VwGH vom 20.08.2021, Ro 2020/10/0025

VwGH vom 20.08.2021, Ro 2020/10/0025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Tscheließnig, über die Revision der A B in S, vertreten durch die Cerha Hempel Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Parkring 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W254 2231124-1/2E, betreffend eine Angelegenheit nach dem Universitätsgesetz 2002 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Vizerektor für Lehre und Studium der Universität Salzburg), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Universität Salzburg hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Die Revisionswerberin ist ordentliche Studierende an der Universität Salzburg.

2Am trat sie zur (schriftlichen) Fachprüfung „Europarecht“ an. Mit E-Mail der beiden Prüfer vom wurde der Revisionswerberin - wie allen anderen Prüfungskandidatinnen und -kandidaten - mitgeteilt, dass bei dieser Prüfung ein Fehler passiert sei: auf den Prüfungsangaben seien die richtigen und die falschen Antwortoptionen unterscheidbar gewesen, weshalb keine validen Prüfungsergebnisse festgestellt werden könnten. Mit Zustimmung des Vizerektors für Lehre und Studium (der belangten Behörde) werde die Prüfung daher annulliert; es würden keine Prüfungsergebnisse freigegeben oder eingetragen. Der Prüfungsantritt werde für niemanden gezählt.

3Der daraufhin von der Revisionswerberin am gestellte Antrag auf Beischaffung der Beurteilungsunterlagen und des Prüfungsprotokolls sowie auf Beurteilung, Beurkundung und Beglaubigung der Fachprüfung „Europarecht“ wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom abgewiesen. Weiters wurde ausgesprochen, dass über die Fachprüfung „Europarecht“ vom kein Zeugnis ausgestellt werde.

4Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).

5Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - ab (A) und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig (B).

6Begründend führte das BVwG aus, die Ergebnisse der am stattgefundenen Prüfung aus „Europarecht“ hätten „bei der ersten Durchsicht“ (durch die Prüfer) auffällige Unterschiede in den Prüfungsleistungen aufgewiesen. Abhängig vom Lichteinfall im jeweiligen Hörsaal und von der Farbe des Prüfungsbogens seien in den Prüfungsbögen - aufgrund eines Fehlers in der Herstellung - die richtigen von den falschen Antwortoptionen durch unterschiedliche Grauschattierungen unterscheidbar gewesen. Es sei nach der Prüfung nicht mehr feststellbar gewesen, für welche Studierende dieser Umstand für das Erreichen eines positiven Ergebnisses ausschlaggebend gewesen sei. Der Prüfungsantritt sei daher für keinen der Studierenden gezählt worden.

7Diese Feststellungen ergäben sich aus dem Verwaltungsakt und gründeten sich insbesondere auf die „Aussagen der belangten Behörde“.

8Zweck einer Prüfung sei, dass Studierende die Gelegenheit erhielten, den Stand der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nachzuweisen. Der Sinn von Studien- und Prüfungsvorschriften liege darin, im Interesse der Studierenden, der Hochschule und der Allgemeinheit eine objektiv strenge, vollständige Kontrolle des Wissens und der Ausbildung jener Personen sicherzustellen, denen aufgrund dieses Wissens und dieser Ausbildung ein akademischer Grad verliehen werden solle.

9Fehlerhafte Prüfungen könnten entsprechend der Fehlerkalküllehre in drei Kategorien eingeteilt werden. Die Frage, wann ein Fehler bei einer Prüfung zu einer absoluten Nichtigkeit der Prüfung führe, sei auf der Grundlage einer wertenden Betrachtung aus dem Universitätsgesetz 2002 (UG) zu ermitteln. Es müsse sich dabei um derart gravierende Fehler handeln, die gleichsam jenseits der Schwelle des „schweren Mangels“ im Sinne des § 79 UG anzusiedeln seien, bei denen man dem Gesetzgeber nicht mehr unterstellen könne, er hätte im Fall der Nichtanfechtung bzw. im Fall der positiven Beurteilung die Gültigkeit einer solchen „Prüfung“ in Kauf nehmen wollen.

10Im vorliegenden Fall müsse daher von einer absoluten Nichtigkeit der „gesamten Prüfung“ ausgegangen werden, weil bei den Prüfungsbögen in unterschiedlichem Ausmaß die richtigen von den falschen Antworten zu unterscheiden gewesen wären. Der Zweck der Prüfung, nämlich erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten nachzuweisen, habe damit nicht mehr erfüllt werden können. Dabei mache es keinen Unterschied, dass bei manchen Prüfungsbögen - wie etwa nach dem Vorbringen der Revisionswerberin bei ihrem Prüfungsbogen - die (richtigen) Antworten nicht ersichtlich gewesen seien, weshalb den Beweisanträgen (auf Beischaffung der Beurteilungsunterlagen und des Prüfungsprotokolls) keine Folge zu leisten gewesen wäre. Es stehe fest, dass den Prüfern bereits bei der ersten Durchsicht auffällige Unterschiede in der Prüfungsleistung aufgefallen seien. Der belangten Behörde könne nicht entgegen getreten werden, wenn sie aufgrund dieses gravierenden Mangels und der Schwierigkeit im Nachhinein festzustellen, welche Studierende davon beeinflusst gewesen seien, von einer absoluten Nichtigkeit der gesamten Prüfung ausgegangen sei. Der Zweck der Prüfung habe unter diesen Umständen nicht erfüllt werden können; es handle sich daher um eine absolut nichtige Prüfung. Die Mitteilung der Prüfer an die Studierenden, dass die Prüfung „annulliert“ werde, habe bloß deklaratorischen Charakter gehabt.

11Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen werden können, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine. Auf eine mündliche Verhandlung und die Erörterung der konkreten Prüfungsexemplare habe verzichtet werden können, weil für die Feststellung, dass ein absolut nichtiger Verwaltungsakt und damit überhaupt keine Prüfung vorliege, ausreiche, dass bei einem nicht zu vernachlässigenden Teil der Prüfungen die Antworten ersichtlich gewesen seien. Damit habe dahingestellt bleiben können, ob dieser Umstand auch für die Prüfung der Revisionswerberin vorgelegen sei.

12Zur Zulässigkeit der Revision führte das BVwG aus, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur absoluten Nichtigkeit von Prüfungen im Prüfungssystem des UG und den Auswirkungen von fehlerhaften Prüfungen auf den Einzelfall.

13Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision.

14Das BVwG führte das Vorverfahren, in dem die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung erstattete, durch und legte sodann die Verfahrensakten vor.

15Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

17Die maßgeblichen Bestimmungen des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120 idF BGBl. I Nr. 129/2017 (UG), lauten (auszugsweise):

Satzung

§ 19. (1) Jede Universität erlässt durch Verordnung (Satzung) die erforderlichen Ordnungsvorschriften im Rahmen der Gesetze und Verordnungen selbst. ...

...

Rechte und Pflichten der Studierenden

§ 59. (1) Den Studierenden steht nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen Lernfreiheit zu. Sie umfasst insbesondere das Recht,

...

8.als ordentliche Studierende nach Maßgabe der universitären Vorschriften Prüfungen abzulegen;

...

Meldung der Fortsetzung des Studiums

§ 62. (1) Die Studierenden sind verpflichtet, innerhalb der allgemeinen Zulassungsfrist oder der Nachfrist jedes Semesters der Universität, an der eine Zulassung zum Studium besteht, die Fortsetzung des Studiums zu melden.

(2) Die Meldung der Fortsetzung des Studiums ist unwirksam, solange die Studierendenbeiträge samt allfälliger Sonderbeiträge nach den Bestimmungen des HSG 2014 und die allfälligen Studienbeiträge nicht eingelangt sind.

(3) Die Wirkung der Meldung der Fortsetzung des Studiums für ein Semester erstreckt sich bis zum Ende der Nachfrist des unmittelbar darauf folgenden Semesters, sofern die Zulassung zum Studium noch nicht erloschen ist.

...

Feststellung und Beurteilung des Studienerfolgs

§ 72. (1) Der Studienerfolg ist durch die Prüfungen und die Beurteilung der wissenschaftlichen (Diplomarbeit, Masterarbeit oder Dissertation) oder der künstlerischen Arbeit (künstlerische Diplom-, Masterarbeit oder Dissertation) festzustellen.

(2) Der positive Erfolg von Prüfungen und wissenschaftlichen sowie künstlerischen Arbeiten ist mit ‚sehr gut‘ (1), ‚gut‘ (2), ‚befriedigend‘ (3) oder ‚genügend‘ (4), der negative Erfolg ist mit ‚nicht genügend‘ (5) zu beurteilen. Zwischenbeurteilungen sind unzulässig. Wenn diese Form der Beurteilung unmöglich oder unzweckmäßig ist, hat die positive Beurteilung ‚mit Erfolg teilgenommen‘, die negative Beurteilung ‚ohne Erfolg teilgenommen‘ zu lauten.

(3) Prüfungen, die aus mehreren Fächern oder Teilen bestehen, sind nur dann positiv zu beurteilen, wenn jedes Fach oder jeder Teil positiv beurteilt wurde.

...

Nichtigerklärung von Beurteilungen

§ 73. (1) Das für die studienrechtlichen Angelegenheiten zuständige Organ hat die Beurteilung mit Bescheid für nichtig zu erklären, wenn

1.bei einer Prüfung die Anmeldung zu dieser Prüfung erschlichen wurde oder

2.bei einer Prüfung oder einer wissenschaftlichen oder künstlerischen Arbeit die Beurteilung, insbesondere durch die Verwendung unerlaubter Hilfsmittel erschlichen wurde.

(2) Die Prüfung, deren Beurteilung für nichtig erklärt wurde, ist auf die Gesamtzahl der Wiederholungen anzurechnen.

(3) Prüfungen, die außerhalb des Wirkungsbereiches einer Fortsetzungsmeldung abgelegt wurden, und Beurteilungen wissenschaftlicher sowie künstlerischer Arbeiten, die außerhalb des Wirkungsbereiches einer Fortsetzungsmeldung erfolgten, sind absolut nichtig. Eine Anrechnung auf die Gesamtzahl der Wiederholungen erfolgt nicht.

Zeugnisse

§ 74. (1) Die Beurteilung von Prüfungen und wissenschaftlichen sowie künstlerischen Arbeiten ist jeweils durch ein Zeugnis zu beurkunden. Sammelzeugnisse sind zulässig.

(2) Die Zeugnisse sind vom Senat festzulegen und haben jedenfalls folgende Angaben zu enthalten:

...

(3) Zeugnisse über Prüfungen vor Einzelprüferinnen oder Einzelprüfern hat die Prüferin oder der Prüfer, Zeugnisse über die Beurteilung wissenschaftlicher sowie künstlerischer Arbeiten hat die Beurteilerin oder der Beurteiler, Zeugnisse über kommissionelle Prüfungen hat die oder der Vorsitzende der Prüfungskommission, Zeugnisse über Studienabschlüsse hat das für die studienrechtlichen Angelegenheiten zuständige Organ auszustellen.

(4) Die Zeugnisse sind unverzüglich, längstens jedoch innerhalb von vier Wochen nach Erbringung der zu beurteilenden Leistung auszustellen. ...

...

Wiederholung von Prüfungen

§ 77. (1) Die Studierenden sind berechtigt, positiv beurteilte Prüfungen bis zwölf Monate nach der Ablegung, jedoch längstens bis zum Abschluss des betreffenden Studienabschnittes oder bis zum Abschluss des betreffenden Studiums einmal zu wiederholen. Die positiv beurteilte Prüfung wird mit dem Antreten zur Wiederholungsprüfung nichtig. ...

(2) Die Studierenden sind berechtigt, negativ beurteilte Prüfungen dreimal zu wiederholen. Auf die Zahl der zulässigen Prüfungsantritte sind alle Antritte für dieselbe Prüfung an derselben Universität und bei gemeinsam eingerichteten Studien an allen beteiligten Bildungseinrichtungen anzurechnen. In der Satzung ist festzulegen, ob und wie viele weitere Prüfungswiederholungen zulässig sind. Bei negativer Beurteilung der letzten Wiederholung der letzten Prüfung des Studiums sind die Studierenden berechtigt, diese ein weiteres Mal zu wiederholen.

(3) Ab der dritten Wiederholung einer Prüfung ist diese kommissionell abzuhalten, wenn die Prüfung in Form eines einzigen Prüfungsvorganges durchgeführt wird. Auf Antrag der oder des Studierenden gilt dies auch ab der zweiten Wiederholung.

...

Rechtsschutz bei Prüfungen

§ 79. (1) Gegen die Beurteilung einer Prüfung ist kein Rechtsmittel zulässig. Wenn die Durchführung einer negativ beurteilten Prüfung einen schweren Mangel aufweist, hat das für die studienrechtlichen Angelegenheiten zuständige Organ diese Prüfung auf Antrag der oder des Studierenden bzw. einer Person, deren Zulassung gemäß § 68 Abs. 1 Z 3 erloschen ist, mit Bescheid aufzuheben. Der Antrag ist innerhalb von vier Wochen ab der Bekanntgabe der Beurteilung einzubringen und der schwere Mangel ist glaubhaft zu machen. Der Antritt zu einer Prüfung, die aufgehoben wurde, ist nicht auf die zulässige Zahl der Prüfungsantritte anzurechnen.

...

(5) Der oder dem Studierenden ist Einsicht in die Beurteilungsunterlagen und in die Prüfungsprotokolle zu gewähren, wenn sie oder er dies innerhalb von sechs Monaten ab Bekanntgabe der Beurteilung verlangt. Die Beurteilungsunterlagen umfassen auch die bei der betreffenden Prüfung gestellten Prüfungsfragen. Die oder der Studierende ist berechtigt, diese Unterlagen zu vervielfältigen. Vom Recht auf Vervielfältigung ausgenommen sind Multiple Choice-Fragen inklusive der jeweiligen Antwortmöglichkeiten.“

18§ 19 Abs. 1 der Satzung der Universität Salzburg, MBl. Nr. 36 vom (im Folgenden: Satzung), lautet:

Durchführung der Prüfungen

§ 19. (1) Bei der Prüfung ist den Studierenden Gelegenheit zu geben, den Stand der erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten nachzuweisen.“

19Bei den in § 59 Abs. 1 UG unter dem Titel der Lernfreiheit genannten Rechten handelt es sich um durchsetzbare subjektiv-öffentliche Rechte (vgl. Perthold-Stoizner, UG - Universitätsgesetz 20025 [2018] 255; vgl. zur früheren Rechtslage des AHStG auch ). Z 8 leg. cit. räumt den (ordentlichen) Studierenden das subjektive Recht auf Ablegung von Prüfungen ein. Weiters gewährt § 72 Abs. 1 und 2 UG den Studierenden das Recht auf Feststellung des Studienerfolges durch Beurteilung des (positiven oder negativen) Prüfungserfolges. § 74 Abs. 1 iVm Abs. 4 UG räumt ihnen das Recht auf Beurkundung der Beurteilung einer Prüfung durch ein Zeugnis bzw. Ausstellung des Zeugnisses binnen vier Wochen nach Erbringung der zu beurteilenden Leistung ein (vgl. Perthold-Stoizner in: dies. [Hrsg], Kommentar zum Universitätsgesetz 2002 - UG3 [2016] 380). Nach § 79 Abs. 5 UG haben Studierende schließlich das Recht auf Einsicht in die Prüfungsunterlagen und Prüfungsprotokolle sowie - ausgenommen bei Prüfungen in Form von Multiple Choice-Fragen - das Recht auf Anfertigen von Kopien (vgl. = VwSlgNF 19.074 A).

20Prüfungen dienen gemäß § 72 bis 74 UG grundsätzlich der Beurteilung des Studienerfolgs; sie sind entweder mit Noten bzw. - wenn dies unmöglich oder unzweckmäßig ist - positiv oder negativ zu beurteilen (vgl. auch dazu VwGH Ro 2014/10/0062).

21Die (mündliche oder schriftliche) Verkündung eines Prüfungsergebnisses bzw. die Ausfertigung eines Prüfungszeugnisses ist nicht als Erlassung eines Bescheides, sondern als Bekanntgabe eines Gutachtens, an das in der Regel bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind, zu werten. Eine inhaltliche Überprüfung des Prüfungsergebnisses ist den Behörden bzw. Verwaltungsgerichten verwehrt; überprüft kann vielmehr nur werden, ob das Prüfungsergebnis in einer vom Gesetz - oder gemäß einer auf dem Gesetz beruhenden Vorschrift - vorgesehenen Art zustande gekommen ist (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts etwa , mit Hinweis auf ; = VfSlg 14.789). Dieses „Gutachtensmodell“ von Prüfungen liegt auch dem UG zugrunde (vgl. Perthold-Stoizner, Kommentar 373).

22Aus positivrechtlichen Anordnungen (vgl. für das UG die § 73, 74, 77 und 79) ist eine gewisse Bestandskraft von abgeschlossenen Prüfungen ableitbar. Prüfungsentscheidungen sind daher ungeachtet ihres fehlenden Bescheidcharakters insbesondere nicht durch bloßen Willensakt des Prüfers jederzeit abänderbar (vgl. = VwSlgNF 14.921 A).

Grundsätzliche Rechtsfrage (absolute Nichtigkeit von Prüfungen nach dem UG?)

23Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem erwähnten - zum vormaligen § 60 des Universitätsstudiengesetzes (UniStG) ergangenen - Erkenntnis 98/12/0073 zur Frage der Rechtsfolgen von fehlerhaften Prüfungen offen gelassen, ob es die absolute Nichtigkeit von Prüfungen bewirkende Fehler und sohin ein „dreigliedriges Fehlerkalkül“ (absolute Nichtigkeit, zur Aufhebung bei Anfechtung führende Fehlerhaftigkeit und folgenlose Fehlerhaftigkeit) gebe.

24Das BVwG ist im Revisionsfall zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass sich den Bestimmungen des UG das solcherart angesprochene Konzept eines „dreigliedrigen Fehlerkalküls“ von mängelbehafteten Prüfungen (bzw. Prüfungsverfahren) entnehmen lässt:

25Es gibt demnach 1. Mängel, die rechtlich irrelevant sind, 2. Mängel, die zur Entfernung der Prüfungsbeurteilung aus dem Rechtsbestand führen (können), sowie schließlich 3. Mängel, die die absolute Nichtigkeit der Prüfung bewirken.

26Die erstgenannte Fehlerkategorie ergibt sich - e contrario - aus § 79 Abs. 1 UG. Aus dieser Regelung ist abzuleiten, dass bei negativ beurteilten Prüfungen „leichte Mängel“ (bei der Prüfungsdurchführung) rechtlich irrelevant sind. In diesen Fällen wird weder die Vornahme einer Beurteilung der Prüfung gehindert, noch die Möglichkeit der Prüfungsanfechtung bzw. der Nichtigerklärung oder Aufhebung der erfolgten Beurteilung eröffnet (vgl. etwa die den Erkenntnissen ; , 2009/10/0191; , 2009/10/0105 = VwSlgNF 18.504 A; , 2013/10/0266, zu Grunde liegenden Sachverhalte).

27In die zweite Kategorie von Mängeln fallen die in § 73 Abs. 1 UG genannten Fälle der Erschleichung der Prüfungsanmeldung oder -beurteilung, die die bescheidmäßige Nichtigerklärung der Prüfungsbeurteilung nach sich ziehen (vgl. zum „Erschleichen“ im Sinn dieser Bestimmung etwa , mwN).

Sonstige „schwere Mängel“ der Prüfung führen gemäß § 79 Abs. 1 zweiter Satz UG zur bescheidmäßigen Aufhebung einer negativ beurteilten Prüfung. Wie sich aus den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum UniStG (588 Blg NR XX. GP, 90 ff) ergibt, sollte § 60 Abs. 1 UniStG und somit auch der gegenüber dieser Bestimmung unveränderte § 79 Abs. 1 UG - wie auch durch das Abstellen auf einen „schweren Mangel“ deutlich wird - eine Kontrolle der Beurteilung von Prüfungen im Hinblick auf „Exzesse“ ermöglichen (vgl. neben den unter Rz 26 zitierten Entscheidungen auch = VwSlgNF 19.301 A, sowie abermals Ro 2014/10/0062). Ein „schwerer Mangel“ liegt etwa dann vor, wenn bei einer kommissionellen mündlichen Prüfung der Prüfungssenat nicht während der ganzen Dauer der Prüfung anwesend ist, wenn ein prüfungsunfähiger Kandidat beurteilt wird, wenn Zuständigkeitsvorschriften verletzt werden oder wenn Verfahrensvorschriften nicht eingehalten werden (zB. unzureichende Prüfungszeit), bei deren Einhaltung ein anderes Ergebnis zu erwarten gewesen wäre (vgl. etwa das erwähnte Erkenntnis 2013/10/0266, mwN).

28Schließlich gibt es Fehler (der dritten Kategorie), die so gravierend sind, dass man nicht mehr von einer Prüfung bzw. einer Beurteilung der Leistung oder des Studienerfolgs sprechen kann. Es muss sich dabei um derart gravierende Mängel handeln, die gleichsam jenseits der Schwelle des „schweren Mangels“ im Sinne des § 79 Abs. 1 UG anzusiedeln sind, bei denen man dem Gesetzgeber nicht mehr unterstellen kann, er hätte im Fall der Nichtanfechtung bzw. im Fall der positiven Beurteilung die Gültigkeit einer solchen „Prüfung“ in Kauf nehmen wollen. Derartige Fehler sind nicht mehr von der Rechtsfolge der § 73 Abs. 1 bzw. 79 Abs. 1 UG erfasst und haben die absolute Nichtigkeit der Prüfung bzw. der Beurteilung zur Folge. § 73 Abs. 3 UG normiert diese Rechtsfolge für Prüfungen, die außerhalb des Wirkungsbereiches einer Fortsetzungsmeldung (§ 62 UG) abgelegt wurden. Als weitere Fälle absoluter Nichtigkeit kommen etwa die Abnahme der Prüfung durch hiezu nicht berechtigte Personen sowie die Absolvierung der Prüfung durch eine(n) andere(n) als den oder die zur Prüfung zugelassene(n) Kandidaten oder Kandidatin in Betracht (vgl. zu all dem Perthold-Stoizner, Kommentar 396 f; sowie zur früheren Rechtslage des UniStG Stelzer, Rechtsprobleme von Prüfungen nach dem UniStG, in: Strasser [Hrsg], Untersuchungen zum Organisations- und Studienrecht [1999] 78 ff). In derartigen Fällen schwerster Durchführungsmängel ist die Prüfung unwirksam bzw. wird die Prüfungsbeurteilung rechtlich gar nicht existent, sodass es auch keiner Anfechtungsmöglichkeit oder Beseitigung bedarf. Ein solcherart wirkungsloser Vorgang ist auch nicht auf die Zahl der möglichen Prüfungsantritte anzurechnen (vgl. Novak, Universitäten in: Berka/Brünner/Hauser [Hrsg], Handbuch des österreichischen Hochschulrechts3 [2018] 259 f).

Die Rechtsfolge der absoluten Nichtigkeit der Prüfung tritt ex lege ein. Die für die Vollziehung der studienrechtlichen Vorschriften zuständige Behörde kann jedoch über das Vorliegen der absoluten Nichtigkeit von Amts wegen oder auf Antrag einen Feststellungsbescheid erlassen (vgl. Perthold-Stoizner, Kommentar 378).

29Für den gegenständlichen Fall ergibt sich daraus, dass der belangten Behörde bzw. dem Verwaltungsgericht grundsätzlich darin beizupflichten ist, dass einin der Weise fehlerhaft gestalteter Prüfungsbogen einer schriftlichen Prüfung, dass daraus die richtigen Antwortmöglichkeiten ersichtlich sind, keine taugliche Grundlage für die Überprüfung des tatsächlichen Wissenstandes eines Prüfungskandidaten und sohin für eine valide Beurteilung eines Studienerfolges darstellen kann (vgl. auch § 19 Abs. 1 der Satzung). Es handelt sich demnach um einen derart gravierenden Prüfungsmangel, dass von der absoluten Nichtigkeit der Prüfung auszugehen ist.

Einzelfallbezogene Beurteilung

30Dem angefochtenen Erkenntnis liegt die Auffassung zu Grunde, dass bei Vorliegen dieses Mangels bei einer unbestimmten bzw. „nicht zu vernachlässigenden“ Anzahl von Prüfungsbögen die abgehaltene Prüfung in ihrer Gesamtheit absolut nichtig, dh. keine Prüfungsarbeit zu beurteilen, sei. Es sei daher nicht von Bedeutung, ob dieser Umstand auch für die Prüfung der Revisionswerberin vorgelegen sei.

31Diese Auffassung trifft nicht zu.

32Im vorliegenden Fall hat die Revisionswerberin nämlich vorgebracht, dass konkret auf ihrem Prüfungsbogen der erwähnte Mangel nicht aufgetreten sei und dazu entsprechende Beweisanträge (auf Beischaffung der Prüfungsunterlagen und des Prüfungsprotokolls) gestellt. Weiters hat die Revisionswerberin dazu in der Beschwerde auch ein substanziiertes Vorbringen erstattet, indem sie ausgeführt hat, dass ihr ein Exemplar eines Prüfungsbogens der „Gruppe B“ sowie zwei Exemplare der „Gruppe C“ vorliegen würden, auf denen die richtigen Antwortmöglichkeiten optisch nicht erkennbar seien. In diesem Zusammenhang hat die Revisionswerberin in der Beschwerde auch die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt.

33Das BVwG hat es verabsäumt, sich mit der Frage, ob die richtigen Antworten auch auf dem Prüfungsbogen der Revisionswerberin optisch erkennbar waren, auseinanderzusetzen. Es hat insbesondere unterlassen, die Prüfungsunterlagen der Revisionswerberin beizuschaffen und - im Rahmen einer mündlichen Verhandlung - den Prüfungsbogen einem Augenschein zu unterziehen bzw. gegebenenfalls einer Beurteilung durch einen Sachverständigen zuzuführen.

34Das BVwG hat sich - ausgehend von seiner dargelegten Rechtsauffassung - darauf zurückgezogen, dass es sich um eine „nicht zu vernachlässigende Anzahl“ an Prüfungen bzw. Prüfungsbögen gehandelt habe, bei denen die richtigen von den falschen Antworten („in unterschiedlichem Ausmaß“) unterscheidbar gewesen seien, und daraus - als rechtliche Konsequenz - die absolute Nichtigkeit der „gesamten“ Prüfung, dh. aller Prüfungsarbeiten, abgeleitet.

35Diese Auffassung greift in dieser Allgemeinheit aber zu weit und vermag die Annahme des Vorliegens der absoluten Nichtigkeit der Prüfung der Revisionswerberin nicht zu begründen. Es ist nämlich kein Grund ersichtlich, weshalb im Fall der Richtigkeit des Vorbringens der Revisionswerberin deren Prüfung jedenfalls ungültig sein sollte.

36Der Verwaltungsgerichtshof verkennt dabei nicht, dass im vorliegenden Fall die Feststellung, welche Prüfungsbögen von dem in Rede stehenden Mangel betroffen waren, (im Nachhinein) möglicherweise Probleme bereitet. Dies entbindet die Behörde bzw. das Verwaltungsgericht aber nicht, dazu Beweise aufzunehmen und zu würdigen.

37Ausgehend von der unzutreffenden Annahme der Ungültigkeit der „gesamten Prüfung“ hat es das BVwG unterlassen, tragfähige Feststellungen für das Vorliegen einer absoluten Nichtigkeit der am von der Revisionswerberin abgelegten Fachprüfung „Europarecht“ zu treffen.

38Die Revisionswerberin wurde hiedurch im Ergebnis in ihren nach § 59 Abs. 1 Z 8, 72 Abs. 1 und 2 sowie 74 Abs. 1 bis 4 UG eingeräumten subjektiven Rechten verletzt.

39Das BVwG hat das angefochtene Erkenntnis sohin mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

40Der Ausspruch über den Kostenersatz gründet auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

Zusatzinformationen


Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2020100025.J00

Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.