VwGH vom 04.03.2009, 2009/15/0024
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok und Dr. Zorn als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde des Kvereins in W, vertreten durch Dr. Robert Mahr, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Spiegelgasse 19, gegen den Bescheid der Abgabenberufungskommission der Bundeshauptstadt Wien vom , ABK - 392/08, betreffend u.a. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Aus der Beschwerde und dem angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde dem Beschwerdeführer Vergnügungssteuer vorgeschrieben.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Berufungsvorentscheidung vom abgewiesen. Die Zustellung erfolgte an den steuerlichen Vertreter des Beschwerdeführers. Die Frist für die Einbringung des Antrages auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz verstrich ungenutzt.
Mit Eingabe vom beantragte der Beschwerdeführer die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 240 Abs. 1 WAO.
Mit Bescheid des Magistrates vom wurde der Wiedereinsetzungsantrag abgewiesen.
Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid als unbegründet ab. In der Begründung führt sie aus, der Beschwerdeführer habe den Wiedereinsetzungsantrag auf folgendes Vorbringen gestützt:
In der Kanzlei seines steuerlichen Vertreters unterliege die Fristenevidenz einer Kontrolle, die von drei Personen (Steuerberater, Sachbearbeiter und Kanzleileiterin) unabhängig voneinander wahrgenommen werde. Am Tag der Zustellung der Berufungsvorentscheidung (Freitag, der ) seien allerdings sowohl der verantwortliche Steuerberater als auch dessen Kanzleileiterin und auch der zuständige Sachbearbeiter ortsabwesend gewesen. Daher habe am die Sekretariatshilfe, Frau SO, die Berufungsvorentscheidung von der Post übernommen. Nachdem Frau SO erfahren habe, dass die Kanzleileiterin sich auch noch für den folgenden Montag frei genommen habe, habe sie sich entschlossen, die Berufungsvorentscheidung dem zuständigen Sachbearbeiter - dieser "fungiere" als freier Mitarbeiter in seinem eigenen Büro - per Telefax zu senden. Dabei sei ihr nicht bekannt gewesen, dass sich der Sachbearbeiter am Montag, dem , ganztätig in einer anderen Stadt aufhalte. Für Frau SO sei es auch nicht vorhersehbar gewesen, dass der Sachbearbeiter trotz bestätigter Faxsendung aus technischen Gründen keine Kenntnis von der Berufungsvorentscheidung erlange. Sie habe daher die Berufungsvorentscheidung im Klientenakt abgelegt und es unterlassen, die Kanzleileiterin über das eingegangene Poststück zu informieren. Erst im Zuge der Bearbeitung des Klientenaktes am sei die Berufungsvorentscheidung aufgefunden worden. Es liege kein Auswahl- oder Überwachungsverschulden vor, weil Frau SO ja schon seit Jahren verlässlich in der Steuerberatungskanzlei arbeite.
Auf Anfrage der belangten Behörde habe der Sachbearbeiter bestätigt, das er am 4. und ortsabwesend gewesen sei und dass sich das die Berufungsvorentscheidung enthaltende Fax nicht unter den am ausgedruckten Faxmitteilungen befunden habe. Dem Ersuchen der belangten Behörde, einen Protokollauszug des Faxgerätes zu übermitteln, sei er nicht nachgekommen und habe mitgeteilt, dass die Auszüge aus dem Faxgerät nicht gesammelt würden.
Die belangte Behörde vertrete die Ansicht, dass es nach den dargestellten Organisationsabläufen im Urlaubsfall dem Steuerberater oblegen wäre, für entsprechende Stellvertretungsregelungen zu sorgen, um die Versäumung von Fristen zu verhindern. Die Sekretariatshilfe, die im gegenständlichen Fall an Stelle der Kanzleileiterin die Berufungsvorentscheidung entgegen genommen habe, sei offensichtlich nicht mit der Fristenevidenz in einer Steuerberatungskanzlei vertraut gewesen. Sie habe das Schriftstück per Fax an den Sachbearbeiter übermittelt und sodann abgelegt. Daraus sei ersichtlich, dass das Kontroll- und Überwachungssystem der Kanzlei lückenhaft und die Stellvertreterregelung nicht ausreichend gewesen sei. Aufgabe eines geschulten Stellvertreters der Kanzleileiterin wäre es gewesen, die Frist im Kanzleikalender und am Poststück zu vermerken und die Kanzleileiterin über die in ihrer Abwesenheit eingelangten Schriftstücke zu informieren sowie bei Weiterleitung an den Sachbearbeiter nachzuprüfen, ob dieser das Schriftstück erhalten habe. Es habe an der Schulung der Mitarbeiter und an der Einrichtung eines effizienten Kontrollsystems gefehlt. Das Verschulden des steuerlichen Vertreters gehe dabei über den minderen Grad des Verschuldens hinaus.
Es könne dahingestellt bleiben, ob das Versehen der unerfahrenen Mitarbeiterin das Maß der leichten Fahrlässigkeit überstiegen habe. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung des Rechtsmittels sei im gegenständlichen Fall nämlich offenkundig darin gelegen, dass in Abwesenheit des Steuerberaters und seiner Kanzleileiterin niemand für die Fristenverwaltung zuständig gewesen sei. Es komme in einem solchen Fall auch nicht zur Endkontrolle der Erledigungen. Dies deute auf einen schweren Organisationsmangel, der dem Wiederaufnahmewerber zuzurechnen sei und keinesfalls auf einem bloß minderen Grad des Verschuldens beruhe.
In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird vorgebracht, die belangte Behörde habe zu Unrecht die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung als nicht erfüllt erachtet. In der Kanzlei des Steuerberaters des Beschwerdeführers habe die Kanzleileiterin die Fristen in einen Kanzleikalender einzutragen und diesen Vorgang auf dem Poststück zu vermerken. Die Aufgabe des Sachbearbeiters bestehe darin, das jeweilige Poststück auf das Vorhandensein eines Fristenvormerkes und die Richtigkeit der eingetragenen Frist zu prüfen. In weiterer Folge werde das Schriftstück dem Steuerberater in der Postmappe vorgelegt, welcher den Vermerk auf dem Poststück, die Richtigkeit der Frist und die Eintragung im Kanzleikalender überprüfe.
Im gegenständlichen Fall sei die Postsendung am von der Postbevollmächtigten Sekretariatshilfe SO übernommen worden. Der Steuerberater habe sich ab auf Urlaub befunden. Die Kanzleileiterin habe für den einen freien Tag genommen. Die Sekretariatshilfe, Frau SO, habe nicht gewusst, dass sich die Kanzleileiterin auch für den (Montag) frei genommen habe. Frau SO habe sich daher entschlossen, das übernommene Poststück am der Kanzleileiterin vorzulegen. Als aber die Kanzleileiterin am Montag nicht in der Kanzlei erschienen sei, habe Frau SO die Berufungsvorentscheidung per Telefax dem zuständigen Sachbearbeiter, der außerhalb der Kanzleiräumlichkeiten tätig sei, übersendet. Da das Sendeprotokoll eine ordnungsgemäße Übertragung an den Sachbearbeiter bestätigt habe, habe Frau SO die Berufungsvorentscheidung im Klientenakt abgelegt. Frau SO sei nicht bekannt gewesen, dass sich der Sachbearbeiter am in einer anderen Stadt aufgehalten habe. Unvorhersehbar für Frau SO sei auch gewesen, dass das Faxgerät des Sachbearbeiters zum Zeitpunkt der Faxübertragung nicht einsatzfähig gewesen sei, weil die Papierlade nicht ausreichend befüllt gewesen sei. Wenn das Gerät nicht ausreichend mit Papier versorgt sei, werde bloß eine bestimmte Anzahl eingehender Dokumente - beschränkt durch die Speicherkapazität - gespeichert. Es sei in weiterer Folge technisch nicht mehr nachvollziehbar gewesen, ob die am dem Sachbearbeiter übermittelte Berufungsvorentscheidung überhaupt empfangen worden und das Dokument infolge Kapazitätsüberschreitung nicht gespeichert worden sei. Tatsächlich sei sie beim Sachbearbeiter niemals in Papierform ausgedruckt worden. Dieser rein technische Umstand stelle sich für die Sekretariatshilfe als unabwendbares und unvorhersehbares Ereignis dar, welches dazu geführt habe, dass der Vorlageantrag weder von der Kanzleileiterin noch vom Sachbearbeiter oder vom Steuerberater registriert und eingetragen worden sei.
Die Fristversäumnis sei daher ursächlich auf das Verhalten der Hilfskraft zurückzuführen, die zwar Poststücke habe in Empfang nehmen dürfen, im übrigen aber nicht mit der Eintragung von Rechtsmittelfristen befasst gewesen sei. Ihre Aufgabe habe sich darauf beschränkt, Fristensachen entweder der Kanzleileiterin oder dem zuständigen Sachbearbeiter vorzulegen. Das Verhalten der Sekretariatshilfe sei nicht zu beanstanden; sie habe das Schriftstück in Abwesenheit der Kanzleileiterin und des Steuerberaters dem Sachbearbeiter übermittelt. Vorwerfbar sei ihr allenfalls, dass sie das Poststück nach der Faxübermittlung in den Klientenakt eingelegt und die Kanzleileiterin nicht informiert habe. Berücksichtige man aber den Aufgabenkreis der Hilfskraft und ihren Ausbildungsstand, könne dieses Verhalten bestenfalls als minderer Grad des Versehens gewertet werden.
Im Beschwerdefall sei klar, dass alle mit der Fristenevidenz befassten Personen objektiv keine Möglichkeit gehabt hätten, die Zustellung der Berufungsvorentscheidung wahrzunehmen und das Fehlverhalten der Hilfskraft, nämlich das Einlegen in den Klientenakt, zu verhindern.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem nach § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
§ 240 Abs. 1 WAO lautet:
"Gegen die Versäumung einer Frist (§§ 83 bis 85) ist auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Ein minderer Grad des Verschuldens hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht."
Das Verschulden des Vertreters ist dem Verschulden des Vertretenen gleichzuhalten. Hingegen ist das Verschulden von Kanzleiangestellten berufsmäßiger Parteienvertreter nicht schädlich; maßgeblich ist diesfalls, ob den Parteienvertreter ein (den minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden trifft. Der Parteienvertreter hat die Organisation seines Kanzleibetriebes so einzurichten, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen sichergestellt sind (vgl. die bei Ritz, BAO3, § 308 Tz 17ff, angeführte hg. Rechtsprechung)
Wie der Verwaltungsgerichtshof im Beschluss vom , 96/13/0173, zum Ausdruck gebracht hat, ist es zwar im Interesse vernünftiger Rechtsschutzwahrung nicht angezeigt, jedes in der Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters unterlaufene Missgeschick dem Parteienvertreter mit Wirkung für die Partei als ein den Grad minderen Versehens übersteigendes Verschulden zuzurechnen. Dass aber ein einer fristgebundenen Maßnahme potentiell bedürftiges Geschäftsstück in der Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters abgelegt wird, ohne dass der Parteienvertreter selbst es zu Gesicht bekommt und ohne dass es in das Fristenbuch eingetragen wird, ist - so der Verwaltungsgerichtshof im genannten Beschluss - ein Geschehensablauf, der in einem Kanzleibetrieb mit dem zu fordernden Organisationsstandard schlechterdings nicht eintreten können darf.
Im angefochtenen Bescheid ist die belangte Behörde zum Ergebnis gekommen, es sei dem Vertreter des Beschwerdeführers als (den minderen Grad des Versehens übersteigendes) Verschulden vorzuwerfen, dass seine Kanzleiorganisation die vollständige Einhaltung von Fristen nicht gewährleistet. Für den Vertretungsfall (insbesondere Urlaub der Kanzleileiterin) sei nämlich nicht alles vorgekehrt worden, was typischerweise geboten ist, um ein Ereignis der Art hintanzuhalten, wie es dem gegenständlichen Fall zugrunde liegt; deshalb seien die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nach § 240 Abs. 1 WAO nicht erfüllt.
Der Beschwerdeführer hat vorgebracht, dass die Sekretariatshilfe nach der Kanzleiorganisation Poststücke in Empfang nehmen durfte. In einem solchen Fall habe sie Fristensachen entweder der Kanzleileiterin oder dem zuständigen Sachbearbeiter vorlegen müssen.
Abgesehen davon, dass einer Hilfskraft nicht die Unterscheidung zwischen Fristensachen und anderen Poststücken zugemutet werde kann, bedeutet eine solche Kanzleiorganisation, dass im Fall der Abwesenheit der Kanzleileiterin die Hilfskraft ein Posteingangsstück ohne Eintragung in ein Posteingangsbuch dem Sachbearbeiter weiterleitet, und zwar, weil der Sachbearbeiter nicht in der Kanzlei tätig ist, in Räumlichkeiten, die sich außerhalb der Kanzlei befinden. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich, dass es der Kanzleiorganisation nicht widerspricht, Poststücke per Fax dem außerhalb der Kanzleiräumlichkeiten tätigen Sachbearbeiter weiterzuleiten. Dass in einem solchen Vertretungsfall die Hilfskraft die in Empfang genommenen Schriftstücke aufzeichnen muss und diese Aufzeichnungen vom Steuerberater oder von der Kanzleileiterin überprüft werden, ist nach dem Beschwerdevorbringen nicht der Fall. Der Beschwerdeführer behauptet auch nicht, dass der Sachbearbeiter Aufzeichnungen über die per Fax in seine Räumlichkeiten weitergeleiteten Poststücke zu führen hatte. In der Beschwerde bleibt die Feststellung der belangten Behörde, der Sachbearbeiter habe vorgebracht, dass die "Auszüge aus dem Faxgerät nicht gesammelt würden", unwidersprochen.
Solcherart vermag der Verwaltungsgerichtshof der Beurteilung der belangten Behörde, dass die Organisation des Kanzleibetriebes nicht so eingerichtet ist, dass die richtige Vormerkung von Terminen und damit die fristgerechte Wahrnehmung von Fristen auch für den Vertretungsfall sichergestellt ist, nicht entgegen zu treten. Es ist auch nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde diesen Mangel in der Organisation des Kanzleibetriebes dem Parteienvertreter als ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden iSd § 240 Abs. 1 WAO zugerechnet hat. Auf Verschulden der Hilfskraft des Parteienvertreters kommt es nicht an.
Dem Beschwerdevorbringen, keine mit der Fristenevidenz befasste Person hätte objektiv die Möglichkeit gehabt, die Zustellung der Berufungsvorentscheidung wahrzunehmen und das Fehlverhalten der Hilfskraft, nämlich das Einlegen in den Klientenakt, zu verhindern, ist entgegen zu halten, dass die ausnahmslos unverzügliche Eintragung des Einlangens von Sendungen im gegenständlichen Fall der Ablage der Berufungsvorentscheidung im Klientenakt die Wirkung, die Frist für die Einbringung des Vorlageantrages nicht wahren zu können, genommen hätte.
Da bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die vom Beschwerdeführer behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war diese gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen. Wien, am