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VwGH vom 29.03.2012, 2009/15/0178

VwGH vom 29.03.2012, 2009/15/0178

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Zorn, Dr. Büsser, MMag. Maislinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Finanzamtes Kufstein Schwaz in 6333 Kufstein, Oskar-Pirlo-Straße 15, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Feldkirch, vom , Zl. RV/0165-F/08, miterledigt RV/166-F/08, betreffend Einkommensteuer 1998 und 1999 und Umsatzsteuer 1997 bis 2000 (mitbeteiligte Partei: K F in G), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte erklärte in den Einkommensteuererklärungen 1997 bis 2000 - neben positiven anderen Einkünften - Verluste aus Vermietung und Verpachtung. Im Hinblick auf diese Vermietung gab er dem Finanzamt in den Umsatzsteuererklärungen 1997 bis 1999 jeweils Vorsteuerüberhänge bekannt, in der Umsatzsteuererklärung 2000 eine Zahllast von ca 2.000 S.

In den Einkommensteuerbescheiden 1997 bis 2000 behandelte das Finanzamt die Betätigung (Vermietung) als Einkunftsquelle, indem es die erklärten Verluste bei Ermittlung des Einkommens zum Ansatz brachte. Für die Jahre 1998 bis 2000 erfolgte dabei die Einkommensteuerfestsetzung vorläufig iSd § 200 Abs. 1 BAO.

Die Veranlagung zur Umsatzsteuer 1997 bis 2000 erfolgte erklärungsgemäß, allerdings mit gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufigen Bescheiden.

Auch für die Jahre 2001 bis 2004 ergingen gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufige Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide, in denen die Vermietung als Einkunftsquelle bzw. als umsatzsteuerpflichtige Leistung behandelt wurde. Gleiches erfolgte - mit Bescheiden vom - für das Jahr 2005.

Mit Vorhalt vom wandte sich das Finanzamt an den Mitbeteiligten. Im Vorhalt wurde ausgeführt, dass seit Beginn der Vermietung im Jahr 1997 stets Verluste erklärt worden seien. Es möge anhand einer Prognoserechnung bekannt gegeben werden, wann mit einem positiven Gesamtergebnis gerechnet werden könne. Es möge auch die Art der Vermietung (Fremdenzimmer oder Ferienwohnung oder Dauervermietung) dargestellt werden.

In Beantwortung des Vorhalts teilte der Mitbeteiligte mit Schreiben vom mit, es sei richtig, dass er seit Beginn der Vermietung im Jahr 1997 Verluste erzielt habe. Diese hätten bis zum Jahr 2005 die Summe von ca. 7.000 EUR erreicht. In den Jahren 1998 bis 2003 seien Jahresumsätze zwischen 6.000 EUR und 7.800 EUR erwirtschaftet worden. In den Jahren 2004 und 2005 sei ein Umsatzeinbruch durch das Ausbleiben von Stammgästen eingetreten. Dieser Trend sei dann gestoppt worden, sodass für das Jahr 2006 Erlöse von 7.200 EUR erwartet würden. Es werde für die Zukunft wieder mit Einnahmen in dieser Höhe gerechnet, was bis zum Jahr 2010 zu einem "Gesamtgewinn" führe. Die Betätigung stelle sich als Vermietung von zwei Ferienwohnungen dar. Die eine Wohnung sei mit zwei Betten ausgestattet, die andere mit vier Betten.

Als Beilage legte der Mitbeteiligte eine Prognoserechnung über den Zeitraum 1997 bis 2010 (also von 14 Jahren) vor, welche einen Gesamt-Einnahmenüberschuss von ca. 2000 EUR ausweist.

Nach Einlangen der Steuererklärungen 2006 wurde im Akt des Finanzamtes der Aktenvermerk von verfasst, der auszugsweise folgenden Inhalt aufweist:

"Nach Abgabe der Steuererklärungen 2006, die wieder ein negatives Ergebnis aufweisen, wurde mit dem Steuerberater telefonisch mitgeteilt, dass es sich nach Ansicht des Finanzamtes um keine Einkunftsquelle handelt. Auch laut Steuerberater handelt es sich um keine Einkunftsquelle."

In der Folge erließ das Finanzamt mit Ausfertigungsdatum gemäß § 200 Abs. 2 BAO endgültige Einkommensteuerbescheide 1998 bis 2005, in denen die Einkunftsquelleneigenschaft der Vermietungstätigkeit verneint wurde. Zugleich ergingen endgültige Bescheide betreffend Umsatzsteuer 1997 bis 2005, mit denen die Betätigung als Liebhaberei beurteilt wurde. Zur Begründung wurde ausgeführt, seit Beginn der Vermietung im Jahr 1997 seien stets Verluste erzielt worden. Es sei damit nicht sicher gewesen, ob die Betätigung eine Einkunftsquelle darstelle. Die Verwaltungspraxis des Finanzamtes habe auf diese Unsicherheit mit vorläufigen Bescheiden reagiert. Aufgrund der Vorhaltsbeantwortung vom August 2006, den Steuererklärungen 2006 und der "Absprache" mit dem Steuerberater des Mitbeteiligten stelle sich heraus, dass keine Einkunftsquelle vorliege. Da somit die Ungewissheit beseitigt sei, würden die vorläufigen Bescheide durch endgültige ersetzt.

Mit Ausfertigungsdatum ergingen auch für das Jahr 2006 Bescheide betreffend Einkommen- und Umsatzsteuer, welche von Liebhaberei ausgingen.

Gegen die endgültigen Bescheide betreffend Umsatzsteuer 1997 bis 2000 sowie Einkommensteuer 1998 bis 2000 erhob der Mitbeteiligte Berufung. Er brachte vor, die bekämpften Bescheide seien unter Anwendung der Bestimmung des § 200 Abs. 2 BAO erlassen worden. Die vorläufigen Bescheide des Finanzamtes hätten keine Begründung aufgewiesen. § 200 Abs. 2 BAO stelle in jenen Fällen, in denen trotz Fehlens einer Ungewissheit vorläufige Bescheide ergangen seien, keine Rechtsgrundlage für eine Ersetzung dieser Bescheide durch endgültige Bescheide dar, weil die Anwendung dieser Bestimmung die Beseitigung einer Ungewissheit voraussetze. Im Übrigen sei die erstmalige Abgabenfestsetzung für die Streitjahre auch wegen bereits eingetretener Verjährung nicht möglich.

In den abweisenden Berufungsvorentscheidungen betreffend Umsatzsteuer 1997 bis 2000 und Einkommensteuer 1998 bis 2000 verwies das Finanzamt darauf, dass Bescheide gemäß § 200 Abs. 2 BAO auch dann ergehen dürften, wenn es zutreffen sollte, dass bei Erlassung des ursprünglichen Bescheides gar keine Ungewissheit bestanden habe. Im gegenständlichen Fall habe aber bei Erlassung der vorläufigen Bescheide ohnedies Ungewissheit über die Einstufung der Vermietungstätigkeit bestanden. Diese Ungewissheit sei durch die Vorhaltsbeantwortung und die Abgabe der Steuererklärungen für 2006 beseitigt worden.

Der Mitbeteiligte beantragte (hinsichtlich Umsatzsteuer 1997 bis 2000 und Einkommensteuer 1998 bis 2000) die Vorlage der Berufung an die Abgabenbehörde zweiter Instanz.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung hinsichtlich Umsatzsteuer 1997 bis 2000 und Einkommensteuer 1998 und 1999 Folge und hob die bekämpften Bescheide des Finanzamtes auf. Über die Berufung betreffend Einkommensteuer 2000 spricht der angefochtene Bescheid nicht ab.

In der Bescheidbegründung wird im Wesentlichen ausgeführt, den vorläufigen Bescheiden seien keinerlei Ermittlungen des Finanzamtes vorausgegangen. Die vorläufigen Bescheide des Finanzamtes enthielten auch keine Begründung dafür, dass noch eine Ungewissheit bestehe. Endgültige Bescheide iSd § 200 Abs. 2 BAO dürften allerdings auch dann ergehen, wenn die Erlassung des vorläufigen Bescheides zu Unrecht erfolgt sein sollte (Hinweis auf Stoll , BAO-Kommentar, 2114 f). Den Grund dafür bildeten die Rechtskraft der vorläufigen Abgabenfestsetzung einerseits und das Grundprinzip des abschließenden Erledigungsgebotes andererseits.

Allerdings sei bei Erlassung der endgültigen Bescheide auch auf die Festsetzungsverjährung Bedacht zu nehmen. Der Beginn der Verjährung richte sich nach § 208 Abs. 1 lit. a BAO, wenn ein vorläufiger Bescheid erlassen worden sei, obwohl Ungewissheit nicht bestanden habe. Die allgemeine Verjährungsfrist von fünf Jahren werde gemäß § 209 Abs. 1 BAO idF AbgÄG 2004 durch die Zustellung des vorläufigen Bescheides um ein Jahr auf sechs Jahre verlängert. Es sei daher zu prüfen, ob die endgültigen Bescheide vom innerhalb der sechsjährigen Verjährung ergangen seien. Das sei nicht der Fall, wie sich dies aus folgender tabellarischen Darstellung zeige:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
Bescheide
Vorläufige Festsetzung
Ablauf der Verjährung
Endgültige Festsetzung
U 97
U 98
E 98
U 99
E 99
U 2000

Der Eintritt der Verjährung stehe daher den endgültigen Bescheiden entgegen, weshalb diese ersatzlos aufzuheben seien.

Gegen diesen Bescheid hat das Finanzamt gemäß § 292 BAO Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof erhoben. Die Anfechtungserklärung bezieht sich auf den Zeitpunkt des Verjährungseintrittes. In der Beschwerde wird vorgebracht, ein endgültiger Abgabenbescheid könne auch dann nach einem vorläufigen Abgabenbescheid ergehen, wenn dieser zu Unrecht als "vorläufiger" ergangen sein sollte. Es könne daher dahingestellt bleiben, ob das Finanzamt seinerzeit die Bescheide zu Unrecht vorläufig erlassen habe. Es sei auch nicht entscheidend, ob eine Ungewissheit in den Bescheidbegründungen der seinerzeitigen, vorläufigen Abgabenbescheide erläutert oder eine Begründung hiefür allenfalls auch rechtswidrig unterlassen worden sei, stelle doch gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO alleiniges Merkmal für den Verjährungsbeginn die Beseitigung der Ungewissheit iSd § 200 BAO dar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 200 Abs. 1 BAO kann die Abgabenbehörde die Abgaben vorläufig festsetzen, wenn die Abgabepflicht nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens zwar noch ungewiss, aber wahrscheinlich oder wenn der Umfang der Abgabepflicht ungewiss ist.

Die Ungewissheit iSd § 200 BAO ist eine solche im Tatsachenbereich, welche im Ermittlungsverfahren noch nicht beseitigbar ist (vgl. Ritz , BAO4, § 200 Tz 3f).

Gemäß § 207 Abs. 1 BAO unterliegt das Recht, eine Abgabe festzusetzen, der Verjährung. Gemäß § 207 Abs. 2 BAO beträgt die Verjährungsfrist - von im Beschwerdefall nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen - fünf Jahre.

Die Verjährung beginnt gemäß § 208 Abs. 1 lit. a BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem der Abgabenanspruch entstanden ist. Gemäß § 208 Abs. 1 lit. d BAO beginnt sie allerdings in den Fällen des § 200 BAO mit dem Ablauf des Jahres, in dem die Ungewissheit beseitigt wurde.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , 2010/15/0164) kann ein endgültiger Bescheid nach § 200 Abs. 2 BAO auch dann ergehen, wenn die Erlassung des (rechtskräftigen) vorläufigen Bescheides erfolgt ist, obwohl eine Ungewissheit nicht bestanden hat.

Wird eine Abgabe gemäß § 200 Abs. 1 BAO vorläufig festgesetzt und erwächst ein derartiger Bescheid in Rechtskraft, ist in der Folge auch für die Frage, mit welchem Zeitpunkt die Verjährung beginnt, von der Ungewissheit im Sinne des § 200 Abs. 1 BAO bei Bescheiderlassung auszugehen. Dies hat zur Folge, dass der Verjährungsbeginn nach der Regelung des § 208 Abs. 1 lit. d BAO bestimmt wird und keinesfalls vor dem Zeitpunkt der Erlassung des vorläufigen Abgabenbescheides liegen kann (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2008/15/0328, und vom , 2007/15/0061).

Die Vermietung stellt eine Einkunftsquelle dar, wenn diese Betätigung objektiv geeignet ist, innerhalb eines absehbaren Zeitraumes einen Gesamt-Einnahmenüberschuss zu erwirtschaften. Ob die Vermietung tatsächlich geeignet ist, im angesprochenen Zeitrahmen einen solchen Überschuss zu erzielen, ist eine auf der Ebene der Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung zu lösende Tatfrage (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2007/15/0054). Der Fristenlauf iSd § 208 Abs. 1 lit. d BAO setzt nicht vor Ablauf des Jahres ein, in welchem die Ungewissheit über die objektive Ertragsfähigkeit weggefallen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2009/15/0053), wobei zur Bestimmung dieses Zeitpunktes, da die Ungewissheit iSd § 200 BAO eine solche im Tatsachenbereich ist, welche in einem Ermittlungsverfahren noch nicht beseitigbar gewesen ist, auf ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren abzustellen ist.

Weder dem angefochtenen Bescheid noch dem Verwaltungsakt ist zu entnehmen, aufgrund welcher Überlegungen die streitgegenständliche Betätigung überhaupt als Liebhaberei beurteilt worden ist. Die Rechtsordnung bietet keine Handhabe dafür, dass das Finanzamt durch "Absprache" mit dem Steuerpflichtigen oder dessen steuerlichen Vertreter festlegt, dass eine Betätigung als Liebhaberei behandelt wird.

Unabhängig davon, ob die Vermietung vor dem begonnen hat oder nicht (vgl. dazu § 8 Abs. 3 LVO 1993 idF BGBl. II Nr. 358/1997 und BGBl. II Nr. 15/1999) ist von Bedeutung, ob die Vermietung in der in den Jahren 1997 bis 2000 praktizierten Bewirtschaftungsart geeignet gewesen ist, einen Gesamt-Einnahmenüberschuss innerhalb eines absehbaren Zeitraumes von 20 Jahren abzuwerfen (vgl. § 2 Abs. 4 LVO 1993 idF BGBl. II Nr. 358/1997, und beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , 2005/14/0125). Überlegungen dazu, ob ein Gesamtüberschuss innerhalb eines solchen Zeitraumes aus der konkreten Vermietung zu erzielen ist, sind im Verwaltungsverfahren nicht (nachvollziehbar) angestellt worden, weil sich das Finanzamt lediglich mit einer Prognose über einen Zeitraum von 14 Jahren befasst hat.

Erst wenn festgestellt ist, ob es überhaupt zutrifft, dass die Vermietung - in der in den Jahren 1997 bis 2000 gewählten Bewirtschaftungsart - nicht geeignet gewesen ist, innerhalb eines absehbaren Zeitraumes einen Gesamt-Einnahmenüberschuss abzuwerfen, könnte die Feststellung getroffen werden, ab welchem Zeitpunkt die Behörde zu diesem Ergebnis hätte gelangen können. Nur aufgrund solcher Feststellungen, die zu treffen unterlassen worden ist, kann beurteilt werden, ob der Beginn der Verjährung iSd § 208 Abs. 1 lit. d BAO später eingesetzt hat als mit Ablauf des Jahres der Erlassung der vorläufigen Bescheide.

Sachverhaltsfeststellungen zur Frage, ob Liebhaberei vorliegt, und gegebenenfalls in der Folge zu treffende Feststellungen über den Zeitpunkt des Eintrittes ihrer Erkennbarkeit hat die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage unterlassen, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben war.

Wien, am