuldnerin gesorgt hat und die ursprünglichen Abgabenerklärungen zeitgerecht abgegeben hat, sondern maßgeblich darauf, dass sich die Abgabenerklärungen als unrichtig erwiesen haben.

22 Ein Rechtsirrtum bzw. das Handeln auf Grund einer vertretbaren Rechtsansicht kann die Annahme eines Verschuldens ausschließen. Gesetzesunkenntnis oder irrtümlich objektiv fehlerhafte Rechtsauffassungen sind aber nur dann entschuldbar und nicht als Fahrlässigkeit zuzurechnen, wenn die objektiv gebotene, der Sache nach pflichtgemäße, nach den subjektiven Verhältnissen zumutbare Sorgfalt nicht außer Acht gelassen wurde. Ein nicht vorwerfbarer Rechtsirrtum wird durch den bloßen Hinweis auf eine andere Rechtsmeinung im Übrigen noch nicht dargetan (vgl.  mwN).

23 Mit dem Vorbringen einer vertretbaren Rechtsansicht, die das Verschulden des Revisionswerbers ausschließen könnte, hat sich das Bundesfinanzgericht ebenfalls auseinandergesetzt und dargelegt, dass die Ausführungen des Revisionswerbers zur vertretbaren Rechtsansicht insgesamt lediglich die Frage betreffen würden, ob der den Abgabenbescheiden inhärente Sachverhalt korrekt sei. Dies wird vom Revisionswerber, der auch in der Revision nicht darlegt, welche vertretbare Rechtsauffassung sein Verschulden ausschließen könne, nicht bekämpft.

24 Wenn die Revision vorbringt, das Bundesfinanzgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass Abgaben in erheblicher Höhe nicht entrichtet worden seien, weil es sich lediglich um zurückgeforderte Vorsteuerbeträge handle, genügt der Hinweis, dass es keine Rolle spielt, ob eine Abgabennachforderung aus der Rückforderung zu Unrecht geltend gemachter Vorsteuern oder aus der Vorschreibung von Umsatzsteuer entsteht (vgl. etwa zur Geltendmachung einer Haftung aufgrund zu Unrecht beantragter Vorsteuerbeträge ).

25 Die Revision bringt als weiteren Zulassungsgrund vor, dass das Bundesfinanzgericht zu Unrecht die gestellten Beweisanträge abgelehnt habe. Das Bundesfinanzgericht hat die Beweisaufnahme mit näherer Begründung abgelehnt. Auf diese Begründung geht die Revision nicht ein. Außerdem vermag das Zulässigkeitsvorbringen auch nicht die Relevanz eines allfälligen Verfahrensfehlers aufzuzeigen, weil die im Zulässigkeitsvorbringen genannten Angaben, die die genannten Zeugen bei einer Einvernahme gemacht hätten, sich im Ergebnis auf das Verfahren zu den Abgabenbescheiden der Primärschuldnerin beziehen, die im Verfahren nach § 248 BAO zu behandeln sind. Hinsichtlich der Beantragung des Masseverwalters als Zeugen betreffend Gleichbehandlung des Abgabengläubigers im Haftungsverfahren ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach in der Unterlassung der Beweisaufnahme dann kein Verfahrensmangel gelegen ist, wenn das von der Partei im Beweisantrag genannte Beweisthema unbestimmt ist (vgl. ). Der Revisionswerber beantragte die Vernehmung des Masseverwalters zum Beweis, dass der Abgabengläubiger „generell und aus den noch anzuführenden Gründen“ nicht schlechter gestellt wurde als die anderen Gläubiger. Es wurde weder angeführt, auf welche Fälligkeitstage bzw. Zeiträume sich das bezieht, noch wurden die „noch anzuführenden Gründe“ erläutert, weshalb sich der Beweisantrag nicht als ausreichend konkretisiert erwiesen hat.

26 Wenn der Revisionswerber vorbringt, ihm sei die im Jänner 2015 erlassene Beschwerdevorentscheidung betreffend die Abgabenbescheide der Primärschuldnerin nicht zugestellt worden, weshalb dem Revisionswerber jegliche Möglichkeit genommen worden sei, dagegen Beschwerde zu erheben, ist auf das eigenständige Beschwerderecht des zur Haftung Herangezogenen zu verweisen. Nach § 248 BAO ist dem Haftungspflichtigen Kenntnis über den haftungsgegenständlichen Abgabenbescheid, insbesondere über Grund und Höhe, zu verschaffen (vgl. ; , 2000/16/0227). Dies ist mit der Übersendung der Abgabenbescheide der Primärschuldnerin erfolgt, wobei mit der Beschwerdevorentscheidung die Beschwerde abgewiesen wurde und damit keine Änderung der erstinstanzlichen Abgabenbescheide eingetreten ist.

27 Soweit die Revision vorbringt, der Haftungsbescheid sei dem Revisionswerber ohne Begründung, wieso diese Zustellung zweckmäßig gewesen sein könnte, direkt zugestellt worden, ist darauf zu verweisen, dass es sich bei der Geltendmachung von Haftungen gemäß § 224 BAO um Erledigungen im Einhebungsverfahren iSd § 103 Abs. 1 BAO handelt. Die Abgabenbehörden sind im Erhebungsverfahren trotz Vorliegens einer Zustellungsbevollmächtigung zur unmittelbaren Zustellung von Erledigungen an die zur Haftung Herangezogenen als Vollmachtgeber berechtigt (vgl. ; , 99/14/0029). Mit dem Revisionsvorbringen, dass der Revisionswerber den Haftungsbescheid und die zugrundeliegenden Abgabenbescheide bekämpfen und sich dafür eines fachkundigen Vertreters habe bedienen wollen, wird noch nicht dargetan, dass dadurch eine Zweckmäßigkeit der Zustellung an den Revisionswerber ausgeschlossen gewesen wäre (vgl. grundsätzlich zur Zweckmäßigkeit Stoll, BAO-Kommentar, 1066).

28 Wenn der Revisionswerber vorbringt, er sei nicht in die Lage versetzt worden, den Nachweis der Gläubigergleichbehandlung zu erbringen, weil er keine monatlich aufgegliederten Abgabenschuldigkeiten übermittelt bekommen habe, ist darauf zu verweisen, dass der Revisionswerber nach den Vorwürfen des Bundesfinanzgerichtes Steuergutschriften zu Unrecht beansprucht habe.

29 Dass bei Abgabe zutreffender Steuererklärungen die Mittel der Primärschuldnerin nicht ausgereicht hätten, um sämtliche Verbindlichkeiten zu begleichen, hat der Revisionswerber im Verfahren nicht behauptet, sondern wurde im Gegenteil in der Beschwerde vorgebracht, dass zum Zeitpunkt der Beendigung der Geschäftsführertätigkeit des Revisionswerbers von der Zahlungsfähigkeit der Primärschuldnerin auszugehen gewesen sei, es keinen Liquiditätsengpass gegeben habe und aus diesem Grund der Abgabengläubiger nicht schlechter gestellt werden konnte. Das Finanzamt hat in der Beschwerdevorentscheidung zudem ohnedies konkrete Fälligkeitstage genannt, zu denen der Gläubigernachweis bzw. eine Liquiditätsaufstellung zu erbringen gewesen wäre. Dies ist auch im weiteren Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht nicht erfolgt.

30 Die Revision rügt weiters, dass der Revisionswerber entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts einen Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt habe.

31 Die Nichtdurchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung durch das Bundesfinanzgericht stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einen besonders gravierenden Verfahrensmangel dar, der im Anwendungsbereich der Grundrechtecharta (GRC) jedenfalls zu einer Aufhebung der Entscheidung führt (vgl. etwa , mwN). Außerhalb des Anwendungsbereiches der GRC führt eine Nichtdurchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung dann zu einer Aufhebung der Entscheidung, wenn dieser Verfahrensmangel relevant im Sinne eines möglichen Einflusses auf die angefochtene Entscheidung sein könnte und der Revisionswerber eine solche Relevanz auch aufzuzeigen vermochte.

32 Umsatzsteuerverfahren fallen in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, sodass sich für solche Abgabenverfahren aus Art. 47 Abs. 2 GRC das Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergibt. Da die Haftungsinanspruchnahme auch die Umsatzsteuer betrifft und damit zur Erhebung der Umsatzsteuer und insofern zur Durchführung von Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 GRC zu zählen ist, ist auch im Revisionsfall hinsichtlich der Umsatzsteuer von einer Anwendbarkeit der GRC auszugehen (vgl. etwa zu Nachsichtsanträgen betreffend Umsatzsteuer ).

33 Das Bundesfinanzgericht hat dargelegt, dass für das Haftungsverfahren kein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt wurde. Dies wird von der Revision zu Unrecht bestritten.

34 Der in der Beschwerde gestellte Antrag lautete wie folgt:

„Für den Fall, dass die Beschwerde ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung dem Verwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt wird, beantragen wir bereits jetzt die Entscheidung betreffend der Beschwerden gegen die Umsatzsteuerbescheide 2002 und 2003, sowie Körperschaftsteuer 2000 durch den Senat gemäß § 272 Abs. 2 Z 1 BAO sowie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 274 Abs. 1 Ziffer 1 BAO.“

35 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteierklärungen im Verwaltungsverfahren nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, das heißt es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszwecks und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei eindeutigem Inhalt eines Anbringens sind davon abweichende, nach außen nicht zum Ausdruck gebrachte Absichten und Beweggründe grundsätzlich unbeachtlich (vgl. ).

36 Dem Bundesfinanzgericht kann nicht entgegengetreten werden, wenn es aufgrund dieser Formulierung davon ausgegangen ist, dass ein Antrag auf mündliche Verhandlung nur für die Beschwerden gegen die Sachbescheide gestellt worden ist und damit im Haftungsverfahren kein Antrag auf mündliche Verhandlung vorlag. Dass eine mündliche Verhandlung aufgrund der GRC aus anderen Gründen als einer Antragstellung zwingend erforderlich gewesen wäre, wird von der Revision nicht vorgebracht.

37 In der Revision werden somit insgesamt keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 

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BAO §103 Abs1
BAO §224
BAO §238
BAO §248
BAO §274
BAO §80 Abs1
BAO §9 Abs1
IO §9 Abs1
UStG 1994
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47
12010P/TXT Grundrechte Charta Art47 Abs2
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51
12010P/TXT Grundrechte Charta Art51 Abs1
ECLI
ECLI:AT:VWGH:2022:RA2020130038.L00
Datenquelle

Fundstelle(n):
EAAAF-45265