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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 24.09.2024, RV/4100160/2020

Geschäftsführerhaftung

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri1*** als Vorsitzenden, die Richterin***Ri*** sowie die fachkundigen Laienrichter **LRi1*** und ***LRi2*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Klagenfurt (Gesamtrechtsnachfolger und belangte Behörde heute: Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung gemäß § 9 i.V.m. §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass die Haftung auf folgende Abgaben im Gesamtausmaß von € 51.126,93 (statt € 110.652,11) eingeschränkt wird:


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Abgabe
Zeitraum
Betrag in EUR
Umsatzsteuer
7/2015
31.626,30
Säumniszuschlag 1
2015
367,85
Umsatzsteuer
8/2015
10.140,47
Säumniszuschlag 1
2015
877,87
Körperschaftsteuer
10-12/2015
439,00
Kraftfahrzeugsteuer
7-9/2015
780,90
Säumniszuschlag 1
2015
113,46
Säumniszuschlag 1
2015
502,81
Körperschaftsteuer
2014
312,00
Umsatzsteuer
11/2015
1.968,29
Lohnsteuer
1/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
1/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
1/2015
4,79
Lohnsteuer
2/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
2/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
2/2015
4,79
Lohnsteuer
3/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
3/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
3/2015
4,79
Lohnsteuer
4/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
4/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
4/2015
4,79
Lohnsteuer
5/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
5/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
5/2015
4,79
Lohnsteuer
6/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
6/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
6/2015
4,79
Lohnsteuer
7/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
7/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
7/2015
4,79
Lohnsteuer
8/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
8/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
8/2015
4,79
Lohnsteuer
9/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
9/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
9/2015
4,79
Lohnsteuer
10/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
10/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
10/2015
4,79
Lohnsteuer
11/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
11/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
11/2015
4,79
Lohnsteuer
12/2015
120,73
Dienstgeberbeitrag
12/2015
52,59
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
12/2015
4,79
Kraftfahrzeugsteuer
10-12/2015
535,80
Körperschaftsteuer
1-3/2016
437,00
Lohnsteuer
1/2016
568,83
Dienstgeberbeitrag
1/2016
292,39
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
1/2016
26,64

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer war Geschäftsführer der ***PS***. Mit Beschluss vom ***tt.mm.jjjj*** Landesgerichtes Klagenfurt wurde über die GmbH zur GZ ***123*** das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet, welches mit rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplanes mit Beschluss vom ***tt.mm.jjjj*** aufgehoben wurde.

Mit Schreiben vom setzte die belangte Behörde den Beschwerdeführer von der Absicht der Inanspruchnahme zur Haftung gemäß § 9 i.V.m. §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung (BAO) in Kenntnis und ersuchte den Beschwerdeführer unter ausführlicher Darlegung der Rechtslage um Darstellung der finanziellen Mittel und deren Verwendung in der Zeit vom ***tt.mm.jjjj*** bis ***tt.mm.jjjj***. Weiters wurde um Darstellung der Zahlungseingänge im genannten Zeitraum bzw. zu den jeweiligen Fälligkeitstagen sowie um Auskunft, welcher Verwendung diese Zahlungen zugeführt wurde, ersucht.

Mit Eingabe vom übermittelte der Beschwerdeführer eine Gegenüberstellung der laufenden Kontokorrentkonten der Banken sowie des Verrechnungskontos des Finanzamtes, der Gebietskrankenkasse und die Lieferverbindlichkeiten, jeweils zum Jahresende 2012, 2013, 2014 sowie 2015.
Der Beschwerdeführer legte weiters eine Tabelle vor, welche die Kontostände der Bankkonten ***111*** und ***222*** sowie des Verrechnungskontos des Finanzamtes, der Gebietskrankenkasse und die Summe der Lieferverbindlichkeiten zum jeweiligen Monatsende im Zeitraum ***tt.mm.jjjj*** bis ***tt.mm.jjjj*** sowie zum ***tt.mm.jjjj*** auswies. Zusätzlich waren die monatlichen Veränderungen hinsichtlich der Verbindlichkeiten beim Finanzamt, der Gebietskrankenkasse und der Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen aufgelistet. Der Beschwerdeführer brachte ergänzend vor, dass sich der Forderungsstand seitens des Finanzamtes vom ***tt.mm.jjjj*** bis ***tt.mm.jjjj*** um 15,9 % verringert habe. Ebenso habe sich der Stand des Verrechnungskonto Gebietskrankenkasse um rund 6 % reduziert. Die Verbindlichkeiten gegenüber den Lieferanten seien im Wesentlichen gleich geblieben. In der Gesamtbetrachtung sei der Schuldenstand gegenüber dem Finanzamt reduziert worden. Die Bankverbindlichkeiten seien hingegen in diesem Zeitraum gestiegen. Die mit der Abwicklung der Bauprojekte in Verbindung stehenden Bankkonten seien in diese Betrachtung nicht mit einbezogen worden, da die gesamten Projekterlöse zediert und für die entsprechenden Kosten gebunden gewesen sind. Die erfolgte Berichtigung der Vorsteuer im Zeitraum Jänner 2016 sei in die Betrachtungen nicht miteinzubeziehen, da sie innerhalb der Anfechtungsfrist vor Insolvenz entstanden ist.

Mit Bescheid vom zog die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 9 i.V.m. §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung (BAO) als Haftungspflichtigen für aushaftende Abgabenschuldigkeiten i.H.v. € 110.652,11 heran, welche sich wie folgt darstellten:

Nach wiederholten Fristverlängerungen brachte der Beschwerdeführer rechtzeitig am Beschwerde gegen diesen Bescheid ein. Begründend gab er an, dass sich aufgrund der im Sanierungsplan vereinbarten Quote die Schuld gegenüber sämtlichen Gläubiger um 20 % zu reduzieren habe. Diesem Umstand sei im Haftungsbescheid nicht Rechnung getragen worden. Weiters seien die Nachzahlungen von Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag, welche auf einer Festsetzung nach Konkurseröffnung aufgrund von Prüfungsfeststellungen basieren, nicht in den Haftungsbescheid aufzunehmen. Der Beschwerdeführer beantragte den Haftungsbescheid auf einen Betrag i.H.v. € 82.050,14 abzuändern.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom gab die belangte Behörde der Beschwerde teilweise statt, reduzierte die Haftungssumme um die vereinbarte Quotenhöhe und setzte die Haftungssumme iHv. € 88.521,66 fest. Hinsichtlich der in der Beschwerde gerügten Festsetzung von Lohnabgaben nach Zeitpunkt der Konkurseröffnung führte die belangte Behörde aus, dass die festgesetzten Lohnabgaben Zeiträume vor Insolvenzeröffnung betreffen und die Nichtabfuhr derselben eine schuldhafte Pflichtverletzung darstelle.

Im am eingebrachten Vorlageantrag führte der Beschwerdeführer ergänzend aus, dass die Gutschrift aus der Umsatzsteuerjahreserklärung 2015 iHv. € 18.308,36 vom ***tt.mm.jjjj*** Berücksichtigung finden müsse.

Am legte die belangte Behörde die Beschwerde gegen die streitgegenständlichen Bescheide dem Bundesfinanzgericht vor.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesfinanzgerichts vom wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung 5010 zugewiesen.

Im Zuge des schriftlichen Vorhalteverfahrens wurde der belangten Behörde der vom Bundesfinanzgericht errechnete aushaftende Betrag bekanntgegeben. Die belangte Behörde brachte hierzu keine Einwände vor.
Der Beschwerdeführer wurde bei Bekanntgabe des vom Bundesfinanzgericht errechneten aushaftenden Betrages mit Schreiben vom aufgefordert, einen Nachweis der Gläubigergleichbehandlung vorzulegen. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.

Der für anberaumte Erörterungstermin entfiel, da der Beschwerdeführer die Ladung hierzu nicht behob.

Die Ladung zur vom Beschwerdeführer beantragten mündlichen Senatsverhandlung wurde am hinterlegt. Die mündliche Senatsverhandlung fand ohne Beisein des Beschwerdeführers am statt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war seit ***tt.mm.jjjj*** alleiniger handelsrechtlicher Geschäftsführer der ***PS***.

Über das Vermögen der ***PS*** (Primärschuldnerin) wurde am ***tt.mm.jjjj*** zu GZ ***123*** des Landesgerichts Klagefurt das Sanierungsverfahren ohne Eigenverwaltung eröffnet. Mit Beschluss vom ***tt.mm.jjjj*** wurde der Sanierungsplan, der die Zahlung einer Quote von 20% vorsah, rechtskräftig und das Sanierungsverfahren aufgehoben.

Zum Zeitpunkt der Eröffnung des Sanierungsverfahrens waren folgende Abgaben in folgender Höhe fällig:


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Abgabe
Fälligkeit
Betrag in EUR
DB 2013
425,38
DZ 2013
38,76
L 2013
2.051,28
DZ 2014
59,75
DB 2014
655,78
L 2014
2.217,24
U 3/15
428,09
U 6/15
43.893,48
KR 4-6/15
877,80
U 7/15
40.000,00
SZA 2015
367,85
U 8/15
10.140,47
SZA 2015
877,87
K 10-12/15
439,00
KR 7-9/15
780,90
SZA 2015
113,46
SZA 2015
502,81
K 2014
312,00
U 11/15
12.866,58
L 1/2015
120,73
DB 1/2015
52,59
DZ 1/2015
4,79
L 2/2015
120,73
DB 2/2015
52,59
DZ 2/2015
4,79
L 3/2015
120,73
DB 3/2015
52,59
DZ 3/2015
4,79
L 4/2015
120,73
DB 4/2015
52,59
DZ 4/2015
4,79
L 5/2045
120,73
DB 5/2015
52,59
DZ 5/2015
4,79
L 6/2015
120,73
DB 6/2015
52,59
DZ 6/2015
4,79
L 7/2015
120,73
DB 7/2015
52,59
DZ 7/2015
4,79
L 8/2015
120,73
DB 8/2015
52,59
DZ 8/2015
4,79
L 9/2015
120,73
DB 9/2015
52,59
DZ 9/2015
4,79
L 10/2015
120,73
DB 10/2015
52,59
DZ 10/2015
4,79
L 11/2015
120,73
DB 11/2015
52,59
DZ 11/2015
4,79
L 12/2015
120,73
DB 12/2015
52,59
DZ 12/2015
4,79
KR 10-12/15
535,80
K 1-3/16
437,00
L 1/2016
568,83
DB 1/2016
292,39
DZ 1/2016
26,64
U 12/15
7.410,07

Am ***tt.mm.jjjj*** wurde eine Gutschrift hinsichtlich Umsatzsteuer 2015 iHv. € 18.308,36 am Abgabenkonto der Primärschuldnerin verbucht. Die Quotenzahlungen aus dem Sanierungsverfahren wurden in folgender Höhe zu folgendem Datum verbucht: € 16.297,32 am , € 12.207,79 am und € 12.207,79 am .

Die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgabenschuldigkeiten bei der Primärschuldnerin steht somit im Ausmaß von € 69.435,29 fest.
Hinsichtlich der Umsatzsteuer 11/2015 wurden im Haftungsbescheid lediglich ein Betrag iHv. € 1.968,29 geltend gemacht. Der aushaftende Betrag betreffend Umsatzsteuer 12/2015 iHv. € 7.410,07 wurde im Haftungsbescheid nicht geltend gemacht.

Der Haftungsbescheid gegenüber dem Beschwerdeführer wurde am erlassen.

Der Beschwerdeführer hat weder Unterlagen noch Berechnungen vorgelegt, die geeignet wären, eine Gläubigergleichbehandlung nachzuweisen.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Firmenbuch und in die Datenbank der Finanzverwaltung.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer keinen Gleichbehandlungsnachweis erbracht hat, ergibt sich aus dem Umstand, dass er weder im Verfahren vor der belangten Behörde noch im weiteren Verfahren Behauptungen und/oder Beweisanbote zu seiner Entlastung dargetan und auch keine ausreichenden Berechnungen vorgelegt hat, obwohl ihm dies schon mit Haftungsvorhalt vom sowie mit dem angefochtenen Bescheid und insbesondere mit der Beschwerdevorentscheidung, der insoweit auch Vorhaltecharakter zukommt, sowie mit Schreiben vom vorgehalten wurde.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

Gemäß § 9 Abs. 1 haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

§ 80 BAO lautet:
§ 80. (1) Die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen haben alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, daß die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
(2) Steht eine Vermögensverwaltung anderen Personen als den Eigentümern des Vermögens oder deren gesetzlichen Vertretern zu, so haben die Vermögensverwalter, soweit ihre Verwaltung reicht, die im Abs. 1 bezeichneten Pflichten und Befugnisse.
(3) Vertreter (Abs. 1) der aufgelösten Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach Beendigung der Liquidation ist, wer nach
§ 93 Abs. 3 GmbHG zur Aufbewahrung der Bücher und Schriften der aufgelösten Gesellschaft verpflichtet ist oder zuletzt verpflichtet war.

Gemäß § 248 BAO kann der nach Abgabenvorschriften Haftungspflichtige unbeschadet der Einbringung einer Bescheidbeschwerde gegen seine Heranziehung zur Haftung (Haftungsbescheid, § 224 Abs. 1) innerhalb der für die Einbringung der Bescheidbeschwerde gegen den Haftungsbescheid offenstehenden Frist auch gegen den Bescheid über den Abgabenanspruch Bescheidbeschwerde einbringen. Beantragt der Haftungspflichtige die Mitteilung des ihm noch nicht zur Kenntnis gebrachten Abgabenanspruches, so gilt § 245 Abs. 2, 4 und 5 sinngemäß.

Voraussetzung für die Inanspruchnahme als Haftender nach den § 9 und § 80 BAO ist
-) die Stellung als Vertreter,
-) eine Abgabenforderung, deren Zahlungstermin in die Zeit der Vertretertätigkeit fällt, gegen den Vertretenen,
-) die Uneinbringlichkeit dieser Abgabenforderung,
-) eine Pflichtverletzung des Vertreters,
-) ein Verschulden des Vertreters an der Pflichtverletzung und
-) die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ().

Wie im Sachverhaltsteil festgestellt, war der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben unstrittig Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Er gehört damit zu dem in § 80 Abs. 1 BAO angeführten Personenkreis. Er kann daher gemäß § 9 BAO grundsätzlich zur Haftung für ausständige Abgabenrückstände herangezogen werden.

Die Haftung ist subsidiär und akzessorisch. Eine Person darf demnach nur dann als Haftende in Anspruch genommen werden, wenn der Hauptschuldner seiner Verbindlichkeit nicht nachkommt und diese Verbindlichkeit beim Hauptschuldner uneinbringlich ist (Subsidiarität). Die Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgabenforderung bei der Primärschuldnerin ergibt sich aufgrund der Aufhebung des Sanierungsverfahrens.

Die Haftung nach § 9 BAO ist einem zivilrechtlichen Schadenersatzanspruch nachgebildet. Es ist gemäß § 1298 ABGB Sache des Vertreters, die Gründe darzutun, aus denen ihm die Erfüllung seiner Pflichten gemäß § 9 und § 80 BAO unmöglich war, widrigenfalls die Behörde zu der Annahme berechtigt ist, dass er seiner Pflicht schuldhafterweise nicht nachgekommen ist (). Zur Haftungsinanspruchnahme genügt der Vorwurf bloßen - vom Geschäftsführer zu widerlegendem - Verschuldens (). Die Schuldhaftigkeit iSd § 9 Abs 1 BAO erfasst jede Form des Verschuldens und damit auch die leichte Fahrlässigkeit (; , Ra 2019/13/0046). Zu den Pflichten des Beschwerdeführers als Geschäftsführer der Gesellschaft in jenem Zeitraum, in welchem er die Vertreterstellung innehatte, gehörten nicht nur die Pflicht zur Führung von Büchern und Aufzeichnungen sowie deren Aufbewahrung, die Erfüllung der Anzeige-, Offenlegungs- und Wahrheitspflichten der Gesellschaft, die Abgabenerklärungspflicht, sondern insbesondere auch die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen der Gesellschaft sowie die Vorsorge, für die Entrichtung der Abgaben der Gesellschaft aus den verwalteten Mitteln zu sorgen ().
Das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde, wonach die lohnabhängigen Abgaben betreffend die Jahre 2013, 2014 und 2015 erst aufgrund einer "GPLA-Prüfung" nach Konkurseröffnung festgesetzt wurden und eine Befriedung dieser Schuld zu einer Gläubigerbegünstigung führen würde, geht ins Leere. Denn nach der Judikatur ist bei Selbstbemessungsabgaben maßgebend, wann die Abgaben bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung abzuführen gewesen wären (; , 2013/16/0208); maßgebend ist daher der Zeitpunkt der Fälligkeit, somit unabhängig davon, ob die Abgabe bescheidmäßig festgesetzt wird (; , 2001/16/0291). Werden daher im Zuge einer Außenprüfung Verkürzungen aufgedeckt und kommt es in der Folge zur bescheidmäßigen Vorschreibung der verkürzten Abgaben, die vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens fällig gewesen wären, erst nach Eröffnung dieses Verfahrens, so ändert auch die im Zuge einer solchen Festsetzung gemäß § 210 Abs. 4 BAO zustehende Zahlungsfrist nichts daran, dass die Abgaben nicht zum Fälligkeitstermin entrichtet wurden und damit eine (schuldhafte) Verletzung abgabenrechtlicher (Melde- und) Zahlungspflichten vorliegt.
Da im angefochtenen Haftungsbescheid jedoch die monatlich Aufgliederung der infolge der Gemeinsamen Prüfung lohnabhängiger Abgaben bescheidmäßig festgesetzten Abgaben unterblieb, wurde dem Beschwerdeführer im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens die monatliche Aufgliederung der Jahresbeträge bekanntgegeben und ihm die Möglichkeit der Vorlage der Liquiditätsaufstellung zu den jeweiligen Fälligkeitstagen und der Berechnung auf die Abgabengläubiger entfallende monatliche Quote geboten. Das Vorhaltsersuchen des Bundesfinanzgerichtes blieb unbeantwortet.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist es Aufgabe des Vertreters, der eine ihm obliegende Pflicht nicht erfüllt, die Gründe darzutun, aus denen ihm die Erfüllung unmöglich war, widrigenfalls darf angenommen werden, dass er seiner Pflicht schuldhaft nicht nachgekommen ist (). Dem Vertreter obliegt es auch, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch das Erstellen und Aufbewahren von Ausdrucken - zu treffen. Dem Vertreter, der fällige Abgaben der Gesellschaft nicht oder nicht zur Gänze entrichten kann, ist schon im Hinblick auf seine mögliche Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger zumutbar, jene Informationen zu sichern, die ihm im Falle der Inanspruchnahme als Haftungspflichtiger die Erfüllung der Darlegungspflicht im oben beschriebenen Sinn ermöglichen ().
Im gegenständlichen Fall brachte der Beschwerdeführer weder auf das Vorhaltsersuchen der belangten Behörde, auf den Bescheid bzw. die Beschwerdevorentscheidung, noch auf den Vorlagebericht Gründe vor, aus denen ihm die Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich gewesen wäre. Insbesondere wurde nicht behauptet, dass ihm keine Mittel zur Entrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben zur Verfügung gestanden oder dass sämtliche Gläubiger gleichbehandelt worden wären. Für eine völlige Vermögenslosigkeit zum Zeitpunkt der jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte ergeben sich auch nach Aktenlage keine Anhaltspunkte. Was eine allfällige Gleichbehandlung der Gläubiger betrifft, so wäre dies vom Beschwerdeführer zu behaupten und zu beweisen gewesen. Die Vorlage der monatlichen Saldoübersichten der Kontostände der Bankkonten, der Verbindlichkeiten gegenüber dem Finanzamt und der GKK sowie der (kumulierten) Lieferverbindlichkeiten reicht zur Erfüllung des von der Judikatur geforderten Nachweises nicht aus.

Im Hinblick auf die unterlassene Behauptung und Konkretisierung des Ausmaßes der Unzulänglichkeit der in den Fälligkeitszeitpunkten zur Verfügung gestandenen Mittel zur Erfüllung der vollen Abgabenverbindlichkeiten kommt eine Beschränkung der Haftung des Beschwerdeführers bloß auf einen Teil der von der Haftung betroffenen Abgabenschulden nicht in Betracht ().

Bei schuldhafter Pflichtverletzung spricht die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben (; , Ra 2020/13/0027). Da der Beschwerdeführer auch in diesem Zusammenhang keine gegenteiligen Nachweise vorlegen konnte, geht das Bundesfinanzgericht der ständigen Rechtsprechung des VwGH folgend von einer Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Beschwerdeführers und der Uneinbringlichkeit der Abgabe aus.

Nach Abzug der der am ***tt.mm.jjjj*** gebuchten Gutschrift hinsichtlich Umsatzsteuer 2015 iHv. € 18.308,36 sowie nach Abzug der Quotenzahlungen aus dem Sanierungsverfahren (€ 16.297,32 am , € 12.207,79 am sowie € 12.207,79 am ) sowie deren Verrechnen gemäß § 214 Abs. 1 BAO auf die dem Fälligkeitstag nach ältesten verbuchten Abgabenschuldigkeit ergibt sich ein Haftungsbetrag in Höhe von € 69.435,29.

Da mit dem Spruch des Haftungsbescheides (§ 224 BAO) die Haftung für einen bestimmten Abgabenbetrag einer bestimmten Abgabe geltend gemacht wird, ist damit auch die Sache des konkreten Haftungsverfahrens und insoweit auch der Rahmen für die Abänderungsbefugnis der Abgabenbehörde zweiter Instanz im Berufungsverfahren iSd § 298 Abs 2 BAO festgelegt ().
Im Haftungsbescheid wurden hinsichtlich der Umsatzsteuer 11/2015 lediglich € 1.968,29 (aushaftend € 12.866,58) geltend gemacht. Der aushaftende Betrag betreffend Umsatzsteuer 12/2015 iHv. € 7.410,07 wurde im Haftungsbescheid nicht geltend gemacht.
Der vom Bundesfinanzgericht errechnete Haftungsbetrag in Höhe von € 69.435,29 ist hinsichtlich der Umsatzsteuer 11/2015 auf den im Haftungsbescheid ausgewiesenen Betrag iHv. € 1.968,29 und hinsichtlich der Umsatzsteuer 12/2015 mangels Geltendmachung im Haftungsbescheid auf Null zu korrigieren, sodass der Beschwerdeführer für einen Betrag iHv. € 51.126,93 zur Haftung herangezogen wird.

Ermessen:

Die im Rahmen des § 224 BAO zu treffende Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO ist innerhalb der vom Gesetzgeber gezogenen Grenze nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommender Umstände zu treffen.

Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Beschwerdeführers beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch ihn verursacht worden ist. Dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" kommt die Bedeutung öffentliches Interesse an der Einhebung der Abgabe zu. Die Zweckmäßigkeit der Geltendmachung der Haftung liegt darin, dass nur durch diese Maßnahme eine Einbringlichkeit der angeführten Abgaben gegeben ist und nur so dem öffentlichen Interesse an der Erhebung der Abgaben nachgekommen werden kann.

Ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits wäre ein Umstand, der bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht gelassen werden darf. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt aber vom Einzelfall ab ().

Im vorliegenden Fall sind keine Gründe evident, die das Bundesfinanzgericht zu einer Ermessensübung für die in der Haftung verbliebenen Beträge im Sinne des Beschwerdeführers veranlassen würden, zumal die Haftung sehr zeitnah zum Untergang der Primärschuldnerin geltend gemacht wurde. Vom Beschwerdeführer wurde auch nicht aufgezeigt, dass die Haftung wegen seiner persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geltend gemacht werden dürfe. Eine allfällige Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen stünde im Übrigen der Geltendmachung der Haftung nicht entgegen ().

Der Beschwerde ist somit aus den dargelegten Gründen teilweise stattzugeben und die Haftung auf die im Spruch genannten Abgaben im Gesamtbetrag von € 51.126,93 einzuschränken; im Übrigen ist die Beschwerde aber als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die vorliegende Entscheidung beruht auf der zitierten, ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht waren ausschließlich Tatsachenfragen und Ermessensfragen zu beurteilen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Klagenfurt am Wörthersee, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.4100160.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at