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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 19.02.2024, RV/1100396/2017

Rechtmäßigkeit einer Haftungsinanspruchnahme

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***11***, ***12***, vertreten durch Dr. Herbert L. Partl, Rechtsanwalt, Innstraße 59, 6020 Innsbruck, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des ***FA*** (nunmehr Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid bleibt unverändert.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer (im Folgenden abgekürzt Bf.) mit, dass auf dem Abgabenkonto der Primärschuldnerin die im beiliegendem Rückstandsausweis angeführten Abgaben in Höhe von insgesamt 40.505,91 € uneinbringlich aushafteten. Aufgrund der Funktion des Bf. als das zur Vertretung der Gesellschaft berufene Organ habe ihm die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen oblegen. Da die im Rückstandsausweis angeführten Abgabenbeträge während der Vertretungsperiode des Bf. fällig bzw. nicht entrichtet worden seien, müsse das Finanzamt bis zum Beweis des Gegenteiles davon ausgehen, dass der Bf. der ihm obliegenden Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft nicht ausreichend nachgekommen sei.

Vertreter von Kapitalgesellschaften hafteten mit ihrem persönlichen Einkommen und Vermögen für deren Abgaben, wenn sie an deren Nichtentrichtung ein Verschulden treffe, wobei hierfür bereits leichte Fahrlässigkeit genüge. Kein Verschulden bestünde beispielsweise, wenn alle anderen Gesellschaftsgläubiger gleich behandelt worden seien wie das Finanzamt. Die Pflichtverletzung müsse darüber hinaus in ursächlichem Zusammenhang mit der Nichtentrichtung stehen.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müsse das Finanzamt somit bis zum Beweis des Gegenteiles von einer schuldhaften und für den Abgabenausfall zudem auch ursächlichen Verletzung der Pflicht des Bf. zur Entrichtung der fällig gewordenen Abgaben aus den verwalteten Mitteln ausgehen. Unter diesen Umständen müsste der Bf. mit der Erlassung eines Haftungsbescheides im Ausmaß der uneinbringlich gebliebenen Abgaben rechnen.

Sofern die Gesellschaft bereits zu den Fälligkeitszeitpunkten der betreffenden Abgaben nicht mehr über ausreichend liquide Mittel zur (vollen) Bezahlung aller Verbindlichkeiten verfügt habe, könne dieser Umstand durch eine Auflistung sämtlicher Gläubiger mit zum Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen dargelegt werden. In dieser Aufstellung müssten alle damaligen Gläubiger der Gesellschaft (auch die zur Gänze bezahlten) sowie die auf einzelne Verbindlichkeiten (Gläubiger) geleisteten Zahlungen (Quoten) enthalten sein. Anzugeben bzw. gegenüberzustellen seien zudem alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel (Bargeld und offene Forderungen) und es sei die Verschuldenssituation umfassend darzustellen.

Nachdem der obig wiedergegebene Haftungsvorhalt unbeantwortet blieb, wurde der Bf. mit Haftungsbescheid vom gemäß § 9 iVm § 80ff BAO zur Haftung für folgende aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin in Höhe von insgesamt 39.385,34 € herangezogen:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Abgabenart
Zeitraum
Fälligkeitstag
Betrag
Umsatzsteuer
04/2015
2.753,76 €
Lohnsteuer
05/2015
306,53 €
Dienstgeberbeitrag
05/2015
773,42 €
Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag
05/2015
67,03 €
Umsatzsteuer
06/2015
1.441,96 €
Umsatzsteuer
07/2015
5.714,73 €
Umsatzsteuer
08/2015
4.319,50 €
Umsatzsteuer
01-09/2015
24.008,41 €
39.385,34 €

Begründend wurde ausgeführt, der Bf. sei als ehemaliger Company Director der Primärschuldnerin in Hinblick auf die Bestimmung des § 80 Abs. 1 BAO insbesondere verpflichtet gewesen, dafür Sorge zu tragen, dass die Abgaben des Betriebes entrichtet würden. Bei der gegebenen Aktenlage müsse das Finanzamt bis zum Beweis des Gegenteiles davon ausgehen, dass der Bf. diese gesetzliche Verpflichtung schuldhaft verletzt habe. Die Haftung sei auszusprechen gewesen, da Einbringungsmaßnahmen gegen die Primärschuldnerin bisher erfolglos verlaufen seien.

In der gegen den Haftungsbescheid fristgerecht eingebrachten Beschwerde begehrte der Bf. die Aufhebung des Haftungsbescheides. Zur Begründung brachte er vor, er habe im Jahr 2015 lediglich die gewerberechtliche Geschäftsführung ausgeübt. Die eigentliche Geschäftsführung, welche den Einkauf, die Erfassung der Getränkeumsätze, die Kontrolle darüber, die Personalführung, das Sammeln, Sortieren und Ablegen der Belege sowie den ganzen Zahlungs- und Geldverkehr umfasst habe, habe zu 100% ***3*** ausgeübt. Dies sei auch der Finanzpolizei bekannt gewesen, schon bei dem Antrittsbesuch in ***4***, bei dem ***3*** auch anwesend gewesen sei.

***3*** habe die mehrmalige Aufforderung zur Bezahlung der Steuern bzw. für die Einhaltung der Getränkekalkulation zu sorgen ignoriert. Im Laufe des Frühsommers 2015 habe ***3*** sodann eine "neue" GmbH über seinen Neffen, der ebenfalls Gesellschafter der Primärschuldnerin gewesen sei, gegründet und ab September 2015 sei der Betrieb über diese neu gegründete GmbH weitergeführt worden.

***3*** sei dem Finanzamt durch seine Art der Geschäftsführung auch bereits einschlägig bekannt, sodass es keiner weiteren Erläuterungen bedürfe.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid abgewiesen. Begründend wurde unter Wiedergabe der §§ 9 Abs. 1 und 80 Abs. 1 BAO sowie der zu diesen Normen ergangenen höchstgerichtlichen Judikatur ausgeführt, der Bf. beschränke sich in seiner Beschwerde auf die Behauptung, lediglich als "gewerberechtlicher Geschäftsführer" im Jahr 2015 fungiert zu haben. Aus dem Firmenbuch sei jedoch ersichtlich, dass als unbeschränkt haftende Gesellschafterin der Primärschuldnerin die ***5*** Ltd. mit Sitz in ***15*** fungiert hätte. Diese nach britischem Recht gegründete Gesellschaft sei am mit der Company Nr. ***6*** bzw. sei als deren Director der Bf. ins britische Unternehmensregister eingetragen worden. Die Eintragung der Primärschuldnerin ins österreichische Firmenbuch mit der Ltd. als Komplementärin sei einen Tag später erfolgt. Die Löschung der Ltd. in ***15*** sei nach Antrag des Bf. vom am erfolgt. Die Löschung der Primärschuldnerin im Firmenbuch sei am von Amts wegen erfolgt.

Infolge der Abweisung des Antrages auf Insolvenzeröffnung habe die Abgabenbehörde von der Uneinbringlichkeit der offenen Abgabenforderungen der Primärschuldnerin ausgehen können. Die Geltendmachung der Haftung sei sohin dem Grunde nach gerechtfertigt. Der Haftungsvorhalt sei unbeantwortet geblieben.

Der Bf. bringe weiters lediglich vor, dass die Abgabenbehörde Kenntnis davon gehabt habe, dass ***7*** tatsächlicher Geschäftsführer der Primärschuldnerin gewesen sei. ***7*** sei amtsbekannt dafür, für seine Geschäftsideen gewerberechtliche Strohmänner zu finden. Eine Strohmanneigenschaft schütze jedoch nicht vor einer Haftungsinanspruchnahme. Sollte ***7*** gegebenenfalls als Haftungspflichtiger hinzutreten, bestünde ein Gesamtschuldverhältnis über den Haftungsbetrag. In diesem Fall werde der Haftungsbetrag insgesamt einmal geschuldet, die Gesamtschuldner könnten beispielsweise im Innenverhältnis vereinbaren, wer und wieviel jeder zahle. Sobald dies der Fall sei, werde der Bf. darüber in Kenntnis gesetzt, dass ein weiterer Schuldner im Gesamtschuldverhältnis hinzugetreten sei. Dies ändere jedoch grundsätzlich nichts an der Haftung des Bf. als Geschäftsführer.

Im fristgerecht eingebrachten Vorlageantrag wurde nochmals betont, dass der Bf. nicht selbst Geschäftsführer der Primärschuldnerin gewesen sei, sondern ***3*** diese Tätigkeit ausgeübt habe. Mit sämtlichen steuerlichen Angelegenheiten der Kommanditgesellschaft sei zudem ***8***, ***9***, beauftragt und bevollmächtigt worden.

Sowohl von ***8*** als auch von ***3*** sei dem Bf. ständig versichert worden, dass sämtliche Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin bestmöglich beglichen worden seien. Der Betrieb der Kommanditgesellschaft sei jedoch bereits seit der Gründung nur sehr schlecht gelaufen und die Gesellschaft wäre nicht in der Lage gewesen, die Forderungen der Gläubiger zu befriedigen.

Dem Bf. sei jedoch keine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflichten vorzuwerfen und sein Verhalten als Geschäftsführer der Primärschuldnerin sei nicht kausal für die Uneinbringlichkeit der Abgabenschulden bei der Primärschuldnerin.

Sämtliche abgabenrechtlich relevanten Unterlagen hätten sich in Verwahrung von ***8*** in dessen Geschäftsräumlichkeiten in ***10*** befunden, welche jedoch im Zuge einer finanzpolizeilichen Maßnahme beschlagnahmt worden und dem Bf. daher derzeit nicht zugänglich seien.

Zudem seien die Beträge der ausständigen Abgabenschulden, zu deren Haftung der Bf. herangezogen werden solle, nicht nachvollziehbar. So würden die rückständigen Beträge an Umsatzsteuer jeweils für die Zeiträume 04/2015, 06/2015, 07/2015 und 08/2015 separat ausgewiesen. Zusätzlich werde jedoch für den Zeitraum 01-09/2015 ein zusammengefasster Betrag in Höhe von 24.008,41 € angeführt. Dies sei unschlüssig und deshalb habe der Bf. - unabhängig davon, dass ihm die benötigten Unterlagen derzeit nicht zur Verfügung stünden - keine Möglichkeit, die Abgabenverbindlichkeiten nach den Monaten der Fälligkeit zu eruieren, um den Nachweis der Gläubigergleichbehandlung erbringen zu können.

Im Vorlagebericht vom verwies das Finanzamt in seiner Stellungnahme auf die "Strohmann"- Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ; ) und beantragte die Abweisung der Beschwerde als unbegründet.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. war seit dem Company Director (Geschäftsführer) einer Limited Company (Ltd.), einer nach britischem Gesellschaftsrecht gegründeten, nicht börsennotierten Kapitalgesellschaft. Diese Ltd. war wiederum einzige unbeschränkt haftende Gesellschafterin der Primärschuldnerin, einer mit Gesellschaftsvertrag vom gegründeten, am im Firmenbuch eingetragenen und zwischenzeitlich im Firmenbuch gelöschten Ltd. & Co KG mit dem Betriebsgegenstand Gastronomie. Der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über die gegenständliche Kommanditgesellschaft wurde mit Beschluss des Landesgerichts ***1*** vom , GZ. ***2***, mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen. Die Funktion eines Company Director`s bei der gegenständlichen Ltd. hatte der Bf. seit dem bis zu ihrer auf Antrag des Bf. vom am erfolgten Löschung inne.

Haftungsgegenständlich sind die Umsatzsteuer 04/2015 mit Fälligkeitstag , die Umsatzsteuer 06/2015 mit Fälligkeitstag , die Umsatzsteuer 07/2015 mit Fälligkeitstag , die Umsatzsteuer 08/2015 mit Fälligkeitstag , die Umsatzsteuer 01-09/2015 mit Fälligkeitstag , die Lohnsteuer 05/2015 mit Fälligkeitstag , der Dienstgeberbeitrag 05/2015 mit Fälligkeitstag sowie der Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag 05/2015 mit Fälligkeitstag .

Bei der Primärschuldnerin haften zum gegenwärtigen Zeitpunkt fällige Abgabenschuldigkeiten in Höhe von insgesamt 40.986,07 € aus (in diesem Betrag sind sämtliche in Haftung gezogenen Abgaben in Höhe von 39.385,34 € inkludiert).

Der Bf. bezog vom bis zum Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und vom bis zum Arbeitslosengeld.

Aus dem Abgabenkonto des Bf. ist ersichtlich, dass die Einbringung von Abgaben in Höhe von insgesamt 121.988,69 € ausgesetzt wurde.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den seitens der Abgabenbehörde vorgelegten Akten sowie den vom BFG durchgeführten Abfragen im Abgabeninformationssystem, insbesondere aus dem Bericht vom über die bei der Primärschuldnerin durchgeführte Umsatzsteueraußenprüfung, über den aufgrund der Ergebnisse dieser Prüfung mit selben Datum gegenüber der Primärschuldnerin erlassenen Umsatzsteuerfeststellungsbescheid 01-09/2015 sowie dem Umsatzsteuerjahresbescheid 2015 vom .

3. Rechtsgrundlagen und rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

In Streit steht die Rechtmäßigkeit der Haftungsinanspruchnahme gemäß § 9 in Verbindung mit § 80 BAO.

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

Gemäß § 224 Abs. 1 BAO werden die in Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.

Voraussetzung für die Vertreterhaftung nach § 9 Abs. 1 BAO sind eine Abgabenforderung gegen den Vertretenen, die Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit der Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, dessen Verschulden an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit. Den Geschäftsführer einer Gesellschaft, deren Abgaben nicht entrichtet wurden und uneinbringlich geworden sind, trifft im Haftungsverfahren die Obliegenheit darzutun, weshalb er nicht dafür Sorge tragen konnte, dass die Gesellschaft die anfallenden Abgaben rechtzeitig entrichtet hat, widrigenfalls die Abgabenbehörde eine schuldhafte Pflichtverletzung annehmen darf. Im Fall des Vorliegens einer schuldhaften Pflichtverletzung spricht eine Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben durch die Pflichtverletzung und den Rechtswidrigkeitszusammenhang (vgl. , ).

Im Beschwerdefall bemängelte der rechtliche Vertreter des Bf., dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb zusätzlich zu den separat ausgewiesenen, in Haftung gezogenen Umsatzsteuern für die Zeiträume 04/2015, 06/2015, 07/2015 und 08/2015 für den Zeitraum 01-09/2015 ein zusammengefasster Betrag an Umsatzsteuer in Höhe von 24.008,41 € geschuldet werde. Ein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung sei - abgesehen davon, dass dem Bf. die dazu notwendigen Unterlagen nicht zur Verfügung stünden - mangels Kenntnis der konkreten Höhe der in den einzelnen Monaten fällig werdenden Umsatzsteuerbeträge nicht möglich.

Bestritten wurde auch, dass der Bf. zu den Fälligkeitszeitpunkten der in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten verantwortlicher Vertreter der Primärschuldnerin war sowie dass ihn an der Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten ein für die Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin kausales Verschulden traf.

  1. Nicht nachvollziehbare Aufschlüsselung der in Haftung gezogenen Abgaben

Bei der Umsatzsteuer handelt es sich ebenso wie bei der Lohnsteuer, dem Dienstgeberbeitrag sowie dem Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag um Selbstbemessungsabgaben, bei denen der in den jeweiligen Materiengesetzen festgelegte Abfuhrzeitpunkt maßgebend ist, unabhängig davon, ob bzw. wann die Abgaben bescheidmäßig festgesetzt wurden (siehe dazu z.B. Ritz/Koran, BAO7, § 9 Tz 10, sowie die dort angeführte höchstgerichtliche Judikatur).

Wie aus den Akten zu ersehen ist, fand bei der Primärschuldnerin eine Umsatzsteuerprüfung betreffend die Zeiträume 01-09/2015 statt. Im Prüfbericht vom wurde festgestellt, dass die Selbstberechnung der Umsatzsteuern für den genannten Zeitraum unrichtig war (so wurde der Verpflichtung zur Führung von Einzelaufzeichnungen iSd § 131 Abs. 1 Z 2 BAO nicht entsprochen, den geltend gemachten Vorsteuern lagen zum Teil keine Rechnungen iSd § 11 UStG 1994 zugrunde, etc.). Auf Basis der Prüfungsfeststellungen wurde daher mit Bescheid vom für den Prüfungszeitraum 01-09/2015 gemäß § 21 Abs. 3 UStG 1994 die Umsatzsteuer mit 57.178,80 € festgesetzt, woraus gegenüber den vorangemeldeten Umsatzsteuern 01-09/2015 eine Nachforderung von 24.008,41 € mit Fälligkeitstag resultierte.

Für das BFG ist in Bezug auf die in Haftung gezogenen Umsatzsteuern somit keine Unschlüssigkeit erkennbar. Auch hindert der Umstand, dass nicht für jeden Umsatzsteuervoranmeldungszeitraum (als solcher gilt gemäß § 21 Abs. 1 UStG 1994 der Kalendermonat) gesondert ein Umsatzsteuerfestsetzungsbescheid erlassen wurde, den Bf. nicht an der Vorlage einer nach Monaten gegliederten Liquiditätsaufstellung zwecks Nachweis der Gläubigergleichbehandlung. Denn der Umsatzsteuerfestsetzungsbescheid für 01-09/2015 vom verweist hinsichtlich der Fälligkeit des Nachforderungsbetrages ausdrücklich auf die beiliegende Buchungsmitteilung, die als Fälligkeitszeitpunkt den nennt.

  1. Stellung des Bf. als verantwortlicher Vertreter der Primärschuldnerin für die in Haftung gezogenen Abgaben, Pflichtverletzung des Bf., Verschulden an der Pflichtverletzung sowie Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit

Das Vorbringen des rechtlichen Vertreters des Bf., diesem sei ein Nachweis der Gläubigergleichbehandlung deshalb nicht möglich gewesen, weil sämtliche dafür erforderlichen steuerlichen Unterlagen, die sich in Verwahrung des Buchhalters der Primärschuldnerin befunden hätten, im Zuge einer finanzpolizeilichen Maßnahme beschlagnahmt worden und dem Bf. daher auch nicht zugänglich gewesen seien, vermag den Bf. schon deshalb nicht zu exkulpieren, weil der Bf. jederzeit Einsicht in den Strafakt nehmen und sich erforderlichenfalls Kopien anfertigen hätte können.

Zudem konnte auch nicht verifiziert werden, dass tatsächlich eine Beschlagnahme von steuerlich relevanten Unterlagen der Primärschuldnerin erfolgt ist. Diesbezügliche Erhebungen des BFG beim Amt für Betrugsbekämpfung, Geschäftsbereiche Steuerfahndung, Finanzstrafsachen und Finanzpolizei führten zu folgenden Ergebnissen:

1. Geschäftsbereich Steuerfahndung

Seitens der Steuerfahndung wurde weder ein Verfahren gegen die Primärschuldnerin noch ein solches gegen den Bf. durchgeführt und es ist auch zu keiner Beschlagnahme von Unterlagen gekommen.

2. Geschäftsbereich Finanzstrafsachen

Ein Finanzstrafverfahren gegen die Primärschuldnerin ist nicht aktenkundig. Gegen den Bf. wurde zwar ein Finanzstrafverfahren geführt und rechtskräftig abgeschlossen, allerdings findet sich im Finanzstrafakt kein Hinweis auf eine vorgenommene Beschlagnahme von Buchhaltungs- oder sonstigen Unterlagen.

3. Geschäftsbereich Finanzpolizei

Bezüglich der Primärschuldnerin wurde lediglich ein Antrittsbesuch durch die Finanzpolizei durchgeführt, eine Beschlagnahme von Gegenständen, insbesondere von Unterlagen, ist jedoch nicht erfolgt.

Gegenüber dem Bf. erfolgte in eigener Sache ein Antrittsbesuch und es wurden zwei Geldeinhebungsmaßnahmen durchgeführt. Überdies wurde eine Übertretung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes festgestellt und in diesem Zusammenhang ein Strafantrag veranlasst. Eine Beschlagnahme von Gegenständen, insbesondere von Unterlagen, ist nicht aktenkundig.

Hinsichtlich der in Haftung gezogenen Lohnsteuer für den Zeitraum 05/2015 geht die Verpflichtung des Vertreters zudem über das Gebot der gleichmäßigen Behandlung aller Schulden (bzw. aller Gläubiger) hinaus (). Der Vertreter im Sinne des § 80 BAO kann sich also bezüglich der Nichtentrichtung von auf ausbezahlte Löhne entfallenden Lohnsteuern nicht erfolgreich auf wirtschaftliche Schwierigkeiten der von ihm vertretenen Gesellschaft, also auf zur Entrichtung der Lohnsteuer fehlende Mittel berufen (). Sofern die Gesellschaftsmittel zur Auszahlung der voll vereinbarten Löhne nicht ausreichen, darf der Geschäftsführer zufolge der Anordnung im § 78 Abs. 3 EStG 1988 Löhne daher nur in solchen Beträgen zur Auszahlung bringen, der auch die Abfuhr der Lohnsteuer erlaubt. Die Nichtabfuhr der auf die ausbezahlten Löhne entfallenen Lohnsteuer ist dem Vertreter nicht nur als Verschulden zur Last zu legen, dieses Verschulden ist auch als kausal für die Uneinbringlichkeit dieser Lohnabgaben bei der Primärschuldnerin zu werten (; ; , 2011/16/0126).

Nicht geeignet, den Bf. von seiner Verantwortung zur Erfüllung seiner abgabenrechtlichen Pflichten, insbesondere jener zur Entrichtung der in Haftung gezogenen Abgaben, zu befreien, ist auch der Einwand, dass faktischer Geschäftsführer eine andere Person gewesen sei. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ; ; ; ) ist der vertretungsbefugte und im Rahmen dieser Vertretungsmacht haftungspflichtige Geschäftsführer von seiner Verantwortung zur Entrichtung fälliger Abgaben nicht schon deshalb befreit, weil die Geschäftsführung - sei es auf Grund eines eigenen Willensentschlusses des Geschäftsführers, sei es über Weisung von Gesellschaftern, sei es auf Grund einer sonstigen Einflussnahme wirtschaftlich die Gesellschaft beherrschender Personen - anderen Personen zusteht bzw. von Dritten wahrgenommen wird. Den Bf. kann auch nicht exkulpieren, dass er sich auf die Aussagen des faktischen Geschäftsführers sowie des Buchhalters der Primärschuldnerin verlassen hat, wonach sämtliche fälligen Abgaben der Primärschuldnerin bestmöglich beglichen worden seien. Vielmehr hätte der Bf. diese mit den abgabenrechtlichen Pflichten betrauten Personen - selbst wenn es nachweislich noch nicht zu Fehlleistungen gekommen ist - in einer Weise zu überwachen gehabt, die es ausschließt, dass ihm Steuerrückstände verborgen bleiben (siehe dazu z.B. ; ; ). Der Umstand, dass sich der Bf. nach eigenen Vorbringen mit der bloßen Versicherung einer ordnungsgemäßen Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten durch Dritte begnügt hat, entspricht jedenfalls nicht einmal ansatzweise einer ausreichenden und effektiven Kontrolle. Auch soll nicht unerwähnt bleiben, dass das Vorbringen im Vorlageantrag "dem Bf. sei von ***8*** als auch von ***3*** ständig versichert worden, dass sämtliche Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin bestmöglich beglichen wurden" in Widerspruch zum Beschwerdevorbringen steht, wonach "***3*** die mehrmalige Aufforderung zur Bezahlung der Steuern bzw. für die Einhaltung der Getränkekalkulation zu sorgen, ignoriert hat". Die widersprüchlichen Aussagen lassen nach Ansicht des BFG berechtigte Zweifel zu, dass die behaupteten Aussagen und Zahlungsaufforderungen tatsächlich getätigt wurden.

Die Nichtentrichtung der gegenständlichen, in Haftung gezogenen Abgaben, ist somit nicht nur objektiv als eine Verletzung der dem Bf. obliegenden abgabenrechtlichen Pflichten anzusehen, sondern dem Bf. auch vorwerfbar.

Bei schuldhafter Verletzung der Vertreterpflicht, für die Entrichtung der Abgaben aus den Mitteln des Vertretenen zu sorgen, darf die Abgabenbehörde überdies davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit ist (siehe dazu ; ; ).

  1. Ermessen

Die Heranziehung zur Haftung ist eine Ermessensentscheidung, die im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung des berechtigten Interesses des Bf. beizumessen, nicht zur Haftung für Abgaben herangezogen zu werden, deren Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin feststeht und deren Nichtentrichtung durch ihn verursacht wurde. Unter dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" ist das "öffentliche Interesse an der Einhebung der Abgaben" zu verstehen.

Wie eine seitens des BFG vorgenommene Abfrage im Abgabeninformationssystem ergab, bezog der am ***16*** geborene Bf. zuletzt Arbeitslosengeld. Ob der Bf. über Vermögen verfügt, geht aus den Akten nicht hervor. Diese Umstände sprechen jedoch deshalb nicht von vorneherein gegen die Zweckmäßigkeit einer Haftungsinanspruchnahme, weil deren zulässiger Umfang nicht mit der Höhe der aktuellen Einkünfte bzw. des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen begrenzt ist (vgl. ; ; ; mwN) bzw. eine derzeitige Uneinbringlichkeit von in Haftung gezogenen Abgabenschuldigkeiten nicht ausschließt, dass künftig erzielte Einkünfte oder bestehendes bzw. künftig neu erworbenes Vermögen zur Einbringlichkeit führen können (siehe dazu z.B. ).

Hinzu kommt, dass wesentliches Ermessenskriterium die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalls ist. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftung folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist (). Gesamthaft war daher in Ausübung des freien Ermessens dem öffentlichen Interesse an der Einbringung der Abgaben gegenüber dem Interesse des Bf., nicht zur Haftung herangezogen zu werden, der Vorzug zu geben.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Beschwerdefall waren die zu beurteilenden Rechtsfragen bereits ausreichend durch die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der das gegenständliche Erkenntnis nicht abweicht, geklärt. Eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist deshalb nicht zulässig.

Gesamthaft war somit spruchgemäß zu entscheiden.

Feldkirch, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 224 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2024:RV.1100396.2017

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at