Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 03.06.2024, RV/5100734/2023

Keine überwiegende zeitliche Inanspruchnahme durch die Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf.***, vertreten durch ***V.***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff: ***OB***, über die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für die Zeiträume Februar 2020 bis März 2021 zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit dem angefochtenen Bescheid vom forderte das Finanzamt unter Verweis auf die Bestimmungen des § 26 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) und § 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988) Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge in der Höhe von insgesamt 3.394,60 Euro zurück, welche die Beschwerdeführerin (Bf.) für ihren Sohn ***K.***, VNR: ***1***, für die Zeiträume Februar 2020 bis März 2021 bezogen hatte, zurück.
Dies mit der Begründung, dass der Sohn der Bf. die Lehre mit Jänner 2020 beendet habe und sich seit Februar 2020 in keiner Berufsausbildung mehr befinde und daher für den oben angeführten Zeitraum kein Anspruch auf Familienbeihilfe bestehe.

Dagegen richtet sich die Beschwerde vom , in der zur Begründung im Wesentlichen sinngemäß vorgebracht wurde, dass die Bf. dem Finanzamt den Lehrvertrag ihres Sohnes vorgelegt habe, wonach die Lehrzeit bis und nicht bis Jänner 2020 dauere. Die Bf. habe immer alles offengelegt und alle Daten dem Finanzamt übermittelt. Sie habe am eine Mitteilung erhalten, dass sie für ihrenSohn die Familienbeihilfe bis Dezember 2020 erhalte und am 28 September habe sie eine Mitteilung erhalten, dass sie die Familienbeihilfe bis März 2021 erhalte. Der Sohn der Bf. habe die Lehrabschlussprüfung noch nicht abgelegt und habe die Absicht, diese im Oktober 2021 nachzuholen. Es sei Aufgabe des Finanzamtes zu berechnen, wie lange jemand die Familienbeihilfe bekomme. Die Bf. habe alle Daten nach bestem Wissen und Gewissen an die Behörde weitergeleitet.

Aufgrund dieser Beschwerde ergingen drei Vorhalte an die Beschwerdeführerin. Zum letzten Vorhalt vom langte am ein formloses Schreiben der ***RA*** Rechtsanwälte GmbH & Co KG mit dem Aktenzeichen "******" und folgendem Inhalt ein:

"Betrifft: Unsere Mandantin: ***Bf.*** Ordnungsbegriff ***OB***
Ersuchen um Auskunft bzw. Vorlage von Unterlagen

Sehr geehrte Damen und Herren!

Wir vertreten Frau ***Bf.*** in gegenständlicher Sache rechtsfreundlich. Unsere Mandantin übermittelte uns Ihr Schreiben vom , welches wir wie folgt beantworten:

Institutionell geleitete Vorbereitungskurse zum Erlangen der Lehrabschlussprüfung wurden nicht in Anspruch genommen, Herr ***K.*** bereitete sich nach Beendigung des Lehrvertrags Montags bis Donnerstags täglich 1,5 Stunden sowie Samstag und Sonntag jeweils 7 Stunden auf das Fachgespräch vor. Somit ergibt sich ein Wochenstundenausmaß an Prüfungsvorbereitung von zumindest 20 Stunden.

Wie Sie bitte der beiliegenden Anmeldebestätigung entnehmen mögen., trat Herr ***K.*** auch zur theoretischen Prüfung am bzw. Prüfarbeit () an. Das dazugehörige Fachgespräch vom wurde von ihm ebenso wahrgenommen, bedauerlicherweise jedoch nicht bestanden. Der weiteren Anmeldebestätigung entnehmen Sie bitte, dass er das nicht bestandene Fachgespräch am zu absolvieren gehabt hätte. Auch dieses wurde trotz intensiver Anstrengungen leider nicht bestanden.

Er ist nach wie vor gewillt seine Lehrabschlussprüfung - noch dazu aufgrund der ausschließlich nicht geschafften letzten Etappe "Fachgespräch" zu vollenden und besitzt daher zumindest im gegenständlichen Betrachtungszeitraum Anspruch auf Leistungen nach dem FLAG. Bei Bedarf nach weiterer Dokumentation/Information ersuchen wir höflich um direkte Kontaktaufnahme."

Das Finanzamt wies die Beschwerde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet ab.
Zur Begründung führte die Behörde nach Zitierung der maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen im Wesentlichen an, dass der Begriff "Berufsausbildung" im Gesetz nicht näher umschrieben sei. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes würden unter diesen Begriff alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen fallen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz für das künftige Berufsleben erforderliches Wissen vermittelt werde. Um von einer Berufsausbildung iSd FLAG 1967 sprechen zu können, sei nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes das ernstliche, zielstrebige und nach außen erkennbare Bemühen um einen Ausbildungserfolg erforderlich.
Als "anerkanntes" Lehrverhältnis würden insbesondere die nach den einschlägigen Rechtsvorschriften als Berufsausbildung anerkannten Ausbildungsverhältnisse gelten. Bei einem anerkannten Lehrverhältnis könne unter bestimmten Voraussetzungen die Lehrabschlussprüfung auf Antrag früher abgelegt werden. Dadurch ende auch die Lehrzeit.
Der Sohn der Bf. habe sich ab in Lehrausbildung in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis befunden. Die praktische Ausbildung im Betrieb sei mit vorzeitig beendet worden und der Sohn der Bf. sei von seinem ehemaligen Lehrherrn als "Arbeiter" angemeldet worden.
Der erste Prüfungsantritt zur Lehrabschlussprüfung habe im Jänner 2020 (: Theorieprüfung, : Prüfarbeit und : Fachgespräch) stattgefunden. Dabei sei das Fachgespräch nicht bestanden worden. Der Anmeldung zum Fachgespräch am sei kein Antritt gefolgt. Der nächste Antritt zum Fachgespräch am sei nicht bestanden worden. Zur Prüfung am sei der Sohn der Bf. laut Auskunft der WKO "aus privaten Problemen" nicht erschienen. Eine Ablegung der Lehrabschlussprüfung sei zumindest bis nicht erfolgt.
Eine Berufsausbildung iSd FLAG 1967 sei nach Beendigung der praktischen Lehrausbildung im Jänner 2020 mangels Erfüllung der Iaut BFG-Rechtsprechung geforderten quantitativen/zeitlichen Komponente (wöchentlicher Zeitaufwand von zumindest 30 Stunden) und der fehlenden Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit nicht mehr gegeben gewesen.
Die Rückforderung der Familienbeihilfe für Februar 2020 bis März 2021 sei somit zu Recht erfolgt.

Mit Schriftsatz vom beantragte die anwaltlich vertretene Bf. die Entscheidung über die Beschwerde durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) und behielt sich eine Ergänzung der Beschwerdegründe vor.

Das Finanzamt legte in der Folge die Beschwerde samt Verfahrensakten mit Vorlagebericht vom dem Bundesfinanzgericht vor.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der am ***Geb.Dat.*** geborene Sohn der Bf. absolvierte eine Ausbildung im Lehrberuf Chemieverfahrenstechniker. Im Jänner 2020 trat er zur Lehrabschlussprüfung an, wobei er im Rahmen der praktischen Prüfung den Gegenstand "Fachgespräch" nicht bestand. Der Anmeldung zur Wiederholungsprüfung am ist kein Antritt gefolgt. Ein Prüfungsantritt erfolgte am . Die Wiederholungsprüfung wurde ebenfalls nicht bestanden. Das zeitliche Ausmaß für die Vorbereitung auf die Wiederholungsprüfung wurde mit 20 Wochenstunden angegeben. Vorbereitungskurse zum Erlangen der Lehrabschlussprüfung wurden nicht besucht.
Laut Versicherungsdatenauszug war der Sohn der Bf. bis als Arbeiterlehrling und ist seit bei seinem ehemaligen Lehrbetrieb als Arbeiter beschäftigt.

2. Beweiswürdigung

Der angeführte Sachverhalt ergibt sich aus den vom Finanzamt vorgelegten Verwaltungsakten sowie aus den Angaben und Vorbringen der beschwerdeführenden Partei. Ausgehend von den Ermittlungsergebnissen sieht das Bundesfinanzgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend geklärt an. Es liegen in sachverhaltsmäßiger Hinsicht keine begründeten Zweifel vor, die durch weitere Ermittlungen zu verfolgen wären, zumal auch die Verfahrensparteien keine solchen begründeten Zweifel darlegten, dass weitere Erhebungen erforderlich und zweckmäßig erscheinen.

3. Rechtslage

Gem. § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.

Die Familienbeihilfe wird vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt (§ 10 Abs. 2 FLAG 1967).

Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.

Gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 idF BGBl I Nr. 26/2009 steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.

Gemäß § 6 Abs. 1 des Berufsausbildungsgesetzes - BAG hat die Dauer der Lehrzeit in einem Lehrberuf in der Regel drei Jahre zu betragen; sie darf innerhalb eines Zeitraumes von zwei bis höchstens vier Jahren nur in ganzen oder halben Jahren festgesetzt werden.

Gemäß § 7 Abs. 1 BAG hat der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend mit Verordnung in einer Lehrberufsliste festzusetzen:
a) die Lehrberufe im Sinne des § 5 Abs. 1 und des § 5 Abs. 3,
b) die Dauer der Lehrzeit im Sinne des § 6 Abs. 1,

Der Lehrvertrag ist nach § 13 Abs. 1 leg. cit. für die für den Lehrberuf festgesetzte Dauer der Lehrzeit abzuschließen.

Das Lehrverhältnis endet nach § 14 Abs. 1 BAG mit Ablauf der im Lehrvertrag vereinbarten Dauer der Lehrzeit. Vor dem Ablauf der vereinbarten Lehrzeit endet das Lehrverhältnis aus den in § 14 Abs. 2 leg. cit. genannten Gründen.

Gemäß § 15 Abs. 1 BAG ist u.a. die vorzeitige Auflösung des Lehrverhältnisses einvernehmlich oder bei Vorliegen eines der in Abs. 3 und 4 angeführten Gründe einseitig durch den Lehrberechtigten oder durch den Lehrling sowie die außerordentliche Auflösung gemäß § 15a zulässig.

Nach § 21 Abs. 1 BAG ist Zweck der Lehrabschlussprüfung, festzustellen, ob sich der Lehrling die im betreffenden Lehrberuf erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse angeeignet hat und in der Lage ist, die dem erlernten Lehrberuf eigentümlichen Tätigkeiten selbst fachgerecht auszuführen. Die Lehrabschlussprüfung gliedert sich in eine praktische und eine theoretische Prüfung und besteht aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil. Die Lehrlingsstellen haben nach § 21 Abs. 2 leg. cit dafür zu sorgen, dass sich alle Lehrlinge am Ende der Lehrzeit (§ 23 Abs. 2) der Lehrabschlussprüfung unterziehen können.

Zur Lehrabschlussprüfung im erlernten oder in einem verwandten Lehrberuf sind nach § 23 Abs. 1 BAG Lehrlinge, Personen, die die festgesetzte Lehrzeit allenfalls unter Anrechnung bestimmter Zeiten beendet haben, und Personen, die auf Grund einer schulmäßigen Ausbildung keine Lehrzeit zurücklegen müssen, unter der Voraussetzung zuzulassen, dass die Dauer der zurückgelegten oder anzurechnenden Lehrzeit oder das Zeugnis über den die Lehrzeit ganz oder teilweise ersetzenden erfolgreichen Besuch einer Schule, und der Besuch der Berufsschule oder die Befreiung von der Berufsschulpflicht sowie die Entrichtung der Prüfungstaxe nachgewiesen werden. Die Zulassung zur Lehrabschlussprüfung für Lehrlinge ist nach § 23 Abs. 2 BAG bei der für den Lehrbetrieb (die Ausbildungsstätte) des Lehrlings örtlich zuständigen Lehrlingsstelle frühestens sechs Monate vor Beendigung der festgesetzten Lehrzeit, sonst nach Wahl des Prüfungswerbers entweder bei der nach dem Arbeitsort oder bei der nach dem Wohnort des Prüfungswerbers örtlich zuständigen Lehrlingsstelle zu beantragen. Die Lehrlingsstelle hat über den Antrag zu entscheiden und den Prüfungstermin festzusetzen, der bei Lehrlingen auch in den letzten zehn Wochen der festgesetzten Lehrzeit, jedoch bei ganzjährigen oder saisonmäßigen Berufsschulen nicht früher als sechs Wochen vor dem Ende des Unterrichtsjahres, bei Lehrberufen mit zweieinhalb- oder dreieinhalbjähriger Dauer der Lehrzeit sechs Wochen vor Beendigung der Berufsschulpflicht und bei lehrgangsmäßigen Berufsschulen nicht vor dem Ende des letzten Lehrgangs liegen darf.

Der Termin für die Lehrabschlussprüfung ist gemäß § 3 Abs. 1 der Allgemeinen Lehrabschlussprüfungsordnung, BGBl. Nr. 670/1995, von der Lehrlingsstelle unter Berücksichtigung der vorgeschriebenen Dauer der Prüfung festzusetzen. Der Zeitraum zwischen den einzelnen Prüfungsteilen ist möglichst kurz zu halten und darf insgesamt sechs Wochen nicht überschreiten. Die Lehrlingsstelle hat dem Prüfungswerber den festgesetzten Prüfungstermin gemäß § 3 Abs. 2 der zitierten Verordnung spätestens drei Wochen vor diesem Termin schriftlich bekanntzugeben. Im Einzelfall kann im Interesse des Prüfungswerbers diese Frist unterschritten werden.

Wenn die Wiederholung der Prüfung auf Grund der besonderen Bestimmungen für die Lehrabschlussprüfung in dem betreffenden Lehrberuf auf bestimmte Prüfungsgegenstände zu beschränken ist, so hat gemäß § 10 der Allgemeinen Lehrabschlussprüfungsordnung die Prüfungskommission unter Bedachtnahme auf die Leistungen des Prüflings festzulegen, wann innerhalb des Zeitraums von drei bis sechs Monaten nach der nichtbestandenen Lehrabschlussprüfung frühestens die Wiederholungsprüfung abgelegt werden kann. Dies ist vom Vorsitzenden der Prüfungskommission mündlich zu verkünden und in der Prüfungsniederschrift zu vermerken. Dasselbe gilt, wenn die Wiederholung der Prüfung auf Grund der besonderen Bestimmungen für die Lehrabschlussprüfung in dem betreffenden Lehrberuf frühestens nach Ablauf von sechs Monaten erfolgen darf.

Gemäß § 1 der Chemieverfahrenstechnik-Ausbildungsverordnung, BGBl. II Nr. 185/2000 in der für den Beschwerdefall maßgeblichen Fassung, ist der Lehrberuf Chemieverfahrenstechnik mit einer Lehrzeit von dreieinhalb Jahren eingerichtet.

Gemäß § 2 der zitierten Verordnung soll der ausgebildete Lehrling durch die Berufsausbildung im Lehrbetrieb und in der Berufsschule befähigt werden, die näher beschriebenen Tätigkeiten fachgerecht, selbstständig und eigenverantwortlich auszuführen.

Die Lehrabschlussprüfung gliedert sich in eine praktische und in eine theoretische Prüfung. Die praktische Prüfung umfasst die Gegenstände Projektarbeit und Fachgespräch. Die theoretische Prüfung umfasst die Gegenstände Chemie, Technologie und Angewandte Mathematik (§ 4 Abs. 1 bis 3 der Chemieverfahrenstechnik-Ausbildungsverordnung).

Das Fachgespräch ist vor der gesamten Prüfungskommission abzulegen. Das Fachgespräch hat sich aus der praktischen Tätigkeit heraus zu entwickeln. Hiebei ist unter Verwendung von Fachausdrücken das praktische Wissen des Prüflings festzustellen. Der Prüfling hat fachbezogene Probleme und deren Lösungen darzustellen, die für einen Auftrag relevanten fachlichen Hintergründe aufzuzeigen und die Vorgehensweise bei der Ausführung dieses Auftrags zu begründen. Die Prüfung ist in Form eines möglichst lebendigen Gesprächs mit Gesprächsvorgabe durch Schilderung von Situationen oder Problemen zu führen. Die Themenstellung hat dem Zweck der Lehrabschlussprüfung und den Anforderungen der Berufspraxis zu entsprechen. Hiebei sind Prüfstücke, Materialproben, Demonstrationsobjekte, Geräte, Apparate, Zeichnungen oder Schautafeln heranzuziehen. Fragen über einschlägige Sicherheitsvorschriften, Schutzmaßnahmen und Unfallverhütung sowie über einschlägige Umweltschutzmaßnahmen und Entsorgungsmaßnahmen sind miteinzubeziehen. Das Fachgespräch soll für jeden Prüfling 20 Minuten dauern. Es ist nach 30 Minuten zu beenden. Eine Verlängerung um höchstens zehn Minuten hat im Einzelfall zu erfolgen, wenn der Prüfungskommission ansonsten eine zweifelsfreie Bewertung der Leistung des Prüflings nicht möglich ist (§ 6 Chemieverfahrenstechnik-Ausbildungsverordnung).

4. Rechtliche Beurteilung

Der Sohn der Bf. ist am ***Geb.Dat.*** geboren und war im Rückforderungszeitraum Februar 2020 bis März 2021 bereits volljährig.
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 besteht für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet werden oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist, Anspruch auf Familienbeihilfe.

Dass unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung auch das "duale System" der Ausbildung zu einem anerkannten Lehrberuf fällt, ergibt sich auch aus § 5 Abs. 1 lit. b FLAG 1067, wonach Entschädigungen aus einem anerkannten Lehrverhältnis nicht in den einen Anspruch auf Familienbeihilfe verwirkenden Betrag an zu versteuerndem Einkommen zu zählen sind ( mit Hinweis auf ).

Der Sohn der Bf. befand sich im Anspruchszeitraum Jänner 2020 unstrittig noch in Berufsausbildung. Nach den Feststellungen des Finanzamtes wurde die praktische Ausbildung im Betrieb mit vorzeitig beendet. Laut Versicherungsdatenauszug war der Sohn der Bf. bis als Arbeiterlehrling und ist seit bei seinem ehemaligen Lehrbetrieb als Arbeiter beschäftigt.

Im Beschwerdefall erstreckte sich die Berufsausbildung im Lehrberuf Chemieverfahrenstechnik jedenfalls auf die Dauer des Lehrverhältnisses und des Berufsschulbesuches. Für die Zeit der Lehre bis einschließlich Jänner 2020 erfolgte auch keine Rückforderung.

Im vorliegenden Beschwerdefall ist strittig, ob sich der Sohn der Bf. anschließend im hier maßgeblichen Rückforderungszeitraum Februar 2020 bis März 2021 weiterhin in Berufsausbildung befand und damit die Rückforderung der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge für diesen Zeitraum zu Unrecht erfolgte.

Besteht ein Lehrling die Lehrabschlussprüfung nicht, so endet seine Berufsausbildung mit dem Tag der nicht bestandenen Lehrabschlussprüfung. Er steht in keinem Ausbildungsverhältnis mehr, sondern in einem Arbeitsverhältnis, wenn er - wie im vorliegenden Fall - bei seinem ehemaligen Lehrherrn als Arbeitnehmer weiter beschäftigt wird (siehe Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 2 Rz 45 zur Lehrausbildung und das dort angeführte Beispiel).

Um von einer Berufsausbildung sprechen zu können, ist außerhalb des in § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 besonders geregelten Besuchs einer Einrichtung im Sinn des § 3 des Studienförderungsgesetzes nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das ernstliche, zielstrebige und nach außen erkennbare Bemühen um einen Ausbildungserfolg erforderlich. Ziel einer Berufsausbildung in diesem Sinn ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufs zu erlangen. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essenzieller Bestandteil der Berufsausbildung. Berufsausbildung liegt daher nur dann vor, wenn die Absicht zur erfolgreichen Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen gegeben ist (vgl. etwa ).

Zur Qualifikation als Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 kommt es neben dem ernsthaften und zielstrebigen Bemühen jedoch auch darauf an, ob die Ausbildung in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nimmt (, , mwN).

Betreffend dieses quantitative Erfordernis kann in Übereinstimmung mit der in der Literatur vertretenen Ansicht ein dem Begriff der Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 genügender Zeitaufwand generell nur dann vorliegen, wenn ein wöchentlicher Zeitaufwand für Kurse und Vorbereitungszeit von mindestens 30 Stunden anfällt (vgl. Lenneis in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 2 Rz 40). Das Bundesfinanzgericht nimmt bei Schulen für Berufstätige ebenfalls einen erforderlichen wöchentlichen Zeitaufwand von durchschnittlich 20 bis 25 Stunden zuzüglich Hausaufgaben an (vgl. ), insgesamt von mindestens 30 Wochenstunden (vgl. ; "Echtstunden" zu 60 Minuten, ), um von einer Berufsausbildung i.S.d. FLAG 1967 zu sprechen (vgl. ; ).

Das von der Bf. angegebene wöchentliche Zeitausmaß für die Vorbereitung auf die Wiederholungsprüfung von 20 Wochenstunden genügt daher nicht dem für die Annahme einer Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 erforderlichen wöchentlichen Zeitaufwand von mindestens 30 Stunden. Zudem wurde nicht dargelegt, in welchen konkreten Anspruchszeiträumen (Monaten) das angegebene wöchentliche Zeitausmaß tatsächlich im Rückforderungszeitraum erreicht wurde.

Auch nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzgerichtes steht für die bloße Vorbereitung oder für das Warten auf die Lehrabschlussprüfung ohne Berufsschulbesuch mangels überwiegender zeitlicher Auslastung des Kindes Familienbeihilfe nicht zu (, mwN).

Das Finanzamt ist daher im Recht, wenn es davon ausgeht, dass ab Februar 2020 keine Berufsausbildung und sohin kein Anspruch auf Familienbeihilfe nach § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 mehr vorlag.

Aus § 26 Abs. 1 FLAG 1967 ergibt sich eine objektive Erstattungspflicht zu Unrecht bezogener Familienbeihilfe. Subjektive Momente, wie Verschulden, Gutgläubigkeit oder die Verwendung der Familienbeihilfe, sind nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Verpflichtung zur Rückerstattung unrechtmäßiger Beihilfenbezüge irrelevant. Entscheidend ist lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 26 Rz 12 u. 13, mwH auf die VwGH-Judikatur).

Mitteilungen über den Bezug von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag gemäß § 12 FLAG 1967 stehen einer Rückforderung gemäß § 26 FLAG 1967 nicht entgegen. Einer Rückforderung steht auch nicht entgegen, wenn der unrechtmäßige Bezug ausschließlich durch das Finanzamt verursacht worden wäre ().

Fehlt es somit an einem Anspruch auf Familienbeihilfe, ist gemäß § 33 Abs. 3 letzter Satz EStG 1988 in Verbindung mit § 26 Abs. 1 FLAG 1967 auch der Kinderabsetzbetrag zurückzufordern (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2, § 26 Rz 10).

Aus den angeführten Gründen war daher die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

5. Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die (ordentliche) Revision ist im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil keine zu lösende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt. Das Bundesfinanzgericht ist in rechtlicher Hinsicht auch nicht von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100734.2023

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