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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.04.2024, RV/7100134/2024

Familienbeihilfenanspruch für in der Schweiz studierenden Sohn

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter R. in der Beschwerdesache
***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag für den Zeitraum Oktober 2022 bis Juni 2023, Steuernummer ***Bf1StNr*** (SVNR ***Bf1SVNR***), zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird - ersatzlos - aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der beschwerdegegenständliche Bescheid (vom ) wurde vom Finanzamt erlassen wie folgt:
Rückforderungsbescheid Anrechnung
- Familienbeihilfe (FB)
- Kinderabsetzbetrag (KG)
für die Kinder
Name des Kindes VNR/Geb.dat. Art der Beihilfe Zeitraum
(Nachname wie Bf.) E… … … … FB Okt. 2022 - Juni 2023
(Nachname wie Bf.) P… … … 00 FB Okt. 2021 - Juni 2023
KG Okt. 2021 - Juni 2023
Der Rückforderungsbetrag beträgt
Art der Beihilfe Summe in €
FB € 4.419,78
KG € 1.452,81
Rückforderungsbetrag gesamt: € 5.872,59
Sie sind verpflichtet, diesen Betrag
- nach § 26 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 zurückzuzahlen. …
Begründung
Zu (Nachname wie Bf.) E… :
Sie haben für mehr als ein Kind Familienbeihilfe bezogen. Im Rückforderungsbetrag ist die anteilige Geschwisterstaffel für sämtliche Kinder enthalten, für die Sie im Rückforderungszeitraum zu Unrecht Familienbeihilfe erhalten haben (§ 8 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967).
Zu (Nachname wie Bf.) P…:
Ihr Kind hält sich nicht ständig in Österreich auf, die Familienbeihilfe steht daher nicht zu (§ 5 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967).

Die Beschwerde wurde von der Beschwerdeführerin (Bf.) erhoben wie folgt:
Zur Begründung "Ihr Kind hält sich nicht ständig in Österreich auf, die Familienbeihilfe steht daher nicht zu (§ 5 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967)" möchte ich folgendes festhalten:
§ 5 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 lautet "Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten." Mein Sohn P… studiert in der Schweiz, hat aber seinen familiären Schwerpunkt in Österreich.
Um Ihnen zu verdeutlichen, wie regelmäßig sich mein Sohn … im strittigen Zeitraum im Inland aufgehalten hat, habe ich ihn zum Nachweis gebeten, seine Bank-Transaktionen offen zu legen.
Über 200 Transaktionen im Zeitraum - belegen seinen Aufenthalt in Österreich.
Die zugehörige Exceltabelle, in welcher die Transaktionen der Konten aufgelistet wurde, liegt diesem Schreiben in ausgedruckter Form bei {3-seitige Beilage). Bei Bedarf kann zu jeder Transaktion auch ein Kontoauszug in Druckform vorgelegt werden. Hinzuzufügen ist, dass es sich um Transaktionen handelt, die mit Bank-/Kreditkarte erfolgt sind. Jegliche Transaktionen, welche in Bar durchgeführt oder in anderer Weise beglichen wurden und sich auch im Inland abspielten, sind an dieser Stelle nicht aufgelistet.
Sämtliche Transaktionen im Inland sind Resultate des gewöhnlichen Aufenthaltes im Bundesgebiet, welcher auch durch seinen in Wien ansässigen Freundes- und Bekanntenkreis bekräftigt wird.
Daher bitte ich Sie die Rückforderung zurückzunehmen.

Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung, dies mit folgender Begründung:
Ihr Sohn P…, geboren am … .2000 studiert seit dem Wintersemester 2020/21 an der Universität in St. Gallen in der Schweiz, das Studium wird ernsthaft und zielstrebig betrieben.
Laut Daten des Zentralen Melderegisters hatte er von bis keinen Wohnsitz in Österreich.
Mit Bescheid vom wurde die Familienbeihilfe für den Zeitraum von Oktober 2021 bis Juni 2023 rückgefordert. Am haben Sie eine Beschwerde gegen diesen Bescheid eingebracht.
Gesetzliche Grundlagen:
Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG) 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder sowie unter bestimmten Voraussetzungen für volljährige Kinder. Abs. 8 dieser Gesetzesstelle bestimmt, dass Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe haben, wenn sie den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.
Nach § 5 Abs. 3 FLAG 1967 besteht kein Anspruch auf Familienbeihilfe für Kinder, die sich ständig im Ausland aufhalten.
Nach § 26 Abs. 1 FLAG 1967 hat, wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Würdigung:
Bei der Beurteilung des Mittelpunktes der Lebensinteressen ist das Gesamtbild der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse entscheidend, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt (vgl. ). Der Mittelpunkt der Lebensinteressen ist durch eine zusammenfassende Wertung aller Umstände zu ermitteln (vgl. ).
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) ist der ständige Aufenthalt im Sinne des § 5 Abs. 3 FLAG unter den Gesichtspunkten des Vorliegens eines gewöhnlichen Aufenthaltes nach § 26 Abs. 2 Bundesabgabenordnung (BAO) zu beurteilen. Danach hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne der Abgabenvorschriften dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Wer sich in einem Land unter erkennbaren Umständen aufhält, dass er dort nicht nur vorübergehend verweilt, von dem muss bei objektiver Betrachtung angenommen werden, dass er sich in diesem Land ständig aufhält (vgl. , ). Die Frage des ständigen Aufenthaltes im Sinne des § 5 Abs. 3 FLAG 1967 ist somit nach dem objektiven Kriterium der grundsätzlichen körperlichen Anwesenheit zu beantworten.
Gemäß § 167 Abs. 2 Bundesabgabenordung (BAO) hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens und nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ) ist von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt.
(Ihr Sohn) hatte im Rückforderungszeitraum keinen Wohnsitz in Österreich und betreibt sein Studium in der Schweiz ernsthaft und zielstrebig, daher ist anzunehmen, dass sich Ihr Sohn nicht nur vorübergehend, sondern ständig in der Schweiz aufhält.
Ihre Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

Der Vorlageantrag wurde erhoben wie folgt:
Hinsichtlich der Begründung meines Begehrens und der beantragten Änderungen verweise ich auf meine Beschwerde vom und auf die Stellungnahme vom bzw. möchte diese ergänzen wie folgt:
Mein Sohn P… (geb. … .00) hat von 2020 bis 2023 erfolgreich an der Universität St. Gallen studiert. Um sein Bachelorstudium in dieser Zeit gut abzuschließen, hat er sich viel zuhause in Österreich aufgehalten (siehe Beleg / Beschwerde vom ). Das Leben war fest im Griff der Corona-Pandemie und gerade für junge Menschen und Studienanfänger war es äußerst schwierig, mit dieser Situation umzugehen und ganz bei sich und seinen Zielen zu bleiben. Ich habe ihn dabei nach Tatkräften unterstützt. In Zeiten von Angst und Unsicherheit ist es äußerst menschlich und verständlich sich bei der engsten Familie aufzuhalten und dort aufzutanken.
Insbesondere im Studium hatte sich die Corona-Pandemie für Studierende der Universität St. Gallen zu Gunsten der Ortsunabhängigkeit der Studierenden ausgewirkt. Jegliche Veranstaltungen waren als Onlineunterricht bzw. im Nachhinein als Aufzeichnung abrufbar. Dies ermöglichte sowohl eine zeit- als auch ortsunabhängige Weiterbildung. Außerdem besteht an der Universität St. Gallen (unabhängig der Pandemie Situation) keine Anwesenheitspflicht. Es steht den Studierenden frei, zu den Vorlesungen zu erscheinen. Somit war und ist weiterhin ein gewissenhaftes Bestreben des Studiums unweigerlich gegeben ohne örtlich sowie zeitlich am Unicampus zu verweilen.

Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Die Bf bezog für ihre beiden Söhne P… und E… (Nachname wie Bf.) Familienbeihilfe. Mit Bescheid vom wurde die Familienbeihilfe für den Sohn P… unter Berücksichtigung der Geschwisterstaffel betreffend den Zeitraum Oktober 2021 bis Juni 2023 in der Höhe von EUR 5.872,59 zurückgefordert, da sich P… in diesem Zeitpunkt ständig im Ausland aufgehalten habe. Mit Beschwerde vom beeinspruchte die Bf den Bescheid mit der Begründung, dass ihr Sohn P… sich mehrheitlich in Österreich aufhalten würde und beantragte die Aussetzung der Einhebung. Dem Rechtsmittel beigelegt war eine Liste mit Kreditkartentransaktionen ihres Sohnes in Österreich, die dessen Inlandsaufenthalt im Rückforderungszeitraum belegen sollten. Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde abgewiesen mit der Begründung, dass P… im Rückforderungszeitraum nicht in Österreich gemeldet gewesen sei und aufgrund des nachgewiesenen Studienerfolgs in der Schweiz jedenfalls von einem ständigen Aufenthalt im Ausland auszugehen sei. Mit Antrag vom beantragte die Bf die Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesfinanzgericht und die Aussetzung der Einhebung.
Beweismittel:
Inhaltsverzeichnis und Stellungnahme.
Stellungnahme:
Es wird beantragt, die Beschwerde der Bf abzuweisen. Gemäß § 2 Abs 1 lit. b FLAG 1967 steht für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, Familienbeihilfe zu. Kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die sich regelmäßig im Ausland aufhalten (§ 5 Abs 3 leg. cit.). Der Sohn P… ist seit dem Herbstsemester 2020 für das Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Universität St. Gallen (HSG) in der Schweiz inskribiert. Vom bis hatte P… keinen Wohnsitz in Österreich, ab Dezember 2021 liegt eine Meldung in St. Gallen/Schweiz vor (vgl. Meldedaten P…). Bei Klärung der Frage, ob ein ständiger Aufenthalt im Ausland vorliegt, sind die Kriterien des § 26 Abs 2 BAO heranzuziehen (vgl. hierzu ; ). Es ist daher grundsätzlich auf die körperliche Anwesenheit abzustellen, subjektive Momente wie der Mittelpunkt der Lebensinteressen spielen bei der Beurteilung des ständigen Aufenthaltes keine Rolle. Gemäß § 26 BAO hat jemand den gewöhnlichen Aufenthaltsort dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Land nicht nur vorübergehend verweilt. Da für den gewöhnlichen Aufenthalt die körperliche Anwesenheit erforderlich ist, kann eine Person nur einen gewöhnlichen Aufenthalt haben. Eine ununterbrochene Anwesenheit an nur einem Ort ist nicht notwendig, um den gewöhnlichen Aufenthalt an diesem Ort aufrechtzuerhalten. Bei Abwesenheiten, die bei Betrachtung der Umstände nur als vorübergehend anzusehen sind, wird der gewöhnliche Aufenthalt an einem Ort nicht unterbrochen, am Zustand des Verweilens ändert sich insgesamt nichts (vgl. ). Wenn sich der Aufenthalt jedoch über einen längeren Zeitraum erstreckt, ist nicht mehr von einem vorübergehenden Verweilen auszugehen (). Ein einjähriger Schulbesuch im Ausland führt nach Ansicht des BFG jedenfalls zu einem ständigen Auslandsaufenthalt (vgl. ; , RV/7101328/2016, Lenneis/Wanke, FLAG², Rz 9 zu § 5). Dass der Aufenthalt zeitlich begrenzt ist (wie z.B. bei einem Studium) macht diesen nicht zu einem vorübergehenden Aufenthalt. Den vorgelegten Zeugnissen ist zu entnehmen, dass der Sohn P… seine Berufsausbildung ernsthaft und zielstrebig betrieben hat. Bei einem zielstrebig betriebenen Studium ist eine dauernde Anwesenheit vor Ort erfahrungsgemäß Voraussetzung für den Erfolg des Studienverlaufs, insbesondere die Teilnahme an Lehrveranstaltungen und Prüfungen. Entsprechende Lehrveranstaltungen fanden wöchentlich statt, wie aus der Prüfungsordnung der Universität St. Gallen für das Studium der Betriebswirtschaftslehre hervorgeht und deren Besuch und positive Benotung waren jedenfalls Voraussetzung für den weiteren Studienerfolg. Der vorgelegten Prüfungsordnung ist nicht zu entnehmen, dass es sich bei dem inskribierten Studium um ein Fernstudium handeln würde bzw. eine vergleichbare Möglichkeit der Teilnahme bestehen würde. Dass sich der Sohn der Bf während der Semesterferien und einzelner Tage im Studienjahr in Österreich bei der Bf aufhielt, ist nur als vorübergehende Abwesenheit zu betrachten, wodurch ein ständiger Aufenthalt im Ausland nicht unterbrochen wird (vgl. ; , 98/15/0016; , 82/14/0047; , 2002/13/0079). Da die Familienbeihilfe für den Zeitraum Oktober 2021 bis Juni 2023 zu Unrecht bezogen wurde, war diese unter Berücksichtigung der Geschwisterstaffel gemäß § 26 Abs 1 FLAG 1967 zurückzufordern.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der im Jahr 2000 geborene Sohn der in Wien wohnhaften Bf. studierte seit dem Wintersemester 2020/21 an der Universität in St. Gallen in der Schweiz, somit im gesamten Rückforderungszeitraum; das Studium wurde ernsthaft und zielstrebig betrieben.
Von bis , demgemäß im gesamten Rückforderungszeitraum (Okt. 2021 - Juni 2023), hatte der Sohn der Bf. keinen Wohnsitz in Österreich angemeldet; erst im September 2023 meldete er wieder einen Wohnsitz im Inland, einen Hauptwohnsitz an einer Wiener Anschrift, an (an welcher auch seine Mutter, die Bf. ihren Hauptwohnsitz gemeldet hat (= Zustelladresse, an die bspw. der angefochtene Rückforderungsbescheid erging).

2. Beweiswürdigung

Die getroffenen Detailfeststellungen sind, wie der Vergleich der Beschwerdevorentscheidung und der Beschwerdevorlage einerseits und der Beschwerde und des Vorlageantrages andererseits zeigt, unstrittig. Weiterer Ausführungen zur Beweiswürdigung bedarf es dementsprechend nicht.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung des Berufes nicht möglich ist.

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. b FLAG besteht Familienbeihilfenanspruch nur dann, wenn die Ausbildung ernsthaft und zielstrebig betrieben wird.

Artikel 25 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit bestimmt:
Ist nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates der Anspruch auf Familienbeihilfen davon abhängig, daß sich die Kinder in diesem Vertragsstaat ständig aufhalten, so werden die Kinder, die sich ständig im anderen Vertragsstaat aufhalten, so berücksichtigt, als hielten sie sich ständig im ersten Vertragsstaat auf.

Gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag von monatlich 58,40 Euro für jedes Kind zu. Für Kinder, die sich ständig außerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines Staates des Europäischen Wirtschaftsraumes oder der Schweiz aufhalten, steht kein Kinderabsetzbetrag zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.

Im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7101789/2020, wurde erwogen:
Im Verhältnis eines EU-Mitgliedstaates mit Staaten des EWR ist seit die VO 883/04 anzuwenden, im Verhältnis mit der Schweiz seit (s. Gebhart in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG², § 4 Rz 4).

Im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7100436/2021, wurde erwogen:
Gemäß § 53 FLAG 1967 und den unionsrechtlichen Vorschriften ist als "Ausland" i.S.d. FLAG 1967 ein Drittland, nicht aber ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union (bzw. ein Staat des EWR oder die Schweiz) anzusehen (siehe auch Kuprian, Kein Familienbeihilfenanspruch bei Ausbildung eines Kindes in einem "Drittland", UFS Journal 2011, 371; ; ; ; ; ).

Im Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7105229/2017, wurde erwogen:
Bei Anwendung des Art. 67 VO 883/2004 iVm Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 ist zu fingieren, dass sowohl die Voraussetzung des inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts (§ 2 Abs. 1 FLAG 1967) als auch die Voraussetzung des Mittelpunktes der Lebensinteressen im Bundesgebiet (§ 2 Abs. 8 FLAG 1967) hinsichtlich aller Mitglieder der jeweiligen Familie ("beteiligten Personen") vorliegt, auch wenn einzelne oder alle Mitglieder dieser Familie tatsächlich in einem anderen Mitgliedstaat der Union (des EWR oder der Schweiz) wohnen.
Nach Art. 60 Abs. 1 VO 987/2009 ist in Bezug auf die die Familienleistungen regelnden Art. 67 f VO 883/2004, insbesondere was das Recht einer Person zur Erhebung eines Leistungsanspruchs anbelangt, die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen. Diese Fiktion bewirkt, dass die Wohnsituation auf Grundlage der im Streitzeitraum im anderen EU-Mitgliedstaat gegebenen Verhältnisse (fiktiv) ins Inland übertragen wird. Hierbei ist unionsrechtlich die Beihilfe entweder an die den Unterhalt (überwiegend) leistenden Person oder der haushaltsführenden Person zu gewähren, wobei vorrangig die haushaltsführende Person Anspruch auf die Familienleistungen hat (vgl. zuletzt EuGH C-378/14 Tomislaw Trapkowski).

Der Unabhängige Finanzsenat erwog in der Entscheidung vom , RV/1260-W/12:
Da sich der Aufenthalt des Sohnes der Bw in China, und damit in einem Drittstaat (Nicht-EU-/ Nicht-EWR-Land bzw der Schweiz), über einen Zeitraum von mehr als sechs Monate erstreckte, hatte er - entsprechend der obigen Ausführungen - in dieser Zeit seinen ständigen Aufenthalt in diesem Land, weshalb für diesen Zeitraum gemäß § 5 Abs 3 FLAG kein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht.

In der Entscheidung vom , RV/0153-I/03, erwog der Unabhängige Finanzsenat:
Das Finanzamt hat letztlich den Ausführungen der Berufungswerberin hinsichtlich des Mittelpunktes der Lebensinteressen in der Berufungsvorentscheidung nicht widersprochen, weshalb die Abgabenbehörde zweiter Instanz ihre Überlegungen auf diese Ausführungen stützen kann. Was nunmehr die Aussage des Finanzamtes hinsichtlich des durch § 2 Abs. 8 FLAG 1967 zusätzlich zum Mittelpunkt der Lebensinteressen geforderten ständigen Aufenthaltes des Kindes im Inland betrifft, übersieht das Finanzamt, dass Artikel 25 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit, BGBl. Nr. 4/1969, beinhaltet, dass für Fälle in welchen nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates der Anspruch auf Familienbeihilfen davon abhängig ist, dass sich die Kinder ständig in diesem Vertragsstaat aufhalten, Kinder, die sich ständig im anderen Vertragsstaat aufhalten, so berücksichtigt werden, als hielten sie sich ständig im ersten Vertragsstaat auf. Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass es - was zudem seitens des Finanzamtes keineswegs festgestellt und von der Berufungswerberin unwidersprochen bestritten wurde - unerheblich ist, ob sich das Kind der Berufungswerberin ständig in der Schweiz aufgehalten hat. Auch bei einem ständigen Aufenthalt des Kindes in der Schweiz würde nämlich - unterstellt man das Vorliegen eines Wohnsitzes auch in der Schweiz - ein Familienbeihilfenanspruch bestehen, so lange sich der Mittelpunkt der Lebensinteressen der bezugsberechtigten Person im Inland befindet.

Auf Grundlage des o.a. Artikel 25 Abs. 3 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit iVm § 33 Abs. 3 EStG 1988 und der getroffenen Sachverhaltsfeststellungen ist das Schicksal der Beschwerde - Stattgabe - entschieden. Zumal das Abkommen anzuwenden ist und die in Rede stehende Bestimmung zum Tragen kommt, kann die Beschwerde mit der vom Finanzamt angezogenen Begründung "hält sich nicht ständig in Österreich auf, die Familienbeihilfe steht daher nicht zu (§ 5 Abs. 3 Familienlastenausgleichsgesetz 1967)" nicht abgewiesen werden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen liegen in dem auf der Sachverhaltsebene zu lösenden Fall unter Berücksichtigung der eindeutigen rechtlichen Bestimmungen und der in der Entscheidung zitierten Judikatur nicht vor.

Wien, am

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Materie
Steuer
FLAG
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7100134.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at