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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.11.2023, RV/7100353/2022

Nachsichtsantrag eines Gesamtschuldners

Rechtssätze


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Stammrechtssätze
RV/7100353/2022-RS1
Beantragt ein Gesamtschuldner (hier: Geschäftsführer einer GmbH, der zur Haftung für Abgabenverbindlichkeiten der Gesellschaft herangezogen wurde) eine Abgabennachsicht, hat er im Sinne der ihn treffenden (erhöhten) Mitwirkungspflicht zu behaupten, dass die in § 236 Abs. 1 BAO normierten Billigkeitskriterien auf alle Gesamtschuldner zutreffen.
RV/7100353/2022-RS2
Hat die Abgabenbehörde lediglich über den primär gestellten Antrag auf Nachsicht i.S.d. § 236 BAO entschieden, ist es dem Bundesfinanzgericht verwehrt, im Falle der Versagung der Nachsicht über einen eventualiter gestellten Antrag auf Entlassung aus der Gesamtschuld i.S.d. § 237 zu entscheiden.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, vertreten durch Dr. Matthias Klissenbauer, Rechtsanwalt, Trautsongasse 6 Tür 5, 1080 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 (nunmehr zuständig: Finanzamt Österreich) vom betreffend Nachsicht gem. § 236 BAO Steuernummer ***BFStNr*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Eingabe vom beantragte der Beschwerdeführer gemäß § 236 BAO die Nachsicht der Abgabenschuldigkeiten laut Haftungsbescheid vom , für die er als Geschäftsführer einer GmbH herangezogen wurde, in eventu die Entlassung aus der Gesamtschuld i.S.d. § 237 BAO. Die Einhebung der Abgabenschuld sei nach der Lage des Falles unbillig, da die finanziellen Verhältnisse des Beschwerdeführers lediglich durchschnittlich seien, sodass Einbringungsmaßnahmen auch langfristig keinen Erlös erbringen würden. Demgegenüber sei die persönliche Existenz des Beschwerdeführers und die Einhaltung der bestehenden Sorgepflichten gefährdet. Der Beschwerdeführer habe abgesehen von den gegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten keine sonstigen finanziellen Schwierigkeiten, sodass die Existenzgefährdung mit einer Abgabennachsicht abgewendet werden könne. Es liege daher ein Missverhältnis zwischen der Einhebung der Abgabe und den im subjektiven Bereich entstehenden Nachteilen vor. Bei der Bewertung der Unbilligkeit es sei auch zu berücksichtigen, dass die Abgabenverbindlichkeiten aus der Zeit vor der Bestellung des Beschwerdeführers zum Geschäftsführer stammen und der Beschwerdeführer diese Funktion nur für einen kurzen Zeitraum aus familiärer Gefälligkeit übernommen habe. Zudem habe er aus dieser Tätigkeit keinen Vorteil gezogen, der der Übernahme des Haftungsrisikos gegenübergestanden wäre. Es handle sich daher um eine außergewöhnliche und atypische Konstellation die der Gesetzgeber bei Festlegung der Haftungsbestimmungen so nicht vorausgesehen hat bzw. nicht voraussehen konnte.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wies die belangte Behörde den Antrag um Bewilligung einer Nachsicht ab. Sie führte aus, dass eine Nachsicht gemäß § 236 Abs. 1 BAO nur infrage komme, wenn die Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre, also wenn die Einhebung mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden ist (persönliche Unbilligkeit) oder bei Anwendung des Gesetzes ein vom Gesetzgeber nicht beabsichtigtes Ergebnis eintreten würde, das zu einer anormalen Belastungswirkung verbunden mit einem atypischen Vermögenseingriff führt (sachliche Unbilligkeit). Dies sei hier nicht der Fall, da einerseits die wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Möglichkeit, die Abgabenschuld in Raten zu entrichten, abgemildert werden können, und andererseits die Haftung lediglich eine steuerliche Auswirkung eines als generelle Norm mit umfassendem persönlichen Geltungsbereich erlassenen Gesetzes ist.

Dagegen richtet sich die gegenständliche Beschwerde vom , in der der Beschwerdeführerführer ergänzend zum Antrag vom vorbringt, dass bei rechtzeitiger Beschwerdeerhebung im Haftungsverfahren eine hohe Obsiegenswahrscheinlichkeit bestanden hätte, da die Haftungszeiträume nicht mit der Funktionsperiode des Beschwerdeführers als Geschäftsführer übereinstimmen. Dieser Umstand könne bei der Haftung berücksichtigt werden. Die im angefochtenen Bescheid ins Treffen geführte Möglichkeit von Ratenzahlungen stelle zudem keine realistische Alternative dar, da bei einer Rate i.H.v. € 300,00 eine Zahlungsdauer von über 55 Jahren anzunehmen wäre, sodass eine Befriedigung der Verbindlichkeiten nicht angenommen werden könne.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Sie führte erneut aus, dass eine sachliche Unbilligkeit nur infrage komme, wenn im Einzelfall bei Anwendung des Gesetzes aus anderen als persönlichen Gründen ein vom Gesetzgeber offenbar nicht beabsichtigtes Ergebnis eintritt, sodass es zu einer anormalen Belastungswirkung und verglichen mit anderen Fällen zu einem atypischen Vermögenseingriff kommt. Auch eine persönliche Unbilligkeit sei zu verneinen, da der Beschwerdeführer - wie er selbst ausführt - keine sonstigen finanziellen Schwierigkeiten habe, sodass der Rückstand mithilfe von Teilzahlungen beglichen werden könne. Im Übrigen habe der Beschwerdeführer entgegen seiner qualifizierten Mitwirkungspflicht keine Tatsachen oder Beweise angeführt, die eine persönliche Unbilligkeit i.S.d. § 236 Abs. 1 BAO begründen würden.

Mit Schriftsatz vom stellte der Beschwerdeführer Vorlageantrag gemäß § 264 BAO.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war von bis (Datum der Eintragung im Firmenbuch; der zugrundeliegende Antrag langte am beim Firmenbuchgericht ein) Geschäftsführer der ***X*** GmbH (FN ***XXXXX***). Mit Haftungsbescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom , St.Nr. xx-xxx/xxxx, wurde er gem. § 9 i.V.m. §§ 80 ff. BAO für Abgabenverbindlichkeiten der ***X*** GmbH im Ausmaß von € 222.172,85 (USt 2014, LSt 2014, KESt 2014, KöSt 2014 sowie Zinsen und Säumniszuschlag) in Anspruch genommen. Eine gegen diesen Haftungsbescheid erhobene Beschwerde wurde mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7105992/2019, als verspätet zurückgewiesen.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur Geschäftsführereigenschaft des Beschwerdeführers gründen sich auf das offene Firmenbuch, jene zum Haftungsverfahren auf die genannten Entscheidungen (Bescheid des Finanzamtes Wien 4/5/10 vom und Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom ). Der festgestellte Sachverhalt ist im Übrigen zwischen den Parteien unstrittig.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 236 Abs. 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre. Die Unbilligkeit kann entweder persönlicher oder sachlicher Natur sein (vgl. § 1 der Verordnung des BMF betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinne des § 236 BAO, BGBl II 2005/435). Wegen der Antragsgebundenheit dieses Verwaltungsaktes darf eine Nachsicht nicht über den Antrag hinausgehen (). Der Antrag muss begründet sein und hat die Abgabenbehörde im Rahmen ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nur die vom Antragsteller geltend gemachten Gründe, die im Sinne der den Antragsteller treffenden (erhöhten) Mitwirkungspflicht einwandfrei und unter Ausschluss jeglichen Zweifels darzutun sind, zu prüfen (; , 2013/15/0173; , Ra 2018/15/0014).

Durch die Geltendmachung der Haftung mit Haftungsbescheid vom wurden der Beschwerdeführer und die ***X*** GmbH zu Gesamtschuldnern (§ 7 Abs. 1 BAO). Da die Nachsicht i.S.d. § 236 Abs. 1 BAO durch Abschreibung zu erfolgen hat und durch eine verfügte Abschreibung der Abgabenanspruch erlischt (§ 236 Abs. 3 i.V.m. § 235 Abs. 2 BAO), kommt die Nachsicht allen Solidarschuldnern zugute. Im Falle einer Gesamtschuldnerschaft kann sie daher nur gewährt werden, wenn die Billigkeitsgründe bei allen Mitschuldnern gegeben sind. Beantragt ein Mitschuldner die Nachsicht, hat er demnach im Sinne der o.a. (erhöhten) Mitwirkungspflicht zu behaupten, dass die Einhebung auch bei den übrigen Mitschuldnern unbillig wäre (; , 99/16/0099). Der Beschwerdeführer führt ausschließlich Umstände ins Treffen, weshalb er die Einhebung bei ihm als unbillig erachtet (Gefährdung seiner persönlichen Existenz und der ihn treffenden Unterhaltspflichten; Abgabenverbindlichkeiten stammen aus der Zeit vor seiner kurzen Geschäftsführertätigkeit; Obsiegenswahrscheinlichkeit bei rechtzeitiger Einbringung der Beschwerde gegen Haftungsbescheid). Dass die Einhebung auch bei der ***X*** GmbH unbillig wäre, behauptet er nicht und ist dies auch nicht erkennbar. Die beantragte Nachsicht konnte daher schon allein aus diesem Grunde nicht gewährt werden.

In eventu, also für den Fall, dass dem Nachsichtsansuchen nicht Folge gegeben werden sollte, hat der Beschwerdeführer die Entlassung aus der Gesamtschuld gem. § 237 BAO beantragt. Mit dem beschwerdegegenständlichen Bescheid vom hat die belangte Behörde ausschließlich über den Nachsichtsantrag abgesprochen (lt. Spruch wird der "Antrag vom um Bewilligung einer Nachsicht" abgewiesen; auch in der Begründung wird lediglich auf § 236 Abs. 1 BAO Bezug genommen). Durch diesen Inhalt des Spruches erster Instanz wird die "Sache" i.S.d. § 279 Abs. 1 BAO definiert und die Entscheidungsbefugnis des Bundesfinanzgerichtes insofern begrenzt, als es nur im Rahmen dieser "Sache" erkennen kann (; , Ra 2018/16/0121). Bei der Nachsicht und der Entlassung aus der Gesamtschuld handelt es sich um unterschiedliche "Sachen" (; vgl. auch , wonach ein Nachsichtsantrag nicht in einen Antrag auf Entlassung aus der Gesamtschuld umgedeutet werden kann). Dem Bundesfinanzgericht ist es damit verwehrt, über den Eventualantrag auf Entlassung aus der Gesamtschuld gem. § 237 BAO zu entscheiden. Dies hätte - sofern noch nicht geschehen - durch die belangte Behörde zu erfolgen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die im vorliegenden Fall entscheidenden Fragen, nämlich dass im Nachsichtsantrag eines Gesamtschuldners das Vorliegen der in § 236 Abs. 1 BAO normierten Billigkeitserwägungen bei allen Gesamtschuldnern zu behaupten ist, sowie dass die "Sache" i.S.d. § 279 Abs. 1 BAO, in deren Grenzen das Bundesfinanzgericht entscheiden kann, durch den Spruch erster Instanz definiert wird, sind durch die zitierte Rechtsprechung, von der das Bundesfinanzgericht nicht abgewichen ist, geklärt. Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung war daher nicht zu lösen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 236 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise







ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100353.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at