VwGH vom 19.04.2018, Ro 2017/07/0017
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofrätin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Schubert-Zsilavecz, über die Revision der Agrarbehörde Salzburg, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Salzburg vom , Zl. 405-1/93/1/11-2017, betreffend Beschwerden gegen Beschlüsse der Vollversammlung einer Agrargemeinschaft (erstmitbeteiligte Partei: F F in T; zweitmitbeteiligte Partei: Agrargemeinschaft L in T; Behörde gemäß § 21 Abs. 1 Z 2 VwGG: Agrarbehörde Salzburg), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird dahin abgeändert, dass sowohl in Spruchpunkt I. als auch in Spruchpunkt II. die Wortfolge "soweit das Agrargemeinschaftsgebiet im Bundesland Salzburg liegt und zur Entscheidung die Agrarbehörde Salzburg berufen ist" entfällt.
Begründung
I.
1 1. Mit Bescheid vom wies die Agrarbehörde Salzburg (AB; die Revisionswerberin) unter Spruchpunkt I. eine Beschwerde des Erstmitbeteiligten gegen den in der Vollversammlung der zweitmitbeteiligten Agrargemeinschaft vom unter Tagesordnungspunkt 2 gefassten Beschluss zu dem Einkauf der Zweitmitbeteiligten in eine Weganlage der Österreichischen Bundesforste AG (ÖBf AG) gemäß § 40 Abs. 6 Salzburger Flurverfassungs-Landesgesetz 1973 - Sbg. FLG 1973 ab.
2 Unter Spruchpunkt II. gab die AB der Beschwerde des Erstmitbeteiligten gegen den unter Tagesordnungspunkt 3 gefassten Vollversammlungsbeschluss vom betreffend die "Anteilsaufteilung des Einkaufes" Folge und hob diesen Vollversammlungsbeschluss auf, weil er den Vorgaben der Verwaltungsordnung des Regulierungsplans widerspreche.
3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom bestätigte das Landesverwaltungsgericht - insoweit eine Beschwerde des Erstmitbeteiligten abweisend - Spruchpunkt I. des vor ihr bekämpften Bescheides der AB, wobei es einschränkend einfügte:
"soweit das Agrargemeinschaftsgebiet im Bundesland Salzburg liegt und zur Entscheidung die Agrarbehörde Salzburg berufen ist".
4 Einer Beschwerde der Zweitmitbeteiligten gegen Spruchpunkt II. des Bescheides der AB gab das Verwaltungsgericht Folge und wies - insoweit den Bescheid der AB abändernd - die Beschwerde des Erstmitbeteiligten gegen den unter Tagesordnungspunkt 3 gefassten Vollversammlungsbeschluss vom ab; auch hier fügte das Verwaltungsgericht die einschränkende Wendung "soweit das Agrargemeinschaftsgebiet im Bundesland Salzburg liegt und zur Entscheidung die Agrarbehörde Salzburg berufen ist" ein.
5 Dem legte das Verwaltungsgericht - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interesse - die Feststellungen zugrunde, das knapp 145 ha umfassende Agrargemeinschaftsgebiet der Zweitmitbeteiligten bestehe zu rund 30 ha aus Wald, im Übrigen aus Almweideflächen und Feuchtgebieten. An Gebäuden sei auf dem Agrargemeinschaftsgebiet lediglich die sogenannte "A" situiert; diese und etwa zwei Drittel des Agrargemeinschaftsgebietes befänden sich im Bundesland Salzburg, etwa ein Drittel der Agrargemeinschaftsfläche im Bundesland Steiermark.
6 Nach Punkt III. § 1 des Regulierungsplanes (Verwaltungsordnung) sei der Sitz der Zweitmitbeteiligten in Tamsweg (Salzburg).
7 Für die schon bisher erfolgende Nutzung von Wegen der ÖBf AG durch Mitglieder der Zweitmitbeteiligten - darunter auch durch den Erstmitbeteiligten - habe die Zweitmitbeteiligte bereits vor dem nunmehrigen Einkauf einen Benützungs- bzw. einen Abfuhrzins entrichtet.
8 Unter Tagesordnungspunkt 2 habe die Vollversammlung der Zweitmitbeteiligten am mit der (ausschließlichen) Gegenstimme des Erstmitbeteiligten den Abschluss eines bestimmten Straßenbenützungsvertrages mit der ÖBf AG genehmigt, welcher für das erste Jahr Gesamtkosten für die Zweitmitbeteiligte in Höhe von EUR 23.400,-- vorsehe. Unter Tagesordnungspunkt 3 habe die Vollversammlung der Zweitmitbeteiligten eine bestimmte Aufteilung dieser Einkaufskosten auf die Mitglieder der Zweitmitbeteiligten beschlossen.
9 Zur Begründung des sein Erkenntnis einschränkenden Beisatzes "soweit das Agrargemeinschaftsgebiet im Bundesland Salzburg liegt und zur Entscheidung die Agrarbehörde Salzburg berufen ist" - welcher allein von der vorliegenden Revision der AB bekämpft wird - führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die örtliche Zuständigkeit der Behörde richte sich im vorliegenden Verfahren nach § 3 AVG, weil die in § 1 AVG erwähnten Vorschriften diesbezüglich nichts bestimmten. Die Zuständigkeit sei nach § 3 Z 1 AVG, somit "nach der Lage des Gutes", zu beurteilen; die Lages des Gutes - also der Agrargemeinschaft (Hinweis auf ) - erstrecke sich vorliegend über zwei Bundesländer.
10 Ein einvernehmliches Vorgehen der Agrarbehörden der Bundesländer Steiermark und Salzburg gemäß § 4 Abs. 1 AVG komme allerdings nicht in Betracht, weil sich diese Bestimmung nur auf Behörden desselben verfassungsgesetzlich festgelegten Vollzugsbereichs beziehe und (unter anderem) für Art. 12 B-VG-Materien nicht zur Anwendung komme (Hinweis u.a. auf Hengstschläger/Leeb, AVG2 Rz 3 zu § 4).
11 Da sich die vor dem Verwaltungsgericht bekämpfte agrarbehördliche Entscheidung auf die Zweitmitbeteiligte nur insoweit beziehen könne, als deren Agrargemeinschaftsgebiet im Gebiet des Bundeslandes Salzburg liege, bedürfe es "zur umfassenden Abhandlung der Angelegenheit" zusätzlich einer Entscheidung der zuständigen Agrarbehörde für die Steiermark, an welche die AB (Salzburg) die vorliegende Beschwerde des Erstmitbeteiligten gegen den Vollversammlungsbeschluss vom gemäß § 6 AVG zuständigkeitshalber weiterzuleiten haben werde.
12 Die im Regulierungsplan vorgenommene Festlegung des Sitzes der Zweitmitbeteiligten (in Tamsweg) sei nicht geeignet, die alleinige Zuständigkeit einer im Bundesland Salzburg situierten Behörde "über den örtlichen Zuständigkeitsbereich hinaus" zu begründen.
13 Die Revision gegen dieses Erkenntnis ließ das Verwaltungsgericht mit der wesentlichen Begründung zu, dass zur Frage der Zuständigkeit der Agrarbehörden in jenen Fällen, in denen das Agrargemeinschaftsgebiet bundesländerübergreifend sei, "seit der Verwaltungsgerichtsbarkeits- Novelle 2012 keine höchstgerichtliche Judikatur" existiere.
14 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision der AB. Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 1. Die vorliegende Revision wendet sich ausschließlich gegen die vom Verwaltungsgericht vorgenommenen, das angefochtene Erkenntnis einschränkenden Einschübe ("soweit das Agrargemeinschaftsgebiet im Bundesland Salzburg liegt und zur Entscheidung die Agrarbehörde Salzburg berufen ist") und die vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang vorgenommene Beurteilung der Zuständigkeit nach § 3 Z 1 AVG; richtigerweise sei nämlich auf den Sitz der Zweitmitbeteiligten (im Bundesland Salzburg) als zuständigkeitsbegründend abzustellen.
16 2. Die Revision ist zulässig. Sie erweist sich im Ergebnis auch als berechtigt.
17 2.1. Nach § 1 Agrarverfahrensgesetz ist im Verfahren in den Angelegenheiten der Bodenreform vor der Agrarbehörde das AVG - mit Ausnahme des § 78 - anzuwenden. Der von dieser Anordnung erfasste § 3 AVG gelangt allerdings erst dann zur Anwendung, wenn die Vorschriften über den Wirkungsbereich der Behörde und die Verwaltungsvorschriften (vgl. § 1 AVG) über die örtliche Zuständigkeit nichts bestimmen ().
18 Dem Verwaltungsgericht ist zunächst darin beizupflichten, dass die Normen betreffend die "Zuständigkeit der Agrarbehörde" in §§ 89 ff Sbg. FLG 1973 die örtliche Zuständigkeit mit Blick auf eine Verwaltungsangelegenheit wie die vorliegende nicht regeln;
diese ist somit nach § 3 AVG zu bestimmen.
19 § 3 AVG (in der hier maßgeblichen Fassung des
BGBl. I Nr. 100/2011) lautet:
"§ 3. Soweit die in § 1 erwähnten Vorschriften über
die örtliche Zuständigkeit nichts bestimmen, richtet sich diese
1. in Sachen, die sich auf ein unbewegliches Gut beziehen:
nach der Lage des Gutes;
2. in Sachen, die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer sonstigen dauernden Tätigkeit beziehen: nach dem Ort, an dem das Unternehmen betrieben oder die Tätigkeit ausgeübt wird oder werden soll;
3. in sonstigen Sachen: zunächst nach dem Hauptwohnsitz (Sitz) des Beteiligten, und zwar im Zweifelsfall des belangten oder verpflichteten Teiles, dann nach seinem Aufenthalt, dann nach seinem letzten Hauptwohnsitz (Sitz) im Inland, schließlich nach seinem letzten Aufenthalt im Inland, wenn aber keiner dieser Zuständigkeitsgründe in Betracht kommen kann oder Gefahr im Verzug ist, nach dem Anlaß zum Einschreiten; kann jedoch auch danach die Zuständigkeit nicht bestimmt werden, so ist die sachlich in Betracht kommende oberste Behörde zuständig."
20 2.2. Die Beurteilung der den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildenden Verwaltungsangelegenheit erfordert einen Rückgriff auf das in der Sache anzuwendende Recht (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG2 Rz 4 zu § 3). Die gegenständliche Verwaltungsangelegenheit ist durch die verfahrenseinleitenden Beschwerden des Erstmitbeteiligten gemäß § 40 Abs. 6 Sbg. FLG 1973 gegen zwei Beschlüsse der Vollversammlung der Zweitmitbeteiligten vom gekennzeichnet. Nach dem materiellen Recht maßgeblicher Maßstab der Beurteilung der beiden inkriminierten Beschlüsse war zufolge § 40 Abs. 6 fünfter Satz Sbg. FLG 1973, ob diese gegen die in § 40 Abs. 4 Sbg. FLG 1973 genannten Vorschriften verstießen und ob sie wesentliche Interessen des Erstmitbeteiligten verletzten.
21 Auch wenn sich die genannten Beschlüsse der Vollversammlung der Agrargemeinschaft mit einem sogenannten "Einkauf" in ein Wegenetz der ÖBf AG (zwecks besserer Bewirtschaftung des Agrargemeinschaftsgebietes) und der Aufteilung der damit verbundenen Kosten befassten, so bezog sich die durch die verfahrenseinleitenden Beschwerden des Erstmitbeteiligten umrissene Verwaltungssache - worauf die Revisionswerberin zutreffend hinweist - doch nicht unmittelbar auf ein "unbewegliches Gut" im Sinn des § 3 Z 1 AVG, sondern auf die Willensbildung der Zweitmitbeteiligten im Rahmen des ihr nach dem Gesetz und weiteren Rechtsvorschriften zukommenden Tätigkeitsbereiches.
22 Die örtliche Zuständigkeit der Agrarbehörde zur Entscheidung der vorliegenden Verwaltungssache ist somit - entgegen der dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegenden Auffassung - nicht nach § 3 Z 1 AVG zu beurteilen. (Angemerkt sei, dass dem vom Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang erwähnten hg. Erkenntnis 2004/07/0145 eine mit der vorliegenden nicht vergleichbare Verwaltungssache - nämlich Verfahren über Anträge auf Ausscheidung von Liegenschaften aus einer Agrargemeinschaft - zugrunde lag.)
23 2.3. Die somit - als weitere lex specialis gegenüber § 3 Z 3 AVG (vgl. dazu Hengstschläger/Leeb, AVG2 Rz 2 zu § 3) - in den Blick zu nehmende Bestimmung des § 3 Z 2 AVG stellt auf Verwaltungssachen ab, "die sich auf den Betrieb eines Unternehmens oder einer sonstigen dauernden Tätigkeit beziehen".
24 Der Betrieb bzw. der Tätigkeitsbereich einer Agrargemeinschaft umfasst zum einen die Rechtsausübung (durch die Mitglieder) auf den agrargemeinschaftlichen Grundflächen, zum anderen aber die Abwicklung der inneren Organisation, wozu insbesondere die Wahl oder die Willensbildung der eingerichteten Organe der Agrargemeinschaft gehört. In diesem Sinn stellen auch Beschlussfassungen von Agrargemeinschaftsorganen dauernde Tätigkeiten der Agrargemeinschaft dar.
25 Die fallbezogen zu beurteilende Verwaltungssache, also die Prüfung der Beschlussfassung der Vollversammlung der Agrargemeinschaft, bezieht sich daher auf eine "sonstige dauernde Tätigkeit" der Agrargemeinschaft im Sinne des § 3 Z 2 AVG.
26 Entscheidend für die im vorliegenden Revisionsfall strittige Frage der örtlichen Zuständigkeit ist somit der Ort, an dem "die Tätigkeit ausgeübt wird"; als dieser Ort ist im Fall einer Agrargemeinschaft deren Sitz anzunehmen, weshalb die AB in ihrem Bescheid vom zu Recht ihre Zuständigkeit zur Entscheidung über die vom Erstmitbeteiligten erhobenen Beschwerden - ohne eine territoriale Einschränkung auf den im Bundesland Salzburg gelegenen Teil des Agrargemeinschaftsgebietes der Zweitmitbeteiligten - in Anspruch genommen hat.
27 3. Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher im Umfang der Anfechtung durch die Revision als inhaltlich rechtswidrig; da die Revisionssache entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt, war das angefochtene Erkenntnis - wie aus dem Spruch ersichtlich - gemäß § 42 Abs. 4 VwGG abzuändern.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017070017.J00 |
Schlagworte: | örtliche Zuständigkeit |
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