Ausgleichszahlung bei vorübergehender Entsendung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Edith Stefan in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, geboren am tt.mm.jjjj, OB ***35***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) für den Zeitraum ab April bis Dezember 2021, zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang:
Einlangend bei der Abgabenbehörde am beantragte Herr ***8***, im Folgenden Beschwerdeführer (Bf), die Ausgleichszahlung für seine beiden mj Kinder, ***9***, geb. am ***10***, und ***11***, geb. am ***12***, für den Zeitraum ab Februar 2021 (Antrag vom ). Die Gattin des Bf, Frau ***3***, erklärte im Antrag als haushaltsführende Person ihren Verzicht auf österreichische Familienbeihilfe.
Der Bf legte Schulbestätigungen der polnischen Schule für beide Schüler vor (in deutscher Übersetzung liegen keine Schulbesuchsunterlagen auf). Weiters hat der Bf eine Bestätigung der polnischen Behörde (***1***, ***2***) über den ständigen Aufenthalt der Kinder bei der Kindesmutter, Frau ***16***, geb***4***, wohnhaft in ***5***, ***6***, ***7***, vorgelegt (vgl. in Polnisch vorgelegte Bestätigung). Geburtsurkunden (in Polnisch) liegen für die Kinder auf.
Für das "***30***" ausgestellte Bestätigungen vom und über die Anmeldung des Bf und seiner Gattin bei der polnischen Behörde zum Einbezug der gemeinsamen Kinder ***14*** und ***15*** in das Finanzierungprogramm "Rodzina 500+" wurden (in Polnisch) vorgelegt. Das Programm wurde erstmals ab vom polnischen Staat als finanzielles Familienförderprogramm für polnische Staatsbürger und bestimmte Kategorien von Ausländern, die in der Republik ***36*** leben, ins Leben gerufen. Der monatliche Auszahlungsbetrag für jedes Kind beträgt danach PLN 500,- (vgl. Internetabfrage zu "rodzina 500+ in ***36***": https://www.bpb.de/themen/eurooa/***36***-analysen/234235/chrinbik-5-juli2016-5-september-2016).
Mit Bescheid vom (an den Bf zugestellt an die Adresse ***13***, ***36***) wurde der Antrag vom mit der Begründung abgewiesen, dass eine Familienleistung nur für jene Monate zustünde, in denen eine unselbständige oder selbständige Beschäftigung ausgeübt bzw eine Geldleistung wie zum Beispiel Arbeitslosengeld oder Krankengeld bezogen werde und geltende Beschäftigungsvorschriften eingehalten wurden (Verordnung (EG) Nr. 883/2004). Die Familienbeihilfe sei für den Zeitraum Februar und März 2021 nach den Bestimmungen des § 15 FLAG weitergewährt worden (Anm. BFG: Covid-19-Bestimmung). Seit April 2021 sei keine Beschäftigung in Österreich mehr ausgeübt worden, weshalb "die Familienbeihilfe abzuweisen" sei.
Der Bf erhob einlangend am Beschwerde gegen den Bescheid und beantragte für seine beiden Kinder ***14*** und ***15*** die Ausgleichszahlung. Laut beiliegendem Lohnzettel habe er "… in der Zeit vom - bei der Firma ***19*** gearbeitet (Fa in ***36***)."
Mit Beschwerdevorentscheidung vom , zugestellt an die Adresse (***31***) wurde die Beschwerde mit der bereits im Bescheid angeführten Begründung abgewiesen.
Einlangend bei der Abgabenbehörde am wurde der Vorlageantrag erhoben und die Gewährung der Familienbeihilfe für den Zeitraum ab April 2021 bis Dezember 2021 für die beiden Kinder ***14*** und ***15*** beantragt. Begründend führte Herr ***17*** aus, er habe "…vom bis zum lt Lohnzettel bei der Firma ***18*** in Österreich gearbeitet." (Anm. BFG: gemeint wohl bis wie laut Lohnzettel; vgl. demgegenüber die diesbezüglichen Angaben in den Lohnzettelmeldungen/Anlage zum Einkommensteuerbescheid: ). "Es sei auch für das Jahr 2021 eine Arbeitnehmerveranlagung (siehe Bescheid vom ) durchgeführt" worden.
Die Abgabenbehörde legte die Beschwerde zur Entscheidung durch das Bundesfinanzgericht vor. Im Vorlagebericht wurde darauf verwiesen, dass der Bf im Zeitraum März 2020 sowie vom Mai bis Dezember 2020 bei der ***22*** GmbH beschäftigt gewesen und danach von der Firma ***20*** aus ***36*** nach Österreich entsendet worden und daher nicht mehr dem Österreichischen Sozialversicherungssystem unterlegen sei. Unter auszugsweisem Hinweis auf die Bestimmungen der Art. 12 VO (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit iVm Art. 14 Abs. 1 bis 4 der VO Nr. 987/2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO (EG) Nr. 883/2004 führte die Abgabenbehörde an, es habe "mangels Erwerbstätigkeit in Österreich und der polnischen Entsendung nach Österreich ab 04/2021 kein Anspruch mehr auf Differenzzahlung" bestanden. Für die Zeiträume 04/2020 und 01/2021 bis 03/2021 seien nach der Bestimmung des § 15 FLAG (Covid-19-Bestimmung) zusätzlich noch österreichische Familienleistungen gewährt worden.
Über die Beschwerde wurde erwogen:
Nationales Recht:
§ 2 Abs. 8 FLAG 1967 bestimmt, dass Personen nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe haben, wenn sie den Mittelpunkt der Lebensinteressen im Bundesgebiet haben. Eine Person hat den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in dem Staat, zu dem sie die engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat.
Unionsrechtsgrundlagen:
Mit der Verordnung VO (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit und der hierzu ergangenen Durchführungsverordnung (EG) Nr. 987/2009 hat das Europäische Parlament und der Rat grundlegende Bestimmungen zur Arbeitnehmerfreizügigkeit geschaffen.
Gemäß Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004 gilt diese Verordnung ua für Staatsangehörige mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen.
Gemäß Art. 3 Abs. 1 lit j VO 883/2004 gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften, die Familienleistungen betreffen.
Bei der österreichischen Familienbeihilfe handelt es sich um eine solche Familienleistung.
Artikel 11 Abs. 1 VO 883/2004 bestimmt, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, den Vorschriften nur eines Mitgliedstaates unterliegen. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach den Ausführungen dieses Titels.
Art. 11 Abs. 3 lit a VO 883/2004 normiert, dass eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, vorbehaltlich der Art. 12 bis 16 dieser Verordnung den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaates unterliegt.
Nach Artikel 12 Abs. 1 VO 883/2004 unterliegt eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, der gewöhnlich dort tätig ist, eine Beschäftigung ausübt und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaates, sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit vierundzwanzig Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere Person ablöst.
Festgestellter Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer ist polnischer Staatsbürger. Seine beiden mj Kinder leben und lebten nach den vorgelegten Bescheinigungen bei der Mutter, der Ehegattin des Bf, Frau ***16***, an der aktuellen Wohnanschrift des Bf in ***36*** (in ***5***). Im gegenständlichen Antrag hat die haushaltsführende Gattin ihren Verzicht auf die Auszahlung der österreichischen Familienbeihilfe (Ausgleichszahlung) erklärt.
Der Bf war ab (auch) mit Wohnsitz in Österreich polizeilich gemeldet. Im Zeitraum ab mit Hauptwohnsitz in ***24*** (Unterkunftgeber unbekannt), seit mit Nebenwohnsitz in ***25*** (Unterkunftgeber Herr ***26***).
Nach den Sozialversicherungsdaten war der Bf im März 2020 sowie ab Mai bis Dezember 2020 bei der Fa. ***22*** GmbH (***21***) als Arbeiter beschäftigt gewesen (davor war der Bf seit mit Unterbrechungen bei verschiedenen Arbeitgebern als Arbeiter angemeldet). Im März 2020 und im März 2021 bezog er jeweils Leistungen aus der Bauarbeiter- Urlaubs- und Abfertigungskasse (Winterfeiertagsentschädigung).
Im Zeitraum vom 01. Februar bis zum war der Bf lt von ihm vorgelegtem Lohnzettel für die in ***36*** ansässige ***18*** (in ***23***) beschäftigt (vgl. die Ausführungen des Bf in der Beschwerde und im Vorlageantrag, dort allerdings entsprechend der Lohnzettelauskunft lt. Einkommensteuerbescheid angegeben bis ).
Für den Zeitraum ab April 2021 scheinen keine Versicherungszeiten und keine in Österreich abgeführten Sozialversicherungsbeiträge mehr auf (Sozialversicherungsdatenauszug).
Die Abgabenbehörde führte in ihrem Vorlagebericht aus, der Bf sei von der oa ***32*** aus ***36*** nach Österreich entsendet worden und daher nicht mehr dem Österreichischen Sozialversicherungssystem unterlegen. Mangels Erwerbstätigkeit in Österreich bei Entsendung habe ab April 2021 kein Anspruch auf Differenzzahlung (Anm. BFG: gemeint wohl Ausgleichszahlung) mehr bestanden.
Erwägungen und rechtliche Würdigung:
Das Finanzamt hat den Antrag des Bf unter Bezugnahme auf die VO (EG) Nr. 883/2004 mit der Begründung abgewiesen, dass österreichische Familienleistungen nur für jene Monate zustünden, in denen eine unselbständige oder selbständige Beschäftigung ausgeübt bzw Geldleistungen wie beispielsweise Arbeitslosengeld oder Krankengeld bezogen und geltende Beschäftigungsvorschriften eingehalten wurden. Der Bf sei nur bis bei der Fa. ***28*** beschäftigt gewesen und habe seit April 2021 keine Beschäftigung mehr in Österreich ausgeübt. Die Ausgleichszahlung sei nach § 15 FLAG (Covid-19 Regelung) bis einschließlich März 2021 gewährt worden.
Ab April 2021 war der Bf unbestritten nicht mehr im österreichischen Sozialversicherungssystem erfasst. Das laut vorgelegtem Lohnzettel ausgewiesene Unternehmen ***18*** ist unter der dort angeführten Adresse in ***36*** ansässig (gewesen).
Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2021 liegt im Akt auf (zum Bezugszeitraum vgl. die Angaben zu den Lohnzettelmeldungen wie oben).
Zum Parteienvorbringen:
Mit den Ausführungen, wonach der Bf "lt beiliegendem Lohnzettel in der Zeit vom - bei der Fima ***19*** gearbeitet (Fa. in ***36***)" gearbeitet habe (vgl. Beschwerde) sowie den Angaben, er habe "lt Lohnzettel für die polnische Firma in Österreich gearbeitet" (vgl. Vorlageantrag), hat der Bf selbst auf seine befristete Entsendung hingewiesen, die die Anwendung der oa Bestimmung des Art. 12 VO (EG) 883/2004 auslöste.
Der angeschlossene Lohnzettel war von der ***33*** für den Zeitraum vom 01.02. bis ausgestellt worden. Eine Entsendebescheinigung E 101 wurde vom Bf zwar nicht vorgelegt, jedoch geht aus dem vom Bf gleichzeitig übermittelten Lohnzettel insoweit klar hervor, dass der Bf vom lohnzettelausstellenden polnischen Unternehmen angestellt worden war. Nach den zitierten Ausführungen des Bf war er im Streitzeitraum für das polnische Unternehmen in Österreich tätig. Davon, dass während der Dauer der Beschäftigung also eine arbeitsrechtliche Bindung zwischen dem im Lohnzettel ausgewiesenen, in ***36*** ansässigen Unternehmen und dem Bf bestanden hat, an die auch der Entgeltanspruch des Bf anschloss, kann auf Grund der Ausführungen des Bf in Verbindung mit den Lohnzetteldaten ausgegangen werden. Dies würde im Übrigen auch für den Fall gelten, dass die lohnzahlende Firma durch Subauftragnehmer in Österreich tätig geworden wäre (vgl. dazu etwa die Sozialversicherungsdaten hinsichtlich der vorherigen Beschäftigung des Bf bei einer namensähnlichen ***22*** GmbH mit Niederlassung in ***34*** im Zeitraum 2020 wie oben).
Die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates bestimmt sich nach den Kumulierungsbestimmungen der VO (EG) 883/2004 zunächst zwar nach dem Beschäftigungsort. Wenn der Bf darauf verweist, dass er für das polnische Unternehmen in Österreich gearbeitet und in Österreich zur Einkommensteuer veranlagt wurde, so übersieht er aber, dass das Unionsrecht in der VO (EG) 883/2004 auch vom Beschäftigungsort abweichende Zuständigkeiten normiert. Eine solche "besondere" Zuständigkeit ist in Art 12 VO (EG) 883/2004 vorgesehen. Dabei kommen aber die Kumulierungsregeln der VO 883/2004 nicht zum Tragen (vgl. dazu ua das zur VorgängerVO (EG) Nr. 1408/71 ergangene , Rechtssache ***27***; vgl. auch die Ausführungen im Folgenden).
Den Ausführungen im Vorlageantrag, wonach der Bf in Österreich zur Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) veranlagt worden ist (vgl. Einkommensteuerbescheid für 2021), ist entgegenzuhalten, dass die Frage der Steuerpflicht bezüglich Einnahmen nach den Regelungen der VO (EG) 883/2004 nicht relevant ist, es somit nicht darauf ankommt, ob der Bf (allenfalls auf Grund eines Antrages nach § 1 Abs. 4 EStG 1988) mit seinen Einkünften aus dem Dienstverhältnis als (unbeschränkt) steuerpflichtig behandelt wurde.
Judikatur des Europäischen Gerichtshofes:
Der EuGH führt in C-611/10 und C-612/10 zur VO (EG) 1408/71 aus, dass im Rahmen einer Entsendung eines Arbeitnehmers in einen anderen Mitgliedstaat nach der in der genannten Entscheidung (noch) anzuwendenden Bestimmung des Art. 14 Nr. 1 Buchstabe a der VO der entsendende Staat der zuständige Staat für die Gewährung einer Familienleistung bleibt. In den Rn 41 bis 44 des Urteils heißt es, dass die Vorschriften dieser VO ua bezwecken, dass die Betroffenen grundsätzlich dem System der sozialen Sicherheit eines einzigen Mitgliedstaates unterliegen, sodass die Kumulierung anwendbarer nationaler Rechtsvorschriften und die Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben können, vermieden werden. Dieser Grundsatz kommt insbesondere in Art. 13 Abs. 1 dieser Verordnung zum Ausdruck (vgl. Urteil vom , C-16/09). Da Art. 48 AEUV eine Koordinierung und keine Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten vorsieht, werden im Übrigen die materiellen und formellen Unterschiede zwischen den Systemen der sozialen Sicherheit der einzelnen Mitgliedstaaten und folglich zwischen den Ansprüchen der dort Versicherten durch diese Bestimmung nicht berührt, sodass jeder Mitgliedstaat dafür zuständig bleibt, im Einklang mit dem Unionsrecht in seinen Rechtsvorschriften festzulegen, unter welchen Voraussetzungen die Leistungen eines Systems der sozialen Sicherheit gewährt werden (dazu ua Urteil vom , C-388/09). In diesem Rahmen kann das Primärrecht der Union einem Versicherten nicht garantieren, dass ein Wechsel in einen anderen Mitgliedstaat hinsichtlich der sozialen Sicherheit neutral ist. Somit kann die Anwendung - gegebenenfalls aufgrund der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 - einer nationalen Regelung, die in Bezug auf Leistungen der sozialen Sicherheit weniger günstig ist, grundsätzlich mit den Anforderungen des Primärrechtes der Union auf dem Gebiet der Personenfreizügigkeit vereinbar sein (vgl. Rn 41 bis 44 des Urteils C-611/10 unter Verweis auf C-388/09).
Wie der Europäische Gerichtshof (vgl. ) ausführte, bestand nach der VO (EG) 1408/71 keine Verpflichtung eines Mitgliedstaates zur Gewährung von Familienleistungen, wenn der/die nach der Verordnung zuständige/n Mitgliedstaat/en keine (oder nur geringere) Familienleistungen erbringt/en (vgl. Rn 27 des Urteils).
Diese Rechtsprechung ist auch auf die Regelungen der VO (EG) 883/2004 übertragbar. Im hier zuletzt angeführten Urteil äußert der Gerichtshof aber auch die Ansicht, dass es einem nach der Verordnung nicht zuständigen Mitgliedstaat auferlegt sein kann, Familienleistungen allein aufgrund der innerstaatlichen Vorschriften (trotz unionsrechtlicher Unzuständigkeit) zu gewähren (vgl, Rnr. 28 des Urteils), wenn ein diesbezüglicher Anspruch allein nach innerstaatlichen Vorschriften besteht. In diesem Sinne auch das und C-612/10, Rnr. 44).
Bei der Prüfung, ob für den Bf ein Anspruch auf Familienbeihilfe allein nach nationalem Recht (§ 2 Abs. 8 iV mit § 53 FLAG) gegeben war, ist daher maßgeblich auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Antragstellers abzustellen. Dieser liegt bei einer verheirateten Person, die (auch) einen gemeinsamen Haushalt mit der im anderen Mitgliedstaat lebenden Familie führt, an dem Ort, an dem die Familie lebt. Zum Ort, in dem die Familie lebt, hat eine verheiratete Person idR die stärkste persönliche Beziehung. Unter persönlichen Beziehungen sind dabei all jene zu verstehen, die jemanden aus in seiner Person liegenden Gründen, insbesondere aufgrund der Geburt, der Staatszugehörigkeit, des Familienstandes und der Betätigungen religiöser und kultureller Art, an ein bestimmtes Land binden. Diese Annahme setzt in der Regel die Führung eines gemeinsamen Haushalts sowie das Fehlen ausschlaggebender und stärkerer Bindung zu einem anderen Ort, etwa aus beruflichen oder gesellschaftlichen Gründen, voraus (vgl. ua ; , 2009/16/0125 und weitere).
Auf den vorliegenden Fall angewendet, bedeutet dies:
Es kann als bekannt vorausgesetzt werden, dass sich Wanderarbeiter in der Regel zur Arbeitsverrichtung am Einsatzort aufhalten und während der arbeitsfreien Zeiten zu ihrer Familie heimkehren. Dies wird auch auf den Bf zugetroffen haben.
Der Bf war seit November 2017 mit Unterbrechungen bei verschiedenen Arbeitgebern, zuletzt im Zeitraum vom Februar bis Oktober 2021 für die in ***36*** ansässige Firma ***18***, in Österreich beschäftigt und ab bis mit Wohnsitz in Österreich polizeilich gemeldet gewesen (zuletzt mit Nebenwohnsitz).
Dass der Bf zu seinem Herkunftsstaat, in dem seine Familie wohnte - die beiden Söhne waren zu diesem Zeitpunkt zehn- bzw fünf Jahre alt - die engeren persönlichen Bindungen hatte, kann als erwiesen angesehen werden.
Der Bf hat im hier in Rede stehenden Jahr 2021 Kosten für Familienheimfahrten in nicht unbeträchtlicher Höhe (vgl. Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2021) zum Abzug beantragt und bewilligt bekommen, woraus geschlossen werden kann, dass der Bf regelmäßig in den Haushalt seiner Familie zurückgekehrt ist und seinen Familienwohnsitz in ***36*** auch während seiner Entsendung beibehalten hat.
Auch der Umstand, dass der Bf nunmehr auch seinen Wohnsitz am Wohnort der Familie angibt und er inzwischen nicht mehr in Österreich beschäftigt ist (vgl. Sozialversicherungsdaten), weist auf eine durchgehende engere persönliche Beziehung zu seiner in ***36*** lebenden Familie hin.
Davon, dass der Bf seinen Lebensmittelpunkt bei der vorliegend in Rede stehenden Entsendung (diese währte sogar bei Einrechnung des Zeitraums davor, in dem der Bf bei der ***22*** GesmbH beschäftigt war, weniger als zwei Jahre) aufgrund einer engeren persönlichen bzw familiären Bindung zu Österreich gehabt hätte, kann nicht gesprochen werden.
Dass der Bf zum Zwecke der Nächtigungen an seinem Einsatzort einen Wohnsitz angemeldet hatte, schadet dabei nicht, weil eine polizeiliche Meldung nur ein Indiz dafür darstellt, dass sich eine Person (auch) an dem gemeldeten Ort aufhält. Für die Beurteilung der Frage des Mittelpunktes der Lebensinteressen ist die polizeiliche Meldung nachrangig.
Entscheidend ist, zu welchem Mitgliedstaat die Person die engeren Beziehungen hatte, wobei das Überwiegen der Beziehungen zum einen oder anderen Staat den Ausschlag gibt. Wirtschaftlichen Beziehungen kommt in der Regel eine geringere Bedeutung zu als persönlichen Beziehungen.
Wenn aber auch der Arbeitgeber des Bf (***18***) im Wohnsitzstaat der Familie ansässig ist (war), ergibt sich daraus sogar auch eine stärkere berufliche Bindung an den Herkunftsmitgliedstaat.
Die Tatsache, dass der Bf 2021 noch in Österreich besteuert wurde, reicht als alleiniger Anknüpfungspunkt für ein Überwiegen der wirtschaftlichen Bindung an Österreich nicht aus.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die stärkeren persönlichen, familiären Beziehungen des Bf in ***36*** bestanden haben und keine ausschlaggebenden und stärkeren Bindungen zu Österreich, etwa aus gesellschaftlichen Gründen, ja sogar beruflich stärkere Beziehungen zu ***36*** festzustellen waren. Selbst wenn man entgegen den bisherigen Ausführungen eine überwiegende Verwurzelung in ***36*** verneinte, wäre dadurch allein aber nicht schon eine überwiegende Bindung an Österreich gegeben, zumal keine Hinweise darauf vorliegen, dass diese Bindung über jene zum Herkunftsstaat hinausging.
Eine Zuständigkeit Österreichs zur Auszahlung von Familienbeihilfe war daher im Streitzeitraum auch aufgrund nationalen Rechts nicht mehr gegeben.
Nach den vorliegenden Unterlagen unterlag der Bf ab dem Zeitpunkt seiner Beschäftigung (Entsendung) durch einen in ***36*** ansässigen Arbeitgeber dem polnischen Sozialversicherungssystem und war daher Polen der für die Auszahlung von Familienleistungen allein zuständige Mitgliedstaat.
Österreich war mangels Anknüpfungspunkten ab dem im Bescheid angeführten Zeitraum für die Auszahlung von Familienleistungen weder vorrangig, noch nachrangig zuständig.
Nicht entscheidend ist dabei, ob der Bf und/oder seine Gattin in ***36*** Anspruch auf Familienleistungen hatten bzw Familienleistungen in ***36*** bezogen wurden. Unerheblich ist auch, ob die im Lohnzettel ausgewiesenen Sozialversicherungsbeiträge von der ***18*** in ***36*** tatsächlich abgeführt wurden.
Eine Auszahlung von Beihilfen allein aufgrund eines meldebehördlich aufrechten Wohnsitzes sieht weder das Unionsrecht, noch das nationale Recht vor. Hinweise auf eine iSd Art. 16 Abs. 1 VO (EG) Nr. 883/2004 getroffene Ausnahmevereinbarung ergibt die Aktenlage nicht.
Aus den angeführten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.
Zur Unzulässigkeit einer Revision:
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Gründe für eine Revision im vorangeführten Sinn sind nicht gegeben.
Wien, am
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 Art. 11 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 12 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 Art. 16 VO 883/2004, ABl. Nr. L 166 vom S. 1 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100585.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at