Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 28.11.2023, RV/7101760/2021

Geschäftsführerhaftung bei unterbliebenem Nachweis der Gleichbehandlung aller Gläubiger

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***R*** in der Beschwerdesache ***Bf***, ***Bf-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Lilienfeld St. Pölten (nunmehr zuständig: Finanzamt Österreich) vom betreffend Haftung für Abgabenverbindlichkeiten der ***X*** GmbH, Steuernummer ***BfStNr***, zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Mit Schreiben vom teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit, dass auf dem Abgabenkonto der ***X*** GmbH Verbindlichkeiten im Ausmaß von € 1.548.030,96 (i.W. KöSt 2006-2010 samt Nebengebühren) aushaften und dass bis zum Beweis des Gegenteils davon auszugehen sei, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer dieser Gesellschaft seiner Verpflichtung zur Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft nicht vorschriftsgemäß nachgekommen ist. Die Forderung sei gegenüber der ***X*** GmbH nicht einbringlich, da diese laut Liquiditätsprüfungsbericht vom über kein Einkommen und Vermögen verfüge. Für den Fall, dass die ***X*** GmbH bereits zu den jeweiligen Fälligkeitstagen der Abgaben nicht mehr über ausreichende liquide Mittel zur (vollen) Bezahlung aller Verbindlichkeiten verfügt haben sollte, wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, dies durch eine Auflistung sämtlicher Gläubiger mit zum Zeitpunkt der Abgabenfälligkeiten gleichzeitig oder früher fällig gewordenen Forderungen darzulegen. Diese Aufstellung habe alle damaligen Gläubiger (auch die zur Gänze bezahlten) sowie die auf einzelne Verbindlichkeiten (Gläubiger) geleisteten Zahlungen (Quoten) zu enthalten. Außerdem seien alle verfügbar gewesenen liquiden Mittel (Bargeld und offene Forderungen) anzugeben bzw. gegenüberzustellen. Dem Beschwerdeführer wurde weiters mitgeteilt, dass es ihm freistehe, die maßgebliche finanzielle Situation zum Eintritt der Abgabenfälligkeiten, die offenen Verbindlichkeiten und die erbrachten Tilgungsleistungen an alle einzeln anzuführenden Gläubiger auch auf andere Art und Weise einwandfrei bekanntzugeben und dass ihm der Nachweis dafür obliege, welche finanziellen Mittel zur Verfügung standen und in welchem Ausmaß die Gläubiger befriedigt wurden sowie dass er zur Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft herangezogen werden könne (und voraussichtlich werde), wenn und soweit das Finanzamt durch eine ungleiche Behandlung sämtlicher Gläubiger benachteiligt worden sein sollte. Zur Stellungnahme wurde dem Beschwerdeführer eine Frist bis zum eingeräumt.

Hierauf teilte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom mit, dass zum Zeitpunkt der Erledigung durch die II. Instanz (gemeint ist offenkundig das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7102534/2011, mit welchen die Beschwerde der ***X*** GmbH gegen die Festsetzung der o.a. Abgaben als unbegründet abgewiesen wurde) keine ausreichenden liquiden Mittel vorhanden gewesen seien. Er wies darauf hin, dass zwischen der Einbringung der Beschwerde und dem Erkenntnis des BFG acht Jahre verstrichen seien. Er sei nach wie vor der Ansicht, dass er seine Geschäfte ordnungsgemäß abgewickelt habe. Er habe sich auch nicht selbst bereichert, denn sonst hätte die Abgabenbehörde auch eine verdeckte Gewinnausschüttung unterstellt. Letztlich brachte er unter Vorlage des ausgefüllten Formulars EV 7 (Erhebung der wirtschaftlichen Verhältnisse) vor, dass er über keine nennenswerten Mittel verfüge. Vielmehr habe er sogar private Mittel dazu verwendet, um betriebliche Verbindlichkeiten der ***X*** GmbH zu begleichen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom zog die belangte Behörde den Beschwerdeführer gem. § 9 i.V.m. §§ 80 ff BAO zur Haftung für die Abgabenverbindlichkeiten der ***X*** GmbH im Gesamtbetrag von € 1.548.030,96 heran. Begründend führte sie aus, dass die Abgabenforderung gegenüber der ***X*** GmbH uneinbringlich sei, da über deren Vermögen ein Konkursverfahren anhängig sei, in welchen die Gläubiger laut Beschluss des Konkursgerichtes vom keine Quote erhalten. Der Beschwerdeführer habe keinen Nachweis erbracht, dass er alle Gläubiger der ***X*** GmbH gleich behandelt hat. Demnach sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer seiner Verpflichtung als Geschäftsführer, für die ordnungsgemäße Entrichtung der Abgaben Sorge zu tragen, schuldhaft nicht nachgekommen ist und der Rückstand bei der Gesellschaft infolge dieser Pflichtverletzung nicht eingebracht werden kann. Der Hinweis, dass zum Zeitpunkt der Erledigung durch die II. Instanz keine ausreichenden Mittel verfügbar gewesen seien, gehe ins Leere, da damit über die liquiden Mittel und aushaftenden Verbindlichkeiten der Gesellschaft im Haftungszeitraum keine Aussage getroffen werde. Dem Einwand des Beschwerdeführers, dass auch er selbst über keine nennenswerten Mittel verfüge, hielt die belangte Behörde entgegen, dass dies einer Haftung nicht entgegenstehe, da auch bei gegenwärtiger Uneinbringlichkeit der Haftungsschuld nicht ausgeschlossen sei, dass künftig neu hervorgekommene oder künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können.

Dagegen richtet sich die gegenständliche Beschwerde vom , in der auch ein Antrag auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gestellt wird. Der Beschwerdeführer führt darin aus, dass nach aktueller Weisungslage des BMF von Haftungsbescheiden Abstand zu nehmen sei, wenn es überwiegend wahrscheinlich ist, dass die Haftungsbeträge nicht einbringlich gemacht werden können. Wenn auch aus internen Weisungen keine subjektiven Rechte abgeleitet werden können, erfordere der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz dennoch die Anwendung auch solcher Normen gegenüber allen Normadressaten, sofern kein begründeter Ausnahmesachverhalt vorliegt. Ein Ausnahmesachverhalt liege hier nicht vor; der Beschwerdeführer habe stets für eine ordnungsgemäße Buchführung und für die fristgerechte Einreichung von Abgabenerklärungen gesorgt. Die Handlungsweise des Beschwerdeführers sei auch finanzstrafrechtlich mit dem Ergebnis gewürdigt worden, dass das Finanzstrafverfahren rechtskräftig eingestellt wurde. Der Beschwerdeführer räumte ein, dass er "den Gleichbehandlungsnachweis etwas salopp vorgenommen hat" und kündigte an, binnen vier Wochen "minutiöse Gleichbehandlungsweise" nachzureichen, um diesen Vorwurf gänzlich zu entkräften. Die Heranziehung des Beschwerdeführers zur Haftung gründe sich zudem auf eine rechtswidrige Ermessensausübung. Dies zeige insbesondere ein Blick auf das Insolvenzrechtsänderungsgesetz 2017, BGBl. I Nr. 122/2017, und die diesbezüglichen Materialien. Demnach verfolge das Insolvenzrecht auch das Ziel, redliche Schuldner von dem nach einem Insolvenzverfahren offen bleibenden Teil ihrer Schulden zu befreien. Da dies einkommensschwachen Schuldnern oft nicht gelinge, weil sie die Mittel nicht aufbringen können, um im Rahmen eines Abschöpfungsverfahrens zumindest 10 % der Schulden binnen sieben Jahren zu begleichen, habe sich der Gesetzgeber entschlossen, die Frist im Abschöpfungsverfahren auf fünf Jahre zu verkürzen und die Mindestquote entfallen zu lassen. Sowohl bei der Insolvenzordnung als auch bei der BAO handle es sich um Bundesgesetze, die von Bundesorganen vollzogen werden und sei es sinnwidrig, wenn zunächst eine Bundesbehörde (Finanzamt oder BFG) einem Bürger eine offensichtlich völlig unerschwingliche Schuld in Höhe von € 1.548.030,96 aufbürdet und diese im Rahmen eines Schuldenregulierungsverfahren durch eine andere Bundesbehörde (Konkursgericht) nach Ablauf von fünf Jahren wieder erlassen wird.

Mit Eingabe vom ersuchte der Beschwerdeführer, ihm zur Vorlage der angekündigten Gleichbehandlungsnachweise eine (weitere) Frist bis einzuräumen. Diese Nachweise wurden in der Folge nicht beigebracht.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet ab. Da der angekündigte Nachweis der Gläubigergleichbehandlung nicht erbracht worden sei, müsse von einer schuldhaften Pflichtverletzung ausgegangen werden und hafte der Beschwerdeführer daher für die Abgabenverbindlichkeiten der Gesellschaft. Zum Vorbringen, wonach die Geltendmachung der Haftung der Weisungslage des BMF widerspreche, und auch insofern unzweckmäßig sei, als die Schuld im Rahmen eines insolvenzrechtlichen Abschöpfungsverfahrens wieder erlassen werden könne, führte die belangte Behörde aus, dass die Geltendmachung der Haftung die letzte Möglichkeit zur Durchsetzung eines Abgabenanspruches sei und die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalles ein wesentliches Ermessenskriterium darstelle. Demnach sei die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist. Dass der Haftungsschuldner vermögenslos ist bzw. im Rahmen eines Insolvenzverfahrens eine Schuldbefreiung erwirken kann, stehe dem nicht entgegen, da einerseits nicht ausgeschlossen ist, dass der Schuldner in weiterer Folge zu Vermögen kommt, und andererseits auch das Schuldenregulierungsverfahren eine Möglichkeit darstelle, zumindest einen Teil der Abgaben einzubringen. Im Rahmen der Ermessensübung sei auch zu berücksichtigen, dass während der Geschäftsführertätigkeit des Beschwerdeführers ein beträchtlicher Abgabenrückstand auf dem Abgabenkonto der ***X*** GmbH angewachsen sei und er als Geschäftsführer die Möglichkeit gehabt hätte, zeitnah entsprechende Maßnahmen zur Vermeidung der Haftungsfolgen zu setzen. Dem Vorbringen, dass der Beschwerdeführer stets für eine ordnungsgemäße Buchhaltung gesorgt habe, hielt die belangte Behörde entgegen, dass diesfalls im Zuge der Betriebsprüfung wohl kaum eine Abgabennachforderung in Höhe des nunmehr aushaftenden Betrages festgestellt worden wäre.

Mit Schreiben vom stellte der Beschwerdeführer Vorlageantrag gemäß § 264 BAO. Darin bot er der belangten Behörde an, die Angelegenheit durch Zahlung eines Betrages von € 20.000,00 zu bereinigen. Er argumentierte in diesem Zusammenhang, dass die belangte Behörde im Falle eines Abschöpfungsverfahrens unter Berücksichtigung des pfändbaren Anteiles seiner Pension, der Dauer des Abschöpfungsverfahrens und der Kosten des Insolvenzverfahrens mit einer Zuteilung von ca. € 11.000,00 zu rechnen hätte. Weiteres Vorbringen zur Sache enthält der Vorlageantrag nicht mehr. Die belangte Behörde trat diesem Bereinigungsvorschlag nicht näher und legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vor.

Zur mündlichen Verhandlung ist der Beschwerdeführer nicht erschienen. Zuvor hatte er seinem Rechtsanwalt die Vollmacht aufgekündigt und mitgeteilt, dass er den Verhandlungstermin nicht wahrnehmen wird.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

In den Jahren 2011 und 2012 fanden Außenprüfungen bei der ***X*** GmbH (FN ***FN-X***) statt, die zu erheblichen Nachforderungen an Körperschaftsteuer 2006 bis 2010 führten, da Eingangsrechnungen einer als "Briefkastenfirma" qualifizierten liechtensteinischen Auftragnehmerin nicht anerkannt wurden und die Abgabenschuldnerin einer Aufforderung gemäß § 162 BAO zur Nennung des tatsächlichen Empfängers nicht nachgekommen ist. Mit Bescheiden vom verfügte die belangte Behörde gegenüber der ***X*** GmbH die Wiederaufnahme der Verfahren betreffend KöSt 2006 (Erstbescheid: ), 2007 (Erstbescheid: ) und 2008 (Erstbescheid ) und setzte die KöSt 2006-2008 neu fest. Mit weiteren Bescheiden vom setzte sie auch die KöSt 2009 und 2010 (erstmalig) fest. Eine dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7102534/2011, als unbegründet abgewiesen, eine in weiterer Folge erhobene Revision mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2019/13/0054, zurückgewiesen. Aufgrund der Beschwerde war die Einhebung der strittigen Abgaben bis zur Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes vom gemäß § 212a Abs. 1 BAO ausgesetzt.

Am begann die belangte Behörde eine Liquiditätsprüfung bei der ***X*** GmbH. Dabei wurde festgestellt, dass diese Gesellschaft zahlungsunfähig und daher nicht in der Lage ist, den Abgabenrückstand abzustatten, weshalb die belangte Behörde am (gleichzeitig mit dem o.a. Vorhalt an den Beschwerdeführer) einen Insolvenzantrag stellte. Mit Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom , ***GZ-X***, wurde ein Konkursverfahren über das Vermögen der ***X*** GmbH eröffnet. Mit weiterem Beschluss vom (Anberaumung einer nachträglichen Prüfungstagsatzung sowie der Schlussrechnungstagsatzung für den ) wurde bekannt gemacht, dass die Konkursgläubiger keine Quote erhalten. Mit Beschluss vom wurde der Konkurs schließlich mangels Kostendeckung aufgehoben. Am erfolgte die Löschung der ***X*** GmbH gem. § 40 FBG. Geschäftsführer der ***X*** GmbH war vom bis zu deren Löschung der Beschwerdeführer.

Der Beschwerdeführer bezieht von der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen eine monatliche Pension i.H.v. € 1.587,80 netto (Stand Jänner 2021). Er verfügt über eine 2%ige Beteiligung an der ***Y*** a.s., einer slowakischen Aktiengesellschaft mit Sitz in Bratislava, und sonst über kein nennenswertes Vermögen. Im Jahr 2019 hat er eine Liegenschaft in Traismauer um € 38.000,00 an seine Tochter und deren Ehegatten verkauft. Mit Beschluss des Bezirksgerichtes St. Pölten vom , ***GZ-Bf***, wurde ein Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des Beschwerdeführers eröffnet. In diesem Schuldenregulierungsverfahren kam ein Zahlungsplan zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Gläubigern zustande, wonach er den Gläubigern eine Quote von 2 %, zahlbar in 60 Monatsraten zu je 0,0333 % jeweils am 15. eines jeden Monats, beginnend mit Juni 2022 zu bezahlen hat. Nach rechtskräftiger Bestätigung dieses Zahlungsplanes wurde das Schuldenregulierungsverfahren mit Beschluss vom aufgehoben.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zum Abgabenverfahren der ***X*** GmbH gründen sich auf die vorgelegten Betriebsprüfungsberichte und Bescheide, die auch dem Haftungsbescheid vom angeschlossen waren, sowie auf eine Abfrage der FinDok (Erkenntnis des BFG) und des RIS (Beschluss des VwGH). Dass die Einhebung der strittigen Abgaben während der Dauer des finanzgerichtlichen Rechtsmittelverfahrens ausgesetzt war, hat der Vertreter belangten Behörde in der mündlichen Verhandlung vom angegeben und ist dies auch dadurch belegt, dass mit Bescheiden vom und Aussetzungszinsen für die Zeit vom bis bzw. festgesetzt wurden.

Dass eine am begonnene Liquiditätsprüfung die Zahlungsunfähigkeit der ***X*** GmbH ergeben hat und daraufhin von der belangten Behörde ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eingebracht wurde, hat die belangte Behörde im Vorlagebericht vom unwidersprochen vorgebracht und in der mündlichen Verhandlung vom nochmals bestätigt. Die Feststellungen zum Konkursverfahren der ***X*** GmbH sowie zu deren gesellschaftsrechtlichen Verhältnissen (Geschäftsführereigenschaft des Beschwerdeführers, Löschung gem. § 40 FBG) gründen sich auf das offene Firmenbuch sowie die offene Insolvenzdatei.

Die Feststellungen zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen des Beschwerdeführers gründen sich auf das mit dem Schreiben vom vorgelegte ausgefüllte Formblatt EV 7 (Erhebung der wirtschaftlichen Verhältnisse). Hinweise darauf, dass die darin enthaltenen Angaben unzutreffend sein könnten, liegen nicht vor. Auch die belangte Behörde zieht diese Angaben nicht in Zweifel. Die Feststellungen zum Schuldenregulierungsverfahren des Beschwerdeführers gründen sich wiederum auf die offene Insolvenzdatei.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen (darunter fallen etwa die Geschäftsführer von GmbHs: § 18 Abs. 1 GmbHG) alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden. Um den Geschäftsführer einer GmbH zur Haftung für Abgabenverbindlichkeiten der Gesellschaft heranziehen zu können ist es daher erforderlich, dass die Abgaben bei der Gesellschaft uneinbringlich sind, der Geschäftsführer seine (abgabenrechtlichen: ) Pflichten schuldhaft verletzt hat und diese Pflichtverletzung ursächlich für die Uneinbringlichkeit ist.

Dass die Abgabenverbindlichkeiten bei der ***X*** GmbH uneinbringlich sind, steht im vorliegenden Fall außer Zweifel. Über deren Vermögen war ein Konkursverfahren anhängig, welches mangels Kostendeckung aufgehoben wurde. Dies bedeutet, dass das Vermögen nicht einmal zur Deckung der Kosten des Insolvenzverfahrens ausgereicht hat (§ 123a IO), sodass auf die Konkursgläubiger keine Quote entfällt (vgl. ; , 2003/13/0153). Mittlerweile wurde die ***X*** GmbH gem. § 40 FBG, also wegen Vermögenslosigkeit gelöscht.

Zu den abgabenrechtlichen Verpflichtungen des organschaftlichen Vertreters einer juristischen Person zählt insbesondere die zeitgerechte Entrichtung von Abgabenverbindlichkeiten (§ 80 Abs. 1 BAO). Reichen die finanziellen Mittel nicht aus, um sämtliche Gläubiger zu befriedigen, hat der Vertreter für eine gleichmäßige (anteilige) Befriedigung der Gläubiger zu sorgen. Hierbei trifft ihn eine qualifizierte Behauptungs- und Konkretisierungslast. Er hat darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten unmöglich war (; , 2013/16/0208; , 2013/16/0016). Behauptet der Vertreter, dass die Mittel unzureichend waren, um sämtliche Gläubiger zur Gänze zu befriedigen, obliegt ihm der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger - bezogen auf die jeweiligen Fälligkeitszeitpunkte einerseits und das Vorhandensein liquider Mittel andererseits - an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre (; die pauschale Behauptung einer Gleichbehandlung aller Gläubiger reicht hierzu nicht aus: ). Erbringt der Vertreter diesen Nachweis nicht, darf die Abgabenbehörde davon ausgehen, dass eine schuldhafte Verletzung i.S.d. § 9 BAO vorliegt und diese Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war, sodass der Vertreter für die von der Haftung betroffenen Abgabenschulden zur Gänze haftet (; , 98/14/0082; , 2011/16/0187; , Ra 2020/13/0027). Um dieser Nachweispflicht nachkommen zu können, obliegt es dem Vertreter auch, entsprechende Beweisvorsorgen - etwa durch das Erstellen und Aufbewahren von Ausdrucken - zu treffen ().

Im vorliegenden Fall hat der Beschwerdeführer zunächst (im Schreiben vom ) vorgebracht, dass die ***X*** GmbH im Zeitpunkt der Erledigung durch die II. Instanz über keine ausreichenden liquiden Mittel verfügt habe. Dieses Vorbringen ist - abgesehen davon, dass es eine konkrete (insbesondere betragliche) Darstellung der finanziellen Mittel, der einzelnen Verbindlichkeiten und der (gänzlichen oder teilweisen) Begleichung dieser Verbindlichkeiten vermissen lässt - schon von vornherein ungeeignet, den von der o.a. Rechtsprechung geforderten Nachweis zu erbringen. Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob der Vertretene die für die Abgabenentrichtung erforderlichen Mittel hatte, bestimmt sich danach, wann die Abgaben bei Beachtung der abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wären (; , 2007/15/0277). Dies ist bei bescheidmäßig festzusetzenden Abgaben wie der Körperschaftsteuer der Zeitpunkt der erstmaligen Festsetzung (; , 88/17/0216), hier also der (hinsichtlich der KöSt 2006), der (hinsichtlich der KöSt 2007), der (hinsichtlich der KöSt 2008) und der (hinsichtlich der KöSt 2009 und 2010) bzw. jeweils ein Monat danach (§ 210 Abs. 1 BAO). Ob die ***X*** GmbH im Zeitpunkt der Erledigung durch die II. Instanz (Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom ) über ausreichende Mittel verfügt hat, ist daher unmaßgeblich. Auch dass die Abgabenbescheide mit Rechtsmittel bekämpft wurden, vermag daran nichts zu ändern, da der Beschwerdeführer verpflichtet gewesen wäre, für den (letztlich eingetretenen) Fall, dass die Rechtsmittel nicht erfolgreich sind, Vorsorge zu treffen und Rückstellungen zu bilden. Ansonsten könnte die Gleichbehandlungspflicht einfach dadurch umgangen werden, dass Abgabenbescheide bekämpft werden und während des anhängigen Rechtsmittelverfahrens andere Gläubiger zulasten des Abgabengläubigers bevorzugt werden.

In der Beschwerde vom hat der Beschwerdeführer sodann angekündigt, binnen vier Wochen (bzw. laut ergänzendem Schreiben vom : bis ) einen minutiösen Gleichbehandlungsnachweis nachzureichen. Tatsächlich beigebracht wurde ein derartiger Nachweis trotz der detaillierten Aufforderung durch die belangte Behörde im Vorhalt vom jedoch nicht. Damit ist der Beschwerdeführer seiner qualifizierten Mitwirkungspflicht hinsichtlich des (teilweisen) Fehlens liquider Mittel und der anteiligen Verwendung dieser Mittel nicht nachgekommen, sodass anzunehmen ist, dass die Pflichtverletzung (Nichtentrichtung der Abgaben) schuldhaft und ursächlich für die Uneinbringlichkeit der Abgaben war. In Ermangelung jeglichen Vorbringens und Beweisanbotes seitens des Beschwerdeführers sowie in Ermangelung gegenteiliger Anhaltspunkte ist hierbei davon auszugehen, dass die Uneinbringlichkeit zur Gänze durch die Pflichtverletzung verursacht wurde, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich auch zur Gänze für die Abgabenverbindlichkeiten der ***X*** GmbH haftet.

Die Geltendmachung der Haftung liegt im Ermessen (; , Ra 2020/13/0029). Eine rechtswidrige Ermessensausübung erblickt der Beschwerdeführer darin, dass es widersinnig sei, wenn er von einer Bundesbehörde (Finanzamt bzw. BFG) zur Zahlung verpflichtet wird, und eine andere Bundesbehörde (Konkursgericht) diese Schuld im Rahmen eines Abschöpfungsverfahrens erlassen kann. Hierzu ist festzuhalten, dass die Möglichkeit eines Schuldenerlasses die Ermessensübung nicht rechtswidrig macht. Dass die Rechtsansicht des Beschwerdeführers nicht zutreffen kann, erhellt schon daraus, dass dann in allen Fällen, in denen die Abgabenvorschriften Ermessen einräumen, diese Ermessensübung immer und ausnahmslos zugunsten des Abgabepflichtigen/Haftungspflichtigen ausgehen müsste, da die Möglichkeit einer späteren (Rest-) Schuldbefreiung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens immer besteht. Das Rechtsinstitut des Ermessens wäre damit im Ergebnis sinnlos und verzichtbar, was dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden kann.

Weiters wird ins Treffen geführt, dass der Beschwerdeführer lediglich über geringe Einkünfte und kein nennenswertes Vermögen verfüge. Hierzu ist festzuhalten, dass dies nach ständiger Rechtsprechung in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung steht, zumal eine allfällige bei Erlassung des Haftungsbescheides bestehende Uneinbringlichkeit nicht ausschließt, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen und künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen (; , Ra 2020/13/0027). Im Übrigen ist die Abgabenschuld beim Haftenden nicht (völlig) uneinbringlich. Der Beschwerdeführer hat mit seinen Gläubigern im Rahmen des Schuldenregulierungsverfahrens ***GZ-Bf*** des BG St. Pölten einen Zahlungsplan abgeschlossen, wonach er 2 % der Forderungen in 60 Monatsraten zu entrichten hat. Die belangte Behörde kann also damit rechnen, 2 % der aushaftenden Abgabenschuld zu erhalten. Da die Restschuldbefreiung nur dann und insoweit eintritt, als der Beschwerdeführer den Zahlungsplan erfüllt bzw. die Forderung anteilig wiederauflebt, wenn er mit der Erfüllung des Zahlungsplanes in Verzug gerät (§ 193 Abs. 1 IO i.V.m. §§ 156 f IO), besteht für den Beschwerdeführer zweifellos ein hoher Anreiz, die Raten zu entrichten, und damit für die belangte Behörde eine Einbringungswahrscheinlichkeit, die ohne Insolvenzverfahren möglichweise nicht bestanden hätte. Da die Abgabenschuld nicht (völlig) uneinbringlich ist, kann dahingestellt bleiben, ob tatsächlich eine Weisung des BMF existiert, wonach von Haftungsbescheiden Abstand zu nehmen ist, wenn die Haftungsbeträge voraussichtlich nicht einbringlich gemacht werden können. Bloß der Vollständigkeit halber sei in diesem Zusammenhang auch angemerkt, dass das BFG als unabhängiges Gericht an eine derartige Weisung nicht gebunden wäre.

Ein weiterer für die Ermessensübung relevanter Umstand ist die Zeitdauer zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits. Ist dieser Zeitabstand ohne sachliche Rechtfertigung ungewöhnlich lang, kann dies - abhängig von den Umständen des Einzelfalles - eine Minderung der Haftung zur Folge haben ( m.w.N.). Der Beschwerdeführer verweist darauf, dass zwischen Einbringung der Beschwerde und Entscheidung des Bundesfinanzgerichtes im Verfahren RV/7102534/2011 rund acht Jahre verstrichen sind. Hierzu ist festzuhalten, dass die Einhebung der gegenständlichen Abgaben während des Beschwerdeverfahrens gemäß § 212a Abs. 1 BAO ausgesetzt war. Die belangte Behörde konnte während dieses Zeitraumes also weder Einbringungsmaßnahmen, die eine Zahlungsunfähigkeit gegebenenfalls offengelegt hätten, gegen die ***X*** GmbH setzen, noch den Beschwerdeführer mit Haftungsbescheid in Anspruch nehmen (). Nachdem das Beschwerdeverfahren mit Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7102534/2011, erledigt wurde, leitete die belangte Behörde am eine Liquiditätsprüfung bei der ***X*** GmbH ein. Da sich im Zuge der Liquiditätsprüfung herausstellte, dass diese zahlungsunfähig ist, wurde am ein Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens eingebracht und gleichzeitig der Beschwerdeführer davon in Kenntnis gesetzt, dass beabsichtigt ist, ihn im Haftungswege für die Abgabenverbindlichkeiten der ***X*** GmbH heranzuziehen. Das tatsächliche Ausmaß des Forderungsausfalles wurde überhaupt erst mit dem Beschluss des Insolvenzgerichtes vom , wonach laut Schlussrechnung auf die Konkursgläubiger keine Quote entfällt, bekannt (vgl. ). Es kann demnach nicht gesagt werden, dass die belangte Behörde mit der Erlassung des Haftungsbescheides () unangemessen lange zugewartet hätte. Die Zeitdauer zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld bzw. der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ist daher nicht geeignet, im Rahmen des Ermessens eine Minderung der Haftung zu bewirken.

Auch weitere Ermessenskriterien, die der Haftung ganz oder teilweise entgegenstehen könnten (z.B. verwaltungsökonomische Überlegungen, persönliche oder sachliche Unbilligkeit) sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, sodass die Zweckmäßigkeit i.S.d. § 20 BAO, also das öffentliche Interesse an einer Einbringung der Abgaben als überwiegendes Ermessenskriterium verbleibt. Die Inanspruchnahme erfolgte daher auch im Rahmen des Ermessens zutreffend, sodass der Beschwerde ein Erfolg zu versagen war.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die jeweils zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, von der das Bundesfinanzgericht nicht abgewichen ist, geklärt. So entspricht es insbesondere der ständigen Rechtsprechung, dass der potentiell Haftungspflichtige im Falle unzureichender finanzieller Mittel von sich aus glaubhaft darzulegen hat, dass er sämtliche Gläubiger gleich behandelt hat. Rechtsfragen von grundzätzlicher Bedeutung waren daher nicht zu lösen.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101760.2021

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at