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Verfahrensleitender Beschluss, BFG vom 27.09.2023, RV/7102916/2023

FLAG: Verständigung nach § 281a BAO; kein Vorlageantrag, sondern Ersuchen gemäß § 26 Abs 4 FLAG bzw. Nachsichtsantrag

Entscheidungstext

Verständigung

Das Bundesfinanzgericht teilt durch die Richterin Dr. Lisa Pucher in der Beschwerdesache ***Herr W***, ***Adr Herr W***, zur Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen in Höhe von € 7.065,00 für den Zeitraum Oktober 2018 bis März 2021, mit:

Nach Auffassung des Bundesfinanzgerichtes wurde in Bezug auf die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom über die Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum Oktober 2018 bis März 2021 kein Vorlageantrag eingebracht.

Die Parteien werden hierüber gemäß § 281a BAO in Kenntnis gesetzt.

Begründung

Mit Bescheid des Finanzamtes Österreich vom wurde ***Herr W***, geboren am ***GebDatum***, gemäß § 26 Abs 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (nachfolgend "FLAG 1967") in Verbindung mit § 33 Abs 3 EStG 1988 aufgefordert, die für ihn selbst bezogene Familienbeihilfe sowie die Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum Oktober 2018 bis März 2021 zurückzuzahlen. Er habe mit Wintersemester 2018/2019 einen Studienwechsel nach dem 3. gemeldeten Semester vorgenommen, weshalb die Familienbeihilfe im betreffenden Zeitraum nicht zustehe. Auch das Austauschen eines Unterrichtsfaches stelle einen Studienwechsel dar.

Am erhob ***Herr W*** fristgerecht Beschwerde gegen den Rückforderungsbescheid.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen. ***Herr W*** habe mit Oktober 2016 das Studium Lehramt mit den Unterrichtsfächern Englisch und Psychologie begonnen. Mit Oktober 2018 habe er das Unterrichtsfach Englisch beendet und das Unterrichtsfach Geschichte begonnen. Nach 4 Semestern sei sohin ein beihilfeschädlicher Studienwechsel vollzogen worden. Der VwGH habe in seiner Entscheidung vom , 2005/10/0069 festgestellt: "Ein Studienwechsel liegt dann vor, wenn der Studierende das von ihm begonnene und bisher betriebene, aber noch nicht abgeschlossene Studium nicht mehr fortsetzt und an dessen Stelle ein anderes unter den Geltungsbereich des Studienförderungsgesetzes fallendes Studium beginnt. Auch jede Änderung einer der kombinationspflichtigen Studienrichtungen stellt einen Studienwechsel dar. Nach Ansicht des VwGH seien bei Lehramtstudien die von den Studierenden zu wählenden Unterrichtsfächer in quantitativer und qualitativer Hinsicht im Vergleich zur pädagogischen und fachdidaktischen Ausbildung nicht etwa von untergeordneter Bedeutung, sondern im Gegenteil für die Identität des gewählten Lehramtsstudiums von ausschlaggebender Bedeutung. Nach dem Wechsel auch nur eines der beiden Unterrichtsfächer könne von einer Fortführung desselben (Lehramts-)Studiums nicht mehr gesprochen werden. Ein Familienbeihilfenanspruch bestehe erst dann (wieder), wenn ***Herr W*** in dem nunmehr gewählten Studium so viele Semester wie in den vor dem nunmehr gewählten Studium zurückgelegt hat (§ 2 Abs 1 lit b FLAG 1967). Diese Wartezeit habe im vorliegenden Fall bis 09/2020 bestanden; mit ***Datum*** habe ***Herr W*** das 25. Lebensjahr vollendet. Eine Verkürzung der Wartezeit (aufgrund der Anrechnung von ECTS-Punkten aus Vorstudien durch die Universität mit Bescheid für das neue Studium) sei nicht eingetreten, da kein Anrechnungsbescheid der Universität aus dem Vorstudium - Unterrichtsfach Englisch - vorgelegt worden sei.

Am langte beim Finanzamt ein Schreiben von ***Herrn W*** mit dem Betreff "Beschwerdevorentscheidung zur Beschwerde vom " ein, in dem wie folgt ausgeführt wird: "Sehr geehrte Damen und Herren! Bezugnehmend auf die mir zugestellte Beschwerdevorentscheidung darf ich Ihnen mitteilen, diese im Lichte der Judikatur des VwGH inhaltlich nachvollziehen zu können. Vor dem Hintergrund der Bestimmung des § 26 Abs 4 FLAG erlaube ich mir, den Antrag auf Vorlage des Aktes bei der sachlich in Betracht kommende Oberbehörde zu stellen, und unter einem anzuregen, diese möge von ihrem Mäßigungsrecht gern. § 26 Abs. 4 FLAG Gebrauch machen, da die Rückforderung der gesamten Summe in concreto einen Fall der unbilligen Härte darstellt. Als Halbwaise war ich mangels subjektiven Verschuldens nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass die mir mit Unterhaltscharakter monatlich geleisteten Zahlungen zu Recht erfolgten, zumal ich laut belegter Akten-, und Faktenlage stets alle Bestätigungen der Universität fristgerecht vorgelegt habe. Dass das Finanzamt diese sachlich unzutreffend prüfte mag zwar einer Rückforderung nicht entgegenstehen, führt aber im Endeffekt nun dazu, dass ich als Student - ich bin obendrein Halbwaise und kann daher nur meine Mutter um Unterstützung ersuchen, welche jedoch auch nur beschränkte Geldmittel zur Verfügung hat- auf Grund der im Raum stehenden Rückforderung in meiner Existenz bedroht bin. Die Familienbeihilfe war Teil meiner monatlichen Kalkulation zur Befriedigung meiner primären Lebensbedürfnisse - diese sind nun unverschuldet gefährdet. Weiter möchte ich erwähnen, dass das Finanzamt von mir auch mehrfach telefonisch kontaktiert worden war. In einer Gesamtschau ist daher festzuhalten, dass die unsachliche Vorgehensweise des Finanzamtes zwar im Rahmen des Beschwerdevorbringens unbeachtlich ist, nicht jedoch im Rahmen der Einzelfallbeurteilung iSd § 26/4 FLAG. Unter Zugrundelegung der Tatbestandselemente des § 13004 ABGB per analogiam ist der Rückforderungsanspruch wenn nicht gar zur Gänze so jedoch jedenfalls um mindestens 50 % zu kürzen. Insgesamt stellt die Rückforderung der gesamten Summe meiner Person gegenüber zweifelsfrei einen Fall der unbilligen Härte dar und steht mein Ansuchen auch im Einklang mit der durch das BFG ergangenen Judikatur. Ich ersuche daher um wohlwollende Prüfung meines Ansuchens. Mit freundlichen Grüßen." Dieses Schreiben wurde vom Finanzamt als Vorlageantrag gewertet.

Am legte das Finanzamt den Beschwerdeakt dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Im Vorlagebericht beantragte es die Zurückweisung der Beschwerde, da das am beim Finanzamt eingelangte Schreiben von ***Herrn W*** erst am postalisch versandt worden ist; die Beschwerdefrist sei aber bereits am abgelaufen. In eventu werde eine Stattgabe der Beschwerde beantragt. Zum Austausch eines Unterrichtsfaches sei am auf der FLAG-Plattform eine neuere Rechtsansicht des Bundeskanzleramtes veröffentlicht worden. Danach liege gemäß § 63 Abs 8 UG 2002 bei Lehramtsstudien Sekundarstufe (Allgemeinbildung) dasselbe Studium vor, wenn ein Unterrichtsfach oder eine Spezialisierung ident sind. Dies bedeute, dass ein Studienwechsel im Sinne des § 17 StudFG 1992 bei Lehramtsstudien nur mehr anzunehmen sei, wenn beide Unterrichtsfächer gleichzeitig geändert werden. Die geänderte Rechtsansicht des Bundeskanzleramtes sei auf Zeiträume nach Oktober 2017 anzuwenden. Durch die verstrichene Jahresfrist des § 299 Abs 1 in Verbindung mit § 302 Abs 1 BAO habe die neue Rechtsansicht nicht mehr auf den gegenständlichen Fall zur Anwendung gelangen können.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes ist im vorliegenden Fall ein Vorlageantrag nicht eingebracht worden:

Nach der Rechtsprechung des VwGH kommt es für die Beurteilung von Anbringen nicht auf die Bezeichnung von Schriftsätzen und die zufälligen verbalen Formen an, sondern auf den Inhalt, das erkennbare oder zu erschließende Ziel des Parteischrittes (vgl zB ; ; ). Maßgebend für die Wirksamkeit einer Prozesserklärung ist das Erklärte, nicht das Gewollte (siehe zB ; ). Allerdings ist das Erklärte der Auslegung zugänglich (siehe etwa ; ; ). Parteienerklärungen im Verwaltungsverfahren sind nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, dh es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss (vgl zB ; ; ).

In Ansehung dieser Grundsätze ist das am beim Finanzamt eingelangte Schreiben nicht als Antrag auf Entscheidung über die Beschwerde vom durch das Bundesfinanzgericht (Vorlageantrag) zu werten:

Dass ***Herr W*** eine Rechtsmittelentscheidung durch das Bundesfinanzgericht anstrebt, ist dem Inhalt der Eingabe nicht zu entnehmen (vgl auch die Ausführungen von ***Herrn W***, wonach er zwar auf die Beschwerdevorentscheidung vom reagiert, sogleich aber festhält, diese "im Lichte der Judikatur des VwGH inhaltlich nachvollziehen zu können"; dass das Finanzamt die von ihm vorgelegten Bestätigungen der Universität "sachlich unzutreffend prüfte" möge zwar einer Rückforderung nicht entgegenstehen, führe aber dazu, dass er durch die Rückforderung in seiner Existenz bedroht sei, was eine unbillige Härte darstelle; die "unsachliche Vorgehensweise" des Finanzamtes sei zwar "im Rahmen des Beschwerdevorbringens unbeachtlich", nicht jedoch "im Rahmen der Einzelfallbeurteilung iSd § 26/4 FLAG"). Vielmehr erschließt sich aus der Eingabe, dass das Finanzamt dazu bewegt werden soll, im vorliegenden Fall (zumindest teilweise) von der Einhebung des Rückforderungsbetrages Abstand zu nehmen. ***Herr W*** regt in dem Schreiben die Vorlage des Aktes bei der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde (= für die Vollziehung des FLAG zuständiger Bundesminister) an, diese möge von ihrem Mäßigungsrecht gemäß § 26 Abs 4 FLAG Gebrauch machen. Überdies wird von ***Herrn W*** ausgeführt: Er sei in nachvollziehbarer Weise davon ausgegangen, dass die an ihn monatlich geleisteten Zahlungen mit Unterhaltscharakter zu Recht erfolgten, zumal er stets alle Bestätigungen der Universität fristgerecht vorgelegt habe. Durch die Rückforderung sei er nun in seiner Existenz bedroht. Die Familienbeihilfe sei Teil seiner monatlichen Kalkulation zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse gewesen. Er sei Halbwaise und könne nur um Unterstützung seiner Mutter ersuchen, die jedoch auch nur beschränkte Geldmittel zur Verfügung habe. Der Rückforderungsanspruch solle "wenn nicht gar zur Gänze" so jedoch um mindestens 50% gekürzt werden. Darüber hinaus stelle die Rückforderung gegenüber seiner Person "zweifelsfrei" eine unbillige Härte und sein Ansuchen stehe somit auch im Einklang mit der BFG-Judikatur (Anmerkung: wohl zu § 236 BAO). Das Schreiben ist nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes als Ersuchen gemäß § 26 Abs 4 FLAG 1967 (Anregung eines behördeninternen Verfahrens, in dem das Finanzamt von der Oberbehörde angewiesen werden kann, von der Rückforderung abzusehen) zu deuten. Das zuletzt genannte Begehren legt überdies einen Nachsichtsantrag nahe.

Andere Schreiben, die als Vorlageantrag zu werten wären, sind nicht eingebracht worden.

Wenn das Bundesfinanzgericht nach einer Vorlage (§ 265 BAO) zur Auffassung gelangt, dass ein Vorlageantrag nicht eingebracht wurde, hat es die Parteien darüber unverzüglich formlos in Kenntnis zu setzen (siehe § 281a BAO, eingeführt mit dem Jahressteuergesetz 2018, BGBl I 62/2018 und ErlRV 190 BlgNR 26. GP, 56: "Die neue Verständigungspflicht gemäß § 281a BAO soll, insbesondere im Hinblick auf die Verständigung des Beschwerdeführers vom Zeitpunkt und Inhalt der zunächst erfolgten Vorlage, gewährleisten, dass beide Parteien rasch und einfach mittels formloser Mitteilung des Verwaltungsgerichtes davon Kenntnis erlangen, dass sich das Verwaltungsgericht für unzuständig hält. […] Verneint das Verwaltungsgericht nach der Vorlage der Beschwerde zu Unrecht seine Zuständigkeit und unterlässt es die Erledigung der Beschwerde, steht beiden Parteien des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht ein Fristsetzungsantrag an den Verwaltungsgerichtshof [§ 38 VwGG] offen. […] Ein Rechtsanspruch auf gesonderte Feststellung der Zuständigkeit oder Unzuständigkeit besteht nicht [vgl Ra 2017/13/0010, Ra 2016/13/0023].").

Information für die Parteien (Belehrung nach § 280 Abs 4 BAO)

Gegen diese Verständigung ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof oder eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht zulässig.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 281a BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7102916.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at