Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 10.06.2024, RV/7102094/2022

Hauptwohnsitzbefreiung bei unklarer Wohnsituation

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Dr. Hans Blasina in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Gahleithner & Partner OG, Schottengasse 7 Tür 6, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2013 und Wiederaufnahme des Verfahrens zur Einkommensteuer 2013, Steuernummer ***BF1StNr1*** nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Strittig im Verfahren ist, ob die Beschwerdeführerin (Bf) die von ihr veräußerte Liegenschaft ADR1 zuvor zumindest fünf Jahre hindurch bewohnt hat und somit die Hauptwohnsitzbefreiung in Anspruch nehmen kann. Dies wird von der belangten Behörde mit Hinweis auf bloß 14 Monate Hauptmeldung dort abgelehnt. Die Bf bringt dazu vor, bereits jahrelang ein Naheverhältnis zur vormaligen Eigentümerin der ADR1, Frau ***Erblasserin***, gehabt zu haben und im Zuge der Pflege dieser Frau bereits seit Mitte 2007 jedenfalls dort den tatsächlichen Hauptwohnsitz begründet zu haben. Dafür werden handschriftliche Erklärungen von Nachbarn der ADR1 vorgelegt, die erklärten, die Bf habe dort gewohnt.

Zunächst wurde der Bf mit Vorhalten vom 24.7. und nur ein Vordruck für die Ermittlung von Einkünften nach § 30 EStG zugesandt, den sie am ausgefüllt zurückgesendet hat, wobei sie nicht pauschal ermittelte Einkünfte von (nach Abzug von Pflichtteil, Anschaffungsnebenkosten, Instandsetzungsaufwendungen und Begräbniskosten) 178.000 Euro als Einkünfte erklärt hat und angekreuzt hat, dass die Befreiungsbestimmung "Hauptwohnsitz (seit Anschaffung mind. 2 Jahre durchgehend)" vorliege und an sie mit Anschrift ADR1 adressierte Renovierungsrechnungen vorlegte. Auf einen weiteren Vorhalt vom zum Ausfüllen eines Formulares E1 für das Jahr 2013 sprach - nach den Ausführungen im Schreiben vom , jedoch ohne dass darüber eine Niederschrift vorgelegt wurde - die Bf bei der belangten Behörde vor und übergab eine Bestätigung der ***N4*** und ihres Mannes (Nachbarn) darüber, dass sie dort gewohnt habe. Am erfolgte eine erklärungsgemäße Veranlagung.

Am erging an die belangte Behörde eine Kontrollmitteilung des Finanzamtes für Gebühren, Verkehrsteuern und Glückspiel mit dem Hinweis, die Liegenschaft sei mit Kaufvertrag vom um 760.000 Euro veräußert worden und mit dem Ersuchen, die ordnungsgemäße Abfuhr der Immo-ESt zu überprüfen. Am tätigte die belangte Behörde eine Melderegisterauskunft und stellte dabei fest, dass die Bf nur von bis ihren Hauptwohnsitz in der ADR1 innehatte. Diese neu hervorgekommene Tatsache gemeinsam mit den weiteren Ermittlungsschritten (Abverlangen weiterer Nachweise über Stromverbrauch, Kindergartenbesuch etc.) legte die belangte Behörde dem Wiederaufnahmebescheid zugrunde.

Im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wurde amtswegig eine mündliche Verhandlung anberaumt, Zeugen einvernommen und die vom jüngsten Sohn der Bf besuchten Kindergärten erhoben, weil seitens der Bf nach Aufforderung durch die belangte Behörde im Verwaltungsverfahren diesbezüglich keine Angaben gemacht worden waren.

Die Zeugenaussagen im Einzelnen:

  • ***Tochter*** (Tochter der Bf): Diese hat bereits vor der belangten Behörde am ausgesagt und angegeben ,sie habe mit ihrer Mutter seit der Geburt zunächst in der ADR2 gelebt (der Vater ***LG1*** sei nur an den Wochenenden anwesend gewesen), dann von Oktober 2006 bis Ende 2008 in der ADR1. Ende November 2008 sei sie alleine wieder in die ADR2 übersiedelt, ihre Mutter in der ADR1 geblieben.

  • ***LG1*** (ehem. Lebensgefährte der Bf): Die Bf sei im Sommer 2007 zu Frau ***Erblasserin*** gezogen. Er selbst sei ein Jahr später aus der ADR2 ausgezogen und habe seit 2007 keinen Kontakt mehr zur Bf gehabt. Seit wann die Bf Frau ***Erblasserin*** betreut hat und was sie dort gemacht hat, könne er nicht sagen.

  • ***LG2*** (aktueller Lebensgefährte der Bf): Als er die Bf 2008 kennengelernt habe, habe sie in der ADR1 gewohnt. Er habe sie dort besucht und auch teilweise dort übernachtet, teilweise aber auch in seiner Wohnung in der ADR3 bei seinen 12 und 15 Jahre alten Kindern (deren Mutter gestorben sei). Der gemeinsame Sohn sei von der Bf betreut worden (mit Hilfe einer weiteren Dame) und ab 1 ½ Jahren im ***C-Bezirk*** in den Kindergarten gegangen. Er selbst habe täglich von 7 bis 19 Uhr gearbeitet. Im Jahr 2013 seien sie in die ADR3 zusammengezogen und 2014 nach ADR4 übersiedelt.

  • ***Sohn*** (Sohn der Bf): Er sei in der ADR1 aufgewachsen und habe dann kurz in der ADR3 mit seinen Eltern und den Stiefgeschwistern gewohnt, bevor sie nach ADR4 gezogen sind.

  • ***N1*** (Nachbar ADR1 zwei Häuser weiter): Er sei zweimal täglich an dem Haus vorbeigegangen, betreten habe er es nie. Dass die Bf dort gewohnt habe, schließe er aus dem täglichen Smalltalk. Er habe sie immer alleine angetroffen, an weitere Personen könne er sich nicht erinnern.

  • ***N2*** (Nachbarin ADR1 schräg gegenüber): Die Bf habe sich um Frau ***Erblasserin*** gekümmert, ihr Auto (schwarzer Mercedes) sei öfter dort gestanden, im Garten habe sie Kinderstimmen gehört.

  • ***N3*** (Nachbarin ADR1 gegenüber) konnte nicht befragt werden. Ihr Mann hat telefonisch mitgeteilt, dass sie gesundheitlich nur schwer in der Lage sei, der Ladung zu folgen, außerdem sei sie zeitweilig ziemlich verwirrt und werde daher keine sinnvolle Antwort geben können. Außerdem würden sie beide die Bf nicht kennen und hätten sich von Frau ***Erblasserin*** ferngehalten, weil diese sehr unfreundlich gewesen sei. Unterschrieben habe seine Frau sicher nichts. Die letzte Aussage wurde in einem weiteren Telefonat revidiert, doch könne seine Frau letztlich nur bestätigen, dass die Bf dort ein und aus gegangen sei, die Wohnverhältnisse könne sie nicht beurteilen, weil sie nie dort gewesen sei.

  • ***N4*** (Nachbarin ADR1 Nebengrundstück) konnte ebenso nicht befragt werden. Nach seiner eigenen Einvernahme hat der Sohn von ***N4*** gemeinsam mit ihr angerufen, und sie hat mitgeteilt, sie könne nicht bezeugen, dass die Bf bei Frau ***Erblasserin*** gewohnt habe, sie wisse nur, dass sie dort geputzt habe. Ob ***N4*** etwas unterschrieben habe, könne sie nicht mehr sagen.

  • ***N5*** (Sohn von ***N4***) gibt an, er sei zwar vor 20 Jahren ausgezogen, habe seine Mutter aber regelmäßig mehrmals wöchentlich besucht und mache das auch jetzt noch. Die Bf sei Putzfrau gewesen, sie habe auch zwei Jahre bei seiner Mutter geputzt. Ob die Bf bei Frau ***Erblasserin*** gewohnt habe, könne er nicht sagen, diese habe er immer nur alleine gesehen. Auch sei ihm nachts kein Auto am Nachbargrundstück aufgefallen. Weder er noch seine Mutter hätten das Nachbargrundstück je betreten und könnten daher auch nichts über die Wohnverhältnisse dort aussagen.

  • ***Z6*** (Anwalt der Bf) wurde nach der mündlichen Verhandlung als Zeuge geladen, weil er seine Einvernahme in der Beschwerde beantragt hat, aber vor der Verhandlung die Vollmacht gekündigt hat (und erst nach der Einvernahme wieder aufgenommen hat) und somit nicht in der mündlichen Verhandlung anwesend war. Die Bf sei seit dem Jahr 2000 bei ihm beschäftigt und betreue einige seiner Zinshäuser (Reinigung der allgemeinen Teile). Er habe sich ihrer rechtlichen Belange angenommen, u.a. der Sachwalterschaft von Frau ***Erblasserin***, welche die Bf schon einige Jahre davor gepflegt habe. Er wisse aus eigener Wahrnehmung, dass zwischen den beiden Frauen ein herzliches und inniges Verhältnis bestanden habe und Frau ***Erblasserin*** immer schon wollte, dass die Bf bei ihr zwecks ständiger Betreuung wohne. Nach seiner Wahrnehmung habe die Bf ab Ende 2007 bis Mitte 2013 in der ADR1 gewohnt. Er habe sowohl den Kaufvertrag im Oktober 2012 erstellt als auch den Räumungsaufschub bis Mitte 2013 erwirkt.

  • ***Z7*** (Vermieter ADR2) sagt aus, er wisse, dass die Bf mit ihren beiden [Anm.: älteren] Kindern und zeitweilig auch mit ***LG1*** dort gewohnt habe, sowie dass die Tochter schwanger wurde. Er habe die Bf dort bis zum Schluss gesehen, sie habe auch die Wohnungsübergabe bei Kündigung gemacht. Er könne aber über die tatsächlichen Wohnverhältnisse nichts sagen, weil er keinen Kontakt zu diesen Mietern gesucht habe. Die Bf habe von ihm später eine Bestätigung darüber haben wollen, wie lange sie dort gewohnt habe, das habe er aber nicht machen können. Auch könne er nicht bestätigen, dass die Bf das Mietverhältnis auf ihre Tochter habe überschreiben wollen.

Die Bf selbst hat in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, sie sei im Frühjahr 2007 vor ihrem Lebensgefährten ***LG1*** geflohen, weil er sie betrogen habe und gewalttätig gewesen sei. Gegen ihn sei nach weiteren Übergriffen im Jahr 2008 ein Betretungsverbot verhängt worden. Sie sei dann zu Frau ***Erblasserin*** gezogen, die sie schon seit ihrem 15. Lebensjahr gekannt habe und bei der sie anfänglich im Geschäft gearbeitet habe. Bereits in den 1990er-Jahren habe sie für sie Erledigungen gemacht, Frau ***Erblasserin*** habe ihr auch den Führerschein finanziert, damit die Bf sie zu Arztterminen u.ä. führen könne. Die Hauptmeldung in der ADR2 sei aufrecht geblieben, weil sie dort Hauptmieterin gewesen sei und ihre minderjährige Tochter dort weiterhin gewohnt habe; auf ihre Tochter habe der Vermieter das Mietverhältnis nicht übertragen wollen. Ab 2010 habe die Tochter dort mit Freund und Kind gewohnt, die Bf hätte dann keinen Platz mehr in der Wohnung gehabt. Die Bf habe sich das Dachgeschoss in der ADR1 für sich und ihren Sohn ausgebaut, finanziert habe das Frau ***Erblasserin***, die froh gewesen sei, von ihr betreut zu werden. Die Bf habe nach der Erbschaft nicht verkaufen wollen, sie habe noch Anfang 2012 5.000 Euro in eine neue Küche und gut 18.000 Euro in die Sanierung eines Wasserschadens investiert. Um aber der Tochter von Frau ***Erblasserin*** den Pflichtteil auszahlen zu können, habe sie verkaufen müssen. Dass ihr Sohn ***Sohn***, den sie mit ihrem neuen Lebensgefährten ***LG2*** hat, auch in der ADR2 gemeldet gewesen sei, hänge damit zusammen, dass sie selbst dort gemeldet gewesen sei und die Familienbeihilfe für ihn bezogen habe. Sie habe dort aber nur die Post abgeholt. Später sei ihr Sohn beim Vater gemeldet gewesen wegen der Staatsbürgerschaft und für einen Volkschulplatz in Wien (was auch ihre Meldung in der ADR3 begründet habe). Aufgewachsen sei ihr Sohn in der ADR1; aufgrund ihrer Vollzeittätigkeit habe sich tagsüber eine Rumänin, von der sie nur den Vornamen nennen konnte, gekümmert. In den Kindergarten sei er erst spät gekommen, mit drei Jahren - zunächst in die ADR5 und anschließend mit dem Umzug nach ADR4 in einen städtischen Kindergarten im ***C-Bezirk***. Die vier Zeugen aus der Nachbarschaft kenne sie von Gesprächen auf der Straße, zu Besuch war keiner von ihnen.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Bf hat ursprünglich mit ihren beiden Kindern - nach Auszug des volljährigen Sohnes 2003/2004 noch mit ihrer im Jänner 1990 geborenen Tochter - in der ADR2 im ***A-Bezirk*** gewohnt. Ihr damaliger Lebensgefährte ***LG1*** hat die Wohnung nur an den Wochenenden aufgesucht. Im Sommer 2007 ist die Bf im Zuge der Trennung von ihrem Lebengefährten zeitweilig in die ADR1 im ***B-Bezirk*** gezogen, wo sie schon seit einigen Jahren die dortige Eigentümerin, Frau ***Erblasserin***, betreut hat. Nachdem die Bf eine neue Beziehung mit ***LG2*** eingegangen war und im August 2009 ihr gemeinsamer Sohn ***Sohn*** geboren worden war, hat die Bf zunächst vermehrt in der ADR2 gewohnt und hat in weiterer Folge auch bei ihrem Lebensgefährten in der ADR3 im ***C-Bezirk*** einen Wohnsitz begründet.

Nach dem Tod der Frau ***Erblasserin*** im März 2011 hat sie die Liegenschaft ADR1 geerbt. Den ursprünglichen Plan, dort den Hauptwohnsitz zu begründen, hat die Bf nicht nachhaltig realisieren können, weil sie die pflichtteilsberechtigte Tochter der Frau ***Erblasserin*** auszahlen musste. Die Liegenschaft wurde der Bf mit Beschluss vom eingeantwortet und im Oktober 2012 verkauft mit Räumungsaufschub bis Juni 2013. Im Sommer 2013 hat die Bf gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und dem Sohn ***Sohn*** das neue gemeinsame Haus in ADR4 bezogen.

Die Wohnung ADR2 hat die Bf Ende 2011 gekündigt, als auch ihre Tochter, die im Jahr 2010 Mutter geworden ist, von dort ausgezogen war. Hauptgemeldet war die Bf bis zur Kündigung in der ADR2, von 2012 bis Februar 2013 dann in der ADR1, anschließend bis Juli 2013 in ADR4, in der Folge bis Ende 2019 in der ADR3 (Eigentumswohnung des Lebensgefährten) und seit Dezember 2019 wieder in ADR4.

Ihr Sohn ***Sohn*** hat von September bis Dezember 2010 den Kindergarten ***KG*** in der ADR5 67 im ***D-Bezirk*** besucht, der von der ADR2 1,2 km und von der ADR1 gut 4 km entfernt ist. Von September 2011 bis August 2015 besuchte er den Kindergarten ADR6 im ***C-Bezirk***, der einen Häuserblock entfernt von der ADR3 (Eigentumswohnung des Lebensgefährten) sowie 1,2 km vom neuen Haus der Bf in ADR4 gelegen ist und von der ADR1 knapp 13 km entfernt liegt. Außerhalb des Kindergartens lag die Betreuung hauptsächlich bei der Bf.

2. Beweiswürdigung

Dass die Bf zeitweilig in der ADR1 gewohnt hat, ergibt sich aus den Aussagen des ehemaligen Lebensgefährten ***LG1***, dem zufolge sie nach der Trennung im Jahr 2007 zunächst aus der ADR2 ausgezogen sei, ihrer eigenen Angabe, aufgrund der Trennung Mitte 2007 dorthin gezogen zu sein, der Aussage der dortigen Nachbarn ***N2*** und ***N1***, welche die Bf dort öfter angetroffen haben, der Aussage ihres Lebensgefährten ***LG2***, ihres Sohnes ***Sohn***, der Aussage ihres Anwaltes, aus dem Melderegister, wonach die Bf ab Februar 2011 dort einen Nebenwohnsitz bzw im Jahr 2012 ihren Hauptwohnsitz dort begründet habe, sowie aus der Tatsache, dass die Bf dort eine neue Küche für sich eingerichtet hat und einen Wasserschaden beheben hat lassen (vgl die diesbezüglichen Rechnungen).

Dass die Bf aber genauso auch noch zeitweilig in der ADR2 gewohnt hat, ergibt sich daraus, dass der Vermieter angegeben hat, sie dort regelmäßig gesehen zu haben, ihre Tochter dort weiterhin gewohnt hat, der für ihren jüngsten Sohn zunächst ausgewählte Kindergarten viermal näher an der ADR2 als an der ADR1 gelegen ist und sie bis zum Auszug dort hauptgemeldet gewesen ist.

Dass die Bf einen weiteren Wohnsitz in der ADR3 begründet hat, ergibt sich daraus, dass dort ihr Lebensgefährte eine Eigentumswohnung hat, der gemeinsame Sohn den Kindergarten in unmittelbarer Nähe zu dieser Wohnung besucht hat und regelmäßig die Bf den Sohn dorthin gebracht bzw abgeholt hat, weil der Lebensgefährte selbst nach eigener Aussage den ganzen Tag gearbeitet hat und die Bf die Kinderbetreuung innehatte. Die Aussagen über ein Kindermädchen waren zu unsubstantiiert, um daraus etwas für den Standpunkt der Bf zu gewinnen. Es widerspricht zudem der Lebenserfahrung, einen Kindergartenplatz zu suchen, der vom eigenen Lebensmittelpunkt 13 km und eine Dreiviertelstunde Fahrzeit quer durch Wien entfernt ist, während eine andere zur Verfügung stehende Wohnung beim Kindergarten um die Ecke liegt.

Nichts für ihren Standpunkt eines ständigen Hauptwohnsitzes in der ADR1 zu gewinnen war aus den Aussagen der Nachbarn und ihres Anwaltes, weil weder die Nachbarn die Liegenschaft betreten haben noch der Anwalt sich zu den dortigen Wohnverhältnissen geäußert hat. Somit kann niemand aus eigener Wahrnehmung etwas über die Wohnsituation der Bf aussagen, außer ihre nächsten Angehörigen. Der Sohn ***Sohn*** war noch zu jung, um sich verlässlich zu erinnern, die Aussagen ihrer Tochter ***Tochter*** waren widersprüchlich, denn dass sie auch von Oktober 2006 bis Ende 2008 in der ADR1 gewohnt hätte, wurde von der Bf in der Verhandlung nicht behauptet - im Gegenteil haben sowohl die Bf als auch ihr Ex-Lebensgefährte ausgesagt, die Tochter sei in der ADR2 geblieben. Der Lebensgefährte ***LG2*** hat zwar ausgesagt, dass er die Bf in der ADR1 besucht habe und ein Zusammenleben in der ADR3 aufgrund seiner eigenen Kinder und der beengten Situation schwer möglich gewesen wäre, doch spricht die Betreuung ihres Sohnes durch die Bf und die unmittelbare Nähe des von ihm ab September 2011 besuchten Kindergartens sehr wohl für einen schwerpunktmäßigen Aufenthalt der Bf auch an der Adresse ADR3.

Dass die Bf von einem Teil der Nachbarn regelmäßig gesehen wurde, bedeutet noch nicht, dass sich in der ADR1 ihr Lebensmittelpunkt befunden hat, denn genauso ist sie von ihrem Vermieter regelmäßig in der ADR2 gesehen worden. Außerdem hat gerade der Sohn der unmittelbaren Nachbarin, ***N5***, der sich dort häufig aufhält, die Bf insbesondere nachts nicht wahrgenommen.

In Zusammenhang damit, dass Frau ***Erblasserin*** bereits im März 2011 verstorben ist, spricht die Wahl des Kindergartens für ***Sohn*** nahe der ADR3 eindeutig dafür, dass der Lebensmittelpunkt der Bf sich mehr in die Wohnung ihres Lebensgefährten verlegt hat und daher jedenfalls nicht dauerhaft in der ADR1 gelegen war. Die ab 2012 gesetzten Renovierungsmaßnahmen mögen Indizwirkung für die Zukunft haben, doch waren letztlich die Lebensumstände der Bf auf das Grenzgebiet zwischen ***C-Bezirk*** und ADR4 ausgerichtet. Davor ist anhand der familiären Bindung und der Wahl des ersten Kindergartens für ***Sohn*** eher von einem überwiegenden Lebensmittelpunkt in der ADR2 auszugehen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Zum Einkommensteuerbescheid:

Unstrittig kommt für die Bf, die im Wege des unentgeltlichen Erwerbes die Liegenschaft in der ADR1 erworben hat, nur der Tatbestand des § 30 Abs 2 Z 1 lit b EStG in Betracht, wonach von der Besteuerung ausgenommen die Einkünfte sind aus der Veräußerung von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen samt Grund und Boden, wenn sie dem Veräußerer innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Veräußerung mindestens fünf Jahre durchgehend als Hauptwohnsitz gedient haben und der Hauptwohnsitz aufgegeben wird (vgl die Vorbringen in der Beschwerde und die Ausführungen der belangten Behörde).

Der Begriff des "Hauptwohnsitzes" wird im EStG nicht näher bestimmt. Gemäß § 26 Abs 1 BAO hat jemand einen Wohnsitz im Sinne der Abgabenvorschriften dort, wo er eine Wohnung inne hat unter Umständen, die darauf schließen lassen, dass er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Hat der Steuerpflichtige mehrere Wohnsitze im Sinne der BAO, ist Hauptwohnsitz im Sinne des § 30 Abs 2 EStG jener dieser Wohnsitze, zu dem die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen bestehen (vgl. ). Der Hauptwohnsitz-Meldung kommt in diesem Zusammenhang keine materiellrechtliche Bedeutung zu (vgl. Bodis/Hammerl in Doralt u.a., EStG17, § 30 Tz 143), in Zweifelsfällen kann die polizeiliche An- und Abmeldung aber als Indiz dienen (vgl. ). Zu alldem siehe zuletzt .

Nach den obigen Feststellungen hat die Bf im Zeitraum von 2007 bis 2013 mehrere Wohnsitze gehabt, zu denen unterschiedlich enge Bindungen bestanden haben. Zwar ist sie aufgrund der Trennung von ihrem ehemaligen Lebensgefährten ***LG1*** zunächst Mitte 2007 in die ADR1 gezogen und Mitte 2013 endgültig von dort weggezogen und hatte zu der von ihr gepflegten Frau ***Erblasserin*** eine persönliche Bindung und nach ihrem Tod die Erwartungshaltung, im geerbten Haus einen neuen eigenen Hausstand zu begründen. Doch hatte sie einerseits eine enge familiäre Bindung zu ihrer Tochter in der ADR2, die sie auch regelmäßig aufsuchte, für deren Wohnung sie die Mieterin war und in der sie hauptgemeldet war, und andererseits hatte sie eine enge familiäre Bindung zu ihrem neuen Lebensgefährten ***LG2***, wobei der gemeinsame Sohn, den weitaus überwiegend die Bf betreut hat, in unmittelbarer Nähe von dessen Wohnung einen Gutteil des für die Hauptwohnsitzbefreiung relevanten Zeitraumes den Kindergarten besucht hat.

Die familiären Bindungen - insbesondere zu ihrem minderjährigen betreuungspflichtigen Sohn ***Sohn*** und dessen Vater ***LG2*** - sind jedenfalls als schwerwiegender zu werten gegenüber einer rein freundschaftlichen Beziehung zu einer grundsätzlich fremden Pflegeperson. Im Zweifel ist der eigenen ursprünglichen Erklärung der Bf gegenüber Behörden eine zusätzliche Indizwirkung zuzuerkennen und die eigene Hauptmeldung in der ADR2 in die Betrachtung mit einzubeziehen. Es kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die ADR1 in der einen oder anderen Lebensphase der Bf im Zeitraum von 2007 bis 2013 ihren Lebensmittelpunkt gebildet hat. Aufgrund der zeitweilig aber viel intensiveren Anknüpfungsmerkmale zur ADR2 und zur ADR3 kann jedoch mit Bestimmtheit festgestellt werden, dass die ADR1 nicht mindestens fünf Jahre durchgehend den Mittelpunkt der Lebensinteressen gebildet und somit als Hauptwohnsitz gedient hat. Der entsprechende Befreiungstatbestand kommt der Bf daher nicht zugute.

Zum Wiederaufnahmebescheid:

Die belangte Behörde hat die Vorhaltsbeantwortung vom gemeinsam mit der kurz darauf abgegebenen Erklärung der Nachbarn ungeprüft dem Einkommensteuerbescheid vom zugrundegelegt. Erst danach ist für sie mit der ZMR-Abfrage vom neu hervorgekommen, dass die Bf nur ein gutes Jahr an der Adresse der veräußerten Liegenschaft hauptgemeldet war. Dies in Zusammenhang mit den weiteren Ermittlungen musste zu einem im Spruch anderslautenden Bescheid führen (§ 303 Abs 1 lit b BAO). Diesen Wiederaufnahmegrund hat die belangte Behörde ihrem Bescheid zugrunde gelegt und auch das Ermessen richtig ausgeübt, weil eine Steuer 26.600 Euro weder relativ noch absolut geringfügig ist und daher der Rechtsrichtigkeit Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit einzuräumen war.

Ob in diesem Zusammenhang die belangte Behörde schon im ursprünglichen Verfahren in der Lage gewesen wäre, die erforderlichen Prüfschritte zu tätigen, und dass sie diese erst über zwei Jahre nach Erlassen des Erstbescheides gesetzt hat, vermag nichts zu ändern. Weder käme es für das Vorliegen des Wiederaufnahmegrundes auf ein Verschulden der belangten Behörde daran an, dass sie nicht schon früher weitere Sachverhaltsermittlungen aufgenommen hat, noch wäre diesem Verschulden angesichts der Abgabenhöhe ein entscheidender Wert bei der Ermessensbeurteilung beizumessen. Die Wiederaufnahme erfolgte daher zurecht.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das Erkenntnis liegt im Rahmen der vorhandenen VwGH-Rechtsprechung. Die entscheidenden Fragen liegen im Sachverhalt und in der Beweiswürdigung und stellen keine Rechtsfragen dar. Daher war die Revision nicht zuzulassen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7102094.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at