Zurückweisung eines Begehrens auf Festsetzung von Umsatzsteuerzinsen für Zeiträume vor Inkraft-Treten des § 205c BAO
Rechtssätze
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Stammrechtssätze | |
RV/5100613/2022-RS1 | Die Änderungsbefugnis („nach jeder Richtung“) ist durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (zB ; , 2012/15/0161; , Ra 2020/16/0137; , Ra 2018/16/0121). Eine Uminterpretation des Spruches des angefochtenen Bescheides in eine Abweisung ginge über die Sachentscheidungskompetenz des Gerichts hinaus (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 11 mit Hinweis auf ) und kommt somit nicht in Betracht. |
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter Mag. Johann Fischerlehner in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch ***, und Dr. iur. Michael Kotschnigg, Steuerberater, 1220 Wien, Stadlauer Straße 39/Top 12 über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Zuerkennung von Verzugszinsen betreffend Umsatzsteuer 11/2010 und 12/2010 zu Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht erkannt:
I. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die beschwerdeführende Partei hat in den beiden Umsatzsteuer-Voranmeldungen 11/2010 und 12/2010 Vorsteuern geltend gemacht. Diese haben in der Umsatzsteuer-Voranmeldung 11/2010 insgesamt zu einem Überschuss in Höhe von 15.771,28 Euro geführt. Nach Ausführungen der belangten Behörde wurde auch eine sonstige Gutschrift auf dem Abgabenkonto der beschwerdeführenden Partei in Höhe von 15.771,28 Euro verbucht. In der Umsatzsteuervoranmeldung 12/2010 bestand eine Zahllast von 10.178,35 Euro, welche nach den Ausführungen der belangten Behörde auch entsprechend auf dem Abgabenkonto der beschwerdeführenden Partei verbucht wurde.
Im Rahmen einer Außenprüfung bei der ***Bf1*** wurde mit Bericht vom festgestellt, dass die von der X-Kft vorgelegten Rechnungen keine Originalrechnungen seien und nicht den Kriterien des § 11 Umsatzsteuergesetz 1994 entsprechen würden, da auf sämtlichen Rechnungen sowohl die Angabe über die gelieferte Menge Dieselkraftstoff als auch über den jeweiligen Preis je Liter fehlen würden. Auch die im Zuge dessen vorgelegten Lieferscheine wurden als mangelhaft beurteilt und die Rechnungen seien nicht laut den Vorgaben der Abgabenbehörde berichtigt worden.
Mit Bescheid über die Festsetzung von Umsatzsteuer für 11/2010 vom wurden die beantragten Vorsteuern ohne Einfuhrumsatzsteuer (Kennzahl 060) von 171.056,64 Euro auf den Betrag von 3.240,11 Euro herabgesetzt. Folgender Bescheid wurde erlassen:
Mit Bescheid über die Festsetzung von Umsatzsteuer für 12/2010 ebenfalls vom wurden die beantragten Vorsteuern ohne Einfuhrumsatzsteuer (Kennzahl 060) von 205.340,03 Euro auf den Betrag von 3.877,09 Euro herabgesetzt. Folgender Bescheid wurde erlassen:
Mit Umsatzsteuerbescheid 2010 vom wurde der beantragte Betrag an Vorsteuern ohne Einfuhrumsatzsteuer (Kennzahl 060) in Höhe von 385.723,35 Euro auf den Betrag von 16.443,88 Euro herabgesetzt. Folgender Umsatzsteuerbescheid wurde erlassen:
Gegen die Bescheide über die Festsetzung von Umsatzsteuer für 11/2010 und 12/2010 vom wurde mit Anbringen vom Beschwerde erhoben. Am wurde vor dem Bundesfinanzgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt, in deren Verlauf haben sich die Parteien des Beschwerdeverfahrens geeinigt, dass der Beschwerde stattgegeben wird. Mit Bescheid vom wurde der Umsatzsteuerbescheid 2010 vom gemäß § 300 Abs. 1 BAO aufgehoben. Mit Bescheid vom wurde ein neuer Umsatzsteuerbescheid für 2010 erlassen, in welchem Vorsteuern ohne Einfuhrumsatzsteuer (Kennzahl 060) in Höhe der ursprünglich beantragten 385.723,35 Euro berücksichtigt wurden. Die Berechnung der Abgabengutschrift ergab darin eine festgesetzte Umsatzsteuer in Höhe von -17.680,61 Euro (bisher vorgeschriebene Umsatzsteuer 351.988,36 Euro; Abgabengutschrift daher 369.668,97 Euro). Folgender Umsatzsteuerbescheid 2010 wurde erlassen:
Mit Beschluss des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/5100361/2013 wurde die Beschwerde gegen die Bescheide vom betreffend Festsetzung Umsatzsteuer 11-12/2010 sowie gegen den Umsatzsteuerbescheid 2010 vom gemäß § 261 Abs. 1 lit. a BAO iVm § 278 BAO als gegenstandslos erklärt.
Mit Anbringen vom beantragte die beschwerdeführende Partei die Zuerkennung von Verzugszinsen angesichts nicht rechtzeitiger Erstattung des Umsatzsteuer-Guthabens unter anderem für den Zeitraum 11/2010 bis 12/2010 und bezog sich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2017/15/0035.
Mit Anbringen vom wurde vom steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers eine unverzügliche Erledigung des Antrags vom auf die Zuerkennung von Verzugszinsen urgiert.
Mit Bescheid vom wurde dieser Antrag auf Zuerkennung von Verzugszinsen betreffend Umsatzsteuer 11/2010 und 12/2010 von der belangten Behörde als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung wurde zusammenfassend ausgeführt, dass im vorliegenden Fall die ursprünglichen Umsatzsteuervoranmeldungen (UVA) umgehend gebucht wurden. Aus dem Umstand, dass eine aufgrund einer Prüfungsmaßnahme vorgeschriebene Nachforderung, die niemals entrichtet wurde und aufgrund einer Rechtsmittelentscheidung wieder weggefallen ist, könne kein Verzinsungsanspruch abgeleitet werden. Der Antrag sei somit mangels gesetzlicher Grundlage zur Festsetzung von Verzugszinsen unter Berücksichtigung der obigen Überlegungen zur analogen Anwendung der §§ 205, 205a BAO zurückzuweisen.
Gegen diesen Zurückweisungsbescheid wurde am das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Darin wurde der Zurückweisungsbescheid vom seinem gesamten Inhalt nach (in vollem Umfang) angefochten. Es wurden die ersatzlose Aufhebung und Verzugszinsen antragsgemäß in voller Höhe beantragt. Begründend wurde unter anderem ausgeführt, dass das österreichische materielle Abgabenrecht im Bereich der Umsatzsteuer zwar keine spezifische Verzugszinsenpflicht kenne und dass die BAO zwar keine allgemeine Verzinsung von Abgabenschulden kenne. Sehr wohl enthalte die BAO aber mehrere Zinstatbestände, die dem Verwaltungsgerichtshof - solange der nationale Gesetzgeber keine entsprechende Regelung getroffen habe - in Verfahren beantragter Zinsen von Umsatzsteuer-Ansprüchen eine Rechtsanalogie zur Auflösung des derzeit bestehenden Normenkonflikts zwischen nationalem Recht und (nicht unmittelbar anwendbarem) Unionsrecht erlaube. In entsprechender Anwendung des diesen Bestimmungen zu Grunde liegenden Regelungsprinzips bestehe der vom Revisionswerber geltend gemachte Zinsenanspruch zu Recht. Der Zinssatz liege sowohl nach § 205 als auch gem. § 205a und § 212a BAO zwei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Dieser Zinssatz sei daher auch in Fällen der Verzinsung von Umsatzsteuer-Ansprüchen heranzuziehen.
Im ergänzenden Schriftsatz vom zu dieser Beschwerde wurde auf die beabsichtigte Einführung des § 205c BAO durch das Abgabenänderungsgesetz 2022 hingewiesen. Demnach würde - zeitversetzt, so doch - der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union und des Verwaltungsgerichtshofes Rechnung getragen. Das strahle auf die beschwerdeführende Partei aus, sodass die Zinsenpflicht des Finanzamtes bzw. - spiegelbildlich - die Gutschrift seiner Mandantin nicht mehr strittig sein könne.
Die Beschwerde vom , ergänzt durch die Eingabe vom gegen den Zurückweisungsbescheid vom wurde von der belangten Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom als unbegründet abgewiesen. Begründend dazu wurde ausgeführt, dass wie bereits im Zurückweisungsbescheid vom erwähnt, im vorliegenden Fall die ursprünglichen Umsatzsteuervoranmeldungen (UVA) umgehend gebucht wurden. Aus dem Umstand, dass eine aufgrund einer Prüfungsmaßnahme vorgeschriebene Nachforderung, die niemals entrichtet wurde und aufgrund einer Rechtsmittelentscheidung wieder weggefallen ist, könne kein Verzinsungsanspruch abgeleitet werden. Des Weiteren wurde der Antrag zur Festsetzung von Verzugszinsen in Analogie zu § 205 und § 205a BAO mangels gesetzlicher Grundlage im Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Bescheides als unzulässig zurückgewiesen. Auf die weitere ausführliche Begründung im Zurückweisungsbescheid vom wurde verwiesen. Abschließend wurde darauf hingewiesen, dass auch gem. § 323 Abs. 75 iVm § 205c BAO (in Kraft seit ) kein Verzinsungsanspruch geltend gemacht werden könne, da kein offenes Umsatzsteuerverfahren mehr bestehe (Umsatzsteuer-Jahresbescheid 2010 vom bereits lange zuvor in Rechtskraft erwachsen).
Im Vorlageantrag vom wurde aufgrund der abweisenden Beschwerdevorentscheidung vom vom steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers die erwähnte Beschwerdevorentscheidung vom ihrem gesamten Inhalt nach (in vollem Umfang) angefochten und bestritten. Das gesamte bisherige Vorbringen halte man vollinhaltlich aufrecht. Die angefochtene Beschwerdevorentscheidung sei nicht geeignet, die vorgebrachten Argumente zu erschüttern oder gar zu entkräften. Das Finanzamt negiere weiterhin beharrlich den entscheidenden Umstand, dass seine Mandantin zu keiner Zeit über besagtes Guthaben verfügungsberechtigt gewesen sei. Die bloße Buchung auf dem Abgabenkonto sei ziemlich nichtssagend, wenn es dabeibleiben würde und der Betroffene angesichts zeitnah angesetzter Umsatzsteuer-Sonderprüfungen keine Verfügungsmacht über das Vorsteuerguthaben erlangt habe. Solcherart mache es aus deren Sicht keinen relevanten Unterschied, ob das Guthaben auf dem Abgabenkonto gebucht worden sei bzw. wann oder nicht. Der Verstoß gegen die Judikatur des EuGH und VwGH sei evident. Er werde von der Beschwerdevorentscheidung - eher ungewollt - sogar selbst eingestanden. Das Bundesfinanzgericht möge der Beschwerde nach durchgeführter mündlicher Verhandlung vor dem/der Einzelrichter/in (kein voller Senat) vollinhaltlich stattgeben.
In der Beschwerdevorlage vom vertrat die belangte Behörde den Standpunkt, dass Gutschriften, die sich aus einer Erledigung gem. § 300 BAO für das Jahr 2010 ergeben haben, grundsätzlich ein Fall der Neuregelung nach § 205c Abs. 2 lit. b BAO wären, da zunächst eine Umsatzsteuersonderprüfung (USO) stattfand und damit einhergehend eine Festsetzung (Umsatzsteuerjahresbescheid) erfolgte. Diese Festsetzung wurde durch einen weiteren Bescheid abgeändert.
Gemäß § 323 Abs. 75 BAO sei § 205c Abs. 2 Z 1 lit. b BAO auf alle Jahresumsatzsteuerbescheide anzuwenden, die am Tag nach der Kundmachung des BGBl. I Nr. 108/2022 noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind. Angesichts des Umstandes, dass der Umsatzsteuerjahresbescheid 2010 am im Rahmen des Vorgehens nach § 300 BAO erlassen wurde und dagegen keine Beschwerde aufrecht ist, sei dieser in Rechtskraft erwachsen und § 205c BAO schon deshalb nicht anwendbar.
Die belangte Behörde hat angeregt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
In der ergänzenden Stellungnahme vom brachte die belangte Behörde vor, die beschwerdeführende Partei hätte in den beiden Umsatzsteuer-Voranmeldungen 11/2010 und 12/2010 Vorsteuern in beträchtlicher Höhe geltend gemacht. Diese hätten aber nur in der Umsatzsteuer-Voranmeldung 11/2010 insgesamt zu einem Überschuss geführt. In der Umsatzsteuervoranmeldung 12/2010 bestand eine Zahllast. Beide Beträge wurden umgehend auf dem Abgabenkonto verbucht. Die beschwerdeführende Partei konnte daher über den Gutschriftsbetrag verfügen. Die im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung festgesetzten Nachforderungen wurden niemals entrichtet, sondern hafteten bis zur Erledigung der Beschwerde im Dezember 2021 unberichtigt auf dem Abgabenkonto aus. Auch wurde für diese Nachforderungen weder eine Aussetzung der Einhebung beantragt noch verfügt, sodass diesbezüglich keinerlei Aussetzungszinsen zu entrichten waren.
Es könne daher keine Rede davon sein, dass die Beschwerdeführerin keine Verfügungsmacht über den Vorsteuerüberschuss aus der UVA 11/2010 gehabt hätte. Die Zuerkennung der geltend gemachten Vorsteuern sei bereits mit der Verbuchung der UVAs Anfang 2011 erfolgt. Aufgrund der Nichtentrichtung der Nachforderung aus der Umsatzsteuer-Sonderprüfung hätte das Unternehmen keinen Zinsnachteil erlitten, den es auszugleichen gälte. Die endgültige Zuerkennung der Vorsteuern im Rahmen der Beschwerdeerledigung 2021 sei gewissermaßen nur die Bestätigung dessen gewesen, was auf dem Abgabenkonto bereits 2011 vollzogen wurde.
Die Beschwerdeführerin hätte sogar von der Vorgangsweise des FAÖ profitiert: Die im Rahmen der Umsatzsteuer-Sonderprüfung festgesetzte Nachforderung hätte eigentlich binnen Monatsfrist entrichtet werden müssen.
Aufgrund dessen, dass dies nicht erfolgte, aber auch keine Aussetzung beantragt wurde, hätte die Beschwerdeführerin über das "Kapital" verfügen können und wären durch sie auch keine Aussetzungszinsen zu entrichten gewesen. Es lägen daher mangels Entrichtung auch nicht die Voraussetzung für die Beantragung von Beschwerdezinsen vor.
Weiters sei § 205c BAO auf diesen Altfall nicht anwendbar: Gemäß § 323 Abs. 75 BAO ist § 205c Abs. 2 Z 1 lit. b BAO auf alle Jahresumsatzsteuerbescheide anzuwenden, die am Tag nach der Kundmachung des BGBl. I Nr. 108/2022 noch nicht in Rechtskraft erwachsen sind. Angesichts des Umstandes, dass der Umsatzsteuerjahresbescheid 2010 am im Rahmen des Vorgehens nach § 300 BAO erlassen wurde und dagegen keine Beschwerde aufrecht sei, sei dieser in Rechtskraft erwachsen und § 205c BAO schon deshalb nicht anwendbar.
Der EuGH hätte in seiner Entscheidung in der RS C-844/19 technoRent International GmbH klar zum Ausdruck gebracht, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität der Mehrwertsteuer - auch wenn Art. 183 der Mehrwertsteuerrichtlinie weder eine Pflicht zur Zahlung von Zinsen auf den zu erstattenden Vorsteuerüberschuss vorsieht noch angibt, ab wann solche Zinsen zu zahlen wären - , es verlange, dass die finanziellen Verluste, die dadurch entstehen, dass ein Vorsteuerüberschuss nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet wird, durch die Zahlung von Verzugszinsen ausgeglichen werden (Urteile vom , Nidera, C-387/16, EU:C:2018:121, Rn. 25, und vom , Agrobet CZ, C-446/18, EU:C:2020:369, Rn. 40). Weiters hätte der Gerichtshof ausgeführt, dass dies auch für Minderungen der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer gemäß Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie gelte, allerdings unter der Prämisse, dass der Steuerpflichtige "mit zuviel Mehrwertsteuer belastet" ist und er finanzielle Verluste erleidet, "da ihm der entsprechende Geldbetrag nicht zur Verfügung steht" (vgl. Rz 40 und 42). Gerade dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, zumal die mittels Festsetzungsbescheid vorgeschriebenen Nachforderungen nicht entrichtet wurden.
In technoRent International GmbH bringe der EuGH zudem eindeutig zum Ausdruck, dass nur Vorsteuerüberschüsse zu verzinsen sind, nicht allerdings isoliert die in einer Umsatzsteuervoranmeldung geltend gemachten und im Ergebnis mit Umsatzsteuerbeträgen
kompensierten Vorsteuerbeträge (Rz 47). Auch betone der EuGH, die Mitgliedstaaten hätten bei der Festlegung der Einzelheiten der Erstattung von Vorsteuerüberschüssen zwar einen gewissen Spielraum, die Einzelheiten dürften jedoch den Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht beeinträchtigen (Rz 48). "Dies gilt auch für die Einzelheiten der Anwendung von Zinsen auf diejenigen Mehrwertsteuererstattungen, die sich aus einer Verminderung der Bemessungsgrundlage für die Mehrwertsteuer nach Art. 90 Abs. 1 dieser Richtlinie ergeben, da diese Einzelheiten in der Richtlinie nicht geregelt sind." (Rz 49). Aus der Entscheidung C-844/19 erhelle sich jedenfalls, dass der EuGH die Verzinsung von Vorsteuerüberschüssen einerseits dann aus dem Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer ableitet, wenn diese nicht innerhalb einer bestimmten Frist dem Abgabepflichtigen gutgeschrieben werden. Andererseits hätte der Gerichtshof aber auch Fälle vor Augen gehabt, in welchen ein geltend gemachter Vorsteuerüberschuss nicht in der geltend gemachten Höhe verbucht wird, sondern im Rahmen einer Festsetzung Vorsteuern vermindert oder nicht anerkannt, allerdings in späterer Folge (üblicherweise im Rahmen eines Beschwerdeverfahrens) doch zuerkannt werden. All diesen Konstellationen ist gemein, dass der Abgabepflichtige durch die verspätete oder verminderte Gutschrift eines Vorsteuerüberschusses einen Zinsnachteil erleidet, den es auszugleichen gilt. Wie bereits dargelegt, liegt dies im vorliegenden Fall gerade nicht vor, sodass- neben der aufgrund der Inkrafttretensbestimmung des § 323 Abs. 75 BAO nicht anwendbaren Neuregelung des § 205c BAO - auch für die vom EuGH postulierte unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts kein Raum bleibt. Dies insbesondere auch deshalb, als der EuGH betont hat, dass für den Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bestimmte Grenzen, insbesondere die allgemeinen Rechtsgrundsätze, zu welchen der Grundsatz der Rechtssicherheit gehört, bestehen und die unionsrechtskonforme Auslegung somit "nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts" dienen dürfe (Rz 54 unter Hinweis auf das Urteil vom , Pöpperl, C-187/15, EU:C:2016:550, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Angesichts der vom EuGH im Zusammenhang mit der unionsrechtskonformen Auslegung postulierten Heranziehung bestehender nationaler Zinsbestimmungen wurde darauf verweisen, dass das Bundesfinanzgericht bereits im Rahmen eines Säumnisbeschwerdeverfahrens mit der Frage einer möglichen analogen Anwendung des § 205 BAO im Kontext der Verzinsung von Vorsteuerüberschüssen befasst war. In seinem Beschluss vom , RS/7100001/2022, mit welchem die betreffende Säumnisbeschwerde als unzulässig zurückgewiesen wurde, führte das BFG überzeugend aus, dass mangels Vorliegens einer planwidrigen Lücke eine analoge Anwendung der Anspruchszinsenregelung auf die Verzinsung von Vorsteuerüberschüssen nicht in Frage kommt und damit auch eine unionsrechtskonforme Auslegung contra legem des nationalen Rechts vorläge - dies widerspräche den vom EuGH in C-844/19 angeführten Grundsätzen. Angesichts dessen, dass gegen den zitierten Beschluss des BFG keine Amtsrevision erhoben wurde, sei damit erstmalig eine rechtskräftige Entscheidung zu dieser Thematik vorliegend.
Eine allenfalls analoge Zuerkennung von Beschwerdezinsen scheide nach Ansicht des FAÖ im vorliegenden Fall schon deshalb aus, weil die UVAs 11/2010 und 12/2010 so verbucht wurden, wie sie eingereicht wurden und die im Rahmen der festgesetzten Nachforderungen nicht entrichtet wurden. Es bestünden in der gegebenen Konstellation somit keine "vorenthaltenen" Gutschriften, die - im Sinne der Ausführungen des VwGH im Erkenntnis vom , Ro 2017/15/0035, eine analoge Zuerkennung von Beschwerdezinsen rechtfertigen könnten, sondern vielmehr nicht entrichtete Nachforderungen, für die keine Aussetzung der Einhebung beantragt oder zuerkannt war, ergo dessen auch keine Aussetzungszinsen anfielen und auch keine Vollstreckungsmaßnahmen ergriffen wurden.
Im ergänzenden Schriftsatz vom macht die beschwerdeführende Partei mit ausführlicher Begründung insbesondere geltend, dass § 323 Abs. 75 BAO auf Grund des Anwendungsvorranges des Unionsrechtes für sie unangewendet bleiben soll. Weitere unionsrechtliche Bedenken werden gegen die nunmehrige Regelung des § 205c Abs. 1 Z 1 BAO vorgebracht.
In der mündlichen Verhandlung brachte die Vertretung der belangten Behörde vor: Zum Vorwurf zum Verfassungs- und Unionwidrigkeit der Inkraft-Tretens-Bestimmung des § 323 Abs. 75 BAO werde auf eine ähnliche Inkraft-Tretens-Bestimmung nämlich auf § 323 Abs. 29 BAO verwiesen. Hierzu hätte der VfGH in seinem Erkenntnis vom WIV4/2016 ausgeführt, dass wenn der Gesetzgeber den Anwendungsbereich vom Gesetzen von Stichtagen abhängig macht, bleibe es ihm im Prinzip überlassen den Stichtag festzulegen, ohne dass es für die Wahl des Stichtages eine Rechtfertigung bedarf. Dies lasse sich durchaus auf die Festlegung einer Inkraft-Tretens-Regelung einer begünstigenden Abgabenrechtlich Vorschrift umlegen.
Der Richter hält der Vertreterin der belangten Behörde entgegen, dass er die Anwendung des § 323 Abs. 75 BAO im gegenständlichen Verfahren als nicht präjudiziell ansieht. Wäre dies der Fall, hätte er bereits ein Normenprüfungsverfahren vor dem VfGH angeregt, da er gegen einzelne Passagen dieser Bestimmung verfassungsgerichtliche Bedenken hat.
Im Übrigen verwies die Vertreterin der belangten Behörde auf das schriftliche Vorbringen.
Nach dem Vertreter der beschwerdeführdenden Partei gehe es in diesem Verfahren um zwei Aspekte: um die materielle und um die prozessuale Seite.
• Die materiell- rechtliche Seite könne auf das Thema EU-Recht reduziert werden; Dazu sei bereits alles gesagt.
• Unter dem prozessualen Aspekt sei zu berücksichtigen, dass Gegenstand dieses Verfahrens der Zurückweisungsbescheid der belangten Behörde vom ist. In solchen Fällen sei "Sache" des Verfahrens vor dem BFG nur die Frage, ob die Zurückweisung durch das Finanzamt rechtens gewesen ist oder nicht.
Der Behördenvertreter beantragte die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde.
Der Vertreter beantragte die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Mit Anbringen vom beantragte die beschwerdeführende Partei die Zuerkennung von Verzugszinsen angesichts nicht rechtzeitiger Erstattung des Umsatzsteuer-Guthabens für den Zeitraum 11/2010 bis 12/2010 bzw. Vorenthaltung von Vorsteuerbeträgen und bezog sich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2017/15/0035, woraus sie einen unionsrechtlichen Anspruch auf Verzugszinsen bzw. Umsatzsteuerzinsen ableitete. Mit Anbringen vom wurde vom steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers eine unverzügliche Erledigung des Antrags vom auf die Zuerkennung von Verzugszinsen urgiert.
Mit Bescheid vom wurde dieser Antrag auf Zuerkennung von Verzugszinsen betreffend Umsatzsteuer 11/2010 und 12/2010 von der belangten Behörde als unzulässig zurückgewiesen. In der Begründung wurde zusammenfassend ausgeführt, dass im vorliegenden Fall die ursprünglichen Umsatzsteuervoranmeldungen (UVA) umgehend gebucht wurden. Aus dem Umstand, dass eine aufgrund einer Prüfungsmaßnahme vorgeschriebene Nachforderung, die niemals entrichtet wurde und aufgrund einer Rechtsmittelentscheidung wieder weggefallen ist, könne kein Verzinsungsanspruch abgeleitet werden. Der Antrag sei somit mangels gesetzlicher Grundlage zur Festsetzung von Verzugszinsen unter Berücksichtigung der obigen Überlegungen zur analogen Anwendung der §§ 205, 205a BAO zurückzuweisen.
Gegen diesen Zurückweisungsbescheid wurde am das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Darin wurde der Zurückweisungsbescheid vom seinem gesamten Inhalt nach (in vollem Umfang) angefochten. Es wurden die ersatzlose Aufhebung und Verzugszinsen antragsgemäß in voller Höhe beantragt.
Die Beschwerde liegt nunmehr nach Erlassung einer abweisenden Beschwerdevorentscheidung und rechtzeitiger Einbringung eines Vorlageantrages dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
2. Rechtliche Beurteilung
2.1. Zu Spruchpunkt I. (Aufhebung)
Mit Anbringen vom beantragte die beschwerdeführende Partei die Zuerkennung von Verzugszinsen angesichts nicht rechtzeitiger Erstattung des Umsatzsteuer-Guthabens für den Zeitraum 11/2010 bis 12/2010 bzw. Vorenthaltung von Vorsteuerbeträgen und bezog sich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ro 2017/15/0035, woraus sie einen unionsrechtlichen Anspruch auf Verzugszinsen bzw. Umsatzsteuerzinsen ableitete.
Nach § 85a der Bundesabgebanordnung (BAO) sind die Abgabenbehörden verpflichtet, über Anbringen (§ 85 BAO) der Parteien ohne unnötigen Aufschub zu entscheiden.
Von der beschwerdeführenden Partei wurde dem Grunde nach eigentlich die Verletzung der Entscheidungspflicht durch die belangte Behörde in Zusammenhang mit der amtswegig gebotenen Verpflichtung zur Festsetzung von Umsatzsteuerzinsen geltend gemacht. Während die beschwerdeführende Partei einen auf Unionsrecht basierenden Zinsenanspruch geltend macht, weigerte sich die belangte Behörde, einen derartigen amtswegig festzusetzenden Anspruch anzuerkennen. Mit Zurückweisung des Antrages auf Festsetzung von Verzugszinsen hat die belangte Behörde eine Sachentscheidung verweigert, zumal eine Zurückweisung nur dann zu erfolgen hat, wenn ein Anbringen aus formalen Gründen (zB Fehlen der Antragslegitimation, Verspätung etc.) unzulässig ist. Der Grundsatz der verfassungskonformen Interpretation (vgl Ritz, ÖStZ 1988, 243) spricht für eine weite Auslegung des § 85a BAO. Daher unterliegen Anbringen, auch wenn sie nicht gesetzlich vorgesehen sind, jedenfalls dann der Entscheidungspflicht, wenn die Erledigung nicht im Ermessen liegt, wenn also die Behörde auch ohne Anbringen zur Bescheiderlassung verpflichtet wäre. So gesehen ist die Zurückweisung des Anbringens vom mit der Begründung einer fehlenden gesetzlichen Grundlage verfassungsrechtlich bedenklich.
Nach § 279 Abs. 1 BAO hat das Verwaltungsgericht außer in den Fällen des § 278 BAO immer in der Sache selbst mit Erkenntnis zu entscheiden. Es ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.
Die Änderungsbefugnis ("nach jeder Richtung") ist durch die Sache begrenzt. Sache ist die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches erster Instanz gebildet hat (zB ; , 2012/15/0161; , Ra 2020/16/0137; , Ra 2018/16/0121). Eine Uminterpretation des Spruches des angefochtenen Bescheides in eine Abweisung ginge über die Sachentscheidungskompetenz des Gerichts hinaus (vgl. Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz 11 mit Hinweis auf ) und kommt somit nicht in Betracht.
Das Gericht hatte daher mit Aufhebung des angefochtenen Bescheides vorzugehen (vgl. dazu Ritz/Koran, BAO7, § 279 Tz. 6), da ein verfahrensrechtlicher Bescheid zu Unrecht erlassen wurde und sich die belangte Behörde materiell-rechtlich mit dem geltend gemachten Zinsenanspruch hätte auseinandersetzen müssen.
Im Übrigen weist der Richter darauf hin:
Da im Zuge des bisherigen Verfahrens die belangte Behörde auch materiellrechtlich einen Umsatzsteuerzinsenanspruch nicht als gegeben ansieht, könnte nach Ansicht des Richters diese Frage auch im Zuge eines Säumnisbeschwerdeverfahrens (§ 284 BAO) geklärt werden. Hier wäre die Frage zu klären, ob die belangte Behörde einer unionsrechtlich gebotenen Verpflichtung zur amtswegigen Erlassung eines Umsatzsteuerzinsenbescheides zu Unrecht nicht nachgekommen ist. Eine Säumnisbeschwerde wurde jedoch nach dem derzeitigen Verfahrensstand (noch) nicht eingebracht.
2.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Eine Revision ist unzulässig, da der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Ro 2017/15/0035 bereits grundsätzlich den Anspruch von Umsatzsteuerzinsen schon vor Einführung des § 205c BAO als unionsrechtlich gegeben erachtete und daher das Erfordernis einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Antragsbegehren geboten war. Der Umfang der Abänderungsbefugnis des Gerichts ist bereits durch die zitierte Rechtsprechung geklärt. Es liegt somit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 85a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
Zitiert/besprochen in | Fischerlehner in BFGjournal 2023, 392 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100613.2022 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at