VwGH vom 31.01.2019, Ro 2017/15/0013
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Grieskirchen Wels in 4601 Wels, Dragonerstraße 31, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/5101168/2016, betreffend Umsatzsteuer 2014 (mitbeteiligte Partei: M M u D vertreten durch die Holzinger & Partner Steuerberatung und Wirtschaftsprüfung GmbH & Co KG in 4070 Eferding, Simbach 7), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Rudolf R, ein pauschalierter Land- und Forstwirt, übertrug im Mai 2014 seinen Betrieb unentgeltlich an die mitbeteiligte Partei und stellte eine Rechnung nach § 12 Abs. 15 UStG 1994 aus, in der er die auf die unentgeltliche Übertragung entfallende Umsatzsteuer (§ 3 Abs. 2 UStG 1994) mit 7.670,53 EUR auswies.
2 Die mitbeteiligte Partei, die rechtzeitig erklärte, dass ihre Umsätze nach den allgemeinen Vorschriften besteuert werden sollen (§ 22 Abs. 6 UStG 1994), brachte in der Umsatzsteuererklärung 2014 die von Rudolf R in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer in Abzug.
3 Vom Finanzamt wurde der Vorsteuerabzug mit der Begründung versagt, dass § 22 UStG 1994 die Anwendung des § 12 Abs. 15 UStG 1994 nicht vorsehe. Der Ausweis der Umsatzsteuer sei zu Unrecht erfolgt, weshalb diese auch nicht als Vorsteuer abziehbar sei.
4 Die mitbeteiligte Partei erhob Beschwerde und führte zur Begründung aus, die Durchschnittssatzbesteuerung gemäß § 22 UStG 1994 erfasse nicht nur die Lieferung und den Eigenverbrauch von land- und forstwirtschaftlichen Produkten, sondern alle Umsätze im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes wie Hilfsgeschäfte, Nebenbetriebe und Nebenerwerbe sowie Betriebsübergaben und Betriebsveräußerungen. Gemäß § 12 Abs. 15 UStG 1994 sei der Unternehmer berechtigt, die für den Eigenverbrauch geschuldete Umsatzsteuer gesondert in Rechnung zu stellen, und der Leistungsempfänger dürfe diese als Vorsteuer abziehen. Eine Zahllast an das Finanzamt entstehe bei einem umsatzsteuerpauschalierten Land- und Forstwirt nicht, weil die den Umsätzen zuzurechnende Vorsteuer auch diese Umsatzsteuer kompensiere.
5 Das Finanzamt legte die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.
6 Über Vorhalt des Bundesfinanzgerichtes, dass eine steuerpflichtige fiktive Lieferung (§ 3 Abs. 2 UStG 1994) nur insofern vorliege, als für den Gegenstand ein (wenn auch pauschalierter) Vorsteuerabzug zugestanden habe, wobei Bemessungsgrundlage der Einkaufspreis im Zeitpunkt der unentgeltlichen Zuwendung, demnach der Wiederbeschaffungspreis sei (§ 4 Abs. 8 UStG 1994), ermittelte die mitbeteiligte Partei (unter Außerachtlassung der Werte für selbsterzeugte Vorräte und für im Betrieb geborene Tiere) die Bemessungsgrundlagen für die fiktiven Lieferungen neu. Sie legte diesbezügliche Nachweise und eine geänderte Rechnung des Rudolf R nach § 12 Abs. 15 UStG 1994 vor, in der - für die unentgeltlich übertragenen landwirtschaftlichen Maschinen und zugekauften Vorräte - eine Umsatzsteuer von 6.008,74 EUR ausgewiesen wurde.
7 Das Finanzamt erhob gegen die Höhe keine Einwände. 8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde insoweit Folge, als es die in der geänderten Rechnung des Rudolf R ausgewiesene Umsatzsteuer von 6.008,74 EUR als Vorsteuer berücksichtigte und die Vorsteuer um weitere 90 EUR erhöhte, weil das Finanzamt die von der mitbeteiligten Partei geltend gemachte übrige Vorsteuer um diesen Betrag zu viel gekürzt habe.
9 Wie in der Beschwerde zutreffend dargelegt, zählten auch die in § 3 Abs. 2 UStG 1994 geregelten Vorgänge zu den Umsätzen im Sinne des § 22 UStG 1994. Das Finanzamt stimme dem zu, vertrete aber die Auffassung, dass § 12 Abs. 15 UStG 1994 bei einer Pauschalierung nach § 22 UStG 1994 nicht anwendbar sei, weil diese Bestimmung im zweiten Unterabsatz von § 22 Abs. 1 UStG 1994 nicht genannt sei.
10 Dem Standpunkt des Finanzamtes sei entgegenzuhalten, dass § 22 Abs. 1 erster Unterabsatz UStG 1994 regle, wie die Besteuerung und der Vorsteuerabzug grundsätzlich zu erfolgen hätten (Umsatzsteuer und Vorsteuer würden in gleicher Höhe festgesetzt). Daraus ergebe sich, dass bestimmte Verpflichtungen, wie etwa die Aufzeichnungspflichten, entfielen. § 22 Abs. 1 zweiter Unterabsatz UStG 1994 regle, welche Bestimmungen entgegen dem angeführten Grundsatz anzuwenden seien, welche Ausnahmen es somit von dem im ersten Unterabsatz normierten Grundsatz gebe. Ohne diese Bestimmung dürfte ein pauschalierter Land- und Forstwirt etwa für einen ohne Pauschalierung steuerfreien Umsatz Umsatzsteuer in Rechnung stellen und würde diese auch nicht aufgrund der Rechnungslegung schulden (und der Leistungsempfänger dürfte diese bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen als Vorsteuer abziehen).
11 Die in § 12 Abs. 15 UStG 1994 normierte Berechtigung betreffe aber nicht die Besteuerung und den Vorsteuerabzug des pauschalierten Land- und Forstwirtes, sei also nicht von dem im ersten Unterabsatz normierten Grundsatz betroffen. Für die Antwort auf die Frage, ob eine Rechnung nach § 12 Abs. 15 UStG 1994 ausgestellt werden dürfe, sei nicht maßgeblich, welche Ausnahmen der zweite Unterabsatz vom im ersten Unterabsatz normierten Grundsatz vorsehe. Der pauschalierte Land- und Forstwirt sei somit berechtigt, für die unentgeltliche Betriebsübergabe eine Rechnung nach § 12 Abs. 15 UStG 1994 auszustellen. Der Leistungsempfänger dürfe die ausgewiesene Umsatzsteuer (bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen) als Vorsteuer abziehen.
12 Eine solche Auslegung führe auch zu dem systemkonformen Ergebnis, dass keine Umsatzsteuerbelastung in der Unternehmerkette auftrete. Der Unternehmer, der seinerzeit bestimmte Gegenstände an den pauschalierten Land- und Forstwirt geliefert habe, schulde die darauf entfallende Umsatzsteuer. Die daraus resultierende Vorsteuer sei beim pauschalierten Land- und Forstwirt mit der Pauschalierung abgegolten. Die infolge der unentgeltlichen Zuwendung der genannten Gegenstände entstandene Umsatzsteuer sei ebenfalls mit der Pauschalierung abgegolten. Somit komme es nur dann zu einer Umsatzsteuerentlastung, wenn der regelbesteuernde Übernehmer die letztgenannte Umsatzsteuer als Vorsteuer abziehen dürfe.
13 Dies bedeute für den konkreten Fall: Da die weiteren Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug unstrittig vorlägen, stehe der mitbeteiligten Partei der begehrte Vorsteuerabzug grundsätzlich zu. Die im Sinn von § 3 Abs. 2 UStG 1994 und § 4 Abs. 8 UStG 1994 neu ermittelten Bemessungsgrundlagen seien glaubhaft. Gegenüber dem bisherigen Bescheid stehe daher ein um 6.008,74 EUR höherer Vorsteuerabzug zu. Weiters sei die Vorsteuer um 90 EUR zu erhöhen, weil das Finanzamt die Vorsteuern um diesen Betrag zu viel gekürzt habe.
14 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil eine Rechtsprechung zur zu lösenden Frage nicht vorliege.
15 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Revision des Finanzamtes.
16 Die mitbeteiligte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
18 § 22 Abs. 1 UStG 1994 in der Fassung des Steuerreformgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 106/1999 lautet:
"(1) Bei nichtbuchführungspflichtigen Unternehmern, die Umsätze im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes ausführen, wird die Steuer für diese Umsätze mit 10% der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Soweit diese Umsätze an einen Unternehmer für dessen Unternehmen erbracht werden, wird die Steuer für diese Umsätze mit 12% der Bemessungsgrundlage festgesetzt. Die diesen Umsätzen zuzurechnenden Vorsteuerbeträge werden jeweils in gleicher Höhe festgesetzt.
Die Bestimmungen des § 6 Abs. 1 Z 8 bis 26, des § 11 und des § 12 Abs. 10 bis 12 sind anzuwenden. Weiters sind Berichtigungen nach § 16 vorzunehmen, die Zeiträume betreffen, in denen die allgemeinen Vorschriften dieses Bundesgesetzes Anwendung gefunden haben."
19 Gemäß § 3 Abs. 2 UStG 1994 in der Fassung BGBl. I Nr. 134/2003 wird die Entnahme eines Gegenstandes durch einen Unternehmer aus seinem Unternehmen für eine unentgeltliche Zuwendung einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt. Dies gilt nach herrschender Auffassung auch für die unentgeltliche Übertragung des gesamten Betriebes (vgl. Ruppe/Achatz, UStG5, § 3 Tz 233 f).
20 Nach § 12 Abs. 15 UStG 1994 in der Fassung BGBl. I Nr. 134/2003 ist ein Unternehmer, der an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen eine Lieferung gemäß § 3 Abs. 2 UStG 1994 oder eine sonstige Leistung gemäß § 3a Abs. 1a UStG 1994 erbringt, berechtigt, dem Empfänger der Lieferung oder sonstigen Leistung den dafür geschuldeten Steuerbetrag gesondert in Rechnung zu stellen. Dieser in der Rechnung gesondert ausgewiesene Betrag gilt für den Empfänger der Lieferung oder sonstigen Leistung als eine für eine entgeltliche steuerpflichtige Lieferung oder sonstige Leistung gesondert in Rechnung gestellte Steuer. Weist der Unternehmer in der Rechnung einen Betrag aus, den er für diesen Umsatz nicht schuldet, so ist dieser Betrag wie eine nach § 11 Abs. 12 UStG 1994 auf Grund der Rechnung geschuldete Steuer zu behandeln.
21 Das Finanzamt und das Bundesfinanzgericht gehen übereinstimmend davon aus, dass der im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung eines land- und fortwirtschaftlichen Betriebes bewirkte Entnahmevorgang iSd § 3 Abs. 2 UStG 1994 zu den von § 22 UStG 1994 umfassten Umsätzen eines pauschalierten Land- und Forstwirtes zählt.
22 § 22 UStG 1994 fand seine unionsrechtliche Grundlage ursprünglich in Art. 25 der bis anzuwendenden Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuer - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (6. RL) und beruht nunmehr auf den Artikeln 295 bis 305 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Dort ist eine Pauschalregelung in Bezug auf den Vorsteuerabzug vorgesehen. Die Pauschalregelung gilt nur für die Lieferung landwirtschaftlicher Erzeugnisse und die Erbringung landwirtschaftlicher Dienstleistungen, wie sie - soweit die MwStSystRL betroffen ist - in Art. 295 in Verbindung mit den Anhängen VII und VIII festgelegt sind. Die anderen Umsätze von pauschalierten Landwirten unterliegen, wie der EuGH in den Urteilen vom , Harbs, C-321/02, Rn 37, und vom , Stadt Sundern, C-43/04, Rn 20, ausgesprochen hat, den allgemeinen Regelungen der 6. RL bzw. (nunmehr) der MwStSystRL. Das Richtlinienrecht lässt daher für die Übertragung eines landwirtschaftlichen Betriebes, soweit es sich nicht nur um die Übertragung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse (Getreide etc.) handelt, eine Pauschalierung nicht zu.
23 § 22 UStG 1994, der im nationalen Recht die Pauschalierung im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes regelt, erfasst schon seinem Wortlaut nach nicht die Veräußerung des gesamten land- und forstwirtschaftlichen Betriebes (vgl. Ruppe/Achatz, UStG5, § 22 Tz 32). Jedenfalls folgt aber aus dem Gebot der richtlinienkonformen Interpretation von in Umsetzung der Richtlinie ergangenem nationalen Recht, dass die Veräußerung des land- und forstwirtschaftlichen Betriebes nicht von der Pauschalierung nach § 22 UStG 1994 erfasst ist (vgl. Ruppe/Achatz, UStG5, § 22 Tz 10, mit Hinweis auf Schwaiger, SWK 2004, S 546). Das gilt in gleicher Weise für die der Betriebsveräußerung iSd § 3 Abs. 2 UStG 1994 gleich zu haltende unentgeltliche Betriebsübertragung.
24 Der im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung eines land- und fortwirtschaftlichen Betriebes bewirkte Entnahmevorgang iSd § 3 Abs. 2 UStG 1994 zählt folglich - entgegen der vom Finanzamt und vom Bundesfinanzgericht vertretenen Auffassung - nicht zu den nach § 22 UStG 1994 pauschaliert zu besteuernden Umsätzen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebes. Er ist vielmehr nach den allgemeinen Regeln des UStG 1994 zu erfassen und zu besteuern.
25 Für den Revisionsfall folgt daraus, dass Rudolf R die (nach allgemeinen Grundsätzen anfallende Steuer) auf der Grundlage des § 12 Abs. 15 UStG 1994 in Rechnung stellen durfte und der mitbeteiligten Partei der Vorsteuerabzug zusteht, zumal unstrittig die weiteren Voraussetzungen des Vorsteuerabzuges gegeben sind.
26 Dass die Umsätze von Rudolf R nach der Bestimmung des § 6 Abs. 1 Z 27 UStG 1994 steuerfrei gewesen wären, wird in der Revision nicht behauptet.
27 Im Ergebnis ist es daher nicht als rechtswidrig zu erkennen, wenn das Bundesfinanzgericht die in der Rechnung von Rudolf R ausgewiesene Umsatzsteuer als Vorsteuer anerkannt hat.
28 Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RO2017150013.J00 |
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