TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.07.2024, RV/7102478/2022

Beschwerde oder Antrag gem. § 299 BAO

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Diana Sammer in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2020 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerdevorentscheidung vom wird gemäß § 279 Abs. 1 BAO infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Verfahrensgang:

Am wurde von Herrn ***Bf1*** (in der Folge kurz: Beschwerdeführer) der elektronische Antrag auf Durchführung der Arbeitnehmerveranlagung 2020 eingebracht. Dabei wurden außergewöhnliche Belastungen und Sonderausgaben beantragt.

Der Einkommensteuerbescheid 2020 erging am und wurde dieser antragsgemäß erledigt. Er wurde dem Beschwerdeführer am gleichen Tag in seine Databox zugestellt.

Am brachte der Beschwerdeführer - via FinanzOnline - eine "Beschwerde gem. § 243 BAOArbeitnehmerveranlagung 2020" ein und beantragte die Berücksichtigung der Pendlerpauschale iHv € 1.070,00, des Pendlereuros iHv 45,83 sowie eines höheren Betrages an außergewöhnlichen Belastungen bei Behinderung. Begründend führte er aus, dass er bei der Veranlagung die Pendlerpauschale vergessen habe und die Ausgaben seiner Behinderung nicht berücksichtigt worden seien. Er ersuchte daher um Neuberechnung.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die durch die belangte Behörde als Beschwerde gewertete Eingabe gem. § 260 BAO zurückgewiesen, da die Beschwerdefrist gemäß § 245 bzw. § 276 BAO bereits abgelaufen sei. Gegenständliche Beschwerdevorentscheidung wurde dem Beschwerdeführer am gleichen Tag in seine Databox zugestellt.

Am wurde neuerlich - via FinanzOnline - ein als Beschwerde bezeichnetes, von der belangten Behörde als Vorlageantrag gewertetes, Anbringen eingebracht. Dieses Anbringen unterschied sich inhaltlich nicht von der am erhobenen "Beschwerde".

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht vor.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der entscheidungswesentliche Sachverhalt geht aus der oben wiedergegebenen Darstellung des Verfahrensganges hervor.

Mit Bescheid vom wurde die Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) für das Jahr 2020 iHv € -877,00 (Gutschrift) gegenüber dem Bf. festgesetzt und diesem durch Hinterlegung in der Databox am selben Tag zugestellt.

Die Eingabe vom über FinanzOnline ist in der Überschrift als "Beschwerde gem. § 243 BAO - Arbeitnehmerveranlagung 2020" bezeichnet. Die Begründung lautet: "Bei der Veranlagung wurde die Pendlerpauschale meinerseits vergessen und die Ausgaben meiner Behinderung nicht berücksichtigt. Bitte sie höflichst um neuberechnung. Danke für Ihre Mühe. Mit freundlichen Grüssen. ***Bf1***"

Mit Beschwerdevorentscheidung der belangten Behörde vom wurde die als Beschwerde gewertete Eingabe vom als verspätet zurückgewiesen.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem dem Bundesfinanzgericht elektronisch vorgelegten Akt und ist - bis auf die Frage, wie das Anbringen auszulegen ist - unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Im gegenständlichen Fall ist strittig, ob die über FinanzOnline vom eingebrachte Eingabe wie in ihrer Bezeichnung als Beschwerde gemäß § 243 BAO oder als Antrag auf Bescheidaufhebung gem. § 299 BAO zu qualifizieren ist.

Für die Beurteilung von Anbringen kommt es nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und die zufälligen verbalen Formen an, sondern den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteienschritts an (vgl. ; sowie ).

Ebenso wenig wie es auf die Bezeichnung von Schriftsätzen ankommt, kann für die Beurteilung auch nicht (ausschließlich) maßgeblich sein, wie das Anbringen elektronisch vom FinanzOnline erfasst wird. Denn auch die elektronische Erfassung geht darauf zurück, welche Bezeichnung der Einbringer seinem Anbringen zugewiesen hat.

Erkennbares Ziel der gegenständlichen Eingabe war es, dass die Pendlerpauschale, der Pendlereuro und weitere Kosten für außergewöhnliche Belastungen Berücksichtigung finden sollten.

Dem Steuerpflichtigem stehen daher für die Abänderung von ergangenen Bescheiden neben der Bescheidbeschwerde gemäß § 243 BAO unter anderem auch Abänderungsmöglichkeiten gemäß §§ 293ff BAO offen.

Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist - im Hinblick auf § 115 BAO - die Absicht der Partei zu erforschen. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt (vgl. u.a. ; Ritz/Koran, BAO7, § 85 Tz 1 und die dort zitierte Judikatur).

Wäre die Eingabe des Bf. vom als Beschwerde anzusehen, wäre diese verspätet:

Gemäß § 245 Abs. 1 BAO beträgt die Beschwerdefrist im Abgabenverfahren ein Monat.

Wie den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen zu entnehmen ist, wurde der angefochtene Bescheid vom elektronisch am selben Tag zugestellt. Die einmonatige Beschwerdefrist endete somit am Freitag, .

Da die am eingebrachte (vermeintliche) Beschwerde sohin erst fast ein Jahr nach Bescheiderlassung eingebracht wurde, wäre diese - wie die belangte Behörde ausführt -verspätet und gemäß § 260 Abs. 1 lit. b BAO wegen Versäumung der Beschwerdefrist zurückzuweisen.

Allerdings stellt sich für das Bundesfinanzgericht die Frage, ob der Bf mit seiner Eingabe vom tatsächlich Beschwerde gegen Einkommensteuerbescheid 2020 erheben wollte.

Es kann nämlich auch die Deutung eines nach Ablauf der Beschwerdefrist eingereichten, als Beschwerde bezeichneten, Antrages als Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO in Betracht kommen (vgl. Ritz/Koran, BAO7 § 299 Tz 29).

Gemäß § 299 Abs. 1 BAOkann die Abgabenbehörde auf Antrag der Partei oder von Amts wegen einen Bescheid der Abgabenbehörde aufheben, wenn der Spruch des Bescheides sich als nicht richtig erweist. Der Antrag hata) die Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides;b) die Gründe, auf die sich die behauptete Unrichtigkeit stützt, zu enthalten.Aufhebungen von Bescheiden gemäß § 299 BAO sind gemäß § 302 Abs. 1 BAO, soweit nichts anderes bestimmt ist, bis zum Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe (§ 97) des Bescheides zulässig. Nach § 302 Abs. 2 lit. b BAOsind Aufhebungen nach § 299 darüber hinaus zulässig, wenn der Antrag auf Aufhebung vor Ablauf der sich aus Abs. 1 ergebenden Jahresfrist eingebracht ist.

Das beschwerdegegenständliche Anbringen war in Anbetracht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Deutung von Parteienanträgen trotz dessen Bezeichnung als "Beschwerde" näher zu hinterfragen. Zu erforschen war das erkennbare Ziel des Parteienschritts. Im Zuge der näheren Erforschung des Parteiwillens bestand gegenüber dem gegenständlich unvertretenen Bf. zudem eine Manuduktionspflicht (§ 113 BAO), dh eine Aufklärungspflicht über die in Betracht kommenden Rechtsbehelfe (vgl. ). Es geht aus dem Akt nicht hervor, dass der Bf durch das Finanzamt eine verfahrensrechtliche Belehrung nach § 113 BAO erhalten hat.

Die Eingabe vom ist auch der Deutung als Antrag auf Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO in Bezug auf den Einkommensteuerbescheid 2020 vom zugänglich.

Bei einem Antrag nach § 299 BAO ist lediglich die Einjahresfrist gem. § 302 BAO einzuhalten, um eine neuerliche materiellrechtliche Beurteilung des Erstbescheides zu erlangen. Diese Jahresfrist - beginnend mit = Datum der Erlassung des Einkommensteuerbescheides 2020 - war im gegenständlichen Fall noch nicht abgelaufen (die Eingabe des Bf. erfolgte am ). Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Bescheidaufhebung gemäß § 299 BAO ist, dass sich der Spruch des betroffenen Bescheides (hier: Einkommensteuerbescheid 2020) als nicht richtig erweist.

Im Hinblick darauf, dass das Schreiben von einer unvertretenen und rechtsunkundigen Person verfasst wurde, ist auch ein milderer Maßstab als etwa bei einem Steuerberater anzulegen.

Aus der als "Beschwerde" bezeichneten Eingabe des Bf vom in Verbindung mit der Aktenlage geht hervor, dass der Bf den Einkommensteuerbescheid 2020 vom als rechtswidrig ansah und war dessen Wille erkennbar, einen anderen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2020 als den von der belangten Behörde erlassenen zu erwirken. Dieser Bescheid sollte jedenfalls auch die Pendlerpauschale und (höhere) Ausgaben betreffend außergewöhnliche Belastung umfassen.

Auch wenn die Eingabe auf dem Formular ausdrücklich als "Beschwerde" bezeichnet wird, ist im Gesamtzusammenhang nicht davon auszugehen, dass der Bf tatsächlich eine längst verspätete Beschwerde gegen den Bescheid vom erheben wollte.

Stehen dem Steuerpflichtigen mehrere verfahrensrechtliche Maßnahmen zur Bekämpfung von Bescheiden und zur Durchsetzung seines Rechtsstandpunkts zur Verfügung, ist davon auszugehen, dass der Steuerpflichtige nicht eine Maßnahme wählt, die infolge Fristversäumnis schon von vornhinein zum Scheitern verurteilt ist, sondern einen Antrag stellen möchte, der einer inhaltlichen Erledigung zugänglich ist (vgl. ; ; )

Insbesondere zeigt sich dadurch, dass die als Vorlageantrag gewertete Eingabe vom durch den Bf. ebenfalls als "Beschwerde" bezeichnet wurde, dass der Bf. hinsichtlich der (richtigen) Bezeichnung der über FinanzOnline eingebrachten Anbringen offensichtlich unsicher war.

Dass das Anbringen des Bf. tatsächlich auf die Berücksichtigung der Pendlerpauschale sowie weiterer Ausgaben für außergewöhnliche Belastung in einem neuen Einkommensteuerbescheid abzielte, ergibt somit die Auslegung in Verbindung mit der Aktenlage, die - wie der VwGH aussprach - bei der Deutung eines Parteiantrages heranzuziehen ist.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts ist daher die Eingabe des Bf vom nicht als verspätete Beschwerde gegen den ESt-Bescheid 2020 vom anzusehen, sondern als rechtzeitig gestellter Antrag auf Bescheidaufhebung nach § 299 BAO betreffend den Einkommensteuerbescheid 2020 vom .

Gemäß § 262 Abs. 1 BAO ist über Bescheidbeschwerden nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen von der Abgabenbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid abzusprechen.

Gegen eine Beschwerdevorentscheidung kann nach § 264 Abs. 1 BAO innerhalb eines Monats ab Bekanntgabe (§97) der Antrag auf Entscheidung über die Bescheidbeschwerde durch das Verwaltungsgericht gestellt werden (Vorlageantrag). Der Vorlageantrag hat die Bezeichnung der Beschwerdevorentscheidung zu enthalten.

Außer in den Fällen des § 278 hat das Verwaltungsgericht nach § 279 Abs. 1 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

Eine ersatzlose (meritorische) Aufhebung hat zu erfolgen, wenn der angefochtene Bescheid von einer hiefür nicht zuständigen Behörde erlassen wurde. Eine ersatzlose (meritorische) Aufhebung im Sinne des § 279 Abs. 1 BAO darf dann erfolgen, wenn in dieser Sache keine weitere Entscheidung in Betracht kommt (, , Ritz/Koran, BAO7, § 279, Rz 5).

Die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung, obwohl keine Beschwerde vorlag, bewirkt eine Rechtswidrigkeit dieses Bescheides infolge Unzuständigkeit des Finanzamtes ().

Ein Vorlageantrag setzt zwingend eine im Rechtsbestand befindliche Beschwerdevorentscheidung voraus ().

Im gegenständlichen Fall wurde ein Antrag auf Aufhebung gemäß § 299 BAO und keine Beschwerde eingebracht.

Mangels Beschwerde war die Erlassung der (zurückweisenden) Beschwerdevorentscheidung rechtswidrig.

Der Vorlageantrag vom ist grundsätzlich zulässig, da eine zwar rechtswidrige, aber im Rechtsbestand befindliche Beschwerdevorentscheidung vorliegt.

Wurde trotz fehlender Beschwerde eine Beschwerdevorentscheidung erlassen und der Fall dem Verwaltungsgericht vorgelegt, so hat das Verwaltungsgericht die Beschwerdevorentscheidung (ersatzlos) aufzuheben (zB )

Die Beschwerdevorentscheidung vom ist daher gemäß § 279 Abs. 1 BAO durch das Bundesfinanzgericht zur Herbeiführung eines rechtsrichtigen Verfahrensstandes ersatzlos aufzuheben.

Es wird angemerkt, dass der Antrag auf Aufhebung gem. § 299 BAO unerledigt ist.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Erkenntnis folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Die Frage, ob eine Beschwerde oder ein Antrag auf Aufhebung gem. § 299 BAO eingebracht wurde, stellt eine Tatfrage dar, welche einer Revision nicht zugänglich ist. Die Revision ist daher nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 299 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 243 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 245 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 299 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 262 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 264 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 113 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 85 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 250 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 260 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 245 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102478.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at