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VwGH vom 12.08.2020, Ro 2019/05/0022

VwGH vom 12.08.2020, Ro 2019/05/0022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bayjones und den Hofrat Dr. Moritz sowie die Hofrätinnen Mag. Rehak, Dr. Leonhartsberger und Mag. Liebhart-Mutzl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Wölfl, über die Revision 1. der Dr. A F und 2. des Dr. M F, beide in S, beide vertreten durch die Stibi Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Wipplingerstraße 32, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom , LVwG-AV-882/001-2018, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtrat der Stadtgemeinde S; weitere Partei: Niederösterreichische Landesregierung), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Stadtgemeinde S hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit Bauanzeige vom , eingelangt am , zeigten die Revisionswerber die Errichtung eines Folientunnels als Pilotanlage „Aquaponic Bionic System“ gemäß § 15 NÖ Bauordnung 2014 - NÖ BO 2014 an. Diese Bauanzeige wurde mit Schreiben vom vom Bürgermeister der Stadtgemeinde S zur Kenntnis genommen. Am erfolgte ein Lokalaugenschein zum Zweck der Überprüfung des Bauvorhabens.

2Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde S vom wurde den Revisionswerbern gemäß § 35 Abs. 2 Z 2 NÖ BO 2014 der baupolizeiliche Auftrag erteilt, den errichteten Folientunnel bis abzutragen.

3Aufgrund der dagegen von den Revisionswerbern erhobenen Berufung änderte die belangte Behörde mit Bescheid vom den angefochtenen Bescheid dahingehend ab, dass der baupolizeiliche Auftrag zum Abbruch des Folientunnels binnen drei Monaten ab Rechtskraft des Bescheides zu erfüllen sei. Im Übrigen wurde die Berufung als unbegründet abgewiesen.

4Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die dagegen erhobene Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Frist für die Durchführung des Abbruchs mit drei Monaten ab Rechtskraft dieses Erkenntnisses festgesetzt werde. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

5Das Verwaltungsgericht ging im Wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

6Die Revisionswerber seien jeweils Hälfteeigentümer einer näher bezeichneten Liegenschaft, auf der sie die vorübergehende Errichtung einer Aquaponicanlage zur Erfahrungssammlung geplant hätten. Ende März 2018 sei der verfahrensgegenständliche Folientunnel von einem Fachmonteur samt Helfern der Herstellerfirma errichtet worden. Der Folientunnel in der Größe von ca. 20 m x 12 m x 4 m sei mit Erdankern im Boden verankert. Die auf den Erdankern befestigten Metallstangen seien mit einer Spezialpolyethylenfolie bespannt. Der Folientunnel weise ein Dach und zwei Wände auf, könne von Menschen betreten werden und sei dazu bestimmt, Tiere und Sachen zu schützen, im gegenständlichen Fall Fische und Pflanzen.

7Als Aquaponic werde ein Verfahren bezeichnet, das Techniken der Aufzucht von Fischen in Aquakultur und der Kultivierung von Nutzpflanzen mittels Hydrokultur verbinde. Bei einer Aquaponicanlage handle es sich immer um die Kombination einer geschlossenen Kreislaufanlage zur Fischproduktion und einer Hydroponikanlage zur Pflanzenzucht, zum Beispiel für Gemüse und Kräuter. Bei Aquaponic bestehe ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Fischzucht und Gartenbau. Das System funktioniere, indem die Exkremente aus der Fischzucht als Nährstoffe für Pflanzen verwendet würden. Die Fischhaltung bzw. -produktion solle der Düngererzeugung dienen. Es sei möglich, unterschiedliche Fischarten zu halten, die Revisionswerber hätten sich noch nicht auf eine bestimmte Fischart festgelegt, interessierten sich aber für die Haltung von Barramundi. Bei der Pflanzenzucht würden die Revisionswerber den Fokus auf Kräuter legen wollen, aber auch planen, Gemüse und Algen zu züchten. Der gesamte biologische Kreislauf der Pilotanlage würde im Folientunnel erfasst werden. Die Fische würden nicht im Kellerbereich des Wohnhauses verarbeitet werden. Weder Fische noch Pflanzen sollten verkauft werden.

8Aquaponic sei mit anderen Gewächshäusern nicht vergleichbar, weil in anderen Gewächshäusern unter der üblichen Bezeichnung Hydroponic, Hydrokultur oder ähnliches die Nährstoffe aus synthetischer Produktion üblicherweise zugeführt würden, wobei die Nährstoffproduktion nicht im Gewächshaus stattfinde, sondern aus synthetischer Produktion zugekauft werde. Die Nährlösung werde mit dem Wasser hergestellt.

9Fischbesatz und Pflanzen müssten in einem Aquaponic-System in einem ausgewogenen Verhältnis liegen. Bei zu vielen Fischen und zu wenig Pflanzen könnten die Pflanzen den Stickstoff nicht ausreichend in Pflanzenmasse einbauen, Stickstoff würde sich im Wasser anreichern, die Wasserqualität ebenso leiden wie in der Folge die Fische. Bei zu wenig Fischen bekämen die Pflanzen zu wenig Dünger.

10Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, beim Folientunnel handle es sich jedenfalls um ein Bauwerk gemäß § 4 Z 7 NÖ BO 2014, aber auch um ein Gebäude. Zu prüfen sei, ob der Anzeigetatbestand des § 15 Abs. 1 Z 2 lit. a NÖ BO 2014 zur Anwendung komme. Dem Wortlaut der Bestimmung sei nicht zu entnehmen, ob als gärtnerischer Zweck nur der ausschließlich gärtnerische Zweck zu verstehen sei. Intention des Gesetzgebers sei es nach den Gesetzesmaterialien allerdings gewesen, ausschließlich gärtnerische Zwecke darunter zu subsumieren. Schließlich finde sich im Motivenbericht der Hinweis, dass die Verwendung eines Folientunnels als Stall nicht vorgesehen gewesen sei. Schon aus dem Begriff Aquaponic ergebe sich, dass es sich um eine Symbiose zwischen Fisch- und Pflanzenzucht handle. Auch wenn es sich bei der gegenständlichen Anlage um eine Pilotanlage handle, wo die Pflanze im Vordergrund stehe und die Fischhaltung bzw. -produktion der Düngererzeugung dienen solle, so sei das Halten von Fischen ausschließlich zur Gewinnung von Dünger ohne anschließende Verwertung der Fische für den menschlichen Verzehr nicht unter den Begriff „gärtnerische Zwecke“ zu subsumieren. Der agrartechnische Amtssachverständige habe treffend das Beispiel angeführt, dass jemand statt Fischen Schweine zur Düngerproduktion im Folientunnel mit daran anschließender Verwertung des Düngers im Rahmen pflanzlicher Produktion im gleichen Folientunnel halten könnte. Anstelle eines räumlichen Splittings wäre gleichermaßen ein zeitliches Splitting möglich, wie beispielsweise eine Schweinemast für ca. 4 Monate im gesamten Folientunnel und daran anschließend am selben Ort ein 8-monatiger Gemüseanbau unter Verwertung des von den Schweinen angefallenen Düngers. Auch hier stünde die Pflanze im Vordergrund, sodass es auf ein Splitting gar nicht ankomme. Entscheidend sei, dass Tiere als Teil der Anlage gehalten würden. Der Gesetzgeber habe die Tierhaltung, zu welchem Zweck auch immer, nicht unter die Bestimmung des § 15 Abs. 1 Z 2 lit. a NÖ BO 2014 subsumieren wollen. Gemäß § 2 Abs. 3 Z 1 Gewerbeordnung 1994 gehöre zur Land- und Forstwirtschaft die Hervorbringung und Gewinnung pflanzlicher Erzeugnisse mit Hilfe der Naturkräfte, einschließlich des Wein- und Obstbaues, des Gartenbaues und der Baumschulen. Gemäß Z 2 leg. cit. gehöre zur Land- und Forstwirtschaft das Halten von Nutztieren zur Zucht, Mästung oder Gewinnung tierischer Erzeugnisse. Fallbezogen würde die Haltung der Fische der Gewinnung tierischer Erzeugnisse (hier: Dünger) dienen. Die Haltung der Fische wäre damit unter § 2 Abs. 3 Z 2 Gewerbeordnung 1994 und nicht unter Z 1 leg. cit. zu subsumieren.

11Da der gegenständliche Folientunnel nicht ausschließlich gärtnerischen Zwecken dienen solle, sondern als Pilotanlage für ein „Aquaponic Bionic System“, wobei ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Fischzucht und Gartenbau bestehe, komme der Anzeigetatbestand des § 15 Abs. 1 Z 2 lit. a NÖ BO 2014 nicht zum Tragen. Es bestehe vielmehr eine Bewilligungspflicht nach § 14 Z 1 NÖ BO 2014. Der baupolizeiliche Auftrag zum Abbruch sei daher zu Recht erteilt worden, weil im Fall eines bewilligungspflichtigen Bauvorhabens die erfolgte Anzeige bedeutungslos sei, weil das Bauvorhaben durch die Erstattung der Anzeige nicht zu einem anzeigepflichtigen Bauvorhaben werde (Hinweis auf ; , 2000/05/0059).

12Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob gemäß § 15 Abs. 1 Z 2 lit. a NÖ BO 2014 als gärtnerischer Zweck nur der ausschließlich gärtnerische Zweck zu verstehen sei.

13Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte Aufwandersatz. Die Revisionswerber erstatteten eine Replik.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

14Die Revision erweist sich in Hinblick auf fehlende Rechtsprechung, wann von gärtnerischen Zwecken im Sinne des § 15 Abs. 1 Z 2 lit. a NÖ BO 2014 auszugehen ist, als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

15§§ 4 und 15 Abs. 1 NÖ BO 2014, LGBl. Nr. 1/2015 idF LGBl. Nr. 53/2018 inklusive Überschrift lauten (auszugsweise):

§ 4 Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieses Gesetzes gelten als

[...]

6.bauliche Anlagen: alle Bauwerke, die nicht Gebäude sind;

7.Bauwerk: ein Objekt, dessen fachgerechte Herstellung ein wesentliches Maß an bautechnischen Kenntnissen erfordert und das mit dem Boden kraftschlüssig verbunden ist;

[...]

15.Gebäude: ein oberirdisches Bauwerk mit einem Dach und wenigstens 2 Wänden, welches von Menschen betreten werden kann und dazu bestimmt ist, Menschen, Tiere oder Sachen zu schützen, wobei alle statisch miteinander verbundenen Bauteile als ein Gebäude gelten;

[...]

§ 15 Anzeigepflichtige Vorhaben

(1) Folgende Vorhaben sind der Baubehörde schriftlich anzuzeigen:

[...]

2.Vorhaben mit geringfügigen baulichen Maßnahmen:

a)die Aufstellung von begehbaren Folientunnels für gärtnerische Zwecke;

[...]“

16Der Motivenbericht zur Einführung der NÖ BO 2014, LGBl. Nr. 1/2015, lautet zu § 15 auszugsweise (vgl. Ltg.-477/B-23/2-2014):

„Das Anzeigeverfahren der NÖ Bauordnung 1996 wird grundsätzlich, jedoch mit einigen Modifizierungen v.a. auch das Verfahren betreffend (insbesondere auch im Hinblick auf die einzuhaltenden Fristen und den ausdrücklichen Ausschluss einer verspäteten Untersagung) übernommen. Auch hier wurden die Tatbestände überarbeitet, ergänzt und erfolgten Klarstellungen, wo es in der Praxis zu Fehlentwicklungen kam (z.B. Folientunnels, die ursprünglich zwar nur für gärtnerische Zwecke gedacht waren, idF jedoch entgegen der Intention des Gesetzgebers auch für andere gebäudeähnliche Zwecke - wie Ställe, Garagen - Verwendung fanden).“

17Die Revision bringt vor, in § 15 Abs. 1 Z 2 lit. a NÖ BO 2014 sei gerade nicht von einem „ausschließlichen gärtnerischen Zweck“ die Rede. Außerdem gelte nach dem vom Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betonten Grundsatz der Baufreiheit, dass gesetzliche Beschränkungen im Zweifel zugunsten der Baufreiheit auszulegen seien. Ohnedies diene das Aquaponic-System primär nur gärtnerischen Zwecken, weil dabei ein untrennbarer Zusammenhang zwischen „Fischzucht“ und Pflanzenaufzucht bestehe, wobei die Fische lediglich Mittel zum Zweck, nämlich zum gärtnerischen Zweck, seien. Da das Aquaponic-System nur als geschlossener Nährstoffkreislauf funktionieren könne, bestehe die vom Verwaltungsgericht vorgenommene funktionelle Trennung von Pflanzenanbau und Aquakultur tatsächlich nicht.

18Gärtnerei sei die kommerzielle oder gewerblich ausgerichtete Pflanzenproduktion im Gewächshaus oder auf Grund und Boden mit dem Ziel des Ertrags und der Produktionsoptimierung. „Gärtnerisch“ als Adjektiv beschreibe nach Duden: die Gärtnerei betreffend, zu ihr gehörend, auf ihr beruhend. Gärtnerische Nutzung im privaten, nicht kommerziellen Bereich umfasse hingegen die Nutzung des eigenen Gartens für die Eigenversorgung mit Obst, für das Ernten von Früchten, Gemüse oder Kräutern, für die Anpflanzung von Pflanzen rein aus Interesse oder Freude an der Sache wie auch für die Nutzung zu Erholungszwecken, als Spielplatz für Kinder und Familie. Vorliegend habe auch der Amtsgutachter eingeräumt, dass das gegenständliche Projekt keinen kommerziellen oder gewerblichen Zweck verfolge. Vor dem Hintergrund, dass eine rein private gärtnerische Nutzung vorliege, sei es unverständlich, dass an der Begriffsdefinition der „Gärtnerei“ festgehalten worden sei. Zudem sei zum Beispiel Gemüseanbau für die Eigenversorgung der Familie als gärtnerische Nutzung ebenso zulässig wie die Errichtung eines mit Wasserlebewesen bestückten Teiches im eigenen Garten.

19Weiters beanstanden die Revisionswerber das Gutachten eines agrartechnischen Amtssachverständigen als oberflächlich und unsachlich. Vielmehr ergebe sich aus den mit der Revision vorgelegten Gutachten - entgegen der Schlussfolgerung des Amtssachverständigen -, dass Aquaponic der gärtnerischen Nutzung unterliege. Das Verwaltungsgericht habe sich nicht mit den angebotenen Beweisen zu Aquaponic auseinandergesetzt.

20Schließlich bestreiten die Revisionswerber das Vorliegen eines Bauwerks und Gebäudes, weil der Folientunnel lediglich erdverankert sei und über keinerlei Wände an den Abschlussseiten verfüge. Es bedürfe daher weder einer Baubewilligung noch sei der gegenständliche Folientunnel anzeigepflichtig.

21Sollte § 15 Abs. 1 Z 2 lit. a NÖ BO 2014 in der vom Verwaltungsgericht angenommenen Art und Weise auszulegen sein, so werde ein Gesetzesprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof angeregt, weil es zu einer unsachlichen Ungleichbehandlung käme, wenn die Düngererzeugung durch Fische anders behandelt werde als eine solche mittels gärtnerischer Abfallprodukte.

22Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei einem Folientunnel - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt - um ein Gebäude im Sinne des § 4 Z 15 NÖ BO 2014 handelt (vgl. , zu einem Folientunnel nach der insoweit vergleichbaren Rechtslage der NÖ Bauordnung 1976).

23Das Verwaltungsgericht vertritt die Ansicht, aus den Gesetzesmaterialien lasse sich ableiten, dass der Anzeigetatbestand des § 15 Abs. 1 Z 2 lit. a NÖ BO 2014 nur bei ausschließlich gärtnerischen Zwecken einschlägig sei, der geplante Folientunnel jedoch nicht nur gärtnerischen Zwecken diene. Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich, dass Folientunnel „nur für gärtnerische Zwecke“ dem Anzeigeverfahren unterliegen sollten.

24Zutreffend ist, dass die Materialien durch die Anführung des gärtnerischen Zweckes als Voraussetzung für die bloße Anzeigepflicht von Folientunneln eine Abgrenzung zu anderen gebäudeähnlichen Zwecken vornehmen. Daraus ist zu schließen, dass nur solche Folientunnel erfasst sein sollen, die eben für diesen Zweck, nämlich den gärtnerischen, genutzt werden.

25Zur Auslegung des Begriffes „gärtnerische Zwecke“ zieht das Verwaltungsgericht unter anderem die Definitionen von „Gärtnerei“ (Unternehmen, das gewerbsmäßig Gartenbau - insbesondere Zierpflanzen, Pflanzen für den Bedarf des Gärtners, Obst und Gemüse - betreibt) und „Gartenbau“ ([intensiver] Pflanzenbau [in Gärten, Baumschulen usw.], besonders Anbau von Gemüse, Obst, Blumen) heran, nicht jedoch - worauf die Revision zutreffend hinweist - die Definition des Wortes „gärtnerisch“, welches „die Gärtnerei betreffend, zu ihr gehörend, auf ihr beruhend, nach ihrer Art“ bedeutet (vgl. hinsichtlich der ersten drei Umschreibungen Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Band 3; hinsichtlich der ersten, zweiten und vierten Umschreibung Brockhaus Wahrig, Deutsches Wörterbuch, 3. Band, 55).

26Der Gesetzgeber hat für den Anzeigetatbestand den Begriff „gärtnerisch“ verwendet und damit Spielraum auch für innovative Ausgestaltungsmöglichkeiten, die die Gärtnerei betreffen, zu ihr gehören oder auf ihr beruhen, geschaffen. Verhindert werden sollte lediglich die gebäudeähnliche Nutzung von Folientunneln zu anderen als gärtnerischen Zwecken.

27Die Beurteilung der Anzeigepflicht eines Folientunnels richtet sich nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 Z 2 lit. a NÖ BO 2014 („gärtnerische Zwecke“) nach dem Nutzungszweck, der ein gärtnerischer sein muss. Ob daher im konkreten Fall von einer gärtnerischen Nutzung auszugehen ist, hängt vom Zweck der geplanten Nutzung ab.

28Nach den Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis besteht bei Aquaponic ein untrennbarer Zusammenhang zwischen Fischzucht und Gartenbau. Die Exkremente aus der Fischzucht werden als Nährstoffe für Pflanzen verwendet; die Fischhaltung bzw. Fischproduktion soll der Düngererzeugung dienen. Das Verwaltungsgericht geht auch davon aus, dass bei dem vorliegenden Projekt die Pflanze im Vordergrund steht und die Fischhaltung bzw. Fischproduktion nur der Düngererzeugung dienen soll.

29Davon ausgehend kann die gärtnerische Nutzung des gegenständlichen Folientunnels nicht verneint werden. Es handelt sich gerade nicht um eine gebäudeähnliche Nutzung des Tunnels zur Umgehung der Bewilligungspflicht. Vielmehr ist der gärtnerische Zweck gegeben, weil es sich um eine untrennbar zusammenhängende, und damit als Einheit zu betrachtende Kombination aus Aquakultur und Hydrokultur handelt, bei der im konkreten Fall die Pflanzenproduktion im Vordergrund steht. Die Züchtung von Fischen zum etwaigen Verkauf ist gerade nicht intendiert. Vielmehr handelt es sich um eine neue Form des ökologischen Pflanzenanbaus.

30Das Verwaltungsgericht zieht in seinen Ausführungen einen Vergleich zwischen Aquaponicanlagen und dem Einsatz von Schweinen zur Düngerproduktion. Diesbezüglich spricht es die Möglichkeit von räumlichem als auch zeitlichem Splitting von Viehzucht und gärtnerischer Nutzung an. Dem ist zu entgegen, dass sich dieser Vergleich schon alleine deshalb als unzutreffend erweist, weil es im konkreten Fall nach den getroffenen Feststellungen weder zu einem zeitlichen noch zu einem räumlichen Splitting kommt und auch nicht kommen kann. Das Wesen von Aquaponic besteht nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtes in einem untrennbaren Zusammenhang zwischen Aquakultur und der Kultivierung von Nutzpflanzen. Aquaponic ist daher schon insofern nicht mit der Haltung von Mastschweinen bei gleichzeitiger Verwertung des angefallenen Düngers vergleichbar, als ein Splitting nicht in Betracht kommt und es sich bei Aquaponic um einen geschlossenen Kreislauf handelt, weshalb die Anlage als Einheit zu beurteilen ist.

31Dadurch, dass das Verwaltungsgericht in Verkennung der Rechtslage die gegenständliche Aquaponicanlage nicht als gärtnerischen Zwecken dienend eingestuft und darauf aufbauend den baupolizeilichen Auftrag bestätigt hat, hat es die Rechtslage verkannt und belastete das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

32Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die § 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

33Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019050022.J00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

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