TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Säumnisbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.09.2024, RS/7100057/2024

Sicherstellungsauftrag aufgehoben, da Einbringung nicht gefährdet Pfändungsbescheide und Pfändungsgebühren infolge Wegfalls des Exekutionstitels ebenfalls aufzuheben

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin R. in der Beschwerdesache Bf., A-1, vertreten durch Athlon Wirtschaftstreuhand- und Steuerberatungs GmbH, Erndtgasse 23, 1180 Wien,

(1) über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , betreffend Sicherstellung gemäß § 232 BAO,

(2) über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom , betreffend vier Pfändungen gemäß § 65 AbgEO iVm § 78 AbgEO, und

(3) über die Beschwerden vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Österreich vom , betreffend zwei Barauslagenersätze gemäß § 26 AbgEO,

Steuernummer N-1, zu Recht erkannt:

I. Den Beschwerden zu Punkt (1) bis (3) wird gemäß § 279 BAO stattgegeben.
Die angefochtenen Bescheide werden aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

(1) Sicherstellung

Mit Sicherstellungsauftrag vom ordnete das Finanzamt zur Sicherung der im Betriebsprüfungsverfahren festgestellten voraussichtlichen Nachforderungen an Einkommensteuern 2018-2021 im Betrag von insgesamt € 281.000,00, nämlich


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Einkommensteuer
2018
55.000,00
Einkommensteuer
2019
68.000,00
Einkommensteuer
2020
67.000,00
Einkommensteuer
2021
91.000,00


die Sicherstellung in das bewegliche und unbewegliche Vermögen des Beschwerdeführers (Bf.) an, da in seinem Rechenwerk Scheinrechnungen folgender Firmen vorgefunden worden seien, welche steuerlich nicht anerkannt würden:

G-1
G-2
G-3
G-4
G-5
G-6
G-7
G-8
G-9

Um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Abgabeneinbringung zu begegnen, könne die Abgabenbehörde nach Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4 BAO) bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226 BAO) einen Sicherstellungsauftrag erlassen (§ 232 BAO).

Die Erschwerung der Einbringung der Abgaben sei zu befürchten, weil die offengelegten finanziellen Mittel des Bf. nach Ansicht der Abgabenbehörde nicht ausreichten, um die Tilgung der offenen Forderung sicherzustellen.

---//---

In der dagegen am rechtzeitig eingebrachten Beschwerde wandte der Bf. ein:

Gemäß Ritz, BAO3, § 232, Tz 1, bestehe das Ziel des Sicherungsverfahrens darin, dem Abgabengläubiger bereits zu einem Zeitpunkt, in dem der Abgabenanspruch zwar dem Grunde nach feststehe, er aber noch nicht realisierbar sei, wegen der Drohung der Gefährdung oder der Erschwerung der Einbringung ein Pfandrecht zu verschaffen.

Dass gegen den Bf. ein Abgabenanspruch dem Grunde nach feststehe, sei unrichtig. Nicht einmal die Vermutung, geschweige denn der Verdacht eines drohenden Abgabenspruchs in der absurden Höhe des gegenständlichen Sicherstellungsauftrags (€ 281.000,00 betreffend Einkommensteuern 2018 bis 2021) sei gegenüber dem steuerlichen Vertreter noch gegenüber dem Bf. im Rahmen der laufenden Betriebsprüfung 2018-2021, woraus sich anscheinend der gegenständliche Sicherstellungsauftrag ergeben habe, seitens der Betriebsprüferin bis zum Zeitpunkt der Ausstellung des gegenständlichen Sicherstellungsauftrages geäußert.

Die zu klärenden abgabenrechtlichen Themen der laufenden Betriebsprüfung seien bis dahin Fragen gewesen, wie die laufenden Ausgangsrechnungsnummern und deren Bezahlung überwacht würden und wie sich der Verkaufspreis eines gebrauchten PKW´s ergeben habe.

Am habe sich die Betriebsprüferin mit der Aussage verabschiedet, dass sie sich in der kommenden Woche melden würde; diese Rückmeldung sei ausgeblieben, jedoch sei der Sicherstellungsaufrag am direkt an den Bf. ergangen und seitens der Abgabenbehörde ein Betrag von € 10.400,00 in bar mittels behördlich begleiteter Bankbehebung vereinnahmt worden; eine Verbuchung dieses Betrags auf dem Finanzamtsverrechungskonto des Bf. sei bisher nicht erfolgt.

Gemäß Ritz, BAO3, § 232, Rz 3ff, seien die Voraussetzungen für einen Sicherstellungsauftrag:

1. Verwirklichung des Tatbestandes
2. Wesentliche Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung

Die Begründung zu 1. zum Sicherstellungsauftrag laute wie folgt:

"Die sicherzustellenden Abgabenansprüche sind auf Grund folgender Sachverhalte entstanden und wurden wie folgt ermittelt:

Im Rechenwerk von Bf. wurden Scheinrechnungen folgender Firmen vorgefunden, welche steuerlich nicht anerkannt werden: (…)"

Gemäß Ritz/Koran, BAO7, § 232, Rz 8, werde zur Voraussetzung der Verwirklichung des Tatbestandes Folgendes ausgeführt: "Weshalb die Behörde von der Verwirklichung von Abgabentatbeständen ausgeht, ist schlüssig zu begründen (...)."

Hierbei handle es sich um einen notwendigen Bescheidbestandteil.

Im Rahmen der Betriebsprüfung 2018-2021 sei das Thema "Scheinrechnungen" bis zum Zeitpunkt des Sicherstellungsauftrags nicht angesprochen worden; wie die Behörde zu der Erkenntnis komme, dass sich im Rechenwerk des Bf. "Scheinrechnungen" befinden sollten, sei weder klar noch begründet, da sämtliche genannte Firmen zum Zeitpunkt der Leistungserbringung über eine gültige UID-Nummer verfügt hätten und in der HFU-Liste aufgenommen gewesen seien. Weiterhin werde der Umsatz des Bf. schlüssig mit erheblichen Fremdleistungen erzielt, was auch im Rahmen der Betriebsprüfung 2018-2021 widerspruchslos zu Kenntnis genommen und bis zum Zeitpunkt des Sicherstellungsauftrages nicht thematisiert worden sei. Die schlichte Behauptung, im Rechenwerk des Bf. befänden sich "Scheinrechnungen" könne objektiv nicht als schlüssige Begründung angesehen werden. Auch werde die Berechnung der behaupteten Steuerschuld nicht einmal in Grundzügen dargelegt.

Die Begründung zu 2. zum Sicherstellungsauftrag laute wie folgt:

"Um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Abgabeneinbringung zu begegnen, kann die Abgabenbehörde nach Entstehung des Abgabenanspruches (§ 4 BAO) bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226 BAO) einen Sicherstellungsauftrag erlassen (§ 232 BAO).

Die Erschwerung der Einbringung der Abgabe(n) ist zu befürchten, weil die offengelegten finanziellen Mittel von Herrn Bf. nach Ansicht der Abgabenbehörde nicht ausreichen, um die Tilgung der offenen Forderung sicherzustellen."

Ritz, BAO3, § 232, Tz 6: "Der Annahme der Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung müssen entsprechende Tatsachenfeststellungen (...) und nicht bloße Vermutungen zugrunde liegen (...)."

Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO Kommentar, Band 42, § 232, Tz 12, kommen zu folgendem Schluss: "(...) Im Hinblick auf die Erfordernisse eines mangelfreien Verfahrens wird aber verlangt, dass jene Tatsachen, auf die sich die Schlussfolgerungen der Gefährdung und Erschwerung der Abgabeneinbringung stützen, festgestellt und dargelegt werden (...). So muss sich die Behörde mit der wirtschaftlichen Situation des Abgabenpflichtigen in ausreichender Weise auseinandersetzen und die Sachverhaltsfeststellungen dem Abgabenpflichtigen zur Kenntnis bringen (...). Mit bloßen Vermutungen darf sich die Behörde nicht begnügen (…)."

Im Rahmen der Betriebsprüfung 2018-2021 sei lediglich Einsicht in das Geschäftskonto und das Wertpapierdepot genommen worden. Die Höhe der tatsächlichen finanziellen Mittel des Bf. sei im Rahmen der o.g. Betriebsprüfung weder erhoben noch erfragt worden. Hätte die Behörde die Höhe der finanziellen Mittel erhoben, wäre festgestellt worden, dass diese in der Höhe des Sicherstellungsauftrags vorhandenen gewesen wären. Dies ergebe sich auch aus der schließlich durchgeführten Pfändung von Bankguthaben, die den Sicherstellungsauftrag überstiegen; dies widerlege klar die Begründung des Sicherstellungsauftags. Bei der Begründung zum Sicherstellungsauftrag müsse daher davon ausgegangen werden, dass es sich laut Ritz und Rzeszut/Tanzer/Unger um unzulässige bloße Vermutungen handle (siehe Zitate weiter oben).

Gemäß Ritz, BAO3, § 232, Tz 5, würden weiter Gründe zur Rechtfertigung eines Sicherstellungsauftrags genannt, die jedoch weder in der Begründung zum Sicherstellungsauftrag zu finden seien noch zuträfen.

Die Begründung zur 2. Voraussetzung für einen Sicherstellungsauftrag führe aus o.g. Gründen völlig ins Leere.

Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO Kommentar, Band 42, § 232, Tz 20, weiter: "(…) Dennoch muss dem Abgabenschuldner vor Erlassung des Sicherstellungsauftrags Gelegenheit geboten werden, zu den Tatsachenfeststellungen und den daraus gezogenen Tatsachenschlüssen der Behörde, die für den Bescheid und für seine Begründung von Bedeutung sind, Stellung zu nehmen. Dem Gebot des Parteiengehörs kommt hier besondere Bedeutung zu (...)."

Das gebotene Parteiengehör sei unzweifelhaft nicht gewährt worden.

Zusammenfassend müsse festgehalten werden, dass der Sicherstellungsauftrag weder begründet noch verhältnismäßig gewesen sei, das gebotene Parteiengehör nicht gewährt worden sei und den Ruf des Bf. beschädigt habe.

Weiterhin sei der Bf. unbescholten, führe einen tadellosen Lebenswandel, lebe mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Wien und sei seinen steuerlichen Verpflichtungen während seiner langjährigen Selbständigkeit stets pünktlich nachgekommen. Als österreichischer Staatsbürger ist er mit seiner Familie in Wien fest verwurzelt.

Aus den weiter oben dargelegten Gründen stelle er hiermit den Antrag, den im Betreff genannten Sicherstellungsauftrag samt den dazugehörigen Verfügungsverboten und Pfändungen mit sofortiger Wirkung aufzuheben.

Sollte die gegenständliche Beschwerde durch "die Behörde II. Instanz" entschieden werden, so beantrage er schon jetzt die mündliche Verhandlung.

Weiterhin beantrage der Bf. aufzuklären, wo der gepfändete Betrag in Höhe von € 10.400,00 verbucht worden sei.

---//---

In Beantwortung des Ergänzungsersuchens des Bundesfinanzgerichtes vom gab der Bf. am seine wirtschaftlichen Verhältnisse bekannt, woraus sich an Schulden lediglich Lieferantenverbindlichkeiten in Höhe von € 10.100,00 sowie folgende Vermögenswerte ergäben:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Bargeld
2.000,00
Geschäftskonto
29.800,00
Forderungen aus Lieferung und Leistung
72.000,00
Gemeinschaftskonto Wien Hälfteanteil
170.350,00
Gemeinschaftskonto Kroatien Hälfteanteil
20.000,00
Bausparen
5.340,00
Bausparkonto Hälfteanteil
36.495,00
Wertpapiere
33.920,00
Wohnung Wien Hälfteanteil
200.000,00
Wohnung Kroatien Hälfteanteil
55.000,00
Klein-LKW Kaufpreis 03/2021 netto
15.400,00
PKW Kaufpreis 06/2023 brutto
47.000,00
Motorrad Kaufpreis 2022 brutto
5.900,00
Fahrrad Kaufpreis 2018 brutto
2.000,00
Computer Kaufpreis 2020 netto
3.000,00
Computer Kaufpreis 2022 netto
1.000,00


---//---

Diese wirtschaftlichen Verhältnisse wurden dem Finanzamt mit Schreiben des Bundesfinanzgerichtes vom zur Kenntnis gebracht und um Stellungnahme ersucht.

---//---

Mit Schreiben vom führte das Finanzamt aus wie folgt:

Im Zeitpunkt des Erlassens des Sicherstellungsauftrages seien die dem Finanzamt Österreich gegenüber offengelegten finanziellen Mittel in einem krassen Missverhältnis zur Abgabennachforderung von € 281.000 gestanden, die auf Grund der Betriebsprüfung absehbar gewesen sei. Das Finanzamt habe damals nur Kenntnis von einem Betrag von rund € 64.000 an Guthaben auf dem Geschäftskonto und dem Wertpapierdepot gehabt, nicht jedoch von den wesentlich höheren Guthaben auf diversen privaten Bankkonten, die erst durch die Pfändungen evident geworden seien. Der geringe erklärte steuerliche Gewinn von € 49.675,70 (2018), € 74.763,18 (2019), € 62.451,23 (2020) und zuletzt € 74.287,46 im Jahr 2021 sei ein deutliches Indiz dafür gewesen, dass die Einbringung der Abgaben gefährdet oder wesentlich erschwert gewesen sei. Es sei auch nicht tunlich gewesen, im Rahmen der Betriebsprüfung die Höhe der privaten finanziellen Mittel zu erfragen, weil dadurch die Einbringlichkeit gefährdet worden wäre.

Da aber im Beschwerdeverfahren auch auf die erst nach der Bescheiderlassung der Behörde zur Kenntnis gelangten neuen Tatsachen, die im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Sicherstellungsauftrages objektiv bereits gegeben gewesen seien, Bedacht zu nehmen sei, müsse der Ansicht des Bundesfinanzgerichtes beigepflichtet werden, dass eine Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung der nunmehr in Höhe von insgesamt € 154.656,00 festgesetzten Einkommensteuern 2018-2021 nicht vorliege und daher nach dem nunmehr vorliegenden Kenntnisstand sämtliche angefochtenen Bescheide aufzuheben sein würden.

(2) Pfändungen

Mit Bescheiden vom verfügte das Finanzamt gemäß § 65 AbgEO die Pfändung und Überweisung von Geldforderungen des Bf. gegenüber der UniCredit Bank Austria AG, der Erste Bank der Österreichischen Sparkassen AG, der Bausparkasse Wüstenrot AG sowie der s Bausparkasse zur Hereinbringung der in Höhe von € 281.000,00 sicherzustellenden Nachforderungen. Die dazu ausgestellten Verfügungsverbote wurden direkt an den Bf. zugestellt.

---//---

In der dagegen am rechtzeitig eingebrachten Beschwerde führte der Bf. aus:

Alle genannten Bescheide beträfen den bereits mit Beschwerde vom bekämpften Sicherstellungsauftrag vom über € 281.000,00.

Da diese Bescheide auf einem rechtswidrig erlassenen Sicherstellungsauftrag beruhten, beantragte er diese Bescheide sowie die entsprechenden Verfügungsverbote mit sofortiger Wirkung aufzuheben.

Sollte die gegenständliche Beschwerde durch "die Behörde II. Instanz" entschieden werden, so beantrage er schon jetzt die mündliche Verhandlung.

Die Geltendmachung von Schadenersatz aufgrund eines rechtswidrig ergangenen Sicherstellungsauftrages und den daher ebenfalls rechtswidrig ergangenen Pfändungsbescheiden werde ausdrücklich vorbehalten.

(3) Auslagenersätze

Mit Bescheiden vom setzte das Finanzamt gemäß § 26 AbgEO Auslagenersätze in Höhe von € 160,00 (Schlosser) und € 240,00 (LKW) fest.

---//---

Dagegen brachte der Bf. rechtzeitig am Beschwerde ein und führte aus, dass beide Bescheide Amtshandlungen vom , die auf dem rechtswidrig erlassenen Sicherstellungsauftrag vom beruhten, beträfen. Die Beschwerde gegen den Sicherstellungsauftrag sei mit heutigem Tag eingebracht worden.

Da die genannten Amtshandlungen auf einem rechtswidrig erlassenen Sicherstellungsauftrag beruhten beantragte er die Aufhebung dieser Bescheide.

Sollte die gegenständliche Beschwerde durch "die Behörde II. Instanz" entschieden werden, so beantrage er schon jetzt die mündliche Verhandlung.

Weiterhin beantrage er aufzuklären, wo und wie der im Rahmen der Amtshandlungen gepfändete Betrag in Höhe von € 10.400,00 verbucht worden sei, da die amtshandelnde Person den € 10.000,00 übersteigenden Betrag von ihm mit der Begründung abverlangt habe, dass seine Kosten damit abgedeckt werden könnten.

---//---

Mit Schreiben vom , eingelangt am , nahm der Bf. den Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Zuständigkeit des Bundesfinanzgerichtes

§ 284 BAO lautet auszugsweise:

(1) Wegen Verletzung der Entscheidungspflicht kann die Partei Beschwerde (Säumnisbeschwerde) beim Verwaltungsgericht erheben, wenn ihr Bescheide der Abgabenbehörden nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen oder nach dem Eintritt zur Verpflichtung zu ihrer amtswegigen Erlassung bekanntgegeben (§ 97) werden. Hiezu ist jede Partei befugt, der gegenüber der Bescheid zu ergehen hat.

(2) Das Verwaltungsgericht hat der Abgabenbehörde aufzutragen, innerhalb einer Frist von bis zu drei Monaten ab Einlangen der Säumnisbeschwerde zu entscheiden und gegebenenfalls eine Abschrift des Bescheides vorzulegen oder anzugeben, warum eine Verletzung der Entscheidungspflicht nicht oder nicht mehr vorliegt. Die Frist kann einmal verlängert werden, wenn die Abgabenbehörde das Vorliegen von in der Sache gelegenen Gründen nachzuweisen vermag, die eine fristgerechte Entscheidung unmöglich machen. Wird der Bescheid erlassen oder wurde er vor Einleitung des Verfahrens erlassen, so ist das Verfahren einzustellen.

(3) Die Zuständigkeit zur Entscheidung geht erst dann auf das Verwaltungsgericht über, wenn die Frist (Abs. 2) abgelaufen ist oder wenn die Abgabenbehörde vor Ablauf der Frist mitteilt, dass keine Verletzung der Entscheidungspflicht vorliegt.

Zunächst ist vorauszuschicken, dass das Finanzamt über die Beschwerden gegen sämtliche angefochtene und verfahrensgegenständliche Bescheide weder innerhalb der Frist des § 284 Abs. 1 BAO von sechs Monaten noch nach der aufgrund der Säumnisbeschwerde vom dem Finanzamt vom Bundesfinanzgericht mit Beschluss vom gemäß § 284 Abs. 2 BAO eingeräumten Frist von drei Monaten nicht entschieden hat, weshalb die Zuständigkeit zur Entscheidung gemäß § 284 Abs. 3 BAO auf das Bundesfinanzgericht übergegangen ist.

(1) Sicherstellung

Gemäß § 232 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den die Abgabenvorschriften die Abgabepflicht knüpfen, selbst bevor die Abgabenschuld dem Ausmaß nach feststeht, bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit (§ 226) an den Abgabenpflichtigen einen Sicherstellungsauftrag erlassen, um einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung zu begegnen.

Die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages setzt somit die Entstehung eines noch nicht vollstreckbaren Abgabenanspruches sowie die Gefährdung oder wesentliche Erschwerung der Einbringung der betreffenden Abgaben voraus.

Das Verfahren über eine Beschwerde gegen einen Sicherstellungsauftrag hat sich auf die Überprüfung zu beschränken, ob im Zeitpunkt der Erlassung des (erstinstanzlichen) Bescheides, mit dem die Sicherstellung angeordnet worden ist, die erforderlichen Voraussetzungen gegeben waren (vgl. , mwN). Auf im Beschwerdeverfahren dem VwG zur Kenntnis gelangte neue Tatsachen und Beweise (§ 270 BAO), welche sich allerdings auf die Überprüfung der Frage zu beschränken haben, ob im Zeitpunkt der Erlassung des Sicherstellungsauftrages die dafür erforderlichen Voraussetzungen objektiv gegeben waren, ist Bedacht zu nehmen ().

(a) Entstehung des Abgabenanspruches

Die Erlassung eines Sicherstellungsauftrages setzt zunächst die Verwirklichung jenes Tatbestandes voraus, an den die Abgabepflicht geknüpft ist. Die Verwirklichung dieses Tatbestandes muss im Hinblick auf die auch für Sicherstellungsaufträge geltende Begründungspflicht im Sinne des § 93 Abs. 3 lit. a BAO in der Begründung des Sicherstellungsauftrages oder in der diesen bestätigenden Entscheidung dargetan werden. Die Begründung muss in diesem Zusammenhang jedenfalls erkennen lassen, welcher konkrete Sachverhalt der Entscheidung zu Grunde gelegt wurde und welche Erwägungen im Rahmen der Beweiswürdigung dafür maßgebend waren (vgl. , mwN). Ein Sicherstellungsauftrag ist aber kein abschließender Sachbescheid im Sinne des § 183 Abs. 4 BAO, sondern eine dem Bereich der Abgabeneinbringung zuzuordnende Sofortmaßnahme, die dazu dient, selbst vor Feststellung des Ausmaßes der Abgabenschuld Einbringungsmaßnahmen setzen zu können, wenn Grund zur Annahme besteht, dass die spätere Einbringung der Abgabe gefährdet oder wesentlich erschwert wäre. Es liegt in der Natur einer solchen Maßnahme, dass sie nicht erst nach Erhebung sämtlicher Beweise, sohin nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens, gesetzt werden kann, sondern es genügt, dass die Abgabenschuld dem Grunde nach mit der Verwirklichung des abgabenrechtlich relevanten Tatbestandes entstanden ist und gewichtige Anhaltspunkte für ihre Höhe sowie für die Gefährdung oder wesentliche Erschwerung ihrer Einbringung gegeben sind. Ob der Abgabenanspruch tatsächlich entstanden ist, ist in einem Sicherstellungsverfahren nicht zu entscheiden (; ).

Für die Feststellung des Sachverhaltes genügt die auf konkrete Umstände gestützte Vermutung, ohne dass bereits der Nachweis erbracht werden muss ().

Auf Grund der Feststellungen der Abgabenbehörde, welche sowohl im Bericht über das Ergebnis der Betriebsprüfung vom als auch in der Begründung zum Sicherstellungsauftrag vom deutlich und schlüssig dargelegt wurden, lagen im geprüften Zeitraum 2018-2021 Malversationen im Zusammenhang mit Scheinfirmen und Deckungsrechnungen vor.

Das Finanzamt hat demnach schlüssig und nachvollziehbar die Entstehung des Abgabenanspruches dargelegt. Auf die Rechtskraft der Abgabenbescheide kommt es dabei nicht an, da nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in einem Sicherstellungsverfahren nicht zu entscheiden ist, ob der Abgabenanspruch tatsächlich entstanden ist (); die Einwendungen des Bf. gehen daher ins Leere.

Es kann die Behörde zwar im Rahmen der Rechtsmittelentscheidung Umstände nicht berücksichtigen, die nach Erlassung des Sicherstellungsauftrages eingetreten sind. Verfahrensergebnisse im Abgabenfestsetzungsverfahren können allerdings ein Indiz für eine dem erstbehördlichen Sicherstellungsauftrag zugrunde gelegte unrichtige Sachverhaltsfeststellung darstellen (/13/0045).

Daher ist die mit Bescheiden vom erfolgte Festsetzung der dem Sicherstellungsauftrag zu Grunde liegenden Abgaben ein Indiz für die Entstehung des Abgabenanspruches, obwohl dieser grundsätzlich unabhängig von einer behördlichen Tätigkeit entsteht, er demnach keine diesbezügliche Bescheiderlassung voraussetzt.

Da mittlerweile infolge Erlassung der Wiederaufnahme- und Sachbescheide das Ausmaß der Abgabenschuld feststeht, wäre die Sicherstellung auf folgende Abgabenbeträge einzuschränken, weil durch die genannten Bescheide Minderungen des Abgabenanspruches eingetreten sind:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Einkommensteuer
2018
18.052,00
Einkommensteuer
2019
14.996,00
Einkommensteuer
2020
65.038,00
Einkommensteuer
2021
56.570,00
Summe
154.656,00


(b) Gefährdung oder Erschwerung der Einbringlichkeit

Wie aus § 232 BAO hervorgeht, sind Sicherstellungsmaßnahmen im Wege eines Sicherstellungsauftrages innerhalb des in dieser Bestimmung umschriebenen Zeitraumes zulässig, wenn eine Gefährdung oder Erschwerung der nachfolgenden Einbringung von Abgaben begründet zu befürchten ist. Derartige Gefährdungen oder Erschwerungen werden u.a. bei drohendem Insolvenz- oder Ausgleichsverfahren, bei Exekutionsführung von dritter Seite, bei Auswanderungsabsicht, Vermögensverschleppung, bei Vermögensverschiebung ins Ausland oder an Verwandte oder bei dringendem Verdacht einer Abgabenhinterziehung gegeben sein. Auch schwerwiegende Mängel in den Büchern und Aufzeichnungen, welche die Annahme begründen, dass sich der Abgabepflichtige auch der Vollstreckung der noch festzusetzenden Abgaben zu entziehen trachten wird, werden, ebenso wie eine erhebliche Verschuldung des Abgabepflichtigen, die einen Zugriff anderer Gläubiger auf sein Vermögen befürchten lässt, eine Maßnahme nach § 232 BAO rechtfertigen. Dabei reicht der objektive Tatbestand einer Gefährdung oder Erschwerung aus; eine vom Abgabenschuldner selbst gesetzte Gefährdungshandlung ist nicht erforderlich. In all diesen Fällen genügt es, wenn aus der wirtschaftlichen Lage und den sonstigen Umständen des Einzelfalles geschlossen werden kann, dass nur bei raschem Zugriff der Abgabenbehörde die Abgabeneinbringung voraussichtlich gesichert erscheint ().

Abgabenhinterziehung und Mängel der Buchführung sind nicht so geartete Umstände, dass sie allein stets und ohne weitere Bedachtnahme auf die sonstigen Verhältnisse des Einzelfalles die Voraussetzungen für einen Sicherstellungsauftrag erfüllen. In jedem Falle bedarf es hierzu nach dem Wortlaut des Gesetzes auch einer Auseinandersetzung mit der wirtschaftlichen Lage des Steuerpflichtigen, da die Frage einer Gefährdung oder wesentlichen Erschwerung der Einbringung der Abgaben unabhängig vom Verdacht einer Abgabenhinterziehung von den Einkommensverhältnissen und Vermögensverhältnissen des Steuerpflichtigen nicht zu trennen ist ().

Im gegenständlichen Fall bringt der Bf. vor, dass ausreichende finanzielle Mittel in Höhe des sicherzustellenden Betrages vorhanden gewesen seien.

Diese Behauptung konnte durch die glaubhafte Bekanntgabe seiner zum Zeitpunkt der Erlassung des Sicherstellungsauftrages vorliegenden wirtschaftlichen Verhältnisse erwiesen werden, wonach an Vermögenswerten insgesamt rund € 642.300,00 vorhanden gewesen seien, somit mehr als ausreichend, um die bescheidmäßig in Höhe von in Summe € 154.656,00 festgesetzten Einkommensteuern 2018-2021 und sogar den im angefochtenen Bescheid prognostizierten Betrag von € 281.000,00 entrichten zu können, was auch tatsächlich durch die vorgenommenen Pfändungen erfolgte.

Da somit die weitere kumulative Voraussetzung des § 232 Abs. 1 BAO nicht als erfüllt anzusehen ist, war der Sicherstellungsauftrag mangels Vorliegens einer Gefährdung oder erschwerten Einbringlichkeit der mittlerweile festgesetzten Abgaben aufzuheben.

(2) Pfändungen und (3) Auslagenersätze

§ 233 Abs. 1 BAO lautet:

Der Sicherstellungsauftrag ist Grundlage für das finanzbehördliche und gerichtliche Sicherungsverfahren.

§ 78 Abs. 1 AbgEO lautet:

Auf Grund eines Sicherstellungsauftrages (§ 232 BAO) kann zur Sicherung von Abgaben und Abgabenstrafen schon vor Eintritt der Rechtskraft oder vor Ablauf der für die Leistung bestimmten Frist die Vornahme von Vollstreckungshandlungen angeordnet werden.

§ 26 AbgEO lautet auszugsweise:

(1) Der Abgabenschuldner hat für Amtshandlungen des Vollstreckungsverfahrens nachstehende Gebühren zu entrichten:

a) Die Pfändungsgebühr anlässlich einer Pfändung im Ausmaß von 1% vom einzubringenden Abgabenbetrag; wird jedoch an Stelle einer Pfändung lediglich Bargeld abgenommen, dann nur 1% vom abgenommenen Geldbetrag.

b) Die Versteigerungsgebühr anlässlich einer Versteigerung (eines Verkaufes) im Ausmaß von 1½% vom einzubringenden Abgabenbetrag.

Das Mindestmaß dieser Gebühren beträgt 10 Euro.

(2) Die im Abs. 1 genannten Gebühren sind auch dann zu entrichten, wenn die Amtshandlung erfolglos verlief oder nur deshalb unterblieb, weil der Abgabenschuldner die Schuld erst unmittelbar vor Beginn der Amtshandlung an den Vollstrecker bezahlt hat.

(3) Außer den gemäß Abs. 1 zu entrichtenden Gebühren hat der Abgabenschuldner auch die durch die Vollstreckungsmaßnahmen verursachten Barauslagen zu ersetzen. Zu diesen zählen auch die Entlohnung der bei der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens verwendeten Hilfspersonen, wie Schätzleute und Verwahrer, ferner bei Durchführung der Versteigerung durch einen Versteigerer dessen Kosten sowie die Kosten der Überstellung.

(5) Gebühren und Auslagenersätze werden mit Beginn der jeweiligen Amtshandlung fällig und können gleichzeitig mit dem einzubringenden Abgabenbetrag vollstreckt werden.

Gegen die Forderungspfändung im finanzbehördlichen Vollstreckungsverfahren steht dem Abgabenschuldner ein Rechtsmittel zu ().

Da § 77 Abs. 1 Z 1 AbgEO ein Rechtsmittel nur gegen Bescheide versagt, die dem Abgabenschuldner nach der Pfändung die Verfügung über das gepfändete Recht und das für die gepfändete Forderung bestellte Pfand untersagen, ist über eine Beschwerde des Abgabenschuldners, die sich gegen die Pfändung richtet, meritorisch zu entscheiden (vgl. ; ).

Die Pfändung einer Geldforderung zur Sicherung von Abgaben setzt gemäß § 78 Abs. 1 AbgEO einen nach den Grundsätzen des § 232 BAO erlassenen Sicherstellungsauftrag voraus. Der Sicherstellungsauftrag ist somit Titel für das finanzbehördliche (und auch das gerichtliche) Sicherungsverfahren (§ 233 BAO).

Sowohl die mit Bescheiden vom vorgenommenen Pfändungen als auch die am bescheidmäßig festgesetzten Auslagenersätze erfolgten gemäß § 233 Abs. 1 BAO auf Grundlage des Sicherstellungsauftrages vom . Da dieser jedoch aufgehoben wurde, waren auch diese davon abgeleiteten Bescheide infolge Wegfalls des Exekutionstitels aufzuheben.

Zum Antrag des Bf. um Aufklärung, wohin der gepfändete Betrag von € 10.400,00 verbucht worden sei, wird darauf hingewiesen, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Abgabepflichtigen und der Abgabenbehörde über die Gebarung auf dem Abgabenkonto nicht im Sicherungsverfahren auszutragen sind, sondern in einem über Antrag auszulösenden Verfahren zur Erlassung eines Abrechnungsbescheides gemäß § 216 BAO (vgl. , zur Einbringungsmaßnahme der Haftung gemäß § 9 BAO).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung liegen hier nicht vor. Die Entscheidung folgt vielmehr der dargestellten Judikatur des VwGH.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 232 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 270 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 233 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 284 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RS.7100057.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at