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VwGH vom 28.10.2015, Ra 2015/08/0103

VwGH vom 28.10.2015, Ra 2015/08/0103

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldstätten und den Hofrat Dr. Strohmayer als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Revision der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft in Wien, vertreten durch Bachmann Bachmann, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Opernring 8, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. G305 2005287-1/6E, betreffend Beiträge nach dem GSVG (weitere Partei: Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz; mitbeteiligte Partei: W G in M, vertreten durch die Eisenberger Herzog Rechtsanwalts GmbH in 1100 Wien, Wienerbergstraße 11), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Antrag der revisionswerbenden Partei auf Zuerkennung von Aufwandersatz wird abgewiesen.

Begründung

Die revisionswerbende Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (im Folgenden: SVA) stellte mit Bescheid vom gegenüber dem Mitbeteiligten die endgültigen Beitragsgrundlagen gemäß § 25 Abs. 5 GSVG in der Kranken- und Pensionsversicherung fest und verpflichtete ihn zur Zahlung der näher bezifferten Beitragsnachforderung.

Begründend stellte die SVA fest, dass der Mitbeteiligte laut Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2008 vom Einkünfte aus selbständiger Arbeit in der Höhe von EUR 16.200,-- erzielt habe; dazu seien laut Abänderungsbescheid vom ausländische Einkünfte (Progressionseinkünfte) in der Höhe von EUR 69.224,50 gekommen. Damit werde die für Versicherte nach § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG geltende Versicherungsgrenze nach § 4 Abs. 1 Z 5 GSVG (EUR 6.453,23 für das Jahr 2008) deutlich überschritten.

Der ständige Wohnsitz und der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Mitbeteiligten seien im Jahr 2008 in Österreich gelegen. Hier habe er auch zumindest einen Teil seiner Arbeitsleistung erbracht. Der Firmensitz seiner Unternehmen liege in der Slowakei. Dort sei er zu gleichen Teilen mit seiner Ehefrau an der I. SLK k.s. und der I. s.r.o. beteiligt. Nach dem vorgelegten Gesellschaftsvertrag über die Gründung der Kommanditgesellschaft I. SLK k.s. sei deren Komplementär die I. s.r.o., die durch den Mitbeteiligten und seine Ehefrau als geschäftsführende Gesellschafter vertreten werde. Diese seien auch Kommanditisten der I. SLK k.s. mit einer Beteiligung von je 50%.

Der Mitbeteiligte sei im Jahr 2008 schon auf Grund der von ihm erzielten Einkünfte aus selbständiger Arbeit der Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG und der Beitragspflicht gemäß §§ 27 ff GSVG unterlegen. Für die Ermittlung der Beitragsgrundlagen seien außerdem auch die im Einkommensteuerbescheid 2008 ausgewiesenen Progressionseinkünfte aus der Beteiligung an der I. SLK k.s. zu berücksichtigen. Es handle sich - zufolge der näher beschriebenen rechtlichen Einflussmöglichkeiten auf die gewöhnlichen Geschäfte der I. SLK k.s. - um eine in der Slowakei ausgeübte Erwerbstätigkeit, die nicht bereits die Pflichtversicherung nach einem anderen Sozialversicherungsgesetz begründe.

Die Anwendbarkeit österreichischen Sozialversicherungsrechts leitete die SVA aus Art. 14a Abs. 2 der Verordnung (EWG) 1408/71 ab, wonach eine Person, die eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats unterliegt, in dem sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt.

Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Einspruch, in dem er vorbrachte, nur ein "kapitalistischer" Kommanditist zu sein. Außerdem habe er im Jahr 2008 nur noch geringe Einkünfte in Österreich erzielt. Die am in Kraft getretene Verordnung (EG) 883/2004 bestimme, dass jemand bei einer in mehreren Mitgliedstaaten ausgeübten selbständigen Tätigkeit nur dann dem Sozialversicherungsrecht des Wohnsitzstaates unterliege, wenn er dort einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausübe.

Mit dem angefochtenen Beschluss behob das Bundesverwaltungsgericht, auf das gemäß Art. 151 Abs. 51 Z 8 B-VG die Zuständigkeit zur Entscheidung übergegangen war, gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG den Bescheid der SVA und verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an diese zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

In der Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht von der Anwendbarkeit der Verordnung (EG) 883/2004 aus. Nach deren Art. 13 Abs. 2 unterliegt eine Person, die in zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats, wenn sie dort einen wesentlichen Teil ihrer Tätigkeit ausübt. Ausgehend davon führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich die SVA mit der "Herkunft" der vom Mitbeteiligten erzielten Einkünfte und mit der Frage, in welchem der beiden Mitgliedstaaten er welche Tätigkeiten ausgeübt habe sowie in welchem Mitgliedstaat er den wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausgeübt habe, nicht auseinandergesetzt und keine entsprechenden Feststellungen getroffen habe. Die Feststellung, dass sich der ständige Wohnsitz des Mitbeteiligten und der Mittelpunkt seiner Lebensinteressen im Jahr 2008 in Österreich befunden hätten und dass er hier zumindest einen Teil seiner Arbeitsleistung erbracht habe, genüge nicht, zumal österreichisches Sozialversicherungsrecht nur dann zur Anwendung komme, wenn der wesentliche Teil der selbständigen Tätigkeit auch in Österreich ausgeübt worden sei. Im nunmehr nachzuholenden Verfahren werde sich die SVA mit den aufgeworfenen Fragen zu befassen haben.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Erstattung einer Revisionsbeantwortung durch den Mitbeteiligten in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Revision ist entgegen dem den Verwaltungsgerichtshof nicht bindenden Ausspruch nach § 25a Abs. 1 VwGG zulässig, weil das Bundesverwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist. Entgegen dem Vorbringen des Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung wird das - angesichts der auf der Hand liegenden, in den Revisionsgründen näher erläuterten Verkennung der Rechtslage durch das Bundesverwaltungsgericht - in der Zulässigkeitsbegründung der Revision (gerade noch) ausreichend dargelegt.

Das Bestehen oder Nichtbestehen der Pflichtversicherung ist sowohl hinsichtlich der Sach- als auch hinsichtlich der Rechtslage zeitraumbezogen zu beurteilen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes etwa die Erkenntnisse vom , Zl. 2000/08/0161, VwSlg. 15864 A, und vom , Zl. 2007/08/0290).

Im vorliegenden Fall waren die Beitragspflicht und als Vorfrage die Pflichtversicherung des Mitbeteiligten im Jahr 2008 zu beurteilen. In diesem Zeitraum stand die vom Bundesverwaltungsgericht für die Frage der Anwendbarkeit österreichischen Sozialversicherungsrechts als maßgeblich erachtete Verordnung (EG) 883/2004 noch nicht in Geltung; sie galt nach ihrem Art. 91 in Verbindung mit Art. 97 der Durchführungsverordnung (Verordnung (EG) 987/2009) erst ab dem . Auch aus den Übergangsbestimmungen des Art. 87 der Verordnung (EG) 883/2004 ergibt sich nicht, dass sie für die Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften in vor ihrem Inkrafttreten liegenden Zeiträumen heranzuziehen wäre, im Gegenteil: Nach Art. 87 Abs. 8 sind die nach der (Vorgänger )Verordnung (EWG) 1408/71 anzuwendenden Rechtsvorschriften bei gleichbleibendem Sachverhalt für einen Zeitraum von zehn Jahren weiterhin maßgeblich, wenn die betreffende Person nicht beantragt, (pro futuro) den nach der Verordnung (EG) 883/2004 anzuwendenden Rechtsvorschriften unterstellt zu werden.

Für die Beurteilung, ob der Mitbeteiligte im Jahr 2008 österreichischem Sozialversicherungsrecht unterlag, war daher die Verordnung (EWG) 1408/71 maßgeblich. Nach deren Art. 14a Abs. 2 unterliegt eine Person, die eine selbständige Tätigkeit gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausübt, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt. Die SVA hat - vom Mitbeteiligten unbekämpft - festgestellt, dass er im Jahr 2008 seinen Hauptwohnsitz und Lebensmittelpunkt in Österreich hatte und hier jedenfalls einen Teil seiner Tätigkeit ausgeübt hat. Diese Feststellungen waren ausreichend, um nach der Verordnung (EWG) 1408/71 die Anwendbarkeit österreichischen Sozialversicherungsrechts zu begründen.

Die vom Bundesverwaltungsgericht vermissten Feststellungen zum "wesentlichen Teil" der Tätigkeit des Mitbeteiligten wären nur nach der für das Jahr 2008 noch nicht geltenden Verordnung (EG) 883/2004 erforderlich gewesen.

Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der revisionswerbenden SVA war kein Aufwandersatz zuzusprechen, weil sie selbst Rechtsträger im Sinn des § 47 Abs. 5 VwGG ist (vgl. idS auch die hg. Erkenntnisse vom , Ra 2014/08/0005, und vom , Ra 2014/08/0011).

Wien, am