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Bescheidbeschwerde – Einzel – Beschluss, BFG vom 06.05.2024, RV/7300006/2024

Zurückweisung einer Beschwerde mangels wirksamer Zustellung an den Verfahrenshilfeverteidiger

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7300006/2024-RS1
Wurde der Beschuldigten ein Verfahrenshilfeverteidiger beigegeben, so sind behördliche Erledigungen an diesen zuzustellen, zumal die allgemeine Vollmacht auch die Zustellvollmacht umfasst und gem. § 9 Abs 3 ZustG der Zustellbevollmächtigte als Empfänger zu bezeichnen ist.

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag.Dr. Wolfgang Pagitsch in der Finanzstrafsache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Mag. Stefan Koss, Wassergasse 36, Tür 13, 1030 Wien, über deren Beschwerde vom gegen die Anordnung von Auskünften über Bankkonten und Bankgeschäfte des Vorsitzenden des Spruchsenates Wien W-1 als Organ des Amtes für Betrugsbekämpfung als Finanzstrafbehörde vom , Geschäftszahl ***Zahl1***, Amtsbeauftragte Mag. Kerstin Schantl, beschlossen:

I.) Die Beschwerde wird gem. § 156 Abs. 1 FinStrG als unzulässig zurückgewiesen.

II.) Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Verfahrensgang

Die belangte Behörde ermittelt seit Jahren gegen die Beschwerdeführerin wegen des Verdachtes von Abgabenhinterziehungen nach § 33 Abs. 1 FinStrG im Zusammenhang mit der ihrer Tätigkeit als Geschäftsführerin der ***Firma1*** und als Machthaberin der ***Firma2*** mit Sitz in Hong Kong.

Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführerin ein Verteidiger gem. § 77 Abs. 3 FinStrG beigegeben und am Mag. Stefan Koss hiezu bestellt.

Mit Bescheid vom ordnete der Vorsitzende des Spruchsenates Wien W-1 gem. § 99 Abs. 6 FinStrG an, dass näher bezeichnete Banken zu den angeführten Bankkonten und Bankgeschäfte die gesamten Auskünfte über die Bankeingänge, Korrespondenzen, Aktennotizen und sonstige Aufzeichnungen für den inkriminierten Zeitraum 2011-2018 in elektronischer Form offenzulegen haben.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom Beschwerde und begründete diese im Wesentlichen damit, dass aus dem Inhalt und der Begründung nicht hervorgehe, warum der Zeitraum 2011 bis 2018 inkriminiert sei, zudem eine konkrete Darstellung des Sachverhaltes und Darlegungen zur subjektiven Tatseite fehlen würden, tatsächlich sich das gegenständliche Finanzstrafverfahren auf die Jahre 2011 bis 11/2016 hinsichtlich der Kapitalertragsteuer der ***Firma1*** und hinsichtlich der Einkommensteuer auf die Jahre 2011 bis 2015 beschränke, die Geschäftsführerfunktion der Beschwerdeführerin bereits am gelöscht worden sei und für die Zeiträume 2011 bis 2013 bereits die absolute Verjährung eingetreten sei.

Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde samt wesentlicher Aktenteile dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Am teilte die Beschwerdeführerin auf Anfrage des Gerichtes mit, dass sie den bekämpften Bescheid per E-Mail an ihren Verfahrenshilfeverteidiger gesendet habe und legte dazu Beweise vor. Konfrontiert mit diesen Unterlagen teilte die belangte Behörde am mit, dass sie keine Einwände gegen die beabsichtigte Zurückweisung habe.

Über die Beschwerde wurde erwogen

Festgestellter Sachverhalt

Für das gegenständliche Finanzstrafverfahren mit der Geschäftszahl ***Zahl1*** (vormals Strafnummer ***Zahl2***) wurde der Beschwerdeführerin am ein Verfahrenshilfeverteidiger beigegeben und am hiezu Mag. Stefan Koss bestellt.

Die Anordnung von Auskünften über Bankkonten und Bankgeschäfte vom wurde an die Beschwerdeführerin adressiert und dieser per RSb-Brief zugestellt. Das am hinterlegte Schriftstück wurde am von der Beschwerdeführerin behoben.

Am übermittelte die Beschwerdeführerin die Anordnung von Auskünften über Bankkonten und Bankgeschäfte vom per E-Mail als Anhang im pdf-Format an ihren Verfahrenshilfeverteidiger und bat ihm um Unterstützung.

Am erhob dieser gegenständliche Beschwerde.

Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt wird von den Parteien nicht bestritten und ergibt sich dieser aus den vorgelegten Unterlagen, insbesondere geht aus der E-Mail der Beschwerdeführerin vom an den Verfahrenshilfeverteidiger hervor, dass dieser nicht das Original der Anordnung erhalten hat.

Rechtliche Erwägungen

Zu Spruchpunkt I.)

Gem. § 77 Abs. 3 FinStrG ist in Verfahren, in denen die Durchführung der mündlichen Verhandlung und die Fällung des Erkenntnisses gem. § 58 Abs. 2 einem Spruchsenat obliegt, der Beschuldigte außerstande, ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie, für deren Unterhalt er zu sorgen hat, zu einer einfachen Lebensführung notwendigen Unterhalts die Kosten der Verteidigung zu tragen, so hat die Finanzstrafbehörde auf Antrag des Beschuldigten, wenn und soweit dies im Interesse der Rechtspflege, vor allem im Interesse einer zweckentsprechenden Verteidigung, erforderlich ist, dem Beschuldigten für das gesamte Verfahren oder für einzelne Verfahrenshandlungen einen Verteidiger beizugeben, dessen Kosten er nicht zu tragen hat.

Gem. § 77 Abs. 4 FinStrG hat im Falle, dass ein Verteidiger beizugeben ist, die Finanzstrafbehörde dies der Kammer der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, damit diese einen Steuerberater als Verteidiger bestelle. Von der Bestellung hat die Kammer die Finanzstrafbehörde zu verständigen. Die Verständigung ersetzt die Vollmacht (Köck in Köck/Kalcher/Judmaier/Schmitt, FinStrG, Band 25, § 77 Rz 27).

Durch die Beigebung und Bestellung des Mag. Stefan Koss als Verfahrenshilfeverteidiger war dieser berechtigt bzw. verpflichtet die Beschwerdeführerin im gegenständlichen Finanzstrafverfahren zu vertreten. Wie die belangte Behörde in ihrem Vorlagebericht richtig ausgeführt hat, gehört zum Spruchsenatsverfahren auch das vorgelagerte Ermittlungsverfahren und ist daher die möglicherweise missverständliche Formulierung im Bescheid vom nach Ansicht des Gerichtes so zu verstehen, dass sich die Beigebung auf das gesamte weitere verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren bezogen hat und nicht für einzelne Verfahrenshandlungen eingeschränkt wurde. Nach der Aktenlage liegt auch kein Hinweis dafür vor, dass die Beigabe des Verteidigers nach § 77 Abs 7 FinStrG widerrufen worden wäre.

Gem. § 77 Abs 2 FinStrG gelten die Vorschriften der BAO über die Bevollmächtigung auch für das verwaltungsbehördliche Finanzstrafverfahren mit Ausnahme des § 83 Abs 4 BAO sinngemäß.

Die Bevollmächtigung muss im jeweiligen Verfahren geltend gemacht werden (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 9 ZustG Tz 19). Eine allgemeine Vollmacht umfasst nach der ständigen Rspr. des VwGH auch die Zustellungsbevollmächtigung (; ; ; ). Dies gilt auch dann, wenn sich ein Vertreter auf die ihm erteilte Vollmacht beruft (; ). In Bezug auf die Zustellung von Entscheidungen steht der nach § 77 Abs 3 FinStrG beigegebene Verteidiger einem bevollmächtigten Vertreter gleich (; ). Daraus ergibt sich für den gegenständlichen Fall, dass der beigegebene Verfahrenshilfeverteidiger auch Zustellbevollmächtigter ist.

Gem. 56 Abs. 2 erster Satz FinStrG gelten für Anbringen, Niederschriften, Aktenvermerke, Vorladungen, Erledigungen, Fristen sowie Zwangs- und Ordnungsstrafen, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt, die Bestimmungen des 3. Abschnittes sowie § 114 Abs. 3 der Bundesabgabenordnung sinngemäß.

Gem. 56 Abs. 3 erster Satz FinStrG gelten für Zustellungen das Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982, und sinngemäß die Bestimmungen des 3. Abschnittes der Bundesabgabenordnung.

Gem. § 97 Abs. 1 erster Satz BAO werden Erledigungen dadurch wirksam, dass sie demjenigen bekanntgegeben werden, für den sie ihrem Inhalt nach bestimmt sind. Die Bekanntgabe erfolgt gem. § 97 Abs. 1 lit a BAO bei schriftlichen Erledigungen grundsätzlich durch Zustellung.

Ist ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt, so hat die Behörde gem. § 9 Abs. 3 ZustG, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, diesen als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Bei aufrechter Zustellbevollmächtigung kann daher nicht rechtswirksam an die Partei selbst zugestellt werden. Die Zustellung hat stattdessen an den Zustellbevollmächtigten zu erfolgen (), dabei reicht laut Judikatur die Adressierung an die Verfahrenspartei zu Handen des Zustellbevollmächtigten ().

Eine Adressierung und Zustellung einer Erledigung an den Vollmachtgeber, obwohl eine aufrechte Zustellvollmacht besteht, hat die Wirkung, dass die Zustellung rechtsunwirksam ist ().

Eine Sanierung ist jedoch nach § 9 Abs. 3 zweiter Satz ZustG möglich, wonach die Zustellung als in dem Zeitpunkt bewirkt gilt, in dem das Dokument dem Zustellungsbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist. Ein tatsächliches Zukommen setzt somit voraus, dass der Empfänger tatsächlich in den Besitz des zuzustellenden Schriftstückes gelangt, ihm somit die Erledigung im Original zukommt (vgl. zB ). Nicht ausreichend ist hingegen die bloße Kenntnis vom Vorhandensein und vom Inhalt des Dokuments, etwa infolge der Empfangnahme einer Ablichtung, der eigenständigen Anfertigung einer Kopie oder durch Akteneinsicht (vgl. ; ; ; Ritz/Koran, BAO7, § 7 ZustG Tz 7, mwN).

Gegenständlich wurde festgestellt, dass die belangte Behörde die Anordnung von Auskünften über Bankkonten und Bankgeschäfte vom direkt der Beschwerdeführerin (=Vollmachtgeberin) zugestellt und diese als Empfängerin des Schriftstückes bezeichnet hat. Diese Vorgehensweise hatte zur Folge, dass die Zustellung an die Beschwerdeführerin nicht wirksam wurde (vgl. ).

Eine Sanierung des Zustellmangels nach § 9 Abs. 3 zweiter Satz ZustG ist nicht erfolgt, da dem Verfahrenshilfeverteidiger das Original der Anordnung von Auskünften über Bankkonten und Bankgeschäfte vom nicht tatsächlich zugekommen ist, zumal entsprechend der oben zitierten Judikatur die Übermittlung des Dokumentes per E-Mail als pdf-Dokument ebenso wenig ausreicht ist als die Einbringung eines Rechtsmittels durch den zustellbevollmächtigten Vertreter ("keine Heilung durch Einlassung", vgl. ; ; ).

Auch wenn dieser Zustellmangel in der Beschwerde nicht aufgegriffen wurde, war die Wirksamkeit des Bescheides als Prozessvoraussetzung vom Verwaltungsgericht eigenständig zu prüfen, zumal im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht keine Bindung an Beschwerdepunkte besteht ().

Gem. § 156 Abs. 1 FinStrG hat die Finanzstrafbehörde eine Beschwerde, die gegen ein von ihr erlassenes Erkenntnis (einen Bescheid) oder gegen die Ausübung unmittelbarer finanzstrafbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder wegen Verletzung der Entscheidungspflicht eingebracht worden ist, durch Bescheid zurückzuweisen, wenn die Beschwerde nicht zulässig ist oder nicht fristgerecht eingebracht wurde.

Gem. § 156 Abs. 4 FinStrG hat das Bundesfinanzgericht zunächst zu prüfen, ob ein von der Finanzstrafbehörde nicht aufgegriffener Grund zur Zurückweisung oder für einen Auftrag zur Mängelbehebung vorliegt, und hat erforderlichenfalls selbst sinngemäß nach den Abs. 1 und 2 mit Beschluss vorzugehen.

Da die angefochtene Anordnung von Auskünften über Bankkonten und Bankgeschäfte vom mangels rechtswirksamer Zustellung an die Beschwerdeführerin dieser gegenüber rechtlich nicht existent geworden ist, war die dagegen erhobene Bescheidbeschwerde als unzulässig zurückzuweisen (; ).

Gem. § 160 Abs. 2 lit d FinStrG konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da sich die Beschwerde nicht gegen ein Erkenntnis richtet und keine Partei die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II.)

Gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Beschwerdefall wurden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Im Hinblick auf die Rechtsfolgen einer rechtsunwirksamen Bescheidzustellung konnte sich das Bundesfinanzgericht auf die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stützen. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Finanzstrafrecht Verfahrensrecht
betroffene Normen
§ 77 Abs. 3 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
§ 97 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 3 ZustG, Zustellgesetz, BGBl. Nr. 200/1982
§ 156 Abs. 1 FinStrG, Finanzstrafgesetz, BGBl. Nr. 129/1958
Schlagworte
Zustellvollmacht
Verfahrenshilfeverteidiger
E-Mail-Weiterleitung
Zustellung
Verweise




ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7300006.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at