Bescheidbeschwerde – Senat – Beschluss, BFG vom 16.02.2024, RV/5100080/2024

Aufhebung und Zurückverweisung bei massiven Ermittlungslücken

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/5100080/2024-RS1
Bedarf es in beachtlichem Umfang noch ergänzender Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs, ist ein Ausnahmefall gegeben, der trotz der von der Rechtsprechung des VwGH vorgegebenen restriktiven Anwendbarkeit der Aufhebung unter Zurückverweisung diese ausnahmsweise erfordert.
RV/5100080/2024-RS2
Muss der Sachverhalt in vielen Bereichen neu bzw. erstmals ermittelt und beurteilt werden, kann dies effizienter und rascher durch Außendienstorgane der belangten Behörde durchgeführt werden. Diese Organe können derart in Rede und Gegenrede und Würdigung vorgelegter Beweismittel unmittelbar den maßgeblichen Sachverhalt ermitteln. Dagegen müsste das Bundesfinanzgericht entweder im Wege von Ermittlungsaufträgen oder im schriftlichen Vorhaltverfahren gegenüber den einzelnen Parteien versuchen, den Sachverhalt zu ermitteln und die jeweiligen Ermittlungsergebnisse der jeweils anderen Partei zur Kenntnisnahme bzw zur Stellungnahme übermitteln.

Entscheidungstext

BESCHLUSS

Das Bundesfinanzgericht hat den Senatsvorsitzenden Mag. Johann Fischerlehner, die Richterin Maga. Ulrike Stephan und die fachkundigen Laienrichter Michael Hinterreiter, LL.B. und Mag. Klemens Schimpl in der Beschwerdesache ***1***, vertreten durch Waitz Rechtsanwälte GmbH, Am Winterhafen 4, 4020 Linz, betreffend Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Geltendmachung der Haftung gemäß § 9a i.V.m. §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Firma Primärschuldnerin GmbH (Firmenbuchnummer: ***2***) im Ausmaß von 17.376,44 Euro zu Steuernummer ***3*** beschlossen:

I. Der angefochtene Bescheide wird gemäß § 278 Abs. 1 BAO unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde aufgehoben.

II. Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

I. Verfahrensgang

Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers hat sich dieser im Jahr 2009 selbständig gemacht und das Einzelunternehmen XY e.U. (FN ***4***) gegründet.

Dieses Einzelunternehmen wurde 2017 in das Einzelunternehmen EB e.U. (FN ***4***) umfirmiert. Mittels Einbringungsvertrag vom wurde EB e.U., vormals XY e.U., in die Primärschuldnerin GmbH (FN ***2***) eingebracht.

In der EB e.U. (FN ***4***) war Herr B T, geboren tt.mm.jjj, gewerberechtlicher Gesellschafter.

Der Beschwerdeführer hat seine Anteile an der Primärschuldnerin GmbH (FN ***2***) im Jahr 2018 an Herrn G F, geboren tt.mm.jjj, verkauft (im Firmenbuch eingetragen am , Geschäftsfall ***5***, Antrag auf Änderung eingelangt am ).

Der Beschwerdeführer war nach dem Verkauf im Büro als Angestellter bei der Primärschuldnerin GmbH tätig.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom betreffend Geltendmachung der Haftung gemäß § 9a i.V.m. §§ 80 ff. Bundesabgabenordnung für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Firma Primärschuldnerin GmbH (FN ***2***) für Lohnsteuer 08/2021, 09/2021 und 11/2021 im Ausmaß von insgesamt 17.376,44 Euro zu Steuernummer ***3*** geltend gemacht.

Nach den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Haftungsbescheid sei über das Vermögen der Firma Primärschuldnerin GmbH das Konkursverfahren mit Beschluss des Landesgerichtes AB vom , AZ 14 S157/21 eröffnet worden. Die genannten Haftungsbeträge seien weiter Firma Primärschuldnerin GmbH jedenfalls zu 95 % als uneinbringlich anzusehen. Eine Verteilungsquote von 5 % sei von den haftungsrelevanten Beträgen in Abzug gebracht worden. Zum Insolvenzverfahren wurden dem Bundesfinanzgericht keine Unterlagen vorgelegt.

Die belangte Behörde stützt ihre Feststellung, wonach der Beschwerdeführer faktischer Geschäftsführer der Primärschuldnerin GmbH gewesen sei, auf die Niederschrift der Finanzpolizei vom , Geschäftszahl: 037/60001/2021 über Einvernahme des handelsrechtlichen Geschäftsführers, Herrn G F in Zusammenhang mit dem Verdacht des Vorliegens eines Scheinunternehmens gemäß § 8 SBBG als Auskunftsperson und auf einen nicht näher bezeichneten Bericht des Masseverwalters MV.

Die belangte Behörde würdigte die Angaben des handelsrechtlichen Geschäftsführers betreffend Wohnsitz in einem Arbeiterwohnheim, Besitzes seines Führerscheines, Aufenthalt in Rumänien, Kenntnisse von Telefonnummer, E-Mail-Adresse, genaue Anschrift der Firma, Miete für das Büro, Namen des Vermieters, Büroausstattung, UID-Nummer, Arbeitsteilung und Ausstellung der Rechnungen. Erwähnte aber nicht seine Angaben über Abrechnungen der Aufträge, Freigabe von Zahlungen, Rechnungsausstellungen und Überprüfung der Zahlungseingänge.

Die belangte Behörde legte eine Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft AB vom des Masseverwalters MV im Konkursverfahren über das Vermögen der Firma BPE GmbH vor. Dieses Schreiben ist im Vorlagebericht als "Bericht des Masseverwalters" bezeichnet. In diesem Schreiben ist ausgeführt, es bestehe der Verdacht, dass Untreue-Handlungen von G F gesetzt wurden. Weiters lägen massive Verstöße gegen steuerliche Bestimmungen vor. Der Masseverwalter hätte unzählige Aktenordner sichergestellt, welche in seiner Kanzlei deponiert seien. Auch einen Computer der BPE GmbH hätte er an sich genommen. Der Masseverwalter schlug der Staatsanwaltschaft die Einvernahme der steuerlichen Vertretung der Primärschuldnerin GmbH, die Vertreter der Fa. X Steuerberatung Gesellschaft mbH vor.

In der Bescheidbeschwerde vom wurde insbesondere Aktenwidrigkeit, sowie Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes durch den Beschwerdeführer vorgebracht. Der Beschwerdeführer beantragte die zeugenschaftliche Einvernahme des Herrn Zeuge, der Mitarbeiter der Primärschuldnerin GmbH war, insbesondere zum Beweis dafür, dass Herr G F tatsächlich der Geschäftsführer der BPE GmbH war und der Beschwerdeführer "nur" gewöhnlicher Dienstnehmer war. Über diesen Beweisantrag hat sich die belangte Behörde ohne weitere Ermittlungen hinweggesetzt.

Dieser Bescheidbeschwerde vom war als Beilage 3 ein Vorhalt der belangten Behörde vom beigelegt. Als Beilage 4 war der Bescheidbeschwerde eine Vorhaltsbeantwortung vom beigelegt.

Die belangte Behörde hat über dieses Vorhalteverfahren keine eigenen Aktenteile dem Bundesfinanzgericht vorgelegt.

Als Beilage 5 zur Bescheidbeschwerde vom legte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Akteneinsicht vom vor, wonach er um Übermittlung einer vollständigen Niederschrift der Einvernahme von Herrn F vom ersucht. Diese Niederschrift ist offenbar lauf Beilage 6 zur Bescheidbeschwerde vom am übermittelt worden.

Auch über diesen Vorgang hat die belangte Behörde keine eigenen Aktenteile dem Bundesfinanzgericht vorgelegt.

Die belangte Behörde legte dem Vorlagebericht vom unter Punkt 5 ein Schriftstück genannt "Erhebungen" vor, indem in Form einer Punktation verschiedene Sachverhaltselemente dargestellt werden, ohne diese mit Beweismittel (zB SV-Abfrage, ZMR-Abfrage, Lohnzettel, …) zu dokumentieren.

Als einzige Beweismittel führt die belangte Behörde im Vorlagebericht vom "Begründungen des Haftungsbescheides", "Niederschrift Finanzpolizei" und "Bericht des Masseverwalters" an.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Seitens der belangten Behörde wurden dem Bundesfinanzgericht weder ein Beschluss über die Konkurseröffnung, noch über die angebliche Verteilungsquote vorgelegt. Diesbezüglich fehlen entscheidungswesentliche Feststellungen bzw. Unterlagen.

Laut Sachverhaltsdarstellung des Masseverwalters vom hat dieser unzählige Aktenordner und einen Computer der Primärschuldnerin GmbH sichergestellt, welche in seiner Kanzlei deponiert sind. Die belangte Behörde hat es weder der Mühe wert gefunden, den Masseverwalter bezüglich der behaupteten faktischen Geschäftsführung des Beschwerdeführers zu befragen, noch Einsicht in die beim Masseverwalter liegenden umfangreichen Aktenordner genommen.

Die belangte Behörde hat im gegenständlichen Verfahren keine Feststellungen darüber getroffen, ob die Sachverhaltsdarstellung des Masseverwalters vom an die Staatsanwaltschaft AB zu einer strafrechtlichen Verfolgung einer der beteiligten Personen geführt hat. Die belangte Behörde qualifiziert diese Sachverhaltsdarstellung des Masseverwalters als sogenannten "Bericht", was in keiner Weise der Aktenlage entspricht.

Die belangte Behörde führt als Beweismittel die Begründung des angefochtenen Haftungsbescheides an.

Das einzige Beweismittel im gegenständlichen Verfahren ist Niederschrift der Finanzpolizei vom , Geschäftszahl: 037/60001/202 über Einvernahme des handelsrechtlichen Geschäftsführers, Herrn G F in Zusammenhang mit dem Verdacht des Vorliegens eines Scheinunternehmens gemäß § 8 SBBG als Auskunftsperson. Darüber hinausgehende Erhebungen sind nicht dokumentiert. Dieses zentrale Beweismittel wurde dem Beschwerdeführer erst am , also nach Erlassung des angefochtenen Bescheides am übermittelt.

Die belangte Behörde hat es im gegenständlichen Verfahren bisher auch verabsäumt, die steuerliche Vertretung der Primärschuldnerin GmbH, die Fa. X Steuerberatung Gesellschaft mbH zur Rolle des Beschwerdeführers bei der Primärschuldnerin GmbH zu befragen.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den von der belangten Behörde vorgelegten Akten.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung und Zurückverweisung)

§ 278 Abs. 1 BAO:

"(1) Ist die Bescheidbeschwerde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtes

a) weder als unzulässig oder nicht rechtzeitig eingebracht zurückzuweisen (§ 260) noch

b) als zurückgenommen (§ 85 Abs. 2, § 86a Abs. 1) oder als gegenstandslos (§ 256 Abs. 3, § 261) zu erklären,

so kann das Verwaltungsgericht die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheides und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen (§ 115 Abs. 1) unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anders lautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist."

§ 20 BAO:

"Entscheidungen, die die Abgabenbehörden nach ihrem Ermessen zu treffen haben (Ermessensentscheidungen), müssen sich in den Grenzen halten, die das Gesetz dem Ermessen zieht. Innerhalb dieser Grenzen sind Ermessensentscheidungen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen."

§ 115 Abs. 1 BAO:

"(1) Die Abgabenbehörden haben die abgabenpflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln, die für die Abgabenpflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich sind. Diese Ermittlungspflicht wird durch eine erhöhte Mitwirkungspflicht der Abgabenpflichtigen, wie beispielsweise bei Auslandssachverhalten eingeschränkt."

§ 269 Abs. 1 und Abs. 2 BAO:

"(1) Im Beschwerdeverfahren haben die Verwaltungsgerichte die Obliegenheiten und Befugnisse, die den Abgabenbehörden eingeräumt sind. [...]

(2) Die Verwaltungsgerichte könne das zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes erforderliche Ermittlungsverfahren durch eine von ihnen selbst zu bestimmende Abgabenbehörde durchführen oder ergänzen lassen."

Die Ausnahmebestimmung des § 278 Abs. 1 BAO erfordert, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung die von ihm vermissten und ins Auge gefassten Ermittlungsschritte im Hinblick auf die Zielsetzungen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bezeichnet und beurteilt sowie die Frage beantwortet, ob die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Gericht selbst nicht im Interesse der Raschheit des Verfahrens oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. etwa ).

§ 9a BAO:

"(1) Soweit Personen auf die Erfüllung der Pflichten der Abgabepflichtigen und der in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter tatsächlich Einfluss nehmen, haben sie diesen Einfluss dahingehend auszuüben, dass diese Pflichten erfüllt werden.

(2) Die in Abs. 1 bezeichneten Personen haften für Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge ihrer Einflussnahme nicht eingebracht werden können. § 9 Abs. 2 gilt sinngemäß."

Faktische Geschäftsführer sind Personen, die somit de facto an Stelle des Vertreters die abgabenrechtliche Pflichten des Vertretenen erfüllen bzw verletzen oder die den Vertreter dahingehend beeinflussen, dass abgabenrechtliche Pflichten durch den Vertreter verletzt werden (vgl ErläutRV 1960 BlgNR 24. GP 55). Tatsächlich Einfluss nimmt, wer über die finanziellen Mittel des Unternehmens disponiert, also aufgrund seiner tatsächlichen Machtausübung im Unternehmen faktischer Geschäftsführer ist, ohne formell zum Geschäftsführer bestellt zu sein. (ErläutRV 1960 BlgNR 24. GP 55).

Nur ein auf Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten gerichtetes Verhalten führt zur Haftung. Abgabenrechtliche Pflichten sind insb die Führung von Büchern und Aufzeichnungen, die Einreichung von Abgabenerklärungen sowie die Entrichtung von Abgabenschuldigkeiten (ErläutRV 1960 BlgNR 24. GP 55).

Die Haftung nach § 9a BAO ist eine Ausfallshaftung. Sie setzt somit die Uneinbringlichkeit der Abgabenschulden beim Primärschuldner voraus (ErläutRV 1960 BlgNR 24. GP 55). Die tatsächliche (aktive) Einflussnahme auf die Erfüllung abgabenrechtlicher Verpflichtungen muss kausal für die Uneinbringlichkeit der Abgaben sein. Bezüglich des Verschuldens des Beschwerdeführers bestehen unterschiedliche Rechtsauffassungen (vgl. Ritz, BAO7, § 9a Tz. 3). Die Haftung liegt im Ermessen (§ 20 BAO) der Abgabenbehörde.

  1. Um dem Bundesfinanzgericht eine Klärung dieser Tatbestandsvoraussetzungen des § 9a BAO zu ermöglichen hat es die belangte Behörde verabsäumt, den eigenen vollständigen Verwaltungsakt dem Verwaltungsgericht vorzulegen. So fehlen Unterlagen über das Vorhalteverfahren mit dem Beschwerdeführer. Zur Anforderung der Akten hätte das Bundesfinanzgericht einen Beschluss nach § 266 Abs. 4 BAO zu erlassen, was einen erheblichen zusätzlichen Aufwand darstellt und das Verfahren erheblich verzögert. Da das Verwaltungsverfahren bisher unzulänglich geführt wurde, müsste dem Beschwerdeführer zu Aktenteilen, die ihm bisher noch nicht zur Kenntnis gebracht wurden, Parteiengehör eingeräumt werden. Dies führt zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung, ist aufwändig und ineffizient.

  2. Die belangte Behörde hat des Weiteren keinerlei Akten über das Einbringungsverfahren gegenüber der Primärschuldnerin dem Bundesfinanzgericht vorgelegt. Zur Anforderung der Akten hätte das Bundesfinanzgericht einen Beschluss nach § 266 Abs. 4 BAO zu erlassen, was einen erheblichen zusätzlichen Aufwand darstellt, was einen erheblichen zusätzlichen Aufwand darstellt und das Verfahren erheblich verzögert. Da das Verwaltungsverfahren bisher unzulänglich geführt wurde, müsste dem Beschwerdeführer zu Aktenteilen, die ihm bisher noch nicht zur Kenntnis gebracht wurden, Parteiengehör eingeräumt werden. Dies führt zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung, ist aufwändig und ineffizient.

  3. Die belangte Behörde hat zudem keinerlei Akten des Insolvenzverfahrens gegenüber der Primärschuldnerin beigeschafft. Diesbezüglich besteht ein erheblicher Ergänzungsbedarf, der für das Bundesfinanzgericht einen unverhältnismäßig zusätzlichen Aufwand darstellt. Die Beischaffung der Akten kann durch die belangte Behörde rascher und effizienter erbracht werden, da sie teilweise schon diesbezüglich Akten gesammelt haben könnte. Zudem wären diese Unterlagen dem Beschwerdeführer zur Wahrung des Parteiengehörs zur Kenntnis zu bringen, was bisher offenbar nicht erfolgt ist. Dies führt zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung, ist aufwändig und ineffizient.

  4. Die belangte Behörde hat des Weiteren dem Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren wesentliche Entscheidungsgrundlagen vorenthalten. So wurde die Niederschrift über die Einvernahme einer Auskunftsperson erst nach Erlassung des angefochtenen Bescheides übermittelt, was eine Verletzung des Rechtes auf Parteiengehör darstellt. Diese Mangelhaftigkeit des Ermittlungsverfahrens setzt sich darin fort, dass dem Beschwerdeführer die Sachverhaltsdarstellung des Masseverwalters im Konkursverfahren der Primärschuldnerin vom offenbar nicht zur Kenntnis gebracht wurde. Auch hier wurde das Parteiengehör verletzt und dieser Verfahrensmangel könnte erst im Zuge des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens mittels aufwändigem Vorhalteverfahren saniert werden. Diesbezüglich ist die Ergänzung des bisher mangelhaften Verfahrens durch die belangte Behörde durchaus rascher und effizienter möglich. Bei Durchführung des Gerichtes wären allfällige Stellungnahme des Beschwerdeführers erst wieder belangten Behörde zur Wahrung des Parteiengehörs unter Einräumung einer angemessenen Frist vorzuhalten, was das Verfahren weiter verzögern würde.

  5. Die belangte Behörde hat es trotz des Gebotes in § 115 Abs. 1 BAO zudem verabsäumt, sich beim Masseverwalter der Primärschuldnern über die tatsächliche Geschäftsführung zu erkundigen und Einsicht in die beim Masseverwalter vorliegenden unzähligen Aktenordner und in den Computer zu nehmen, um sich ein Bild über die tatsächliche Geschäftsführung bei der Primärschuldnerin zu machen. Diese aufwändigen Ermittlungsschritte müsste das Bundesfinanzgericht im Zuge des Rechtsmittelverfahrens nachholen, die durch die belangte Behörde, die über Betriebsprüfungsorgane verfügt, rascher und effizienter durchgeführt werden können.

  6. Die belangte Behörde hat es trotz des Gebotes in § 115 Abs. 1 BAO im gegenständlichen Verfahren bisher auch verabsäumt, die steuerliche Vertretung der Primärschuldnerin GmbH, die Fa. X Steuerberatung Gesellschaft mbH zur Rolle des Beschwerdeführers bei der Primärschuldnerin GmbH zu befragen. Diesen Ermittlungsschritt müsste das Bundesfinanzgericht im Zuge des Rechtsmittelverfahrens nachholen, was jedoch durch die belangte Behörde, die über Betriebsprüfungsorgane verfügt, rascher und effizienter durchgeführt werden kann.

  7. Die belangte Behörde hat zudem trotz des in § 262 Abs. 1 BAO vorgesehenen Gebotes, die noch erforderlichen Ermittlungen durchzuführen, verabsäumt, den vom Beschwerdeführer namhaft gemachten Zeugen zu befragen, oder die in der Sachverhaltsdarstellung des Masseverwalters genannten Zeugen einzuvernehmen. Die Nachholung dieser Versäumnisse würde einen unverhältnismäßigen zusätzlichen Aufwand für das Bundesfinanzgericht bedeuten und kann durch die belangte Behörde, die über Betriebsprüfungsorgane verfügt, rascher und effizienter durchgeführt werden.

  8. Die belangte Behörde führt des Weiteren im Vorlagebericht als Beweismittel die Begründung des angefochtenen Haftungsbescheides an, was absurd ist, zumal die von der belangten Behörde produzierte Begründung kein Beweis für die darin getroffenen Feststellungen sein kann. Die belangte Behörde legt also Scheinbeweise vor, was für unzureichende Erhebungen im Verwaltungsverfahren spricht. Die Beischaffung ausreichender tatsächlicher Beweismittel wäre im Verwaltungsverfahren die Aufgabe der belangten Behörde gewesen. Sie ist ja nach § 115 Abs. 1 BAO verpflichtet, die abgabenpflichtigen Fälle zu erforschen und von Amts wegen die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln. Die fast gänzliche Verlagerung dieser grundlegenden Verwaltungstätigkeit an das Bundesfinanzgericht ist ineffizient und verfahrensverzögernd.

  9. Die belangte Behörde hat es zudem verabsäumt, entweder bei der Staatsanwaltschaft AB oder beim zuständigen Landesgericht Erhebungen über den Fortgang des vom Masseverwalter initiierten Strafverfahrens durchzuführen. Auch diesbezüglich ist das Sachverhaltssubstrat ergänzungsbedürftig und entsprechende Erhebungen könnten durch die belangte Behörde, die über Betriebsprüfungsorgane verfügt, rascher und effizienter durchgeführt werden.

  10. Die belangte Behörde hat es verabsäumt, Feststellungen zu treffen, die es ermöglichen, eine Ermessensentscheidung (§ 20 BAO) zu treffen. Nach den Gesetzesmaterialien (ErlRV 1960 BlgNR 24. GP, 55) schließen die Haftungen nach § 9 BAO und nach § 9a BAO einander nicht aus. Es liegt im Ermessen der Abgabenbehörde, welche dieser Haftungen vorrangig geltend gemacht wird. Dazu bedarf es dazu insbesondere der Feststellung der finanziellen Gegebenheiten bei den Personen, die für eine Haftung in Betracht kommen. Auch diesbezüglich ist das Sachverhaltssubstrat ergänzungsbedürftig und entsprechende Erhebungen könnten durch die belangte Behörde, die über Betriebsprüfungsorgane verfügt, rascher und effizienter durchgeführt werden.

Erst diese umfangreichen Aktenbeschaffungen und zusätzlichen Erhebungen, welche die belangte Behörde bisher unterlassen hat, würde es dem Bundesfinanzgericht ermöglichen, eine Rechtsmittelentscheidung zu treffen. Bezüglich der tatsächlichen Geschäftsführung wurden nur unzureichende Ermittlungen durch die belangte Behörde gepflogen. Insbesondere fehlen Feststellungen, wer über die finanziellen Mittel der Primärschuldnerin disponiert hat. Die Feststellungen zum Abgabenausfall bei der Primärschuldnerin wurden nicht dokumentiert, sodass noch Beweiserhebungen notwendig sind. Es fehlen jegliche Feststellungen zu einer konkreten Verletzung abgabenrechtlicher Verpflichtungen durch den Beschwerdeführer, insbesondere in Zusammenhang mit den haftungsgegenständlichen Abgaben. Dazu fehlen Feststellungen eines Kausalzusammenhanges dieser vermeintlichen Pflichtverletzungen, sowie Feststellungen zu einem allfälligen Verschulden.

Wie oben ausgeführt, bedarf es in beachtlichem Umfang noch ergänzender Ermittlungen unter Wahrung des Parteiengehörs. In dieser Rechtssache ist somit ein Ausnahmefall gegeben, der trotz der von der Rechtsprechung des VwGH vorgegebenen restriktiven Anwendbarkeit der Aufhebung unter Zurückverweisung diese ausnahmsweise erfordert. Im Hinblick auf den Umfang der vorzunehmenden Verfahrensergänzungen ist der Aufhebung der Vorrang vor der Fortsetzung der Ermittlungen durch das Bundesfinanzgericht zu geben. So muss der Sachverhalt -wie oben dargelegt- in vielen Bereichen neu bzw. erstmals ermittelt und beurteilt werden.

Dies erfordert zahlreiche Ermittlungsschritte, die sinnvollerweise vor Ort durch Außendienstorgane durchgeführt werden. Die Organe der belangten Behörde können derart in Rede und Gegenrede und Würdigung vorgelegter Beweismittel unmittelbar den maßgeblichen Sachverhalt ermitteln. Dagegen müsste das Bundesfinanzgericht entweder im Wege von Ermittlungsaufträgen oder im schriftlichen Vorhaltverfahren gegenüber den einzelnen Parteien versuchen, den Sachverhalt zu ermitteln und die jeweiligen Ermittlungsergebnisse der jeweils anderen Partei zur Kenntnisnahme bzw zur Stellungnahme übermitteln. Eine derartige durch das Gebot des Parteiengehörs erforderliche Zwischenschaltung des Gerichtes bei der Sachverhaltsermittlung spricht für die im Einzelfall kosten- und zeitsparende Aufhebung und Zurückverweisung der Sache. Nach den Erfahrungen mit Sachverhaltsergänzungen in wesentlich geringerem Ausmaß sind derartige Ermittlungen infolge der -oft auch zu verlängernden- Beantwortungsfristen und immer wieder erforderlichen Einarbeitungsphasen für alle Beteiligten sehr zeit-, arbeits- und kostenaufwendig. Auch dem Beschwerdeführer entstehen durch ein weitgehend schriftliches Verfahren (Vorhaltsbeantwortungen, Stellungnahmen, ...) Zeitaufwand und Kosten.

Eine Ermittlung des tatsächlichen Sachverhaltes durch das Bundesfinanzgericht ist auf Grund der massiven Ermittlungslücken durch die belangte Behörde somit nicht im Interesse der Raschheit oder einer Kostenersparnis geboten. Vielmehr ist dies aufgrund der angeführten Gründe verfahrensverzögernd und keinesfalls binnen der gesetzlichen Entscheidungspflicht des § 291 Abs. 1 BAO möglich. Damit ist im gegenständlichen Einzelfall eine Aufhebung und Zurückverweisung nicht nur kostengünstiger, sondern auch effizienter und daher dem Zweck der Norm des § 278 Abs. 1 BAO entsprechend geboten.

3.2. Abstandnahme von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung

§ 274 Abs. 3 Z. 3 BAO kann der Senat ungeachtet eines Antrages (§ 274 Abs. 1 Z 1 BAO) von einer mündlichen Verhandlung absehen, wenn eine Aufhebung unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erfolgt (§ 278 BAO).

Der Zweck der mündlichen Verhandlung besteht darin, dass den Parteien umfassend zu den bisherigen Beweisergebnissen Gehör eingeräumt werden kann (vgl. ).

Im gegenständlichen Fall wurden grundlegende Ermittlungen durch die belangte Behörde unterlassen und es ist notwendig, das verwaltungsbehördliche Ermittlungsverfahren in wesentlichen Punkten erstmals durchzuführen. Es ist daher nicht zweckmäßig, dies in einer mündlichen Verhandlung zu erörtern, weil auf Grund der Ermittlungsmängel mit einem Abschluss des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht zu rechnen ist. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wird daher Abstand genommen.

3.3. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen eine Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da die im gegenständlichen Fall getroffene Entscheidung über den Einzelfall hinausgehend keine Bedeutung hat, liegt keine Rechtsfrage vor, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 115 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 269 Abs. 1 und 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 20 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 278 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.5100080.2024

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at