VwGH vom 24.06.2021, Ro 2021/09/0004

VwGH vom 24.06.2021, Ro 2021/09/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Hotz, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Baden gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-AV-1358/001-2020, betreffend Absonderung nach dem Epidemiegesetz 1950 (mitbeteiligte Partei: A B in C), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

1Mit Mandatsbescheid vom ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden (vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde und nunmehr revisionswerbende Partei) unter Bezugnahme auf die § 1, 6, 7 und 43 Abs. 4 Epidemiegesetz 1950 (EpiG), § 1, 2, 4 und 5 der Verordnung betreffend die Absonderung Kranker, Krankheitsverdächtiger und Ansteckungsverdächtiger und die Bezeichnung von Häusern und Wohnungen, RGBl. Nr. 39/1915, sowie § 57 Abs. 1 AVG gegenüber der Mitbeteiligen aufgrund deren hohen Infektionsrisikos (Hoch-Risiko-Exposition) mit der Lungenerkrankung COVID-19 (2019-nCoV, „neuartiges Corona-Virus“) deren Absonderung ab an deren Wohnadresse bis zum Ablauf des an.

2Der dagegen von der Mitbeteiligten erhobenen Vorstellung gab die revisionswerbende Partei mit Bescheid vom nicht statt und bestätigte den angefochtenen Bescheid in vollem Umfang.

3Mit dem angefochtenen Erkenntnis behob das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich aufgrund der Beschwerde der Mitbeteiligten vom den angefochtenen Bescheid wegen sachlicher Unzuständigkeit der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es für zulässig.

4Rechtlich begründete das Landesverwaltungsgericht sein Erkenntnis zusammengefasst dahingehend, dass nach mittlerweile ständiger Judikatur des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich nicht das Verwaltungsgericht, sondern das Bezirksgericht zur Überprüfung der Zulässigkeit und der Dauer einer Absonderung nach § 7 EpiG sachlich zuständig sei. Diese Judikatur auch anderer Landesverwaltungsgerichte sei auch im gegenständlichen Fall einschlägig. Nach dem Gesetzeswortlaut und den Erläuterungen zur Regierungsvorlage betreffend § 7 Abs. 1 und 1a EpiG ergebe sich eine Zuständigkeit des Bezirksgerichts zur Überprüfung aller im Zusammenhang mit freiheitsbeschränkenden Maßnahmen nach dem Epidemiegesetz 1950 stehenden Entscheidungen der Bezirksverwaltungsbehörden oder Maßnahmen in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt. Da nicht unterschieden werde, ob die freiheitsbeschränkende Maßnahme mit Mandatsbescheid gemäß § 57 AVG oder mit Bescheid nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens gemäß § 56 AVG erlassen werde, gehe der Rechtszug in beiden Fällen an das Bezirksgericht. Eine Aufteilung der Kompetenzen zwischen den - nach dem Willen des Gesetzgebers - zuständigen Bezirksgerichten und den Verwaltungsbehörden bzw. -gerichten in Fällen, die nicht unmittelbar mit einer aufrechten Freiheitsentziehung in Zusammenhang stünden oder nur die Dauer der Absonderungsmaßnahme beträfen, würde den Nachteil der Rechtsunsicherheit mit sich bringen, weil gegen einen Bescheid, mit dem die Absonderung angeordnet werde, in bestimmten Fällen sowohl ein Rechtsmittel an das örtlich zuständige Bezirksgericht als auch (im Fall einer Vorstellung gegen einen Mandatsbescheid) an die Bezirksverwaltungsbehörde bzw. (im Fall der Beschwerde gegen einen Bescheid) an das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht erhoben werden müsste. Ein derartiger Rechtszug widerspräche auch dem Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung. Ebenso ergebe sich aus den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 1187 BlgNR 25. GP 16) die Zuständigkeit des Bezirksgerichts für die Überprüfung der Zulässigkeit (auch nach Ende der Maßnahme) und der Dauer von Absonderungen nach § 7 Abs. 1a EpiG. Diese Zuständigkeit betreffe auch gemäß § 57 AVG erlassene Mandatsbescheide, sodass - entgegen der Rechtsmittelbelehrung im Mandatsbescheid vom - die belangte Behörde zur Erlassung des angefochtenen (Vorstellungs-)Bescheids sachlich nicht zuständig gewesen sei. Die Vorstellung gegen den freiheitsbeschränkenden Mandatsbescheid wäre vielmehr gemäß § 6 Abs. 1 AVG an das zuständige Bezirksgericht weiterzuleiten oder die Beschwerdeführerin an dieses zu verweisen gewesen. Da das Landesverwaltungsgericht gemäß § 27 VwGVG die Unzuständigkeit der belangten Behörde wahrzunehmen habe, sei deren Entscheidung zu beheben gewesen.

5Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig, weil in Bezug auf die Zuständigkeit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG vorliege zu der noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehe.

6Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

7Die revisionswerbende Partei begründet die Revision im Wesentlichen damit, dass nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1a EpiG mit dieser Bestimmung kein Instanzenzug von der Gesundheitsbehörde zum (auf gleicher Ebene befindlichen) Bezirksgericht geschaffen werde. Es werde lediglich die Möglichkeit eines Antrags an das Gericht eingeräumt, jedoch nicht die eines Rechtsmittels an dieses. So deute das Fehlen von juristischem Fachvokabular wie „bekämpfen“, „Bescheid“ oder „Anfechtung“ darauf hin, dass der Gesetzgeber keine Rechtsmittelinstanz nach einer Verwaltungsbehörde habe implementieren wollen. Ferner würden weder eine Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels noch dessen Voraussetzungen genannt, was ebenfalls für eine zusätzliche Überprüfungsmöglichkeit der Maßnahme (und nicht des Bescheids) spreche. Neben diesen Gründen sei bei einer Auslegung, die davon ausgehe, dass ein Bezirksgericht Rechtsmittelinstanz einer Bezirksverwaltungsbehörde sei, die Verfassungsmäßigkeit aufgrund fehlender Gewaltentrennung in Frage zu stellen.

8Das primäre Anliegen eines Vorstellungswerbers sei, mögliche formelle und materielle Mängel berichtigt zu wissen. Ein Mandatsbescheid zur Absonderung kranker, krankheits- oder ansteckungsverdächtiger Personen werde in kürzest möglicher Zeit, ohne vorheriges Ermittlungsverfahren erlassen. Das bedinge eine gewisse Anzahl an nachträglich zu korrigierender Absonderungsbescheide, die nach Durchführung eines nach den Grundsätzen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes geführten ordentlichen Ermittlungsverfahrens ergingen. Dieses Ermittlungsverfahren sei demnach bei der Verwaltungsbehörde zu führen, die den Mandatsbescheid erlassen habe, gleichsam als zweistufiger Akt in einer Verfahrensinstanz.

9Die Vorschrift des § 7 Abs. 1a EpiG sei daher so zu interpretieren, dass eine zusätzliche Überprüfungsmöglichkeit für Personen geschaffen worden sei, die sich in ihrem Grundrecht auf persönliche Freiheit verletzt fühlten. Es bestehe aber auch die Möglichkeit einer sofortigen Korrektur des Absonderungszeitraums oder des Absonderungsorts, einer Änderung der Bewertung des Kontakts, welche die Art der Maßnahme bestimme, oder eine gänzliche Aufhebung des gesundheitsbehördlichen Bescheids im Vorstellungsverfahren der Verwaltung. Die für den Normadressaten nachteilige Auslegung einer ausschließlichen Zuständigkeit (der Bezirksgerichte) laufe der Intention des Gesetzgebers zuwider, der einen besonderen - zusätzlichen - Rechtsschutz für Personen habe schaffen wollen, deren persönliche Freiheit durch einen Mandatsbescheid eingeschränkt werde. Keinesfalls habe der Gesetzgeber im Fall von Absonderungsbescheiden den Rechtszug an das Verwaltungsgericht durch einen solchen an das Bezirksgericht ersetzen wollen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht genannten Gründen, auf die sich auch die Revision stützt, zulässig. Sie ist auch begründet.

11§ 57 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51/1991, lautet:

„§ 57. (1) Wenn es sich um die Vorschreibung von Geldleistungen nach einem gesetzlich, statutarisch oder tarifmäßig feststehenden Maßstab oder bei Gefahr im Verzug um unaufschiebbare Maßnahmen handelt, ist die Behörde berechtigt, einen Bescheid auch ohne vorausgegangenes Ermittlungsverfahren zu erlassen.

(2) Gegen einen nach Abs. 1 erlassenen Bescheid kann bei der Behörde, die den Bescheid erlassen hat, binnen zwei Wochen Vorstellung erhoben werden. Die Vorstellung hat nur dann aufschiebende Wirkung, wenn sie gegen die Vorschreibung einer Geldleistung gerichtet ist.

(3) Die Behörde hat binnen zwei Wochen nach Einlangen der Vorstellung das Ermittlungsverfahren einzuleiten, widrigenfalls der angefochtene Bescheid von Gesetzes wegen außer Kraft tritt. Auf Verlangen der Partei ist das Außerkrafttreten des Bescheides schriftlich zu bestätigen.“

12§ 7 Abs. 1a Epidemiegesetz 1950 (EpiG), BGBl. Nr. 186/1950, in der hier noch anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2020, lautet:

„(1a) Zur Verhütung der Weiterverbreitung einer in einer Verordnung nach Abs. 1 angeführten anzeigepflichtigen Krankheit können kranke, krankheitsverdächtige oder ansteckungsverdächtige Personen angehalten oder im Verkehr mit der Außenwelt beschränkt werden, sofern nach der Art der Krankheit und des Verhaltens des Betroffenen eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen besteht, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann. Die angehaltene Person kann bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel der Anhaltungsort liegt, die Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung nach Maßgabe des 2. Abschnitts des Tuberkulosegesetzes beantragen. Jede Anhaltung, die länger als zehn Tage aufrecht ist, ist dem Bezirksgericht von der Bezirksverwaltungsbehörde anzuzeigen, die sie verfügt hat. Das Bezirksgericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab der Anhaltung oder der letzten Überprüfung die Zulässigkeit der Anhaltung in sinngemäßer Anwendung des § 17 des Tuberkulosegesetzes zu überprüfen, sofern die Anhaltung nicht vorher aufgehoben wurde.“

13Der zweite Satz wurde in diese Bestimmung des § 7 Abs. 1a EpiG durch die Novelle BGBl. I Nr. 63/2016 eingefügt. Den Materialien (ErläutRV 1187 25. GP 16) ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen:

„Dem Vorbild des Tuberkulosegesetzes und aktuellen verfassungsrechtlichen Vorgaben folgend soll auch im Epidemiegesetz das Rechtsschutzinstrumentarium für freiheitsbeschränkende Maßnahmen den menschenrechtlichen Standards entsprechend ausgestaltet werden. Daher steht kranken, krankheitsverdächtigen oder ansteckungsverdächtigen Personen, denen gegenüber eine freiheitbeschränkende Maßnahme (Absonderung in der Wohnung oder einer entsprechenden Krankenanstalt) verfügt wurde, die Möglichkeit einer Überprüfung dieser Maßnahme durch das Gericht zu. Die freiheitsbeschränkende Maßnahme kann dabei je nach Sachlage, insbesondere der Dringlichkeit der Maßnahme, entweder durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls-und Zwangsgewalt (auch unter Assistenz der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vgl. § 28a) oder durch Bescheid erfolgen.

Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Eingriffs in die persönliche Freiheit ist auch hier, dass nach der Art der Erkrankung und dem bisherigen oder zu erwartenden Verhalten des Betroffenen substantiierte Anhaltspunkte für eine Fremdgefährdung durch eine übertragbare Krankheit bestehen. Bei Gefahr im Verzug ist eine umfassende medizinische Abklärung noch nicht erforderlich, allerdings eine hinreichende fachliche Abklärung, um im Rahmen einer Prognoseentscheidung beurteilen zu können, ob eine Gefahrenquelle für die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit besteht. Im Einzelfall können daher freiheitsbeschränkende Maßnahmen auch gegenüber einer bloß ansteckungsverdächtigen Person getroffen werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte für eine Prognoseentscheidung im Hinblick auf Fremdgefährdung vorliegen.

Hinsichtlich des vorgesehenen gerichtlichen Überprüfungsverfahrens ist sinngemäß der Zweite Abschnitt des Tuberkulosegesetzes anwendbar.

Festgehalten sei, dass nach geltender Rechtslage gegen einen Absonderungsbescheid Beschwerde an das Landesverwaltungsgericht erhoben werden kann. Da die Bezirksverwaltungsbehörde als belangte Behörde ihren Bescheid vor dem Landesverwaltungsgericht zu verteidigen hat, und ihr zukünftig das Rekursrecht gegen eine gerichtliche Entscheidung, mit der eine Absonderung für nicht zulässig erklärt wird, zukommt, tritt insofern keine Mehrbelastung der Bezirksverwaltungsbehörden ein.“

14Der 2. Abschnitt des Tuberkulosegesetzes, BGBl. Nr. 127/1968, idF BGBl. I Nr. 63/2016 (§ 17 idF BGBl. I Nr. 104/2020) lautet wie folgt:

„2. Abschnitt

Maßnahmen zur Vermeidung einer schweren Gesundheitsgefährdung anderer Personen

Schutz der Persönlichkeitsrechte

§ 13. (1) Die Persönlichkeitsrechte an Tuberkulose erkrankter oder krankheitsverdächtiger Personen, die in einer Krankenanstalt angehalten werden, sind besonders zu schützen. Ihre Menschenwürde ist unter allen Umständen zu achten und zu wahren.

(2) Beschränkungen von Persönlichkeitsrechten sind nur zulässig, soweit sie im Verfassungsrecht, in diesem Bundesgesetz oder in anderen gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen sind.

Antrag

§ 14. (1) Verstößt eine an Tuberkulose im Sinn des § 1 Abs. 2 oder 3 erkrankte oder im Sinne des § 1 Abs. 4 krankheitsverdächtige Person trotz einer Belehrung gemäß § 9 Abs. 1 Z 8 und 9 gegen die ihr obliegenden Pflichten und entsteht dadurch eine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen, die nicht durch gelindere Maßnahmen beseitigt werden kann, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde beim Bezirksgericht, in dessen Sprengel die Krankenanstalt liegt, in der die Anhaltung durchgeführt werden soll, die Feststellung der Zulässigkeit der Anhaltung in einer zur Behandlung von Tuberkulose eingerichteten Krankenanstalt zu beantragen. Dem Antrag der Bezirksverwaltungsbehörde ist ein fachärztliches Zeugnis zur Bescheinigung der Gesundheitsgefährdung anderer Personen beizulegen, in dem im Einzelnen die Gründe anzuführen sind, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der Anhaltung für gegeben erachtet.

(2) Wenn das Gericht die Anhaltung für zulässig erklärt, hat die Bezirksverwaltungsbehörde die anzuhaltende Person binnen drei Monaten nach Rechtskraft des Beschlusses in eine zur Behandlung von Tuberkulose eingerichtete Krankenanstalt einzuweisen. Wenn und solange sich die anzuhaltende Person nach Zustellung des Gerichtsbeschlusses entsprechend den ihr obliegenden Verpflichtungen verhält, darf sie auf Grund des Gerichtsbeschlusses nicht in eine Krankenanstalt eingewiesen werden.

Gerichtliches Verfahren

§ 15. (1) Das Gericht hat auf Grund des Antrages möglichst binnen zwei Wochen im außerstreitigen Verfahren zu entscheiden, ob die Anhaltung der Person in einer Krankenanstalt zulässig ist. Die Zulässigkeit der Anhaltung ist auszusprechen, wenn die in § 14 oder § 20 umschriebene Gesundheitsgefährdung anderer Personen gegeben ist und andere gelindere Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefährdung nicht ausreichen.

(2) Das Gericht hat innerhalb der Frist des Abs. 1 eine mündliche Verhandlung abzuhalten, bei der die Person, erforderlichenfalls unter Beiziehung eines Dolmetschers, sowie der behandelnde Arzt persönlich anzuhören sind. Wenn eine Gesundheitsgefährdung des Richters und der anderen am Verfahren teilnehmenden Personen nicht ausgeschlossen werden kann, kann der Richter der Person die Teilnahme an der Verhandlung unter Verwendung geeigneter technischer Einrichtungen ermöglichen. Leistet die Person einer Ladung nicht Folge, so kann sie vorgeführt werden. Sie ist über die Verfahrenshilfe sowie über die mögliche Beiziehung eines anwaltlichen Vertreters zu belehren. Auf Verlangen der Person oder ihres Vertreters hat das Gericht die Öffentlichkeit auszuschließen.

(3) Auf Verlangen der Person sowie, wenn das Gericht es für notwendig erachtet, von Amts wegen ist zusätzlich zur Einvernahme des behandelnden Arztes ein Sachverständiger beizuziehen. Im Falle einer Tuberkuloseerkrankung nach § 1 Abs. 3 ist zur Frage der Wahrscheinlichkeit einer Reaktivierung und der sich daraus ergebenden Fremdgefährdung jedenfalls ein Sachverständigengutachten einzuholen.

(4) Am Schluss der mündlichen Verhandlung hat das Gericht über die Zulässigkeit der Anhaltung zu entscheiden sowie den Beschluss zu verkünden, zu begründen und der Person zu erläutern. Das Gericht hat den Beschluss innerhalb von sieben Tagen schriftlich auszufertigen.

(5) Sofern das Gericht in seinem Beschluss nichts anderes anordnet, ist die Anhaltung auf unbestimmte Dauer zulässig.

Verständigungspflichten

§ 16. (1) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat das Gericht insbesondere von der Durchführung der Einweisung und der Beendigung der Anhaltung (§ 17 Abs. 1) zu verständigen.

(2) Der ärztliche Leiter der Krankenanstalt hat die Bezirksverwaltungsbehörde und das Gericht unverzüglich zu verständigen, wenn sich die Person in der Krankenanstalt eingefunden hat, wenn sie entlassen worden ist oder wenn sie die Krankenanstalt eigenmächtig verlassen hat.

Beendigung der Anhaltung

§ 17. (1) Ist auf Grund des Verhaltens der angehaltenen Person oder anderer Umstände zu erwarten, dass durch die Erkrankung keine ernstliche und erhebliche Gefahr für die Gesundheit anderer Personen mehr besteht, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde sogleich die Anhaltung zu beenden.

(2) Ist der ärztliche Leiter der Krankenanstalt der Ansicht, dass die angehaltene Person zu entlassen ist, hat er davon sogleich die Bezirksverwaltungsbehörde zu verständigen. Vertritt die Bezirksverwaltungsbehörde entgegen dem ärztlichen Leiter die Ansicht, dass die Anhaltung nicht zu beenden ist, hat sie das Gericht zu befassen, das darüber zu entscheiden hat.

(3) Das Gericht hat von Amts wegen in längstens dreimonatigen Abständen ab dem Datum des Beschlusses über die Zulässigerklärung einer Anhaltung oder der letzten Überprüfung über das weitere Vorliegen der Voraussetzungen zu entscheiden; sind die Voraussetzungen weggefallen, hat es die Unzulässigkeit der weiteren Anhaltung auszusprechen. Anlässlich der Überprüfung hat das Gericht jedenfalls eine Stellungnahme des ärztlichen Leiters einzuholen. Der Beschluss ist noch innerhalb der dreimonatigen Frist schriftlich auszufertigen.

(4) Die angehaltene Person kann jederzeit bei Gericht beantragen, die Unzulässigkeit der Anhaltung auszusprechen. Anträge auf Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer aufrechten Freiheitsbeschränkung können von einer angehaltenen Person, die nicht anwaltlich vertreten ist, nach vorheriger telefonischer Kontaktaufnahme mit dem Gericht auch mit E-Mail an die vom Gericht bekanntgegebene E-Mail-Adresse eingebracht werden. Dem Antrag ist eine Abbildung eines Identitätsnachweises sowie des die Anhaltung aussprechenden Bescheides anzuschließen.

(5) Das Gericht hat über die Zulässigkeit der Anhaltung nach Abs. 2 bis 4 in mündlicher Verhandlung, im Fall des Abs. 2 und 4 innerhalb einer Woche ab Antragstellung, zu entscheiden. Die § 15 Abs. 2 bis 5 sind anzuwenden.

(6) Anlässlich der Beendigung der Anhaltung nach Abs. 1 bis 4 hat die Bezirksverwaltungsbehörde die angehaltene Person in einer ihr verständlichen Sprache über ihren gesundheitlichen Zustand und die zur Abwendung der von der Erkrankung ausgehenden ernstlichen und erheblichen Gefahr für die Gesundheit anderer Personen und die zu deren Abwendung notwendigen Maßnahmen aufzuklären und insbesondere darüber zu belehren, dass bei Verstoß gegen die ihr auferlegten Verhaltenspflichten ein neuer Antrag auf Anhaltung gestellt werden kann.

Beschränkungen der Bewegungsfreiheit

§ 18. (1) Zur Sicherung des Zweckes der Anhaltung und Hintanhaltung der Gesundheitsgefährdung anderer Personen kann die angehaltene Person in der Krankenanstalt auf Anordnung des ärztlichen Leiters der Krankenanstalt Beschränkungen in der Freiheit der Bewegung und des Verkehrs mit der Außenwelt unterworfen werden. Abgesehen vom persönlichen Verkehr darf die Kommunikation mit der Außenwelt nicht eingeschränkt werden.

(2) Im Allgemeinen darf die Bewegungsfreiheit der angehaltenen Person nur auf mehrere Räume oder auf bestimmte räumliche Bereiche beschränkt werden. Beschränkungen der Bewegungsfreiheit auf einen Raum sind vom behandelnden Arzt jeweils besonders anzuordnen und in der Krankengeschichte unter Angabe des Grundes zu dokumentieren.

(3) Auf Verlangen der angehaltenen Person hat das nach § 14 Abs. 1 zuständige Gericht über die Zulässigkeit von Beschränkungen nach dieser Bestimmung nach Anhörung des ärztlichen Leiters der Krankenanstalt in mündlicher Verhandlung innerhalb einer Woche zu entscheiden. Die § 15 Abs. 2 bis 5 sind anzuwenden.

(4) Der ärztliche Leiter der Krankenanstalt und die Bezirksverwaltungsbehörde haben sicherzustellen, dass die Persönlichkeitsrechte der angehaltenen Person in einem möglichst geringen Ausmaß beschränkt werden und diese über das Stadium der Erkrankung sowie über ihre Rechte in einer ihr verständlichen Sprache aufgeklärt wird.

Rechtsmittel

§ 19. (1) Gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhaltung oder eine Beschränkung nach § 18 für zulässig erklärt wird, kann die angehaltene Person innerhalb von 14 Tagen ab Zustellung Rekurs erheben.

(2) Gegen einen Beschluss, mit dem eine Anhaltung für unzulässig erklärt wird, kann die Bezirksverwaltungsbehörde, gegen einen Beschluss, mit dem eine Beschränkung nach § 18 für unzulässig erklärt wird, kann der ärztliche Leiter der Krankenanstalt innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung Rekurs erheben. Erklärt das Gericht die Anhaltung oder Beschränkung für unzulässig, so ist die Anhaltung sogleich zu beenden oder die Beschränkung aufzuheben, es sei denn, dass die Bezirksverwaltungsbehörde oder der ärztliche Leiter der Krankenanstalt unmittelbar nach der Verkündung erklärt, Rekurs zu erheben, und das Gericht diesem Rekurs sogleich aufschiebende Wirkung zuerkennt. Die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung lässt das Rekursrecht unberührt. Gegen die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung kann kein Rekurs erhoben werden.

(3) Im Fall einer nach Abs. 2 zuerkannten aufschiebenden Wirkung hat das Gericht erster Instanz unmittelbar nach Einlangen des Rekurses zu prüfen, ob diesem weiterhin aufschiebende Wirkung zukommt. Gegen die Verweigerung der aufschiebenden Wirkung kann kein Rekurs erhoben werden.

(4) Das Recht zur Rekursbeantwortung kommt nur der angehaltenen Person zu. Die Rekursbeantwortung ist innerhalb von sieben Tagen ab Zustellung des Rechtsmittels einzubringen.

(5) Das Gericht zweiter Instanz hat, sofern die Anhaltung noch andauert, innerhalb von 14 Tagen ab Einlangen der Akten zu entscheiden.

Soforteinweisung

§ 20. (1) Entsteht durch das Verhalten einer an Tuberkulose im Sinn des § 1 Abs. 2 oder 3 erkrankten oder im Sinne des § 1 Abs. 4 krankheitsverdächtigen und gemäß § 9 Abs. 1 Z 8 und 9 belehrten Person eine unmittelbare und akute Gefahr, dass sie eine andere Person ansteckt, und kann diese Gefahr nicht durch gelindere Maßnahmen hintangehalten werden, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde die Person sogleich in eine zur Behandlung von Tuberkulose eingerichtete Krankenanstalt zum Zweck der Anhaltung einzuweisen.

(2) Im Fall der Soforteinweisung gelten die Bestimmungen des 2. Abschnitts mit folgenden Besonderheiten:

1.Die Bezirksverwaltungsbehörde hat unverzüglich die Feststellung der Zulässigkeit der Anhaltung beim zuständigen Bezirksgericht (§ 14 Abs. 1) zu beantragen. Stellt die Bezirksverwaltungsbehörde den Antrag nicht innerhalb von drei Tagen ab der Einweisung (Abs. 1), so hat sie die angehaltene Person sofort zu entlassen.

2.Das Gericht hat innerhalb von einer Woche ab der Einweisung durch die Bezirksverwaltungsbehörde über die Zulässigkeit der Anhaltung zu entscheiden.

3.Ist eine abschließende Entscheidung innerhalb einer Woche nicht möglich, so hat das Gericht nach Anhörung der angehaltenen Person vorläufig über die Zulässigkeit der Anhaltung zu entscheiden. Dieser Beschluss ist der angehaltenen Person und der Bezirksverwaltungsbehörde sofort mündlich zu verkünden. Gelangt das Gericht nach der Anhörung zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für die Anhaltung vorliegen, so hat es diese vorläufig bis zur abschließenden Entscheidung für zulässig zu erklären und eine mündliche Verhandlung anzuberaumen, die innerhalb von 14 Tagen nach der Verkündung der vorläufigen Entscheidung stattzufinden hat. Diese Entscheidung kann nicht selbständig angefochten werden.

4.Erklärt das Gericht bereits nach der Anhörung die Anhaltung für unzulässig, hat die Bezirksverwaltungsbehörde den Rekurs innerhalb von drei Tagen auszuführen.“

15Mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom , G 380/2020-17, u.a., wurde § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG (in der seit seiner Einfügung durch die Novelle BGBl. I Nr. 63/2016 unveränderten Fassung) als verfassungswidrig aufgehoben. Der Verfassungsgerichtshof sprach ferner aus, dass frühere gesetzliche Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten und die aufgehobene Bestimmung in einer beim Verfassungsgerichtshof anhängigen - näher bezeichneten - Rechtssache nicht mehr anzuwenden ist.

16Der Verfassungsgerichtshof begründete die Aufhebung im Wesentlichen damit, dass schon angesichts des pauschalen Verweises in § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG auf den zweiten Abschnitt des Tuberkulosegesetzes nicht mit der für die Festlegung von Behördenzuständigkeiten erforderlichen Deutlichkeit zu erkennen sei, worin der Prüfungsgegenstand des Bezirksgerichts - und damit dessen Zuständigkeitsumfang - genau liegen solle, insbesondere, ob sich die Prüfung des Bezirksgerichts auch auf einen allfälligen Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde oder lediglich auf die nachfolgende Anhaltung zu beziehen habe und gegebenenfalls in welchem Verhältnis die Kognitionsbefugnis des Bezirksgerichts zu einer allenfalls verbleibenden Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte stehe. Aus diesen Gründen widerspreche § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG dem Bestimmtheitsgebot des Art. 18 (iVm Art. 83 Abs. 2) B-VG (, u.a., Rn. 56 ff).

17Die mit diesem Erkenntnis ausgesprochene Aufhebung des § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG wurde durch den Bundeskanzler mit BGBl. I Nr. 64/2021 am kundgemacht.

18Zunächst ist zu der vom Verwaltungsgerichtshof bei der Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses anzuwendenden Fassung von § 7 Abs. 1a EpiG auszuführen:

19Aus Art. 140 Abs. 7 B-VG ergibt sich, dass der Verfassungsgerichtshof aussprechen kann, dass eine von ihm aufgehobene Norm - über den Anlassfall im engeren Sinn hinausgehend - auch auf frühere Sachverhalte nicht mehr anzuwenden ist. Der Verfassungsgerichtshof kann also der Aufhebung Rückwirkung beilegen. Wird ein derartiger Ausspruch vom Verfassungsgerichtshof aber nicht getroffen, und handelt es sich nicht um einen (Quasi-)Anlassfall, ist die aufgehobene Norm auf vor der Aufhebung verwirklichte Sachverhalte weiterhin anzuwenden. Diese bleibt also zur Gänze anwendbar und wird vielmehr „verfassungsrechtlich unangreifbar“ also „immunisiert“. Die Einleitung eines weiteren Verordnungs- oder Gesetzesprüfungsverfahrens und eine - neuerliche - Aufhebung etwa aufgrund anderer Bedenken kommt nicht in Betracht (vgl. , mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes; siehe auch ).

20Im genannten Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof eine Rückwirkung der von ihm ausgesprochenen Aufhebung des § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG nicht angeordnet. Für die gegenständliche Prüfung des angefochtenen Erkenntnisses des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich durch den Verwaltungsgerichtshof ist daher weiterhin die - unbereinigte - Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Entscheidung maßgeblich (siehe dazu etwa ; , Ra 2014/09/0040).

21Gleichfalls gilt für das Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten:

22Das Verwaltungsgericht hat grundsätzlich in der Sache zu entscheiden; es hat dabei seine Entscheidungen an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgebenden Sach- und Rechtslage auszurichten (, mwN).

23Im Fall von Mandatsbescheiden nach § 57 Abs. 1 AVG, gegen die gemäß § 57 Abs. 2 AVG das remonstrative Rechtsmittel der Vorstellung erhoben werden kann, ist eine unmittelbare Beschwerdeerhebung an das Verwaltungsgericht nicht zulässig, sondern es muss zunächst Vorstellung erhoben werden. Erst gegen den aufgrund der Vorstellung im ordentlichen Verfahren ergangenen Bescheid ist die Erhebung einer Beschwerde an das Verwaltungsgericht zulässig (; , Ra 2015/02/0029, VwSlg. 19226 A/2015).

24Nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Von der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte ausgeschlossen sind jedoch Rechtssachen, die zur Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte oder des Verfassungsgerichtshofes gehören (Art. 130 Abs. 5 B-VG).

25Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat die ersatzlose Aufhebung des (Vorstellungs-)Bescheids der revisionswerbenden Partei nun damit begründet, dass gegen den Mandatsbescheid eine Vorstellung nicht zulässig gewesen wäre, weil sowohl gegen einen Mandatsbescheid wie auch gegen einen unmittelbar nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens erlassenen Bescheid nach § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG ausschließlich eine Anrufung des Bezirksgerichts zulässig gewesen wäre.

26Diese Argumentation übersieht jedoch das Folgende:

27Zwar hat ein Verwaltungsgericht gemäß § 27 VwGVG eine Unzuständigkeit der im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde vorrangig aufzugreifen, auch wenn diese in der Beschwerde nicht releviert worden sein sollte, und den bekämpften Bescheid in diesem Fall ersatzlos zu beheben (vgl. ). Das Verwaltungsgericht hat jedoch nur dann die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen ist (§ 28 Abs. 1 VwGVG). Mit anderen Worten: Auch das Aufgreifen der Rechtswidrigkeit der Unzuständigkeit der Behörde durch das Verwaltungsgericht setzt ein zulässiges Rechtsmittel an dieses voraus (in diesem Sinn auch ; , 1 Ob 231/07p; jeweils zum Aufgreifen einer allfälligen Nichtigkeit).

28Wurde nun aber - wie das Landesverwaltungsgericht argumentiert - das Rechtsmittelverfahren gegen einen Absonderungsbescheid durch die Bestimmung des § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG ausschließlich den ordentlichen Gerichten zugeordnet und ein solches vor den Verwaltungsbehörden und den Verwaltungsgerichten damit ausgeschlossen, wäre es dem Landesverwaltungsgericht verwehrt gewesen, über die Beschwerde der Mitbeteiligten inhaltlich zu entscheiden. Die Aufhebung des angefochtenen Bescheids wegen Unzuständigkeit der Behörde durch das Verwaltungsgericht wäre in diesem Fall schon deshalb rechtswidrig.

29In der Sache selbst ist im vorliegenden Fall überdies zu beachten:

30Wie oben ausgeführt erkennen nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (grundsätzlich) Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit. Gemäß Art. 94 Abs. 2 B-VG kann durch Bundes- oder Landesgesetz in einzelnen Angelegenheiten anstelle der Erhebung einer Beschwerde beim Verwaltungsgericht ein Instanzenzug von der Verwaltungsbehörde an die ordentlichen Gerichte vorgesehen werden. In den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die nicht unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, dürfen solche Bundesgesetze nur mit Zustimmung der Länder kundgemacht werden.

31Bei dem unter den Kompetenztatbestand des Gesundheitswesens nach Art. 10 Abs. 1 Z 12 B-VG fallenden Epidemierecht handelt es sich um eine solche Angelegenheit. Die Novelle BGBl. I Nr. 63/2016 wurde ohne Einholung der Zustimmung der Länder in einem Verfahren nach Art. 42a B-VG beschlossen und kundgemacht.

32Wiewohl nun zwar auch Gründe für die - von den Verwaltungsgerichten vertretene - Ansicht sprechen mögen, dass § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG als Rechtsmittelzug zu den ordentlichen Gerichten verstanden werden könnte (siehe dazu auch P. Bußjäger/M. Eller, ZVG 2021, 8; aA Mokrejs-Weinhappel, iFamZ 2020, 84), ist ein Gesetz im Zweifel so auszulegen, dass sein Inhalt verfassungskonform bleibt (; vgl. auch ; , 2005/12/0251).

33Im vorliegenden Fall unterblieb bei Schaffung der in Rede stehenden Bestimmung im Gesetzwerdungsprozess die Einholung der Zustimmung der Länder, obwohl bereits im Begutachtungsverfahren nicht nur darauf hingewiesen worden war, dass bei Einrichtung eines echten Instanzenzugs von Verwaltungsbehörden zu den ordentlichen Gerichten nach Art. 94 Abs. 2 B-VG im vorliegenden Fall die Zustimmung der Länder erforderlich wäre, sondern auch die in diesem Fall allenfalls problematische Konkurrenz der nach § 57 AVG vorgesehenen Vorstellung gegen einen Mandatsbescheid mit einem Rechtsmittelverfahren vor den ordentlichen Gerichten thematisiert worden war (siehe Kopetzki, 15/SN-194/ME 25.GP). Dies spricht gegen die Ansicht, dass mit der in Rede stehenden Bestimmung ein Rechtsmittelzug zu den ordentlichen Gerichten geschaffen werden sollte.

34Ferner wurde durch den Gesetzgeber in diesem Zusammenhang weder die Erhebung einer Vorstellung gegen einen Mandatsbescheid noch die Erhebung einer Beschwerde an die Verwaltungsgerichte ausdrücklich ausgeschlossen. § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG räumte lediglich ein Antragsrecht auf Überprüfung ein; weder Rechtsmittelart noch -frist wurden normiert. Auch im zweiten Abschnitt des Tuberkulosegesetzes, auf den in dieser Bestimmung verwiesen wird, wird kein an die ordentlichen Gerichte zu erhebendes Rechtsmittel gegen Verwaltungsbescheide normiert.

35Die Bundesregierung ging in ihrer im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof G 380/2020, u.a., erstatteten Äußerung davon aus, dass mit dieser Bestimmung gerade kein Instanzenzug zu den Bezirksgerichten eingerichtet werden sollte (siehe die Darstellung in , u.a., Rn. 18). Der Verfassungsgerichtshof ließ in dem genannten Erkenntnis offen, ob sich die Prüfung des Bezirksgerichts auf einen allfälligen Bescheid der Bezirksverwaltungsbehörde oder lediglich auf eine nachfolgende Anhaltung zu beziehen hätte und schloss auch die Möglichkeit einer allenfalls verbleibenden Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte nicht aus (, u.a., Rn. 57).

36Der Verwaltungsgerichtshof schließt sich im vorliegenden Fall aus den dargelegten Erwägungen sowie im Hinblick darauf, dass im Zweifel die zum Zeitpunkt der Novellierung bereits bestehende Möglichkeit des Rechtsschutzes im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren - entgegen den auch anders lesbaren Ausführungen in den Materialien - nicht gänzlich ausgeschlossen werden sollte, der in der Revision vertretenen Ansicht an.

37Demnach wurde der Mitbeteiligten durch die ihr durch § 7 Abs. 1a zweiter Satz EpiG eröffnete Möglichkeit, einen Antrag an das Bezirksgericht auf Überprüfung der Zulässigkeit und Aufhebung der Freiheitsbeschränkung zu stellen, das verwaltungsgerichtliche Beschwerdeverfahren gegen den die Absonderung anordnenden Bescheid nicht ausgeschlossen. In diesem Fall bedurfte es - nach der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - vor einer Anrufung des Verwaltungsgerichts der Erhebung einer Vorstellung gegen den Mandatsbescheid.

38Indem das Verwaltungsgericht dies verkannte und den angefochtenen Bescheid wegen Unzuständigkeit der Behörde behob, belastete es sein Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb dieses gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.

39Die Abweisung des Antrags der revisionswerbenden Partei auf Aufwandersatz für die Amtsrevision nach Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG beruht auf § 47 Abs. 4 VwGG.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021090004.J01

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