zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 22.04.2024, RV/7104190/2020

Haftung diverse Abgaben, kein Gläubigergleichbehandlungsnachweis, fehlende liquide Mittel

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch ***Vertreter***, über die Beschwerde vom 7. Oktober2019 gegen den Haftungsbescheid des ***FA*** vom zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.

Der Haftungsbetrag reduziert sich von EUR 18.638,76 auf EUR 11.744,27.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Vorhalt vom wurde der Beschwerdeführer über eine mögliche Haftung gem § 9 iVm § 80 BAO betreffend offene Abgabenschulden der ***1*** (Primärschuldnerin) informiert. In diesem Vorhalt wurde der Beschwerdeführer insbesondere auf die Möglichkeit des Nachweises der Gläubigergleichbehandlung hingewiesen, um gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nachzuweisen, dass den Geschäftsführer kein Verschulden an der Nichtentrichtung der Abgaben trifft, falls die Gesellschaft im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben nicht über ausreichend liquide Mitteln verfügt hätte, um die ausständigen Abgabenschulden zur Gänze zu tilgen.

Mit Schreiben vom übermittelte der Beschwerdeführer zahlreiche Unterlagen, ohne aber die von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geforderten Gläubigergleichbehandlungsnachweise zu erbringen.

Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer für offene Abgabenschulden der Primärschuldnerin iHv EUR 18.638,76 zur Haftung herangezogen.

Mit Schreiben vom erhob der Beschwerdeführer Beschwerde gegen den Haftungsbescheid vom . Als Begründung führt die Beschwerde an, dass durch die der Beschwerde beigeschlossenen Bankkontoauszüge Gläubigergleichbehandlung nachgewiesen werden konnte. Zudem sei für die streitgegenständlichen Abgaben die Festsetzungsverjährung eingetreten, da die fünfjährige Verjährungsfrist abgelaufen sei und keine Verlängerungshandlungen gesetzt worden seien.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. Als Begründung führt die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass der Gläubigergleichbehandlungsnachweis durch die vorgelegten Bankkontoauszüge nicht erbracht wurde. Verjährung sei nicht eingetreten, da im vorliegenden Fall die Einhebungsverjährung des § 238 BAO maßgeblich sei und diverse nach außen erkennbare Amtshandlungen (z.B. Haftungsvorhalt vom , Begehungen durch Außendienst , .2014 und ) vorliegen.

Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Vorlage der Beschwerde vor das Bundesfinanzgericht. Eine Gläubigergleichbehandlung könne durch den beigelegten Bankkontoauszug nachgewiesen werden. Außerdem sei das Bankkonto am gelöscht worden, weshalb für den Zeitraum bis keine Bankauszüge existieren würden. Außerdem sei entgegen der Ansicht des Finanzamts die Festsetzungsverjährung gem §§ 207 bis 209 BAO im vorliegenden Fall einschlägig, zumal Haftungsbescheide nur bei noch nicht verjährten Abgaben der primären Steuerschuldnerin zulässig seien.

Im vorliegenden Sachverhalt sei ein außergerichtlicher Vergleich vorgenommen worden. Die Hauptschuldnerin, ***Bank***, habe auf einen wesentlichen Teil ihrer Forderungen verzichtet, weshalb auch bei einer nur teilweisen Tilgung der Abgabenverbindlichkeiten keine benachteiligende Gläubigerungleichbehandlung und damit verbunden auch kein schuldhaftes Verhalten des Vertreters im gegebenen Sachverhalt vorliegt. Außerdem sei die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Haftungspflichtigen nicht beim Ermessen berücksichtigt worden. Er verfüge nur über die Mindestpension in amtsbekannter Höhe, weshalb der Grundsatz der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit der Vollziehung gegen die Erlassung des Haftungsbescheides spricht.

Am fand ein Erörterungstermin statt bei dem die Sach- und Rechtslage mit den beiden Parteien besprochen wurde. Anlässlich dieses Erörterungstermin zog der Beschwerdeführer seinen Antrag auf mündliche Verhandlung und Entscheidung durch den Senat zurück. Daher konnte das Verfahren als Einzelrichterverfahren fortgesetzt werden.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer für die folgenden aushaftenden Abgabenbeträge der "***1*** zur Haftung herangezogen.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
Betrag
Fälligkeit
Umsatzsteuer
03/2012
12.815,49
Säumniszuschlag 1
2012
477,60
Körperschaftsteuer
07-09/2012
437,00
Stundungszinsen
2012
91,81
Körperschaftsteuer
10-12/2012
439,00
Umsatzsteuer
10/2012
1.626,63
Säumniszuschlag 2
2012
128,37
Säumniszuschlag 3
2012
128,15
Körperschaftsteuer
2012
1.492,00
Säumniszuschlag 1
2014
326,22
Pfändungsgebühr
2014
397,10
Barauslagenersatz
2014
7,54
Säumniszuschlag 2
2014
163,11
Säumniszuschlag 1
2014
108,74
Summe
18.638,76

Der Beschwerdeführer war ab dem Geschäftsführer der Primärschuldnerin. Ab dem war er als Liquidator der Gesellschaft im Firmenbuch eingetragen.

Die Primärschuldnerin wurde am aus dem Firmenbuch gelöscht. Zuvor hatte das Finanzamt am eine steuerliche Unbedenklichkeitsbescheinigung ausgestellt, in der bestätigt wurde, dass gegen die Löschung der Primärschuldnerin keine steuerlichen Bedenken bestehen.

Ab dem standen dem Beschwerdeführer als Geschäftsführer der Primärschuldnerin liquide Mittel von EUR 623,00 zur Verfügung.

Hinsichtlich der in Haftung gezogenen Abgaben ist die Festsetzungsverjährung gem § 238 BAO nicht eingetreten, da beispielweise durch den Haftungsvorhalt vom gemäß § 238 Abs 2 BAO die Verjährungsfrist von 5 Jahren unterbrochen wurde und neu zu laufen begann.

2. Beweiswürdigung

Die Haftungsbeträge ergeben sich unstrittig aus dem Haftungsbescheid vom . Die jeweiligen Fälligkeitstage der Abgaben ergeben sich unzweifelhaft aus dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin.

Die Stellung des Beschwerdeführers als Geschäftsführer und Liquidator ergibt sich unzweifelhaft aus dem amtlichen Firmenbuchauszug.

Auch die Löschung der Primärschuldnerin ergibt sich unzweifelhaft aus dem amtlichen Firmenbuchauszug.

Die Unbedenklichkeitsbescheinigung wurde dem Bundesfinanzgericht im Rahmen des Erörterungstermins übergeben. Ihr Inhalt ergibt sich eindeutig aus dem Wortlaut des Dokuments.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer ab dem lediglich liquide Mitteln von EUR 623,00 zur Verfügung standen, ergibt sich aus den folgenden Umständen. Zum einen wurde das Bankkonto bei der Hausbank der Primärschuldnerin zum Zeitpunkt geschlossen. Zum anderen weisen die beim Firmenbuch offengelegten Bilanzen zum und für die kommenden Jahre bei der Bilanzposition "Kassabestand, Schecks und Guthaben bei Kreditinstituten" einen Stand von EUR 623,00 aus. Da es ansonsten keine Hinweise auf weitere liquide Mitteln bei der Primärschuldnerin gab, konnte das Bundesfinanzgericht diese Feststellung treffen.

Für die Fälligkeitszeitpunkte vor dem konnte vom Beschwerdeführer kein konsistenter Nachweis im Rahmen des Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht hinsichtlich der liquiden Mitteln erbracht werden. Daher konnten vom Bundesfinanzgericht für diese Fälligkeitszeitpunkte keine entsprechenden Feststellungen getroffen werden.

Die Feststellung zur Verjährung ergibt sich unzweifelhaft aus dem Akt.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Die Haftungsbestimmung des § 9 Abs 1 BAO lautet wie folgt:

"Die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter haften neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können."

Damit eine Person nach diesen Bestimmungen zur Haftung für eine fremde Abgabenschuld herangezogen werden kann, müssen daher die folgenden Tatbestandsmerkmale erfüllt sein:

1. Persönlicher Anwendungsbereich - Vertreter iSd §§ 80ff BAO

2. Bestehen einer Abgabenschuld

3. Uneinbringlichkeit der Abgabe

4. Schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher oder sonstiger Pflichten durch den Vertreter

5. Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit der Abgabe

Persönlicher Anwendungsbereich - Vertreter iSd §§ 80ff BAO

Wie im Sachverhaltsteil festgestellt war der Beschwerdeführer unstrittig Geschäftsführer der Primärschuldnerin im Zeitpunkt, in dem die in Haftung gezogenen Abgaben fällig waren, und gehört damit zu dem in § 80 Abs 1 BAO angeführten Personenkreis. Er kann daher gemäß § 9 BAO grundsätzlich zur Haftung für ausständige Abgabenrückstände herangezogen werden.

Bestehen einer Abgabenschuld

Das Bestehen des Abgabenanspruchs ist zwischen den Parteien unstrittig und ergibt sich auch klar aus dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin.

Daher geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass die Abgabenschuld gegenüber der Primärschuldnerin bestanden hat.

Uneinbringlichkeit der Abgaben

Ein Geschäftsführer kann gem § 9 BAO nur zur Haftung herangezogen werden, wenn die Abgabe bei der Primärschuldnerin im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme uneinbringlich ist.

Der Haftungsbescheid wurde am erlassen.

Zu diesem Zeitpunkt war die Primärschuldnerin bereits aus dem Firmenbuch gelöscht.

Da im Zeitpunkt der Geltendmachung der Haftung die Gesellschaft bereits aus dem Firmenbuch gelöscht war, steht fest, dass die ausständigen Abgaben bei der Primärschuldnerin uneinbringlich sind und dieses Tatbestandsmerkmal daher erfüllt ist.

Schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher oder sonstigen Pflichten durch den Vertreter

Allgemeine Rechtslage/erhöhte Mitwirkungspflicht des Vertreters

Gem § 80 Abs 1 BAO haben die Vertreter von juristischen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Die vorgeschriebenen und schlussendlich im Haftungsbescheid genannten Abgaben sind nicht zum Fälligkeitszeitpunkt entrichtet worden.

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH besteht bei der Frage, ob der Vertreter schuldhaft eine Abgabenpflicht verletzt hat, eine qualifizierte Mitwirkungspflicht des Vertreters. Der Vertreter hat dabei darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten nicht möglich war. Andernfalls kann eine schuldhafte Pflichtverletzung angenommen werden (vgl zB , 2011/16/0184; , 2013/16/0166; , 2013/16/0208; , 2013/16/0016). In diesem Zusammenhang muss der Vertreter allerdings keinen negativen Beweis dafür vorbringen, dass keine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegt, sondern lediglich eine konkrete, schlüssige Darstellung der Gründe, die einer rechtzeitigen Abgabenentrichtung im Zeitpunkt der Fälligkeit der Abgaben entgegengestanden sind (vgl zB , 89/13/0212; , 2005/17/0259).

Die Haftung kann in diesem Zusammenhang insbesondere dann begrenzt werden, wenn der Haftungspflichtige nachweist, dass ihm im Haftungszeitraum nicht ausreichend liquide Mittel zur Verfügung gestanden sind und er den Abgabengläubiger nicht schlechter behandelt hat (sogenannter Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung).

Nachweis der Gläubigergleichbehandlung

Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann die fehlende Benachteiligung des Abgabengläubigers nur dann nachgewiesen werden, wenn die liquiden Mittel im Haftungszeitraum zu keiner Zeit ausreichten, um sämtliche fällige Verbindlichkeiten zu tilgen. Im Abgabenrecht gilt der Grundsatz der vollständigen Mittelausschüttung. Der Vertreter handelt schuldhaft, wenn die Primärschuldnerin über Mittel verfügt hätte, um sämtliche fällige Verbindlichkeiten zu bedienen und die Abgaben dennoch nicht vollständig bezahlt wurden. Reichen diese Mittel nicht aus, kann allerdings ein Gleichbehandlungsnachweis angetreten werden (vgl eine übersichtliche Darstellung der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 682ff).

Erbringt der Vertreter den Nachweis, dass der Abgabengläubiger ebenso viel an vorhandenen Mitteln erhalten hat, wie andere Gläubiger, dann haftet er überhaupt nicht (vgl ). Dabei ist nachzuweisen, dass kein einziger Gläubiger dem Abgabengläubiger vorgezogen wurde (vgl ; ; 2002/13/0196; , 98/14/0082). Es ist daher nicht darzustellen, dass der Abgabengläubiger nicht weniger als der Durchschnitt der Gläubiger bekommen hat, sondern dass kein anderer Gläubiger mehr als der Abgabengläubiger erhalten hat. Wird also ein einziger Gläubiger (z.B. ausstehende Löhne, Lieferanten, Bankverbindlichkeiten, Zug-um-Zug-Geschäfte etc) voll bezahlt, liegt eine Schlechterstellung des Abgabegläubigers iSd Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor (vgl ; , 2001/14/0126; , 2003/13/0111; , 2008/15/0085; ,89/14/0132; , 93/17/0051). In diesem Zusammenhang ist es nicht relevant, dass solche Zahlungen betriebsnotwendig waren (). Tilgt der Vertreter andere Verbindlichkeiten voll oder in einem höheren Ausmaß, dann ist der Abgabengläubiger im gleichen Ausmaß zu befriedigen.

Ein solcher Nachweis konnte vom Beschwerdeführer im vorliegenden Fall nicht erbracht werden. Vielmehr ergibt sich aufgrund der Aktenlage, dass andere Gläubiger (z.B. Rechtsanwalt, Immobilienmarkler) zur Gänze befriedigt wurden, während Abgabenschulden nur teilweise bedient wurden.

Nachweis einer fiktiven Gläubigergleichbehandlungsquote

Gelingt dem zur Haftung herangezogenen Vertreter der Nachweis nicht, dass er sämtliche Gläubiger im Zeitpunkt der Fälligkeit der in Haftung gezogenen Abgabenschuld tatsächlich gleichbehandelt hat (alle Gläubiger haben dieselbe Quote erhalten), besteht in einem zweiten Schritt die Möglichkeit eine fiktive Quote nachzuweisen, die der Abgabengläubiger erhalten hätte, wenn sämtliche Gläubiger aus den vorhandenen Mitteln gleich befriedigt worden wären. Im Rahmen der Haftung des § 9 BAO haftet der Vertreter nämlich nicht für die volle Abgabenschuld der Primärschuldnerin, sondern nur in jenem Ausmaß in dem der Abgabengläubiger ungleich behandelt wurde (vgl zB ).

Bei der Berechnung der Quote obliegt dem Vertreter eine qualifizierte Mitwirkungspflicht. Er hat die fiktive Gleichbehandlungsquote zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu berechnen und diese entsprechend nachzuweisen.

Beim Nachweis der fiktiven Quote spielen die Zahlungen an andere Gläubiger keine Rolle. Die fiktive Gleichbehandlungsquote betrachtet nur, wie viel an Abgabenschulden getilgt worden wären, wenn der Vertreter die vorhandenen Mittel gleichmäßig auf alle Verbindlichkeiten verteilt hätte. Diese Quote ist dann der Quote der tatsächlich bezahlten Abgabenschulden gegenüberzustellen. Für den Differenzbetrag haftet der Vertreter (vgl Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 683).

Bei der Berechnung der Quote hat der Vertreter für den Gleichbehandlungsnachweis, zum jeweiligen Fälligkeitstag der Abgaben die fälligen Verbindlichkeiten und liquiden Mitteln gegenüberzustellen (vgl zB ). Mit anderen Worten sind daher der Betrag der liquiden Mitteln durch den Betrag der fälligen Verbindlichkeiten zu dividieren. Bei dieser Betrachtung wären gegebenenfalls auch später eingehenden liquide Mittel zu berücksichtigen (vgl ), wobei die Quote, die sich aus den liquiden Mitteln zum jeweiligen Fälligkeitstag ergibt, die Untergrenze für die Haftung darstellt. Später eingehende liquide Mittel können den Haftungsbetrag nur erhöhen.

Gelingt dem Vertreter der Nachweis einer entsprechenden Quote, haftet er lediglich im Ausmaß der Quote. Wird keine Quote nachgewiesen haftet der Vertreter für die vollen Abgabenrückstände (vgl Lachmayer, Einzelfragen zur Haftung gem § 9 BAO, RdW 2023, 683).

Im vorliegenden Fall konnte vom Beschwerdeführer kein Nachweis einer fiktiven Gläubigergleichbehandlungsquote erbracht werden. Der Beschwerdeführer brachte zwar beispielsweise Bankkontoauszüge und andere Unterlagen vor, aber ohne die geforderte Quotenberechnung auf Basis belastbarer Buchhaltungsunterlagen durchzuführen.

Im Rahmen des Erörterungstermins am wurde die Sach- und Rechtslage nochmals mit dem Beschwerdeführer durchbesprochen. Dabei ist der Richter die Unterlagen mit dem Beschwerdeführer und seinem Vertreter nochmals im Detail durchgegangen. Allerdings war es auf Basis der verfügbaren Unterlagen nicht möglich eine belastbare, fiktive Gleichbehandlungsquote zu den jeweiligen Fälligkeitstagen der Abgaben zu ermitteln, die den Anforderungen der höchstgerichtlichen Judikatur genügt hätte.

Aus diesem Grund ist davon auszugehen, dass die Abgaben, die bis zum fällig waren, schuldhaft nicht entrichtet wurden.

Anders gelagert ist der Fall für Abgaben die nach dem fällig waren. Zu diesem Zeitpunkt standen dem Geschäftsführer wie festgestellt lediglich liquide Mitteln von EUR 623,00 zur Verfügung. Somit war er nicht in der Lage, die ab diesem Zeitpunkt fällig gewordenen Abgaben in vollem Umfang zu entrichten.

In diesem Fall hat eine Aufteilung dieses Betrages zu erfolgen, da sich auch im Falle einer Einstellung der Zahlungen gegenüber sämtlichen Gläubigern für den Beschwerdeführer nichts gewinnen lässt, weil damit das Gebot quotenmäßiger Befriedigung der offenen Forderungen insoweit nicht beachtet wurde, als keinem der Gesellschaftsgläubiger auch nur anteilig Zahlung geleistet wurde. Mit dieser Vorgangsweise verletzte der Beschwerdeführer nämlich die dem Abgabengläubiger gegenüber bestehende Pflicht zur zumindest anteiligen Tilgung der Abgabenforderungen ().

Die EUR 623,00 waren somit wie folgt aliquot auf die einzelnen Abgaben zu verteilen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
urspr. Betrag
neuer Betrag
Fälligkeit
Säumniszuschlag 2
2012
128,37
29,07
Säumniszuschlag 3
2012
128,15
29,07
Körperschaftsteuer
2012
1.492,00
337,83
Säumniszuschlag 1
2014
326,22
73,86
Pfändungsgebühr
2014
397,10
89,91
Barauslagenersatz
2014
7,54
1,71
Säumniszuschlag 2
2014
163,11
36,93
Säumniszuschlag 1
2014
108,74
24,62
Summe
2.751,23
623,00

Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Uneinbringlichkeit der Abgabe

Die Haftungsinanspruchnahme setzt eine Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung und dem Abgabenausfall voraus.

Wie im Vorpunkt dargestellt, geht das Bundesfinanzgericht auf Basis der Aktenlagen und mangels anderer Vorbringen des Beschwerdeführers davon aus, dass er seine abgabenrechtlichen Pflichten als Geschäftsführer für Abgaben schuldhaft verletzt hat. Nach der Judikatur des VwGH spricht bei schuldhafter Pflichtverletzung die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgabe. (vgl zB , 2012/16/0001; , 2013/16/0016; , Ra 2020/13/0027). Da der Beschwerdeführer auch in diesem Zusammenhang keine gegenteiligen Nachweise vorlegen konnte, geht das Bundesfinanzgericht der ständigen Rechtsprechung des VwGH folgend von einer Kausalität zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Beschwerdeführers und der Uneinbringlichkeit der Abgabe aus.

Zusammenfassend kann somit festgehalten werden, dass alle Tatbestandsmerkmale der anwendbaren Haftungsbestimmung im vorliegenden Fall erfüllt sind.

Ermessen

Wenn alle Tatbestandsmerkmale für eine Haftung erfüllt sind, liegt die Inanspruchnahme eines zur Haftung Verpflichteten schlussendlich im Ermessen der Abgabenbehörde. Die Ermessensentscheidung der Abgabenbehörde hat sich gem § 20 BAO innerhalb der Grenzen zu halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen (vgl ; , 91/13/0181; , 99/13/0060).

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes ist eine Erwägung, die in diese Ermessensübung miteinzubeziehen ist, ein langer Zeitabstand zwischen der Haftungsinanspruchnahme des Vertreters und dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Feststehen der Uneinbringlichkeit der Forderung bei der Primärschuldnerin (vgl zB ; Ra 2019/13/0066; , Ra 2021/13/0132; , 91/13/0037; , Ra 2015/16/0044; , Ra 2015/16/0044; ; ).

Im vorliegenden Fall liegen für die Abgaben, die bis zum fällig waren, und der schlussendlichen Haftungsinanspruchnahme mit Bescheid vom fast sieben Jahre. Dieser Zeitraum übersteigt die reguläre Vollstreckungsverjährung von 5 Jahren gem § 238 BAO. Aufgrund der oben zitierten Judikatur ist diesem Umstand im konkreten Fall im Rahmen des Ermessens Rechnung zu tragen.

Zwar ist der belangten Behörde zuzugestehen, dass bereits im Jahr 2016, als sich die Nichteinbringlichkeit der Abgabe zeigte, ein Haftungsvorhalt an den Beschwerdeführer ergangen. Dieser wurde vom Beschwerdeführer umgehend (wenn auch unzureichend) beantwortet. Der schlussendliche Haftungsbescheid wurde allerdings erst rund 3 Jahre später erlassen, ohne das aktenkundig wäre, dass der Beschwerdeführer für die Verzögerung des Verfahrens verantwortlich gewesen wäre.

Außerdem erweckte die belangte Behörde mit der Ausstellung der Unbedenklichkeitserklärung vom , den Eindruck, dass aus steuerlicher Sicht nun keine Bedenken mehr hinsichtlich der Abgaben der Primärschuldnerin bestehen. Ohne die Ausstellung der Unbedenklichkeitsbescheinigung wäre die Gesellschaft nicht aus dem Firmenbuch gelöscht worden.

Unter Rücksichtnahme auf all diese Aspekte des konkreten Einzelfalls und hier insbesondere der lange Zeitraum von fast 7 Jahren zwischen Entstehung des Abgabenanspruchs und der schlussendlichen Haftungsinanspruchnahme war der Haftungsbetrag betreffend die Abgaben, die bis zum fällig waren, um 30% zu reduzieren.

Die später fälligen Abgaben wurden bereits aufgrund der Feststellung, dass lediglich EUR 623,00 an liquiden Mitteln verfügbar waren, entsprechend gekürzt. Somit war in Zusammenhang mit diesen Abgaben keine Kürzung mehr vorzunehmen.

In Summe ergibt sich daher ein schlussendlicher Haftungsbetrag von EUR 11.744,27, der sich wie folgt zusammensetzt.


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
urspr. Betrag
neuer Betrag
Fälligkeit
Umsatzsteuer
03/2012
12.815,49
8.970,84
Säumniszuschlag 1
2012
477,60
334,32
Körperschaftsteuer
07-09/2012
437,00
305,90
Stundungszinsen
2012
91,81
64,27
Körperschaftsteuer
10-12/2012
439,00
307,30
Umsatzsteuer
10/2012
1.626,63
1.138,64
Säumniszuschlag 2
2012
128,37
29,07
Säumniszuschlag 3
2012
128,15
29,07
Körperschaftsteuer
2012
1.492,00
337,83
Säumniszuschlag 1
2014
326,22
73,86
Pfändungsgebühr
2014
397,10
89,91
Barauslagenersatz
2014
7,54
1,71
Säumniszuschlag 2
2014
163,11
36,93
Säumniszuschlag 1
2014
108,74
24,62
Summe
18.638,76
11.744,27

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die vorliegende Entscheidung beruht auf der zitierten, ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht waren ausschließlich Tatsachenfragen und Ermessensfragen zu beurteilen. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 80 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 238 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§§ 207 bis 209 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7104190.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at