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VwGH vom 01.09.2021, Ro 2021/09/0013

VwGH vom 01.09.2021, Ro 2021/09/0013

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger und Mag. Feiel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-AV-382/001-2021, betreffend Absonderung nach dem Epidemiegesetz 1950 (mitbeteiligte Partei: A B, vertreten durch Mag.a C B in D), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1Die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde und nunmehr revisionswerbende Partei) erließ am gegenüber dem Mitbeteiligten unter Bezugnahme auf die § 1, 6, 7, 43 Abs. 4 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), § 1, 2, 4 und 5 der Verordnung betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen, RGBl. Nr. 39/1915, sowie § 57 Abs. 1 AVG einen Mandatsbescheid folgenden Inhalts (Schreibweise im Original ohne die dort vorgenommenen Hervorhebungen, Anonymisierung durch den Verwaltungsgerichtshof):

„Bescheid

Die Bezirkshauptmannschaft St. Pölten ordnet aufgrund Ihrer möglichen Ansteckung mit der Lungenerkrankung COVID-19 (SARS-CoV-2-Virus) Ihre Absonderung in

• [Wohnanschrift]

beginnend mit bis einschließlich an. Mit Ablauf dieses Tages tritt dieser Bescheid außer Kraft.

(Sollte eine Absonderung auf der angeführten Adresse nicht möglich sein, nehmen Sie sofort Kontakt mit der Gesundheitsbehörde auf).

Eine allfällig bereits bestehende Absonderung wird durch diesen Bescheid aufgehoben.

Personen über 10 Jahre sind gemäß § 5 Abs. 1 EpiG verpflichtet, für einen PCR-Test innerhalb von 48 Stunden ab Zustellung dieses Bescheides eine Teststation aufzusuchen.

Dies gilt nicht, wenn Sie bereits in den letzten 48 Stunden einen PCR Test erhalten haben.

Dazu wurden Sie bereits in einer NÖ Teststation angemeldet. Eine aktuelle Auflistung der Teststationen mit Öffnungszeiten finden Sie unter https://www.noe.gv.at/corona-teststationen. Wenn Sie keinen Internetzugang haben, können Sie die Teststationen auch bei 1450 erfragen. Sollte es Ihnen aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich sein, eine Teststation aufzusuchen oder Sie keine Möglichkeit haben eine Teststation zu erreichen, rufen Sie zur Anforderung eines mobilen Teams umgehend 01/206 921 59 08 in der Zeit von 8:00 - 18:00 Uhr an.

Kinder unter 10 Jahren können den Termin freiwillig wahrnehmen. Kinder unter 6 Jahren sollten jedoch nur nach Rücksprache mit dem Hausarzt getestet werden.

Folgende Maßnahmen sind einzuhalten:

•Die Wohnung darf nicht verlassen werden, einzige Ausnahme - Fahrt mit einem privaten PKW zu einer Teststation.

•Der Gesundheitszustand ist bis zum Ende der Absonderung zu beobachten (2x täglich Fieber messen)

•Bei Auftreten von Krankheitssymptomen laut beiliegendem Informationsblatt ist die Gesundheitsberatung, Tel. Nummer 1450, zu verständigen.

Sollten Sie im Zeitraum Ihrer häuslichen Absonderung ärztliche Versorgung benötigen, kontaktieren Sie bitte den Notruf 144 unter Hinweis auf Ihre Absonderung.

Sofern eine erforderliche medizinische Leistung nicht im Rahmen eines Hausbesuches erfolgen kann, darf ausschließlich zu diesem Zweck eine Gesundheitseinrichtung nach vorheriger Terminvereinbarung und Information über Ihre Erkrankung aufgesucht werden.

Hinweis:

Teilen Sie der Bezirkshauptmannschaft St. Pölten unverzüglich die stationäre Aufnahme in einem Krankenhaus sowie die Entlassung aus dem Krankenhaus mit.

Gemäß § 7 Abs. 1a Epidemiegesetz haben Sie die Möglichkeit beim Bezirksgericht die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Maßnahme zu beantragen.

Auf die Bestimmung der § 32 und 33 Epidemiegesetz wird verwiesen.

Sollten Sie notwendige Waren oder Dienstleistungen des täglichen Bedarfs benötigen und ist die Versorgung nicht anderwärtig gesichert, teilen Sie uns dies bitte mit.

Die Bezirksverwaltungsbehörde wird der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister in diesem Fall Ihren Namen und Ihre Kontaktdaten umgehend übermitteln. Sie können natürlich die Bürgermeisterin oder den Bürgermeister auch direkt informieren.

Dieser Bescheid ist sofort vollstreckbar. Die Anordnung Ihrer Absonderung ist daher ab sofort wirksam.“

2Der gegen diesen - noch näher begründeten - Bescheid erhobenen Vorstellung gab die revisionswerbende Partei mit Bescheid vom keine Folge und sie bestätigte den angefochtenen Bescheid vollinhaltlich.

3Mit dem angefochtenen Erkenntnis behob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aufgrund der Beschwerde des Mitbeteiligten den angefochtenen Bescheid vom wegen sachlicher Unzuständigkeit der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für zulässig.

4Rechtlich begründete das Landesverwaltungsgericht sein Erkenntnis zusammengefasst dahingehend, dass nach mittlerweile ständiger Judikatur des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich nicht das Verwaltungsgericht, sondern das Bezirksgericht zur Überprüfung der Zulässigkeit und der Dauer einer Absonderung nach § 7 EpiG sachlich zuständig sei. Diese Judikatur auch anderer Landesverwaltungsgerichte sei auch im gegenständlichen Fall einschlägig. Nach dem Gesetzeswortlaut und den Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend § 7 Abs. 1 und 1a EpiG ergebe sich eine Zuständigkeit des Bezirksgerichts zur Überprüfung aller im Zusammenhang mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nach dem Epidemiegesetz 1950 stehenden Entscheidungen der Bezirksverwaltungsbehörden oder Maßnahmen in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Da nicht unterschieden werde, ob die freiheitsbeschränkende Maßnahme mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG oder mit Bescheid nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 56 AVG erlassen werde, gehe der Rechtszug in beiden Fällen an das Bezirksgericht. Eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen den - nach dem Willen des Gesetzgebers - zuständigen Bezirksgerichten und den Verwaltungsbehörden bzw. -gerichten in Fällen, die nicht unmittelbar mit einer aufrechten Freiheitsentziehung im Zusammenhang stünden oder nur die Dauer der Absonderungsmaßnahme beträfen, würde den Nachteil der Rechtsunsicherheit mit sich bringen, weil gegen einen Bescheid mit dem die Absonderung angeordnet werde, in bestimmten Fällen sowohl ein Rechtsmittel an das örtlich zuständige Bezirksgericht als auch (im Fall einer Vorstellung gegen einen Mandatsbescheid) an die Bezirksverwaltungsbehörde bzw. (im Fall der Beschwerde gegen einen Bescheid) an das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht erhoben werden müsste. Ein derartiger Rechtszug widerspräche auch dem Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung.

5Die Zuständigkeit der Bezirksgerichte betreffe auch gemäß § 57 AVG erlassene Mandatsbescheide, sodass - entgegen der Rechtsmittelbelehrung im Mandatsbescheid vom - die belangte Behörde zur Erlassung des angefochtenen (Vorstellungs-)Bescheids sachlich nicht zuständig gewesen sei. Die Vorstellung gegen den freiheitsbeschränkenden Mandatsbescheid wäre vielmehr gemäß § 6 Abs. 1 AVG an das zuständige Bezirksgericht weiterzuleiten oder der Beschwerdeführer an dieses zu verweisen gewesen. Da das Landesverwaltungsgericht gemäß § 27 VwGVG die Unzuständigkeit der belangten Behörde wahrzunehmen habe, sei deren Entscheidung zu beheben gewesen.

6Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig, weil in Bezug auf die Zuständigkeit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliege zu der noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe.

7Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen, auf die sich auch die Revision stützt, deshalb zulässig, weil das angefochtene Erkenntnis von der zu dieser Rechtsfrage inzwischen ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht. Sie ist aus diesem Grund auch begründet.

9Der vorliegende Fall gleicht nun im Hinblick auf das in der Revision erstattete Vorbringen und den maßgeblichen Sachverhalt in den entscheidungswesentlichen Aspekten sowohl in tatsächlicher wie auch in rechtlicher Hinsicht jenem, der dem Erkenntnis vom , Ro 2021/09/0004, zu Grunde lag. Auf dessen Begründung wird daher gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.

10Demnach wurde dem Mitbeteiligten durch die ihm durch § 7 Abs. 1 a zweiter Satz EpiG eröffnete Möglichkeit, einen Antrag an das Bezirksgericht auf Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung zu stellen, das verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren gegen den die Absonderung anordnenden Bescheid nicht ausgeschlossen. In diesem Fall bedurfte es vor einer Anrufung des Verwaltungsgerichts der Erhebung einer Vorstellung gegen den Mandatsbescheid (vgl. für Näheres ).

11Das angefochtene Erkenntnis war daher bereits aus den im verwiesenen Erkenntnis dargelegten Gründen deshalb, weil das Verwaltungsgericht die Rechtslage verkennend den angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit der Behörde behob, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021090013.J00

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