VwGH vom 26.06.2013, 2009/13/0151
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde der B in G, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RV/3159-W/08, betreffend Einkommensteuer für 2002, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin wohnt in G, ihr Dienstort ist A, wo sie als Bewährungshelferin arbeitet. In ihrer Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2002 machte sie diverse Werbungskosten sowie das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof allein streitgegenständliche "große Pendlerpauschale" für Fahrtstrecken ab 40 km gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit c EStG 1988 geltend.
Bei der Veranlagung zur Einkommensteuer wurde vom Finanzamt u. a. jedoch nicht das Pendlerpauschale für (einfache) Fahrtstrecken von 40 bis 60 km, sondern lediglich jenes für Fahrtstrecken von 20 bis 40 km berücksichtigt.
In der dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, die übliche Strecke von ihrem Wohnsitz zu ihrem Dienstort umfasse rund 43 km und führe von G nach A über Gr, R, S bis zum Kreisverkehr auf die B1 und auf dieser weiter nach A zum Dienstort. Alle Fahrtstrecken, die kürzer als 40 km seien, führten über den Berg H, eine bei schlechter Witterung und im Winter aufgrund erhöhter Unfallgefahr nicht gefahrlos befahrbare, eher abgelegene Strecke, die sich nicht zur täglichen Nutzung durch einen Pendler eigne.
Mit ergänzendem Schriftsatz führte die Beschwerdeführerin aus, dass die Strecke über den H zwar die kürzeste nach A sei und auch der H im Winter im Räumungsplan enthalten sei. Dies sei jedoch frühmorgens, abends und nachts problematisch. Auch sei die Strecke aus ihrer Sicht nicht so gut ausgebaut, wie dies das Finanzamt behaupte. Es handle sich um eine recht kurvenreiche, kleine Landstraße mit fünf Metern Breite, sodass zwei Pkw aneinander vorbeifahren könnten. Bestimmte Streckenabschnitte seien dazu noch sehr steil (14%). Auch seien die bergigen Streckenabschnitte nicht kurz, sondern betrügen rund ein Viertel bis ein Drittel der Gesamtstrecke. Die vom Routenplaner viamichelin vorgegebene kürzeste Strecke führe über kleine Landstraßen und völlig abgelegene Gebiete, die kaum beschildert seien. Die Wegweiser - sofern überhaupt vorhanden - würden zum Teil in ganz andere Richtungen weisen, als die Route vorgebe. Sie habe selbst an einem schönen Tag versucht, diese von Michelin vorgegebene Route bis A zu fahren, es sei ihr jedoch nicht wirklich gelungen. Die ländlichen Gebietsbezeichnungen seien nicht überall ausgeschildert, sodass nur durch Nachfragen bei der ortsansässigen Bevölkerung die richtige Strecke zu finden sei. Von einer ganzjährigen gefahrlosen Nutzbarkeit der Strecke könne schon allein wegen der im Winter widrigen Verhältnisse nicht ausgegangen werden. Ein täglicher Pendler würde aus ihrer Sicht nicht die Strecke über den H wählen, um täglich nach A zu gelangen und schon gar nicht im Winter. Auch außerhalb des Winters sei die Strecke bei schlechten Sicht- bzw. Witterungsverhältnissen nicht gefahrlos befahrbar, insbesondere auch weil es dort häufig neblig und nass sei. Da sie oft spät ihren Dienst beende und dann nachts heimfahren müsse, wäre das Risiko für sie viel zu groß. Wenn das Finanzamt im Vorlagebericht ausführe, dass die Strecke täglich von vielen Fahrzeugen benutzt werde, so könne das nur für die Sommersaison gelten und nicht für Pendler. Der H sei nämlich auch ein sehr beliebtes Ausflugsziel und sie benutze eine Teilstrecke dieser Route gelegentlich. Die Strecke eigne sich aus ihrer Sicht nicht für den permanenten Pendlerverkehr. Sie benutze daher seit dem Beginn ihrer Tätigkeit in A als übliche Pendlerroute die im Vorlageantrag beschriebene Strecke.
Dieses Vorbringen wurde dem Finanzamt mit dem Ersuchen um Stellungnahme zur Kenntnis gebracht. Das Finanzamt bekräftigte daraufhin seine Auffassung. Lasse man die Strecke G - A vom Routenplaner map24 berechnen, werde automatisch die Route über den H ausgegeben. Das Finanzamt gestehe zwar zu, dass der H bei extremen Wettersituationen wegen einiger steiler Streckenabschnitte aus Sicherheitsgründen von manchen Autofahrern umfahren werde, derartige Situationen träfen aber nur an einigen wenigen Tagen im Jahr zu. Es handle sich beim H nämlich um kein Gebirge, sondern um einen Hügel im Alpenvorland, dessen Straße auf nicht einmal 700 m Seehöhe führe. Das Finanzamt gehe grundsätzlich davon aus, dass die Strecke über den H für 95% der Arbeitstage im Jahr die kürzeste, sinnvollste Wegstrecke sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Begründend führte sie hinsichtlich des beantragten Pendlerpauschales aus, der Beschwerdeführerin sei laut dem der Veranlagung zu Grunde gelegten Lohnzettel des Dienstgebers für den Zeitraum bis ein für diesen Zeitraum anteilsmäßiges Pendlerpauschale in Höhe von EUR 1.201,50 gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 für eine einfache Fahrtstrecke über 40 km gewährt worden.
Unter "Fahrtstrecke" sei nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes jene zu verstehen, deren Benutzung mit dem Kfz nach dem Urteil gerecht und billig denkender Menschen für die täglichen Fahrten eines Pendlers sinnvoll ist. Es sei dies jene kürzeste Strecke, die ein Arbeitnehmer für tägliche Fahrten vernünftigerweise wähle. Überflüssige Umwege oder bloß aus persönlicher Vorliebe gewählte Streckenvarianten hätten dabei außer Betracht zu bleiben (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom , 96/14/0002).
Die Beschwerdeführerin fahre laut eigenen Angaben täglich von ihrem Wohnort in G über R und S sowie Bm auf die B1 und weiter nach A. Die Fahrtstrecke bis zu ihrem Arbeitsort betrage 42 km (www.via-michelin.at). Eine kürzere Strecke von G nach A führe über R und den H weiter nach Ef und von dort nach A und betrage 36 km (www.via-michelin.at).
Für die Höhe des Pendlerpauschales komme es nicht darauf an, welche Fahrtstrecke die kürzeste sei, sondern welche ein Pendler vernünftigerweise für seine täglichen Fahrten von der Wohnung zur Arbeitsstätte und zurück wählen werde.
Es stehe fest, dass es sich beim H um eine Erhebung von ca. 700 m handle, für deren Überwindung naturgemäß, gleichgültig von welcher Fahrtrichtung aus betrachtet, eine Steigung zu überwinden sei. Diese stelle sich zwischen der Kuppe und R in Form von drei Kurven und der Kuppe und der Kreuzung F als eine Kurve ("E") dar. Die Straße sei zweispurig ausgebaut, sodass zwei Pkw (und diese würden den H hauptsächlich befahren) problemlos aneinander vorbeifahren könnten. Der Straßenbelag sei in gutem Zustand. Nach Auffassung der belangten Behörde, die durch das persönliche Befahren der Strecke (als Beifahrerin) durch die zuständige Referentin gestützt werde, hindere der Straßenverlauf über den H einen Pendler nicht, diesen für seine täglichen Fahrten zu wählen. Die genannten Kurven würden zwar naturgemäß eine Steigung bzw. ein Gefälle aufweisen, gerade einem Pendler, der täglich, jahraus-jahrein bei jedem Wetter auf der gleichen Strecke mit dem Pkw unterwegs sei, könne aber auch zugemutet werden, Straßen zu befahren, die nicht nur einen ebenen Straßenverlauf aufweisen würden. Ohne Bedeutung müsse es daher in diesem Zusammenhang auch sein, dass eine Strecke von ca. 2 km "über die Kuppe" im Winter nicht mit Salz, sondern mit Splitt gestreut werde. Gleiches gelte für die Behauptung der Beschwerdeführerin bezüglich der besonderen Wetteranfälligkeit des H (Nebel, Schnee). Es sei zwar auf Grund der Erfahrungen des täglichen Lebens vorstellbar, dass auch auf einer Erhebung von "nur" 700 m andere Wetterbedingungen herrschen können als "an deren Fuße". Ein Pendler und damit ortskundiger Fahrer werde jedoch auch mit den dort herrschenden Wetterbedingungen vertraut sein, und könne ihm diesbezüglich so viel Flexibilität zugemutet werden, sein Fahrverhalten an geänderte Wetterverhältnisse anzupassen. Vernünftigerweise nicht befahren werde auch ein Pendler diese Strecke dann, wenn "extreme Wetterverhältnisse" herrschen.
Es möge sein, dass in einzelnen Lohnzahlungszeiträumen auch auf 700 Höhenmetern Wetterbedingungen herrschten, die einen vernünftig denkenden Pendler dazu veranlassen mögen, den H zu umfahren. Dies ändere jedoch nichts an der Tatsache, dass der H grundsätzlich durchgängig als kürzeste, vernünftigerweise zu wählende Strecke befahrbar sei. Ebenso ändere daran nichts der von der Beschwerdeführerin angeführte Umstand, dass es auf dieser Strecke keine Straßenmarkierungen, keine Beleuchtung und keine Wegweiser gebe, weil es solche üblicherweise auf Landstraßen nicht gebe "und von einem ortskundigen Pendler angenommen werden kann, dass er dem Straßenverlauf auch ohne derartige Einrichtungen folgen kann". Demgemäß werde es für einen Pendler auch kein Problem darstellen, bei Dunkelheit über den H zu fahren.
Zusammengefasst komme die belangte Behörde daher zu dem Schluss, dass die Streckenwahl der Beschwerdeführerin, nämlich von ihrem Wohnort in G über S und die B1 nach A zu fahren, einem persönlichen Sicherheitsbedürfnis entspringe, spreche doch die Beschwerdeführerin selbst davon, dass sie sich nicht auf Grund der örtlichen Gegebenheiten und der dort herrschenden Wettersituation sowie mangelnder Straßenbeleuchtung, Bodenmarkierungen und Wegweisern einem permanenten Risiko aussetzen wolle. Solche persönlichen Vorlieben hätten allerdings für die Frage, welche Strecke ein Pendler vernünftigerweise für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wählen werde, keine Bedeutung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Vor dem Verwaltungsgerichtshof ist allein die Frage des Pendlerpauschales und der dabei zu Grunde zu legenden einfachen Fahrtstrecke nach § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 strittig.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom , 96/14/0002, ausgeführt hat, ist unter "Fahrtstrecke" nach § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 jene zu verstehen, deren Benutzung mit dem Kfz nach dem Urteil gerecht und billig denkender Menschen für die täglichen Fahrten eines Pendlers sinnvoll ist. Es ist dies jene kürzeste Strecke, die ein Arbeitnehmer für tägliche Fahrten vernünftigerweise wählt, wobei auch auf die Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs sowie auf die Vermeidung von Lärm und Abgasen im Wohngebiet Bedacht zu nehmen ist. Überflüssige Umwege oder bloß aus persönlicher Vorliebe gewählte Streckenvarianten haben dabei außer Betracht zu bleiben.
Bei der Wahl der Fahrtstrecke kommt demnach Sicherheitsüberlegungen ein hoher Stellenwert zu und stellen diese keine bloßen persönlichen Vorlieben dar. So kann nach dem Urteil gerecht und billig denkender Menschen ein Pendler "vernünftigerweise" durchaus einer nur unwesentlich längeren Fahrtstrecke als Pendlerroute den Vorzug geben, wenn diese besser ausgebaut und aus Sicherheitsgründen vorteilhaft ist.
Wenn die belangte Behörde daher zu dem Schluss kommt, dass eine Streckenwahl "auf Grund der örtlichen Gegebenheiten und der dort herrschenden Wettersituation sowie mangelnder Straßenbeleuchtung, Bodenmarkierungen und Wegweisern" bloß persönlichen Vorlieben der Beschwerdeführerin entspringe, die für die Frage, welche Strecke ein Pendler im Sinne des § 16 Abs. 1 Z 6 lit. c EStG 1988 vernünftigerweise für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte wählen werde, keine Bedeutung hätten, verkennt sie die Rechtslage.
Damit war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG als inhaltlich rechtswidrig aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandsersatzverordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft die Umsatzsteuer, die im Pauschbetrag bereits enthalten ist.
Wien, am