TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.03.2024, RV/7400171/2017

Keine Haftung für Gebrauchsabgabe mangels Verschulden

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Pacher & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG, Kaiserfeldgasse 1/II/3. Stock, 8010 Graz über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid (MA 6/ARL -248700/17 E) des Magistrats der Stadt Wien vom zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der Haftungsbescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Haftungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer für den Rückstand an Gebrauchsabgabe iHv EUR 2.198,15 der ***Primärschuldnerin*** zur Haftung herangezogen.

Mit Schreiben vom wurde gegen diesen Bescheid durch den Vertreter des Beschwerdeführers rechtzeitig Beschwerde erhoben. Als Begründung wird in der Beschwerde angeführt, dass der Beschwerdeführer erst 60 Tage vor Insolvenzeröffnung die Geschäftsführung vom früheren Gesellschafter der Primärschuldnerin übernommen hätte. Der Beschwerdeführer habe bei der Übernahme der Geschäftsführung keine Kenntnis über die tatsächliche ertrags- und finanzwirtschaftliche Situation des Unternehmens. Er wurde darüber vom damaligen Geschäftsführer getäuscht. Unverzüglich nachdem er Kenntnis von der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft erlangt habe, habe er jedenfalls innerhalb der Frist des§ 69 IO die Insolvenzeröffnung vorbereitet. Darüber hinaus sei die gegenständliche Abgabenschuld in einem Zeitpunkt entstanden, in welchem der Beschwerdeführer noch nicht Geschäftsführer der Primärschuldnerin gewesen sei bzw die Insolvenz mangels Kenntnis über die tatsächliche ertrags- und finanzwirtschaftliche Situation des Unternehmens für ihn nicht absehbar war.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde von der belangten Behörde als unbegründet abgewiesen. Als Begründung führt die belangte Behörde zusammengefasst aus, dass es der Beschwerdeführer in Kauf genommen habe unter Umständen über die tatsächliche ertrags- und finanzwirtschaftliche Situation des Kaufgegenstandes getäuscht zu werden. Dies erhelle sich nach der Aktenlage aus Pkt. 9 Absatz Gewährleistungsausschluss des Kauf- und Abtretungsvertrages vom , in dem festgehalten wird, dass der Verkäufer insbesondere keine Zusagen über ein bestimmtes Erträgnis der Gesellschaft und auch nicht für eine besondere Vermögenslage derselben gemacht habe und der Kaufpreis des Gesellschafteranteils im Wert von EUR 35.000,00 an diese Einschränkung angepasst worden sei.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müsse sich der Geschäftsführer bei Übernahme seiner Geschäftsführertätigkeit darüber unterrichten, ob und in welchem Ausmaß die von ihm nunmehr vertretene Gesellschaft bisher ihren steuerlichen Verpflichtungen nachgekommen sei. Dem Betreffenden obliege die Beweislast, dass er sich in diesem Sinne unterrichtet habe (vgl ; ).

Der Beschwerdeführer hätte bei gebotener kaufmännischer Vorsicht also bereits vor Übernahme der Vertretung nicht nur Angaben des Verkäufers Glauben zu schenken, sondern sich darüber hinaus bei der Abgabenbehörde und etwaigen weiteren Gläubigern über allfällige Rückstande zu informieren gehabt.

Dem Einwand des Beschwerdeführers, wonach er für die im Zeitraum vor seiner Bestellung entstandenen Rückstände nicht hafte, da er zum Zeitpunkt des Entstehens der Abgabenschuld noch keinen ausreichenden Einblick in die Vermögenslage gehabt habe, sei entgegenzuhalten, dass die Gesellschaft verpflichtet bleibe, die Abgabenschuldigkeiten, mit deren Abfuhr bzw Einzahlung sie in Rückstand geraten ist, zu erfüllen.

Vom Beschwerdeführer sei kein Nachweis erbracht worden, der geeignet gewesen wäre ein schuldhaftes Verhalten zu widerlegen.

Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer den Antrag auf Vorlage zur Entscheidung der Bescheidbeschwerde an das Bundesfinanzgericht. Als Begründung wiederholte der Beschwerdeführer sein vorbringen, dass der Beschwerdeführer die Geschäftsführung der Primärschuldnerin erst rund 60 Tage vor Insolvenzeröffnung übernommen habe.

Trotz Erkundigungen beim damaligen Geschäftsführer hätte er keine korrekte Auskunft über die tatsächliche Ertrags- und Vermögenslage bekommen. Er sei darüber vom damaligen Geschäftsführer getäuscht worden. Auch hätte es dem Beschwerdeführer an den nötigen Unterlagen gefehlt, um sich selbst ein Bild von der Ertragslage zu machen. In diesem Zusammenhang sei bereits eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft Wien erfolgt. Keineswegs könne im vorliegenden Fall von einer schuldhaften Verletzung der dem Beschwerdeführer obliegenden Pflichten die Rede sein. Insbesondere weil er unverzüglich nach Kenntnis der tatsächlichen wirtschaftlichen Lage der Primärschuldnerin die Insolvenzeröffnung vorbereitet habe.

Darüber hinaus sei die gegenständliche Abgabenschuld zu einem Zeitpunkt entstanden, in welchem der Beschwerdeführer noch nicht Geschäftsführer der Primärschuldnerin gewesen sei bzw die Insolvenz mangels Kenntnis über die tatsächliche ertrags- und finanzwirtschaftliche Situation des Unternehmens für ihn nicht absehbar gewesen sei.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Mit Notariatsakt/Kaufvertrag vom hat der Beschwerdeführer die Geschäftsanteile an der Primärschuldnerin vom früheren Alleingesellschafter und Geschäftsführer erworben.

Der Beschwerdeführer war ab der Geschäftsführer der ***Primärschuldnerin***.

Beim Kauf dieser Geschäftsanteile wurde der Beschwerdeführer vom früheren Gesellschafter-Geschäftsführer und Verkäufer der Anteile über die wirtschaftliche und finanzielle Lage getäuscht.

Den Beschwerdeführer trifft im vorliegenden Fall daher kein Verschulden an der Nichtentrichtung der fälligen Gebrauchsabgaben, da er aufgrund der Täuschung durch den früheren Gesellschafter nicht in der Lage war, die Abgaben, die vor seiner Geschäftsführertätigkeit entstanden sind und kurz nach der Übernahme der Geschäftsführung fällig geworden sind zu entrichten.

Umgehend nach erkennen der wahren wirtschaftlichen Situation hat der Geschäftsführer das Insolvenzverfahren beantragt.

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom (28 S 180/16y) wurde über das Vermögen der Beschwerdeführerin der Konkurs eröffnet.

Mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom wurde der Konkurs nach Verteilung an die Massegläubiger aufgehoben.

Mit Bescheid vom wurde der Beschwerdeführer für folgende Beträge an Gebrauchsabgabe zur Haftung herangezogen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Rückstand
Fälligkeit
EUR
Kto. Nr. 09/0591361 für Adresse 1
Gebrauchsabgabe
1.394,40
Säumniszuschläge
27,88
Zwischensumme
1.422,28
Kto. Nr. 09/0593473 für Adresse 2
Gebrauchsabgabe
253,80
Säumniszuschläge
5,07
Zwischensumme
258,87
Kto. Nr. 09/0598574 für Adresse 3
Gebrauchsabgabe
517,00
Summe
2.198,15

Nach Auskunft des Magistrats wurden bereits EUR 1.422,28 entrichtet. Der offene Haftungsbetrag beträgt daher EUR 775,28.

2. Beweiswürdigung

Die Daten zur Geschäftsführung des Beschwerdeführers und zum Konkurs ergeben sich zweifelsfrei aus dem amtlichen Firmenbuchauszug.

Hinsichtlich des Verschuldens konnte der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde, im Vorlageantrag und in den Antworten auf mehrere Vorhalte des Bundesfinanzgerichts glaubhaft darstellen, dass ihn im vorliegenden Fall an der Nichtentrichtung der Abgabe kein Verschulden trifft. So wurde bspw mit dem Vorlageantrag eine Sachverhaltsdarstellung übermittelt, die der Beschwerdeführer an die Staatsanwaltschaft Wien übermittelt hat und in dem detailliert die mutmaßlichen Täuschungshandlungen des früheren Geschäftsführers gegenüber dem Beschwerdeführer dargestellt wurden.

Außerdem weist der dem Gericht vorliegende Bankkontoauszug einen hohen Negativsaldo aus. Gegen das Verschulden des Beschwerdeführers spricht im vorliegenden Fall auch, dass er gleich nach Erkennen der wahren Situation der Gesellschaft seiner Verpflichtung als Geschäftsführer nachgekommen ist und das Insolvenzverfahren eingeleitet hat. Somit hat er das aus seiner Position heraus mögliche gemacht, um weiteren Schaden von den Gläubigern abzuwenden.

Bereits in der Entscheidung RV/7400060/2020 betreffend Kommunalsteuerverbindlichkeiten der Primärschuldnerin, kam das Bundesfinanzgericht zur Auffassung, dass den Beschwerdeführer an der Nichtentrichtung der Abgaben kein Verschulden trifft.

Im vorliegenden Fall wurden die Stellungnahmen des Beschwerdeführers auf die Vorhalte des Bundesfinanzgerichts auch der belangten Behörde übermittelt. Dabei informierte das Bundesfinanzgericht die belangte Behörde, dass es aufgrund der konkreten Umständen des Einzelfalls davon ausgehen würde, das dem Beschwerdeführer kein Verschulden an der Nichtentrichtung der haftungsgegenständlichen Abgaben trifft. Mit Schreiben vom teilte die belangte Behörde dem Bundesfinanzgericht mit, dass keine Einwände gegen die beabsichtige Entscheidung des Bundesfinanzgerichts bestehen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I.

Gem § 9 Abs 5 Gebrauchsabgabengesetz 1966 haften die in §§ 80ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der ihnen auferlegten abgabenrechtlichen oder sonstigen Pflichten nicht ohne Schwierigkeiten eingebracht werden können, insbesondere im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Wie im Sachverhaltsteil festgestellt und in der Beweiswürdigung begründet, trifft den Beschwerdeführer im vorliegenden Fall kein Verschulden an der Nichtentrichtung der Abgabe.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall waren ausschließlich Tatfragen zu klären. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Materie
Landesabgaben Wien
betroffene Normen
Wiener Gebrauchsabgabegesetz 1966, LGBl. Nr. 20/1966
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.7400171.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at