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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 11.10.2023, RV/2100406/2019

Gewinnerhöhende Auflösung von Sparguthaben, die seit über 30 Jahren nicht bewegt wurden durch Ansatz eines Zuschlages gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988

Beachte

Revision beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2023/15/0112.

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende ***RI***, die Richterin RI2 sowie die fachkundigen Laienrichter ***LRi1*** und ***LRi2*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch Steuerberater, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Graz-Stadt vom betreffend Berichtigung §§ 293 ff BAO 2012 Steuernummer ***BF1StNr1*** nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin ***SF*** zu Recht erkannt:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Die Beschwerdeführerin ist eine Bank, bei der ein Teil der Sparguthaben mehr als 30 Jahre nicht bewegt wurden.

Mit dem hier angefochtenen Berichtigungsbescheid gemäß § 293b BAO vom berichtigte das Finanzamt den Körperschaftsteuerbescheid 2012 vom .

Vorangegangen war ein Beschwerdeverfahren betr. Körperschaftsteuer 2013, in dem das BFG mit Erkenntnis vom , RV/2100053/2017 entschieden hat, dass Sparguthaben, die seit 30 Jahren nicht bewegt wurden, nicht mehr als Verbindlichkeiten in der Bankbilanz auszuweisen, sondern steuerlich gewinnerhöhend aufzulösen sind, da mit einer Inanspruchnahme durch die Gläubiger nicht mehr ernsthaft gerechnet werden kann. Aufgrund des Prinzips der periodengerechten Gewinnermittlung wurden im Jahr 2013 nur jene Sparguthaben gewinnerhöhend aufgelöst, welche genau 30 Jahre nicht mehr bewegt wurden.

Mit dem hier angefochtenen Berichtigungsbescheid, der sich auf § 293b BAO iVm § 4 Abs 2 Z 2 EStG 1988 stützt, nahm das Finanzamt eine Bilanzberichtigung der jeweiligen Wurzeljahre des durch die fehlende Auflösung der unbewegten Sparguthaben unrichtigen Bilanzansatzes samt Zu- und Abschlägen im ersten noch nicht verjährten Jahr 2012 vor. Dabei wurden jene Sparguthaben mittels Zuschlägen iSd § 4 Abs 2 Z 2 EStG erfasst, welche ab 1973 nicht mehr bewegt wurden, da für diese ab 2003 kein Bilanzansatz mehr geboten war.

Begründend verwies das Finanzamt einerseits auf die Ausführungen im oa Erkenntnis andererseits wurde ausführlich die Anwendung des § 4 Abs 2 EStG 1988 iVm § 293b BAO begründet.

In der dagegen eingebrachten Beschwerde vom führte die Beschwerdeführerin aus, dass eine Berichtigung gem. § 293b BAO fordere, dass offensichtliche Unrichtigkeiten übernommen werden. Hinsichtlich der nicht erfolgten Auflösung der unbewegten Sparguthaben läge keine offensichtliche Unrichtigkeit vor, zumal die Jahresabschlüsse auch den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung entsprechen würden und alle Bilanzen richtig erstellt worden seien.

Zuvor war mit Schreiben der Beschwerdeführerin vom bereits ausdrücklich erklärt worden, dass die Schätzung an sich sowie die geschätzten Beträge nicht bekämpft werden.

Mit Beschwerdevorentscheidungvom wurde die Beschwerde unter abermaligem Verweis auf das zitierte Erkenntnis des BFG als unbegründet abgewiesen. Eine unzutreffende Rechtsansicht stehe der Berichtigung einer in Verkennung der Rechtslage erstellten (Steuer-) Bilanz niemals entgegen. Die Berichtigungen der einzelnen Bilanzen sei somit notwendig und entsprechend vorzunehmen gewesen.

Mit Vorlageantrag vom wurde die Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht beantragt. Unter Verweis auf Literatur (Hirschler in ) sowie Judikatur des VwGH (2009/13/02175; 2010/15/0146) wurde der rechtliche Standpunkt von der Beschwerdeführerin wiederholt.

In der mündlichen Verhandlung vom wurden die Standpunkte der beiden Parteien ausführlich diskutiert.

Die Thematik der unbewegten Sparkonten ist lt. Beschwerdeführerin nicht neu, sondern beschäftigte die Beschwerdeführerin bereits seit Beginn der 1980er Jahre. Nach dem Erkenntnis des BFG betreffend das Jahr 2013 waren von der Beschwerdeführerin sämtliche offenen Verfahren ab 2015 freiwillig berichtigt worden.

Die Bf wiederholte die Außerstreitstellung der geschätzten Beträge (gesamt EUR 126.753,55), die sich aus EUR 8.042,50 (im Jahr 2012 genau 30 Jahre nicht bewegt) sowie dem -im Einvernehmen mit der Abgabenbehörde - geschätzten Restbetrag von EUR 118.711,05 aus Sammelkonten zusammensetzen. Die Einzelkonten der Jahre 1973, 1974 und 1975 wurden ebenfalls geschätzt.

Für den Betrag des Jahres 2012 (EUR 8.042,50) sei lt. Bf § 293b nicht einschlägig, da es sich um ein nicht verjährtes Jahr handelt. Unter Verweis auf das BFG Erkenntnis RV/3100222/2021 brachte die Beschwerdeführerin vor, dass aufgrund der (falschen) Berichtigung im Jahr 2013 keine Berichtigung im Jahr 2012 mehr möglich sei. Die Abgabenbehörde verwies dazu auf das Erkenntnis RV/1100091/2022 des BFG.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt und Beweiswürdigung

Der Sachverhalt stellt sich wie im Verfahrensgang dar und wird von den Parteien nicht bestritten, ebensowenig die Schätzung an sich sowie die geschätzten Beträge.

2. Rechtliche Beurteilung

2.1. Gesetzliche Grundlagen

§ 293b BAO: Die Abgabenbehörde kann auf Antrag einer Partei (§ 78) oder von Amts wegen einen Bescheid insoweit berichtigen, als seine Rechtswidrigkeit auf der Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten aus Abgabenerklärungen beruht.

§ 4 EStG 1988 idF BGBl 112/2012 (Abs. 2 ist gem. § 124b Z 225 EStG 1988 erstmals auf Fehler anzuwenden, die Veranlagungszeiträume ab 2003 betreffen:

(2) Die Vermögensübersicht (Jahresabschluss, Bilanz) ist nach den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu erstellen. Nach Einreichung der Vermögensübersicht beim Finanzamt gilt Folgendes:

1. Eine Änderung der Vermögensübersicht ist nur mit Zustimmung des Finanzamts zulässig (Bilanzänderung). Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Änderung wirtschaftlich begründet ist.

2. Entspricht die Vermögensübersicht nicht den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung oder den zwingenden Vorschriften dieses Bundesgesetzes, ist sie zu berichtigen (Bilanzberichtigung). Kann ein Fehler nur auf Grund der bereits eingetretenen Verjährung nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden, gilt Folgendes:

- Zur Erreichung des richtigen Totalgewinnes kann von Amts wegen oder auf Antrag eine Fehlerberichtigung durch Ansatz von Zu- oder Abschlägen vorgenommen werden.

- Die Fehlerberichtigung ist im ersten zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung noch nicht verjährten Veranlagungszeitraum insoweit vorzunehmen, als der Fehler noch steuerliche Auswirkungen haben kann.

- Die Nichtberücksichtigung von Zu- oder Abschlägen gilt als offensichtliche Unrichtigkeit im Sinne des § 293b der Bundesabgabenordnung.

2.2.Berichtigung gem. § 293b BAO

Entspricht die Vermögensübersicht nicht den allgemeinen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung oder den zwingenden Vorschriften dieses Bundesgesetzes, ist sie zu berichtigen (Bilanzberichtigung, § 4 Abs 2 EStG 1988).

Im Beschwerdefall wurden Sparguthaben, die seit mehr als 30 Jahren nicht bewegt wurden, als Verbindlichkeit ausgewiesen.

Das Erkenntnis vom , RV/2100053/2017, auf welches ausdrücklich sowohl in der Begründung des strittigen Bescheides als auch der sodann ergangenen Beschwerdevorentscheidung verwiesen wurde, betrifft Körperschaftssteuer 2013 der Beschwerdeführerin und wird darin folgendes ausgeführt:

"Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ergibt sich aus der die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen berücksichtigenden Auslegung des § 4 Abs. 1 und des § 6 Z. 3 EStG 1988 die zwingende einkommensteuerrechtliche Regelung, dass im Betriebsvermögen, welches für die steuerliche Gewinnermittlung maßgeblich ist, nur solche negativen Wirtschaftsgüter berücksichtigt werden dürfen, die mit einer Belastung des Steuerpflichtigen verbunden sind ( 2009/13/0175; 2010/15/0146; 2002/13/0108, 99/15/0219; 95/14/0098; ).

Es entspricht ja bereits den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, dass Verbindlichkeiten nicht bilanziert werden dürfen, wenn mit dem Versuch der Durchsetzung
der Forderung durch den Gläubiger praktisch nicht mehr zu rechnen ist (VwGH wie oben unter Hinweis auf Nowotny in Straube, HGB II2, § 196 Rz 16)".

Wie in der zitierten Entscheidung hat auch im vorliegenden Fall die Abgabenbehörde die gewinnerhöhende Ausbuchung der Verbindlichkeiten darauf gestützt, dass mit einer Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht mehr zu rechnen ist.

Hat sich ein Steuerpflichtiger entschlossen, von der Einrede der Verjährung nicht Gebrauch zu machen, dann ist die Verbindlichkeit weiterhin mit dem geschuldeten Betrag auszuweisen (), es sei denn, es steht fest, dass der Gläubiger die Schuld nicht mehr einfordern wird ().

Maßgeblich ist also nicht, ob eine Forderung etwa verjährt ist, sondern, ob mit ihrer Geltendmachung noch zu rechnen ist (vgl. hiezu etwa auch Doralt/Lochmann RdW 2008, 613, mit Hinweisen auf Fundstellen in der Fachliteratur: "Verbindlichkeiten dürfen dann ausgebucht werden, wenn mit einer Inanspruchnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu rechnen ist").

Auch der BFH teilt die Sichtweise, wonach eine Verbindlichkeit nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung nicht mehr zu passivieren ist, wenn sie keine wirtschaftliche Belastung darstellt, was beispielsweise dann der Fall ist, wenn mit einer Geltendmachung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu rechnen ist (BFH , BStBL II 1996, 470 sowie BFH , BStBl II 1989, 359).

Schon nach allgemeiner Erfahrung lässt sich die Annahme einer so gut wie sicheren Nicht-Mehr-Einlösung auf das Verstreichen eines mindestens 30 Jahre umfassenden Zeitraumes - das ist eine ganze Generation - stützen, ohne dass es dazu eines Rückgriffs auf das rechtliche Institut der Verjährung gemäß § 1479 ABGB, wonach das Erlöschen von Rechten gegen einen Dritten durch 30-jährigen Nichtgebrauch festgeschrieben ist, bedürfte.

Das BFG hat im Erkenntnis zu RV/4100588/2016 vom , welches ebenfalls eine Bank betraf, dokumentiert, dass innerhalb eines Zeitraumes von 10 Jahren verjährte Spareinlagen in Höhe von € 360,00 ausbezahlt wurden, während der Durchschnittsstand des Sammelkontos € 57.960,00 betrug. Es liegt daher diesfalls ein Verhältnis von 0,62 % als Basis für die Bemessung der Wahrscheinlichkeit einer Einlösung von mehr als 30 Jahre nicht bewegten Spareinlagen vor.

Konkret die Beschwerdeführerin betraf das bereits mehrfach zitierte Erkenntnis des BFG zu RV/2100053/2017, welches das Jahr 2013 betraf. Darin wurde die tatsächliche Einlösungsquote auch des Jahres 2012 berechnet:

"Der Groß-BP wurden die Listen der Jahre 2013 und 2014 [Anmerkung des BFG: geprüfte Jahre 2011-2013] vorgelegt. Ein Vergleich hat ergeben, dass keines der Sparbücher, das älter als 30 Jahre ist, in diesem Zeitraum eingelöst wurde. Lediglich 1% der Sparbücher, die seit 15-30 Jahren unbewegt waren, wurden eingelöst." (BFG, RV/2100053/2017, Seite 11)

Da das Jahr 2012 Teil des Zeitraumes der oa Betriebsprüfung war, sind die dort errechneten Einlösungsquoten auch im vorliegenden Fall anzusetzen, also eine 0%igen Einlösungsquote der mindestens 30 Jahre nicht bewegten Konten.

Soweit also in der Fachliteratur (Pavel Knesl, Rechtsnews 29027, ) ein "Erfahrungswert" für nachträglich geltend gemachte, bereits verjährten Einlagen angesprochen wird, tritt das BFG (nach gesamthafter Abwägung) der Annahme, dass mit einer Geltendmachung von mindestens 30 Jahre nicht mehr bewegten Spareinlagen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu rechnen ist, nicht entgegen.

Damit steht fest, dass die Bilanzen der Jahre 2003 - 2012 nicht den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Buchführung entsprechen.

Im Jahr 2018, dem Jahr der Bescheiderlassung, waren die Jahre 2003 - 2011 bereits veranlagt. Einer Durchbrechung der Rechtskraft wie sie in § 293 BAO, § 293a BAO, § 295a BAO, § 299 BAO, § 303 ff BAO oder § 308 BAO vorgesehen ist (vgl. zur Durchbrechung der Rechtskraft Ehrke-Rabel in Doralt/Ruppe, Steuerrecht II8, Tz 1389 - 1410) steht die Rechtskraft entgegen.

Kann ein Fehler nur auf Grund der bereits eingetretenen Verjährung nicht mehr steuerwirksam berichtigt werden, gilt gem. § 4 Abs 2 Z 2 EStG 1988, dass eine Fehlerberichtigung durch Ansatz von Zu- oder Abschlägen vorgenommen werden kann. Da die Nichtberücksichtigung von Zu- oder Abschlägen als offensichtliche Unrichtigkeit im Sinne des § 293b der Bundesabgabenordnung gilt, hat diese Fehlerberichtigung in einem auf § 293 b BAO gestützten Berichtigungsbescheid zu erfolgen (Erläuterungen zur Regierungsvorlage 1960 BlgNR 24. GP 19).

Zu- und Abschläge iSd § 4 Abs 2 Z 2 EStG 1988 haben auch zur Voraussetzung, dass für das Wurzeljahr an sich ein Verfahrenstitel vorliegt, der es ermöglichen würde, den fehlerhaften Bescheid für das Wurzeljahr in Durchbrechung der Rechtskraft zu korrigieren, und der Einsatz dieses Verfahrenstitels nur deswegen nicht möglich ist, weil dem der Eintritt der Bemessungsverjährung für das betreffende Abgabenjahr entgegensteht (Zorn/Varro in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG17, § 4 Tz 154). Im Regelfall wird es dabei um die Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 303 BAO gehen (neu hervorgekommene Tatsachen oder Beweismittel).

Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage umschreiben dies folgendermaßen (1960 BlgNR 24. GP 19):

"Die Fehlerkorrektur soll im Rahmen einer Bescheidberichtigung nach § 293b BAO erfolgen können. Das Unterbleiben der Fehlerkorrektur wird daher als offensichtliche Unrichtigkeit iSd § 293b BAO fingiert. Eine darauf gestützte Bescheidberichtigung hat allerdings zur Voraussetzung, dass der Steuerwirksamkeit der Korrektur ausschließlich die eingetretene Verjährung entgegensteht. Dies bedeutet, dass eine auf § 4 Abs. 2 iVm § 293b BAO gestützte Änderung eines rechtskräftigen Bescheides nur dann in Betracht kommt, wenn ein Verfahrenstitel vorliegt, der es ermöglichen würde, den fehlerhaften Bescheid in Durchbrechung der Rechtskraft zu korrigieren und der Einsatz dieses Verfahrenstitels bloß deswegen nicht möglich ist, weil dem die eingetretene Verjährung entgegensteht. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass für eine Fehlerberichtigung in Bezug auf verjährte Zeiträume dieselben verfahrensrechtlichen Anforderungen für die Durchbrechung der Rechtskraft gelten wie sie für eine derartige Maßnahme in Bezug auf nicht verjährte Zeiträume besteht."

Wie die zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage betonen, soll durch diese Verfahrenstitelprüfung gewährleistet werden, "dass für eine Fehlerberichtigung in Bezug auf verjährte Zeiträume dieselben verfahrensrechtlichen Anforderungen für die Durchbrechung der Rechtskraft gelten wie sie für eine derartige Maßnahme in Bezug auf nicht verjährte Zeiträume besteht".

Im Beschwerdefall ist im Rahmen der Prüfung der Jahre 2011-2013 die Tatsache neu hervorgekommen, dass in den jeweiligen Bilanzen Sparguthaben, die seit über 30 Jahren nicht bewegt wurden, als Verbindlichkeit ausgewiesen wurden und dass sich im Unternehmen gezeigt habe, dass mit einer Inanspruchnahme mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht zu rechnen ist.

Gestützt u.a. auf diesen Umstand wurde das Verfahren betreffend Körperschaftsteuer 2013 wieder aufgenommen. Die Wiederaufnahme des Verfahren wurde nicht bekämpft.

Für den gegenständlichen Beschwerdefall ergibt sich, dass auch hinsichtlich der berichtigten Jahre diese Tatsache neu hervorgekommen ist, zumal bei der durchgeführten Betriebsprüfung betragsmäßig ausdrücklich auch die unbehobenen Sparguthaben der Vorjahre erfasst sind.

In diesen einzelnen bereits verjährten Jahren würden (grundsätzlich) jeweils Wiederaufnahmsgründe iSd § 303 Abs 1 BAO vorliegen. Die laufend unrichtigen Bilanzansätze in den einzelnen Verfahren sind als Mangel der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung bzw. für die Bewertung von Wirtschaftsgütern maßgebende Umstände jeweils in den einzelnen Verfahren neu hervorgekommene Tatsachen (vgl. , 88/13/0077; Ritz, BAO6 § 303 Rz 22). Die nunmehr vorliegende Aufstellung über die Einzel- und Sammelkonten samt den letzten Kontenbewegungen bzw. weiterer Unterlagen über die Höhe und Verteilung der einzelnen unbewegten Konten sind darüber hinaus in den einzelnen Verfahren neu hervorgekommene Beweismittel (vgl. Ritz, BAO6 § 303 Rz 25). Einer Korrektur in den einzelnen Jahren steht somit ausschließlich die eingetretene Verjährung entgegen.

Betreffend des von der steuerlichen Vertreterin vorgebrachten Arguments, dass ein Bescheid nach § 293b BAO nur dann zu berichtigen sei, wenn der Bescheid aufgrund der Übernahme offensichtlicher Unrichtigkeiten aus Abgabenerklärungen rechtswidrig sei, ist folgendes auszuführen:

§ 4 Abs 2 Z 2 EStG 1988 normiert ausdrücklich, dass die Nichtberücksichtigung von Zu- und Abschlägen als offensichtliche Unrichtigkeit iSd § 293b BAO gilt. Nach der diesbezüglichen Regierungsvorlage (ErlRV 1960 BlgNR 24. GP, 19) soll eine Fehlerberichtigung im Rahmen einer Bescheidberichtigung nach § 293b BAO erfolgen können. Das Unterbleiben der Fehlerkorrektur wird daher als offensichtliche Unrichtigkeit iSd § 293b BAO fingiert.

Nach der Intention des Gesetzgebers soll daher § 293b BAO in Fällen des § 4 Abs 2 Z 2 EStG 1988 nutzbar gemacht werden. Abgestellt wird auf das "Unterbleiben" und nicht wie der "Zu- bzw Abschlag" festgestellt worden ist. Nach Ansicht des erkennenden Gerichts ist daher § 293b BAO in Fällen des § 4 Abs 2 Z 2 EStG 1988 grundsätzlich anwendbar, auch wenn die Feststellungen hinsichtlich eines "Zu- und Abschlages" nur durch ein weiteres Ermittlungsverfahren getroffen werden konnten.

Gegenständlich wurden im speziellen Fall des Streitjahres 2012 als erstem nicht verjährtem Jahr im Zuge einer Bilanzberichtigung gemäß § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 Beträge von einem Einzelkonto und sieben Sammelkonten hinzugerechnet, welche seit den Jahren 1975 (oder länger, da die EDV-Erfassung erst 1975 begann) bis 1982 nicht mehr bewegt worden waren.

Dass es sich bei 2012 um den ersten nicht verjährten Veranlagungszeitraum handelt, steht nicht in Streit.

Der Gesetzgeber hat das System der grundsätzlich gebotenen Periodenbesteuerung mit Abgabenänderungsgesetz 2012, welches mit in Kraft gesetzt wurde, in § 4 Abs. 2 EStG 1988 im Sinne einer richtigen Totalgewinnbesteuerung durchbrochen. Durch die Gesetzesänderung wurde festgelegt, dass unrichtige Bilanzansätze bis ins Jahr 2003 zurück korrigiert werden können (vgl. dazu ).

Mittels § 4 Abs. 2 Z. 2 EStG 1988 werden Fehler berichtigt, die ihre Wurzeln in verjährten Zeiträumen haben und deren Folgewirkungen in noch nicht verjährte Veranlagungszeiträume hineinreichen (vgl. Marschner in Jakom/Kanduth-Kristen EStG 2020, § 4 Tz 222).

Dem Einwand, dass für Sparguthaben, welche erst im Jahr 2012 30 Jahre unbewegt waren der § 293b BAO nicht anwendbar ist, wird entgegengetreten.

Lt Ansicht der Beschwerdeführerin hätte für das Jahr 2012 eine Wiederaufnahme gem. § 303 BAO für die genau in diesem Jahr verjährten Sparguthaben erfolgen müssen, was allerdings für die weiteren Beträge aus den verjährten Jahren rechtlich nicht möglich gewesen wäre.

Im vorliegenden Fall sind sowohl Sparguthaben betroffen, welche im Jahr 2012 exakt 30 Jahre unbewegt waren, als auch unbewegte Sparguthaben bereits verjährter Jahre, welche einer Anwendung des § 303 BAO nicht mehr zugänglich sind und bei denen von Gesetzes wegen sogar die Anwendung des § 293b BAO ausdrücklich vorgeschrieben ist. Für diese Beträge wäre aus der Sicht der Beschwerdeführerin eine Berichtigung gem. § 293b BAO notwendig gewesen.

Aber auch für diese im Jahr 2012 30 Jahre nicht bewegten Sparguthaben gilt, dass - wie der VwGH bereits in seiner Entscheidung vom , 2002/13/0108, klargestellt hat, wenn mit deren Geltendmachung durch die Gläubiger nicht mehr zu rechnen ist, diese nicht mehr als Verbindlichkeiten in der Bilanz auszuweisen sind, da sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr eingelöst werden. Damit besteht aber auch für die im Jahr 2012 30 Jahre unbewegten Sparguthaben eine offensichtliche Unrichtigkeit, nämlich ein Mangel der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung bzw. in Bezug auf die für die Bewertung von Wirtschaftsgütern maßgebenden Umstände. §293b BAO ist auch dann anwendbar, wenn die offensichtliche Unrichtigkeit mehrfach übersehen wurde (vgl. ).

So wie bei einer Wiederaufnahme gem. § 303 BAO nicht nur der konkrete Wiederaufnahnmsgrund berücksichtigt werden kann, sondern auch andere Umstände, kann bei Anwendung des § 293b BAO weiteres offensichtlich Unrichtiges berichtigt werden. Dass auch die Sparguthaben, welche 2012 seit 30 Jahren nicht mehr bewegt wurden, zu berichtigen sind, wurde von der Beschwerdeführerin nicht bestritten.

Sowohl § 303 BAO als auch § 293b BAO verfolgen verfahrensrechtlich denselben Zweck, nämlich dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit gegenüber jenem der Rechtsbeständigkeit im Zweifel den Vorrang einzuräumen, wenn auch der Anwendungsbereich des § 293b BAO enger gesteckt ist, als jener des § 303 BAO.
Das Verhältnis der Verfahrenstitel untereinander - in concreto § 303 BAO und § 293b BAO - ist abgesehen von den jeweiligen weiteren gesetzlichen Voraussetzungen auch immer vom Grundsatz der Verfahrensökonomie getragen.

Es ist aber weder verwaltungsökonomisch noch kann es im Sinne des Gesetzgebers sein, dass für unrichtigerweise als Verbindlichkeit ausgewiesene unbewegte Sparguthaben in ein und demselben Veranlagungsjahr einerseits Beträge der im Jahr 2012 exakt 30 Jahre unbewegten Sparguthaben aus dem Verfahrenstitel des § 303 BAO, andererseits jene Beträge aus bereits verjährten Jahren zwingend (von Gesetzes wegen) im Wege des § 293b BAO korrigiert werden sollen.

Im vorliegenden Fall kann daher die Korrektur der nach wie vor unrichtigerweise als Verbindlichkeit ausgewiesenen unbewegten Sparguthaben uno actu nur über den § 293b BAO erfolgen, da dieser explizit auf das erste nichtverjährte Jahr - nämlich hier das Jahr 2012 - abstellt.

Liegen die Voraussetzungen des § 293b für eine Berichtigung vor, so liegt sie im Ermessen (zB AB 1162 BlgNR 17. GP, 16; Drabek, ecolex 1994, 641; ; , 2007/15/0285; Brennsteiner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren I BAO3, § 293b Rz 7). Dies gilt nicht nur für amtswegige Berichtigungen, sondern auch für Berichtigungen auf Antrag der Partei.

In Bezug auf das Ermessen ist dem Prinzip der Rechtsrichtigkeit der Vorrang vor dem Prinzip der Rechtsbeständigkeit einzuräumen (zB ; , 95/13/0124; , 2002/13/0071; , 2007/15/0285), unabhängig davon, ob sich die Berichtigung zu Gunsten oder zu Ungunsten der Partei auswirken würde.
(Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 293b Anm 5; BMF, AÖF 2009/157, Abschn 3).

Sind die Folgen (insbesondere die steuerlichen Folgen) der Unrichtigkeit bloß geringfügig, so wird idR keine Berichtigung gem § 293b vorzunehmen sein (vgl zB Ritz, ÖStZ 1990, 184 f; Ellinger, ÖStZ 1990, 255; Kortus/Ryda, FJ 1996, 98; Renner, SWK 2002, S 680; ; Ellinger/Sutter/Urtz, BAO3, § 293b Anm 5).

Hierbei dürfen nicht nur der zu berichtigende Bescheid zur Beurteilung herangezogen, sondern auch eventuelle Folgewirkungen (zB Verlustabzüge für die Folgejahre) berücksichtigt werden (Langheinrich/Ryda, FJ 1999, 140). Auch außersteuerliche Folgen (insbesondere im Sozialversicherungsbereich) sollten gegebenenfalls nicht vernachlässigt werden.

Im vorliegenden Fall ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass durch den Ausweis der 30 Jahre (oder länger) nicht bewegten Sparguthaben als Verbindlichkeiten in der Bilanz der jeweilige Totalgewinn in den Bilanzen geringer ausgewiesen wurde, was wiederum die steuerliche Belastung über Jahre hinweg verringerte. Damit einhergehend liegt eine Bereicherung der Beschwerdeführerin vor, da objektiv gesehen diese Sparguthaben kaum jemals noch von Gläubigern eingefordert werden und somit der Beschwerdeführerin zufallen.

Da es sich gegenständlich nicht um geringfügige Folgen handelte, sondern die Auswirkungen auch in mehrere Besteuerungsperioden hineinreichen, war die Vorgangsweise der Abgabenbehörde auch unter dem Gesichtspunkt der Ermessensübung, nämlich sich an der 30jährigen Verjährungsfrist für den Zeitraum der Rückrechnungen zu orientieren, nicht zu beanstanden.

Dem von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Einwand, dass aufgrund einer (im Nachhinein gesehen) falschen Berichtigung 2013 keine Berichtigung im Jahr 2012 mehr möglich sei, ist entgegenzuhalten, dass es im Jahr 2013 im Zuge einer abgabenrechtlichen Prüfung zu einer Wiederaufnahme des Verfahrens gekommen ist und als Folge der getroffenen Feststellungen ein neuer Sachbescheid erlassen wurde. Eine Berichtigung gem. § 293b BAO erfolgte lediglich für das Jahr 2012.

3. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Wenn auch - soweit bekannt - in der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht in concreto über die steuerliche Behandlung von seit (mehr als) 30 Jahren nicht bewegten Spareinlagen abgesprochen wurde, lässt sich die vorliegende Beurteilung aus bestehenden Judikaten zu ordnungsgemäßer Buchführung herleiten, vgl. etwa VwGH 27.9.200, 96/14/0141 und .

Graz, am

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