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VwGH vom 28.01.2021, Ro 2019/02/0017

VwGH vom 28.01.2021, Ro 2019/02/0017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Dr. Köller und Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-101/056/3171/2019-3, betreffend Antrag auf Errichtung eines Behindertenparkplatzes gemäß § 43 Abs. 1 lit. d StVO (mitbeteiligte Partei: R-R in W, vertreten durch Dr. Michael Göbel, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Florianigasse 19/7), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Das Land Wien hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Mit dem angefochtenen Erkenntnis behob das Verwaltungsgericht Wien den Bescheid des revisionswerbenden Magistrats der Stadt Wien, mit dem der Antrag der Mitbeteiligten auf Errichtung eines Behindertenparkplatzes gemäß § 43 Abs. 1 lit. d StVO als unzulässig zurückgewiesen wurde, und es sprach gemäß § 25a VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

2Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Magistrat habe zur Prüfung der Notwendigkeit einer Behindertenzone eine medizinische Stellungnahme über die Beeinträchtigung der Mitbeteiligten eingeholt, die jedoch im vorliegenden Umfang kein ausreichendes Gutachten darstelle. Um einen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, komme der Mitbeteiligten ein subjektives Antragsrecht zur Erlassung einer entsprechenden Verordnung zu und sie habe somit einen Anspruch, dass ihr Antrag inhaltlich behandelt werde. Die Revision sei zulässig, weil es keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage gebe, ob ein subjektives Recht nach § 43 Abs. 1 lit. d StVO bestehe.

3In der dagegen erhobenen Amtsrevision macht der Magistrat geltend, das Verwaltungsgericht habe in die Kompetenz und somit in subjektive Rechte der Stadt Wien eingegriffen, eine Verordnung im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde ohne Beteiligung von Parteien zu erlassen. Subjektive Rechte von Personen mit Behinderungen würden mit der Einrichtung der personenbezogenen Stellplätze nicht begründet. Abgesehen davon, hätten die von der Mitbeteiligten vorgelegten Unterlagen eine Angewiesenheit auf einen Stellplatz nicht erkennen lassen, sie habe selbst zugestanden, zur Bewältigung längerer Wegstrecken in der Lage zu sein. Der Magistrat beantragt, das angefochtene Erkenntnis aufzuheben.

4Die Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung und brachte vor, § 43 Abs. 1 lit. d StVO ziele darauf ab, den Schutz der einzelnen Person mit Behinderung zu gewährleisten. Der Mitbeteiligten stehe somit ein subjektives Recht zu, das bei Vorliegen der Voraussetzungen über die Erlassung einer Verordnung einzuräumen sei. Die Zurückweisung ihres Antrags stelle die Verweigerung einer Sachentscheidung dar, womit das ihr eingeräumte subjektive Recht seiner Durchsetzbarkeit beraubt werde. Die Revision möge kostenpflichtig abgewiesen werden.

5Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6Die Revision ist aus dem vom Verwaltungsgericht genannten Grund des Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Rechtsfrage, ob ein subjektives Recht nach § 43 Abs. 1 lit. d StVO bestehe, zulässig; sie ist aber nicht begründet.

7§ 43 Abs. 1 lit. d StVO in der Fassung der 25. StVO-Novelle, BGBl. I Nr. 39/2013 lautet:

„§ 43 (1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

...

d)für Menschen mit Behinderungen, die wegen ihrer Behinderung darauf angewiesen sind, das von ihnen selbst gelenkte Kraftfahrzeug oder ein Kraftfahrzeug, das sie als Mitfahrer benützen, in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung oder ihrer Arbeitsstätte oder in unmittelbarer Nähe von Gebäuden, die von solchen Personen in der Regel häufig besucht werden, wie etwa Invalidenämter, bestimmte Krankenhäuser oder Ambulatorien, Sozialversicherungseinrichtungen u. dgl., oder in unmittelbarer Nähe einer Fußgängerzone abstellen zu können, Straßenstellen für die unbedingt notwendige Zeit und Strecke zum Abstellen der betreffenden Kraftfahrzeuge durch ein Halteverbot freizuhalten.“

8Im Kern wurde diese Bestimmung durch die 6. StVO-Novelle, BGBl. Nr. 412/1976, geschaffen. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass es der Mangel an Parkplatz im dicht verbauten Gebiet Personen mit starker Gehbehinderung vielfach unmöglich mache, in der Nähe ihrer Wohnung oder ihrer Arbeitsstätte eine geeignete Parkmöglichkeit zu finden; sie müssten daher oft unzumutbar weite Wege gehen. Die Behörde soll aus diesem Grund mit der vorgesehenen Verordnungsermächtigung die Möglichkeit erhalten, für Kraftfahrzeuge Personen mit starker Gehbehinderung im notwendigen Ausmaß Parkraum freizuhalten (ErläutRV 23 BlgNR 14. GP 27). Mit der schon genannten 25. StVO-Novelle wurde das Kriterium der dauernd starken Gehbehinderung durch die Wortfolge „Menschen mit Behinderungen“ ersetzt.

9Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein „Behindertenparkplatz“ auch für ein bestimmtes Kraftfahrzeug unter Angabe des Fahrzeugkennzeichens auf einer Zusatztafel auf Grund der gesetzlichen Bestimmung des § 43 Abs. 1 lit. d StVO rechtlich zulässig verordnet werden, was die Erlassung eines generellen Verbotes, ein anderes Fahrzeug dort abzustellen, bedeutet ().

10Nun sind im Allgemeinen Verordnungen von der zuständigen Behörde allein von Amts wegen zu erlassen und ein dahingehender Antrag eines Interessenten mag die Aufmerksamkeit der Behörde auf einen Sachverhalt lenken, er begründet jedoch - mangels einer dem § 73 AVG vergleichbaren Bestimmung - keinen Erledigungsanspruch (vgl. Raschauer, Allgemeines Verwaltungsrecht5, Rz 788, mwN).

11Die Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts entnimmt dem Rechtsstaatsprinzip, dass in Fällen, in denen die Erlassung einer bestimmten Verordnung von einem dazu Legitimierten beantragt wurde, über eine negative Entscheidung ein abweisender Bescheid an den Antragsteller zu ergehen hat und der Umstand, dass das Verordnungsverfahren in solchen Fällen in einen Bescheid münden kann, impliziert, dass vorerst das AVG anzuwenden ist (vgl. neuerlich Raschauer, Rz 792 aaO, mwN).

12Soweit in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein derartiges Antragsrecht angenommen wurde, beruht dies etwa auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung, dass gemäß § 18 Abs. 1 ArbVG auf Antrag bestimmter Parteien ein Kollektivvertrag zur Satzung zu erklären ist (), auf dem sich aus den Gesetzesmaterialien deutlich ergebenden subjektiven Recht auf Zulassung und damit Anerkennung als Leit-Ethikkommission nach § 41b Abs. 2 AMG () oder auf einem unionsrechtlich gebotenen Anspruch, der einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz erfordert ().

13Darüber hinaus wird die in § 1 AnerkennungsG geregelte Anerkennung als Religionsgesellschaft bei Vorliegen der Voraussetzungen als Rechtsanspruch gesehen, der zur Erlassung einer Verordnung führt oder bei mangelnder Erfüllung der Voraussetzungen zu einem (negativen) Bescheid (VfSlg. 11.931/1988 und VfSlg. 13.134/1992). Ebenso gilt für die Anerkennung eines Vereins als geeigneter Sachwalterverein gemäß § 1 VSPBG, dass ungeachtet der Verpflichtung der Behörde, für die positive Erledigung eine Verordnung zu erlassen, eine in der Sache abweisende Erledigung vor dem Hintergrund des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit Art. 144 B-VG jedenfalls in der Rechtsform eines Bescheides zu ergehen hat (VfSlg. 18.905/2009).

14Zu einzelnen in § 43 StVO geregelten Verordnungen wurde bisher judiziert, dass sie kein subjektives Recht und damit kein Antragsrecht auf Erlassung einer Verordnung begründen: , betreffend § 43 Abs. 1 lit. a StVO; , betreffend § 43 Abs. 1 lit. b StVO; , betreffend § 43 Abs. 2 StVO; , und , betreffend § 43 Abs. 4 StVO.

15Von diesen Bestimmungen des § 43 StVO unterscheidet sich die hier in Rede stehende Verordnungsermächtigung nach § 43 Abs. 1 lit. d StVO insofern, als sie unter näher genannten weiteren Voraussetzungen anordnet, dass Straßenstellen für Menschen mit Behinderungen durch ein Halteverbot freizuhalten sind, und zwar unter bestimmten Umständen für ein bestimmtes Kraftfahrzeug (vgl. das schon zitierte hg. Erkenntnis vom ).

16Gemäß Art. 7 Abs. 1 B-VG darf niemand „wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich dazu, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten.“

17Mit dieser Bestimmung wollte der Verfassungsgesetzgeber den inneren Gehalt des Gleichheitssatzes durch das explizite Verbot der Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen nicht verändern, sondern zusätzlich bekräftigen, dass auch bei einer auftretenden Ungleichbehandlung von Menschen mit Behinderungen der Verfassungsgerichtshof diese immer auf ihre sachliche Rechtfertigung zu überprüfen hat. Die vorliegende Nichtdiskriminierungsklausel verbietet demgegenüber aber nicht eine Bevorzugung von Menschen mit Behinderungen, sondern erlaubt und fordert sie in einem dem gesetzgeberischen Entscheidungsspielraum überlassenen Umfang (AB 785 BlgNR 20. GP 5).

18Zur Effektuierung der geschilderten Gewährleistungspflicht kommt die verfassungskonforme Interpretation in Betracht (vgl. Mayer/Kucsko-Stadlmayer/Stöger, Bundesverfassungsrecht11, Rz 1333 Z 2, mwN).

19Aus diesen Gründen ist davon auszugehen, dass § 43 Abs. 1 lit. d StVO Menschen mit Behinderungen ein subjektives Recht einräumt und daher bei Vorliegen der Voraussetzungen ein entsprechendes Halteverbot zu erlassen ist und im Fall des Nichtvorliegens der Voraussetzungen ein (negativer) Bescheid in der Sache zu ergehen hat.

20Dem Verwaltungsgericht ist daher beizupflichten, dass es die vom Magistrat ausgesprochene Zurückweisung des auf § 43 Abs. 1 lit. d StVO gerichteten Antrags der Mitbeteiligten als rechtswidrig ansah.

21Die Revision war demnach gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

22Die Kostenentscheidung beruht auf § 47 ff, insbesondere § 47 Abs. 3 VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2019020017.J00

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