Überwiegende Unterhaltskostentragung durch die Eltern
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2024/16/0063.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin ***USt*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch consiliario GmbH Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung, Dametzstraße 2-4, 4020 Linz, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe ab 09/2022 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Schreiben vom urgiert die Beschwerdeführerin Ihren Antrag auf Familienbeihilfe für die Tochter ***X***:
"Sehr geehrte Damen und Herren, da meine Tochter wieder studiert, habe ich im September einen Antrag auf Familienbeihilfe gestellt. Meine Tochter heißt ***X*** und die Familienbeihilfe soll direkt auf ihr Konto überwiesen werden. Bis heute haben jedoch weder ich noch meine Tochter eine Information zum Bezug der Familienbeihilfe erhalten. Bei einem Anruf von mir in der Service Line im Oktober wurde mir mitgeteilt, dass der Antrag in Bearbeitung sei. Da nun jedoch ein weiterer Monat ohne Infos vergangen ist, frage ich über diesen Weg einmal nach, ob der Antrag wirklich in Bearbeitung ist, wie lange es noch dauern wird und ob vielleicht noch Unterlagen fehlen."
Mit Abweisungsbescheid vom wurde der Antrag der Beschwerdeführerin vom auf Familienbeihilfe für die Tochter ***X***, SVNr. ***Y*** ab September 2022 abgewiesen. Begründet wurde der Bescheid wie folgt:
"Das Kind lebt nicht in Ihrem Haushalt und Sie leisten auch nicht überwiegend die Unterhaltskosten für das Kind (§ 2 Abs. 2 Familienlastenausgleichsgesetz 1967). Lt. uns vorliegenden Studiendaten ist der Studienbeginn 10/2022."
Dagegen richtet sich die mit datierte Beschwerde mit folgender Begründung:
"Entgegen den Ausführungen in der Begründung bestreitet ***die Bf.*** sehr wohl überwiegend die Unterhaltskosten für das Kind (§ 2 Abs. 2 FLAG), die volljährige Tochter ***X*** VNR ***Y***.
Um beurteilen zu können, wer die Unterhaltskosten für ein Kind überwiegend trägt, sind zunächst die tatsächlichen Kosten, die für den Unterhalt des Kindes aufgewendet werden, zu ermitteln. Zu den Unterhaltskosten gehören alle Kosten zur Deckung der Bedürfnisse des Kindes entsprechend § 140 ABGB, also insbesondere die Kosten der Nahrung, der Bekleidung, der Wohnung mit Licht und Heizung, der Körperpflege, der ärztlichen Behandlung, der Heilmittel und der Pflege in Krankheitsfällen, einer Erholungsreise, des Unterrichtes und der Berufsausbildung, der Befriedigung angemessener geistiger Bedürfnisse und Unterhaltungen und vieles mehr.
In diesem Zusammenhang verweisen wir auf die nachfolgende Kostenaufstellung eines typischen Monats:
In dieser Aufstellung nicht enthalten sind nicht regelmäßig anfallenden Kosten, wie die Neuanschaffung von Möbeln, Computer, Telefon, aber auch Instandhaltung bzw. Reparaturen von Einrichtungsgegenständen und Geräten, sowie Urlaubs- und Erholungsreisen, uvm.
***X*** hat eigene Einkünfte aus einer geringfügigen Beschäftigung in Höhe von EUR 485,85. Die Unterhaltsleistungen von ***die Bf.*** betragen somit rund EUR 600,- und werden teilweise durch Überweisung auf das Bankkonto, teilweise in bar getragen.
Wir beantragen daher den Bescheid dahingehendabzuändern, dass ab Studienbeginn (richtig 10/2022) die Familienbeihilfe antragsgemäß gewährt wird."
Mit Schreiben der belangten Behörde vom wurden die Kontoauszüge zum Nachweis der Unterhaltsleistung angefordert.
Im Antwortschreiben vom führt die Beschwerdeführerin wie folgt aus:
"Das (erwachsene) Kind ***X*** lebt alleine. Es gibt keine Mitbewohner. Hinsichtlich der Unterhaltsleistungen verweisen wir auf die diesem Schreiben beiliegenden Umsatzaufstellungen, wobei ergänzend ausgeführt wird, dass aus Gründen der Vereinfachung der Unterhalt vom Kindsvater nicht an die Antragstellerin und von dieser weiter zum Kind überwiesen wird, sondern dass die Überweisungen direkt auf das Konto des Kindes erfolgt."
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen:
"Gemäß § 10 Abs. 4 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) gebührt für einen Monat Familienbeihilfe nur einmal. § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 stellt hinsichtlich des Familienbeihilfenanspruches primär auf die Haushaltszugehörigkeit mit einem Kind ab und nur subsidiär (§ 2 Abs. 2 zweiter Satz) darauf, welche Person die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt. Einem Anspruch auf Familienbeihilfe im Sinne des zweiten Satzes des § 2 Abs. 2 FLAG 1967 steht der ausschließliche Anspruch einer Person, bei der das Kind im strittigen Zeitraum haushaltszugehörig war, zwingend entgegen ().
Lt. Auszug des Zentralen Melderegisters lebt Ihre Tochter ***X*** bereits seit in einem eigenen Haushalt. Ihnen würde die Familienbeihilfe nur mehr dann zustehen, wenn Sie die überwiegenden Unterhaltskosten tragen. Um beurteilen zu können, wer die Unterhaltskosten überwiegend trägt, sind die tatsächlichen Kosten, die für den Unterhalt aufgewendet werden, zu ermitteln. Hierfür ist eine genaue Aufstellung vorzulegen. Zu den Unterhaltskosten gehören alle Kosten zur Deckung der Bedürfnisse des Kindes entsprechend § 140 ABGB, also insbesondere alle Kosten des täglichen Lebens, Miete inkl. Betriebskosten, usw. Dann sind die tatsächlichen Unterhaltskosten den Unterhaltsleistungen gegenüber zu stellen. Die Unterhaltsleistungen sind mittels Kontoauszüge, Zahlungsbelege nachzuweisen. Betragen die Unterhaltskosten mehr als die Hälfte der tatsächlichen Unterhaltskosten, steht - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - die Familienbeihilfe zu.
Die Kosten zur Deckung der Bedürfnisse Ihrer Tochter betragen - wie von Ihnen angeführt - € 1.114,36/monatlich. Lt. einem vorgelegten Kontoauszug überweisen Sie Ihrer Tochter (€ 300,00/monatlich (im September € 600,00). Da Sie nicht mehr als die Hälfte der Kosten tragen, kann nicht von einer überwiegenden Kostentragung gesprochen werden. Außerdem bezieht Ihre Tochter eigene (steuerpflichtige) Einkünfte. Die Familienbeihilfe konnte Ihnen nicht gewährt werden."
Im Schreiben vom wird die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und in eventu eine mündliche Verhandlung vor dem gesamten Senat beantragt.
Mit Vorlagebericht vom wurde der Akt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vorgelegt.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Tochter der Beschwerdeführerin, ***X*** SVNr. ***Y***, Begann im Oktober 2022 mit dem Studium der Rechtswissenschaften an der ***UNI***. Dieses Studium wurde im Oktober 2023 abgebrochen.
Im ersten Studienjahr wurden Prüfungen im Ausmaß von 21 ECTS-Punkten erfolgreich abgelegt.
Die Tochter der Beschwerdeführerin lebt in einem eigenen Haushalt (***Adr.***), war im beschwerdegegenständlichen Zeitraum geringfügig beschäftigt und erzielte monatliche Bezüge iHv € 485,85.
Sowohl die Beschwerdeführerin (als Kindesmutter) als auch der Kindesvater leisten einen monatlichen Unterhaltsbeitrag in Höhe von jeweils € 300 (siehe Umsatzübersichten ***Bank***).
Die gesamten Unterhaltskosten für einen Monat betragen laut Aufstellung der Beschwerdeführerin € 1.114,36 (siehe Beschwerde vom ).
Die Unterhaltskosten werden überwiegend von den Eltern getragen.
Im Vorlageantrag vom wird die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung vor dem gesamten Senat in eventu beantragt.
2. Beweiswürdigung
Die obigen Sachverhaltsfeststellungen sind allesamt aktenkundig bzw ergeben sich diese aus den nicht der Aktenlage widersprechenden und auch von der belangten Behörde nicht widerlegten Ausführungen der Beschwerdeführerin.
Vor diesem Hintergrund können die obigen Sachverhaltsfeststellungen gemäß § 167 Abs 2 BAO als erwiesen angenommen werden.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)
Strittig ist, ob die Beschwerdeführerin oder die Tochter Anspruch auf Familienbeihilfe hat. Tatsächlich ausbezahlt wurde die Familienbeihilfe für den Zeitraum 10/2022 bis 10/2023 an die Tochter der Beschwerdeführerin.
Anspruch auf Familienbeihilfe haben gemäß § 2 Abs. 1 lit. b erster Satz Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet werden.
Gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.
Gemäß § 2 Abs. 4 FLAG 1967 umfassen die Kosten des Unterhalts bei minderjährigen Kindern auch die Kosten der Erziehung und bei volljährigen Kindern, die für einen Beruf ausgebildet oder in ihrem Beruf fortgebildet werden, auch die Kosten der Berufsausbildung oder der Berufsfortbildung.
Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).
Mit der Familienbeihilfe wird ein doppelter Zweck verfolgt: Den Mindestunterhalt des Kindes zu gewährleisten und gleichzeitig die Eltern von ihrer Unterhaltspflicht zu entlasten (vgl. Lenneis/Wanke in Lenneis/Wanke, FLAG2, § 1 Rz 302 mwN).
Grundsätzlich hat nicht das Kind selbst Anspruch auf Familienbeihilfe, sondern gemäß § 2 Abs. 2 FLAG 1967 und § 2 Abs. 3 FLAG 1967 ein Elternteil, also Vater oder Mutter, bei Haushaltszugehörigkeit gemäß § 2a FLAG 1967 vorrangig die Mutter. Kommt ein Elternteil als Anspruchsberechtigter nicht in Betracht, können ein Großelternteil, ein Wahlelternteil, ein Stiefelternteil oder ein Pflegekindelternteil (Elternteile i. w. S.) Familienbeihilfe beanspruchen.
Das Kind selbst hat nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn entweder beide Elternteile verstorben sind, es also Vollwaise ist (§ 6 Abs. 1 FLAG 1967 und § 6 Abs. 2 FLAG 1967), oder ausnahmsweise, wenn die Eltern ihm nicht überwiegend Unterhalt leisten und der Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird (sogenannte "Sozialwaisen", § 6 Abs. 5 FLAG 1967)
Überwiegende Unterhaltskostentragung durch die Eltern
Im Beschwerdefall tragen Vater und Mutter (Beschwerdeführerin) gleichermaßen 27 % des Unterhaltes, insgesamt tragen die Eltern die Unterhaltskosten daher überwiegend. Ein Eigenanspruch des Kindes ist deshalb nicht gegeben (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 6 Rz 21).
Für diese Auslegung spricht auch , demzufolge nicht die Unterhaltszahlungen der Eltern den vom Kind selbst aufgewendeten Beträgen gegenüberzustellen sind, sondern zu prüfen ist, ob die Eltern mehr als die Hälfte der Unterhaltskosten durch ihre Unterhaltsbeiträge abgedeckt haben.
Da die Beschwerdeführerin (gemeinsam mit dem Kindesvater) im beschwerdegegenständlichen Zeitraum die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend getragen hat, steht ihr Familienbeihilfe zu.
Der Beschwerde war sohin stattzugeben. Die an die Tochter ausbezahlte Familienbeihilfe ist zurückzufordern.
Zum "ineventu-Antrag" auf mündliche Verhandlung vor dem gesamten Senat:
Gemäß § 272 Abs. 2 BAO obliegt die Entscheidung dem Senat, wenn dies beantragt wird […].
Gemäß § 274 Abs. 1 BAO hat eine mündliche Verhandlung stattzufinden, wenn es beantragt wird […].
Die Beschwerdeführerin bzw. ihre steuerliche Vertretung beantragte im Vorlageantrag wie folgt:
"Im Übrigen beantragen wir in eventu eine mündliche Verhandlung vor dem gesamten Senat."
Nach herrschender Ansicht ist das Verfahrensrecht im Allgemeinen bedingungsfeindlich, weshalb bedingte Parteienerklärungen - und im Gegenzug auch bedingte behördliche oder gerichtliche Erledigungen - unzulässig sind.
Anträge, die mit einer unklaren Bedingung verknüpft werden, wie zB die Durchführung einer mündlichen Verhandlung "falls erforderlich", "allenfalls" oder "in eventu" sind unwirksam (vgl Hell in SWK 35/2023, 1322; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 274 E 15 ff).
Die Entscheidung oblag daher der Einzelrichterin, die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung war nicht erforderlich.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Soweit im Beschwerdefall Rechtsfragen zu lösen waren, folgt das Bundesfinanzgericht der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, weshalb gemäß § 25a Abs 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden war.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 2 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100403.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at