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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 09.04.2024, RV/7105211/2018

Die entgeltliche Überlassung einer Patientenkartei an den Ordinationsnachfolger ist – mangels Vorliegen von Befreiungstatbeständen – umsatzsteuerpflichtig

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7105211/2018-RS1
Der Verkauf eines Patientenstockes ist eine steuerpflichtige sonstige Leistung, weil der Zweck der Weitergabe der Patientendaten in der Fortführung der Ordination liegt und folglich keine gemäß § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 befreite Heilbehandlung iSd ÄrtzeG darstellt. Es liegt auch kein befreites Hilfsgeschäft vor, weil nach § 6 Abs. 1 Z 26 UStG 1994 nur die Lieferung von Gegenständen und nicht die hier vorliegende sonstige Leistung befreit ist.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Ri in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***1***, vertreten durch ECOVIS Scholler & Partner Wirtschaftstreuhand GmbH, Steuerberatungsgesellschaft, Schmalzhofgasse 4 Tür 12, 1060 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Waldviertel (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Umsatzsteuerfestsetzung 04.2017, die gemäß § 253 BAO nunmehr gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid für das Jahr 2017 vom gerichtet ist, Steuernummer ***BF1StNr1***

zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Bei der beschwerdeführenden Partei (Bf) führte die Abgabenbehörde im Jahr 2017 eine Außenprüfung durch. Bei dieser wurde festgestellt, dass die Bf mit ihre Arztpraxis aufgegeben und ihrem Nachfolger Herrn GW für 30.000,00 € ihre Patientenkartei verkauft hat.

Mit Bescheid vom wurde folglich entsprechend der Feststellungen der Außenprüfung die Veräußerung der Patientenkartei als steuerpflichtiger Umsatz in Höhe von 25.000,00 € erfasst.

Dagegen erhob die Bf am das Rechtsmittel der Beschwerde. Sie brachte vor, dass die Veräußerung der Patientenkartei der Befreiung nach § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 oder allenfalls § 6 Abs. 1 Z 26 UStG 1994 unterliege.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die Abgabenbehörde die Beschwerde als unbegründet ab, da keiner der beiden Befreiungstatbestände vorliege.

Mit Vorlageantrag vom beantragte die Bf innerhalb offener Rechtsmittelfrist die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht. Weitere Ausführungen machte die Bf darin nicht. Die Abgabenbehörde legte die Beschwerde am dem Bundesfinanzgericht vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

Am erging der Umsatzsteuerjahresbescheid 2017. Darin wurde die gegenständliche Veräußerung des Patientenstocks von der Abgabenbehörde wiederum als steuerbarer Umsatz in Höhe von 25.000,00 € erfasst.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Die Bf war Ärztin für Allgemeinmedizin und hat an der Adresse Adresse, eine Arztpraxis betrieben. Sie hat ihren Betrieb mit Ablauf des aufgegeben. Ihre Praxis wurde von Herrn GW übernommen. Am hat die Bf ihre Patientenkartei an Herrn GW um 30.000,00 € verkauft.

2. Beweiswürdigung

Der Verkauf sowie der Kaufpreis der Patientenkartei ergeben sich aus der vorgelegten Rechnung der Bf vom . Der festgestellte Sachverhalt ist darüber hinaus zwischen der Bf und der Abgabenbehörde unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Im gegenständlichen Beschwerdeverfahren ist strittig, ob der Verkauf der Patientenkartei durch die Bf steuerpflichtig ist oder unter die Steuerbefreiung des § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 und in eventu § 6 Abs. 1 Z 26 UStG 1994 fällt.

1. Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994

Gemäß § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 sind von den unter § 1 Abs. 1 Z 1 UStG 1994 fallenden Umsätzen, die Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die (insbesondere) im Rahmen der Tätigkeit als Arzt durchgeführt werden, steuerfrei.

Diese Bestimmung beruht auf Art. 132 Abs. 1 lit c und lit f der Mehrwertsteuersystem-RL, wonach Umsätze aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden, von der Steuer befreit sind. Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes Leistungen, die der Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (, RS C-106/05). Sie werden zu dem Zweck erbracht, die menschliche Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (, ). Auch ärztliche Leistungen, die zum Zweck der Vorbeugung von Krankheiten erbracht werden, zählen zu Heilbehandlungen (). Der Verwaltungsgerichtshof vertritt zu § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 ausgehend davon in richtlinienkonformer Auslegung, dass nur solche Tätigkeiten von der Steuerbefreiung erfasst sind, die durch das Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) abgedeckt sind (). § 2 Abs. 2 ÄrzteG 1998 normiert, dass die Ausübung des ärztlichen Berufes jede auf medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen begründete Tätigkeit umfasst, die unmittelbar am Menschen oder mittelbar für den Menschen ausgeführt wird und führt im Folgenden demonstrativ Tätigkeiten an, welche darunter zu verstehen sind. Es ist daher davon auszugehen, dass diese Bestimmung die Kerntätigkeiten eines Arztes umschreibt und daher den eigentlichen Gegenstand des ärztlichen Unternehmens (Grundgeschäfte) bildet. Davon abzugrenzen sind jene (Hilfs-)Geschäfte, die der Unternehmer zur Förderung, Aufrechterhaltung und Fortführung sowie zur allfälligen Auflösung des Unternehmens tätigt ().

Ausgehend davon fällt die Veräußerung gesammelter Patienteninformationen in Form einer Patientenkartei nicht in den Kernbereich der Arzttätigkeit, sondern stellt ein Hilfsgeschäft dar. Daher ist dem Vorbringen in der Beschwerde, in dem auf den Artikel von Beiser in SWK 17/2014, 798, verwiesen wird, dass der Informationsaustausch zwischen Ärzten über ihre im Rahmen der ärztlichen Heilbehandlung gewonnen Erkenntnisse, unmittelbar der Heilbehandlung der Patienten diene, nicht zu folgen.

Der vorliegende Umsatz ist daher nicht nach § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 steuerfrei, weil es sich um keinen Umsatz aus Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Tätigkeit als Arzt durchgeführt werden, handelt, sondern um ein nicht steuerfreies Hilfsgeschäft.

2. Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 26 UStG 1994

Nach § 6 Abs. 1 Z 26 UStG 1994 sind von den unter § 1 Abs. 1 Z 1 fallenden Umsätzen die Lieferungen von Gegenständen, wenn der Unternehmer für diese Gegenstände keinen Vorsteuerabzug vornehmen konnte und die gelieferten Gegenstände ausschließlich für eine nach den Z 7 bis 25 steuerfreie Tätigkeit verwendet hat, steuerfrei.

Somit können Hilfsgeschäfte, die nicht nach § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 befreit sind, unter Umständen nach § 6 Abs. 1 Z 26 UStG 1994 steuerfrei sein. Dieser Befreiungstatbestand setzt jedoch die Lieferung eines Gegenstandes voraus.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis, , ausgesprochen, dass im Hinblick auf das Urteil des Europäischen Gerichthofes in der Rechtssache Swiss Re, die Übertragung eines Kundenstockes als sonstige Leistung und nicht als Lieferung zu beurteilen ist (Rattinger in Melhardt/Tumpel, UStG3 § 6 Rz 647, zuvor bereits , ): Der wirtschaftliche Gehalt des Kaufes einer Patientenkartei liegt zweifellos im Erwerb von Informationen über Patienten. Der Umsatz, welcher sich aus dem Verkauf eines nicht körperlichen Gegenstandes ergibt, stellt daher einen Umsatz aus einer Dienstleistung dar.

Da somit keine Lieferung eines Gegenstandes erfolgt ist, ist der Befreiungstatbestand gemäß § 6 Abs. 1 Z 26 UStG 1994 nicht gegeben.

3. Conclusio

Da weder die Steuerbefreiung nach § 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994 noch nach § 6 Abs. 1 Z 26 UStG 1994 zu bejahen ist, liegt ein umsatzsteuerpflichtiger Umsatz vor. Die Abgabenbehörde hat damit zu Recht den Nettobetrag von 25.000,00 € der Umsatzsteuer unterworfen. Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Das vorliegende Erkenntnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere mit dem Erkenntnis vom , Ra 2018/15/0078.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 6 Abs. 1 Z 19 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
§ 6 Abs. 1 Z 26 UStG 1994, Umsatzsteuergesetz 1994, BGBl. Nr. 663/1994
§ 2 Abs. 2 ÄrzteG 1998, Ärztegesetz 1998, BGBl. I Nr. 169/1998
Schlagworte
Verkauf Patientenkartei eines Arztes
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin
Verweise









Zitiert/besprochen in
Müller-Dobler in
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7105211.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at