Rückforderung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe, Grad der Behinderung 30%
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Dr. Lisa Pucher in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf Adr*** über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung der Erhöhungsbeträge zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung des Kindes ***1*** für den Zeitraum September 2021 bis April 2023 (Rückforderungsbetrag: € 3.154) zu Recht:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Das Finanzamt erließ am einen Bescheid an den Beschwerdeführer (nachfolgend "Bf") über die Rückforderung von Familienbeihilfe (Erhöhungsbetrag) für den Zeitraum September 2021 bis April 2023 für das Kind ***1***. Laut Gutachten des Sozialministeriumservice vom betrage der Grad der Behinderung ab September 2021 nur mehr 20%. Die in § 8 Abs 5 FLAG 1967 normierten Voraussetzungen für den Erhöhungsbetrag (festgestellter Grad der Behinderung muss mindestens 50% betragen und Behinderung darf nicht nur vorübergehend sein, sondern muss mehr als 3 Jahre andauern) lägen daher ab September 2021 nicht vor.
Der Bf brachte in der Beschwerde vom vor, dass seinem Sohn sein Leben lang durch viele Therapien und Spitalsaufenthalte bescheinigt worden sei, autistisch mit Aspergersyndrom zu sein, was durch jede Menge Schriftstücke von Therapeuten und Spitälern belegt werde; zumindest jene der letzten Jahre, der jüngste Befund sei aus dem Jahr 2021 gewesen, diesen habe sein Sohn auch zur vom Finanzamt angeordneten Untersuchung mitgehabt. ***Kind 1*** sei heute 18 Jahre alt, aber auf dem Niveau eines 15-jährigen. Er wohne beim Bf. Bei der Musterung beim Bundesheer sei sein Sohn als untauglich eingestuft worden. Der Bf bitte darum, dass ***Kind 1*** eventuell neurologisch untersucht werde, sein Sohn brauche seine Unterstützung wahrscheinlich ein Leben lang.
Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab.
Am brachte der Bf einen Vorlageantrag ein, in dem er wie folgt ausführte: Sein Sohn ***Kind 1*** sei seit er 2 Jahre alt ist, ein diagnostizierter Autist mit Aspergersyndrom und das Finanzamt widerspreche sämtlichen Ärzten, Therapeuten, Psychologen und Psychiatern. Der Bf habe darum gebeten, die zur Untersuchung mitgeführten Unterlagen ("Medizinische Abschriften der letzten Jahre") ernst zu nehmen und dass sein Sohn auch nach den üblichen Methoden getestet werde. Autismus sehe und rieche man nicht. Es erschwere dem Betroffenen das Leben; auch das Leben des Bf werde im gegenständlichen Fall dadurch erschwert. Der Bf kümmere sich um seinen Sohn seit er klein ist, früher habe sich auch die Ex-Frau des Bf um ***Kind 1*** gekümmert. Der Besuch von Kindergarten, Pflichtschule und Poly sei bei ***Kind 1*** mit den schwersten Problemen verbunden gewesen; der Bf habe in der Mittelschule jede Woche einen "Pflichttermin" mit dem Klassenvorstand gehabt, wobei die Autismusbeauftragte von Niederösterreich oft anwesend gewesen sei. ***Kind 1*** sei sodann in Eggenburg in der Lehrlingsstiftung gewesen, was "ohne Förderbedarf" nie denkbar gewesen wäre. Dabei handle es sich um eine Sozialeinrichtung, wo Menschen wie ***Kind 1*** geholfen werde, eine Lehrstelle zu finden. ***Kind 1*** habe nun eine Lehrstelle und sei über das Netzwerk (https://www.netzwerkgmbh.at - vom Sozialministerium gefördert) im ***Hotel M*** als Koch tätig. Er sei heute 19 Jahre alt und werde wohl immer beim Bf bleiben. Der Bf wolle ihm ein betreutes Wohnen ersparen. Autofahren werde ***Kind 1*** wahrscheinlich nie dürfen, weil ihm das kognitive Denken Großteils fehle.
Am legte das Finanzamt die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
Das Bundesfinanzgericht hat das Finanzamt am dazu aufgefordert, ein neues Gutachten beim Sozialministeriumservice einzuholen, wobei eine Untersuchung von ***Kind 1*** durch eine Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie erfolge solle. Des Weiteren solle im neuen Gutachten nachvollziehbar gemacht werden, weshalb aus dem (im Vorgutachten inhaltlich nicht wiedergegebenen) Kurzgutachten von Mag. ***L*** der Wegfall der früher bestandenen Behinderung im Ausmaß von 50% bereits mit September 2021 abgeleitet wurde.
Am wurde ein neues Gutachten erstellt, das der beschwerdeführenden Partei mit Beschluss vom zur Kenntnisnahme übermittelt worden ist.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Der am TT.02.2005 geborene ***1*** (Sohn des Bf) wies in den Monaten September 2021 bis April 2023 einen Grad der Behinderung von 30% auf. ***Kind 1*** ist nicht voraussichtlich dauernd erwerbungsunfähig.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt gründet sich auf die Bescheinigung des Sozialministeriumservice vom und das dem zu Grunde liegende ärztliche Sachverständigengutachten, das nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes als schlüssig und vollständig einzustufen ist:
Die von den medizinischen Sachverständigen (auch einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie) getroffene Einschätzung, dass das Leiden von ***1*** ("atypischer Autismus") unter Position der Einschätzungsverordnung ("Persönlichkeit- Verhaltensstörung mit geringer sozialer Beeinträchtigung") einzureihen ist, wobei der bei ***Kind 1*** vorliegende Grad der Behinderung letztlich mit 2 Stufen über dem unteren Rahmensatz, der bei 10% liegt, verortet wurde (laut Einschätzungsverordnung: Leichte bis mäßige andauernde Beeinträchtigung in ein oder zwei sozialen Bereichen; ein gewisser Unterstützungsbedarf sei bei ***Kind 1*** nach wie vor gegeben) basiert auf einer persönlichen Untersuchung von ***Kind 1***. Diese hat gezeigt, dass mäßige Einschränkungen und Beeinträchtigungen der sozialen Fähigkeiten vorliegen (Begründung: siehe Gutachten). Insgesamt wurde ***Kind 1*** von den Ärzten des Sozialministeriumservice in den Jahren 2023 und 2024 dreimal untersucht (nicht nur am , sondern auch bereits am und am ) und zwar mit dem übereinstimmenden Ergebnis, dass der Grad der Behinderung, den ***Kind 1*** derzeit aufweist, unter 50% liegt. Die Bescheinigungen wurden unter Einbindung von insgesamt 6 Ärztinnen des Sozialministeriumservice erstellt. Abgesehen von den Untersuchungen, die beim Sozialministeriumservice stattgefunden haben, wurde ***Kind 1*** zuletzt im September 2021 begutachtet (von Mag. ***L***, klinische und Gesundheitspsychologin); der psychologische Untersuchungsbefund lag dem Sozialministerium vor. Wenn aus diesem (im Gutachten vom nunmehr auch auszugsweise zitierten) Befund von einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie geschlossen wird, dass damals (dh im September 2021) keine Behinderung bei ***Kind 1*** mehr vorlag, die eine Einstufung unter die Position der Einstufungsverordnung (Persönlichkeits- Verhaltensstörung mit maßgeblichen sozialen Beeinträchtigungen mit einer ernsthaften und durchgängigen Beeinträchtigung der meisten sozialen Bereiche, Grad der Behinderung in diesem Fall laut Einstufungsverordnung 50-70%, bei ***Kind 1*** ist früher, seit 03/2009, der untere Rahmensatz ausgewählt worden) rechtfertigt, kann dies nicht als unschlüssig angesehen werden. Von Dr. ***P*** ist nicht nur der Befund von Mag. ***L*** zur Beurteilung herangezogen worden, sondern das Gutachten enthält auch Auszüge sämtlicher dem Sozialministeriumservice vorliegender Befunde (beginnend mit dem Jahr 2007 bis zum klinisch-psychologischen Kurzbericht von Mag. ***L***), die auch konkret gewürdigt wurden und zwar mit der Schlussfolgerung, es sei bei ***Kind 1*** im Verlauf zu einer "Nachreifung" gekommen, die anhand der Brückenbefunde, die seit 2007 vorliegen, nachvollziehbar und auch mit dem klinischen Bild bei der Untersuchung vom zu vereinbaren sei. Eine voraussichtlich dauernde Erwerbsunfähigkeit wurde mit der Begründung nicht bescheinigt, eine solche konnte angesichts der Ausprägung des Leidens nicht nachvollzogen werden.
Hier relevante und nicht auflösbare Widersprüche zu den Vorgutachten vom und vom liegen nicht vor.
Bei dieser Sachlage ist das Bundesfinanzgericht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verpflichtet, die Gutachten als mängelfreie Beweismittel seiner Entscheidung zugrunde zu legen (siehe zB Ro 2014/16/0053, 2009/16/0307 und VwGH 2009/16/0310 mwN).
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
§ 8 FLAG 1967 bestimmt auszugsweise:
"[…]
Anspruch auf Familienbeihilfe für ein Kind hat nach § 2 Abs 2 FLAG 1967 die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört.
(2) Die Familienbeihilfe beträgt monatlich […].
(4) Die Familienbeihilfe erhöht sich monatlich für jedes Kind, das erheblich behindert ist, […] um […].
(5) Als erheblich behindert gilt ein Kind, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als sechs Monaten. Der Grad der Behinderung muß mindestens 50 vH betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind § 14 Abs 3 des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, in der jeweils geltenden Fassung, und die Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung) vom , BGBl. II Nr. 261/2010, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden. Die erhebliche Behinderung ist spätestens alle fünf Jahre neu festzustellen, wenn nach Art und Umfang eine mögliche Änderung zu erwarten ist.
(6) Der Grad der Behinderung oder die voraussichtlich dauernde Unfähigkeit, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Sozialministeriumservice) dem Finanzamt Österreich durch eine Bescheinigung auf Grund eines ärztlichen Sachverständigengutachtens nachzuweisen. […]"
Nach dem festgestellten Sachverhalt liegen die im gegenständlichen Fall tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 8 FLAG 1967 für den Bezug des Erhöhungsbetrages im hier gegenständlichen Zeitraum nicht vor. Zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe ist nach § 26 Abs 1 FLAG 1967 zurückzuzahlen.
Es war daher spruchgemäß zu befinden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine solche Rechtsfrage war im gegenständlichen Fall nicht zu klären. Die Bindungswirkung schlüssiger Gutachten des Sozialministeriumservice entspricht der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Der Frage, ob in einem konkreten Fall die vorliegenden Gutachten schlüssig sind, kommt keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu. Die Prüfung der Schlüssigkeit solcher Gutachten ist nichts anderes als eine Würdigung dieses Beweises. Ob die Beweiswürdigung in dem Sinne materiell richtig ist, dass die Ergebnisse mit der objektiven Wahrheit übereinstimmen, entzieht sich der Prüfung durch den Verwaltungsgerichtshof. Es war daher nach § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 26 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 10 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 5 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 4 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 § 8 Abs. 6 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2025:RV.7101451.2024 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at
ECLI Nummer:
ECLI:AT:BFG:2025:RV.7101451.2024
Fundstelle(n):
IAAAF-44218