VwGH vom 11.11.2015, Ra 2015/04/0063
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek, die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Mayr, die Hofrätin Mag. Hainz-Sator sowie den Hofrat Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Revisionen 1. der A GmbH und 2. der A B GmbH, beide in G und beide vertreten durch Dr. Frank Riel und Dr. Wolfgang Grohmann, Rechtsanwälte in 3500 Krems, Gartenaugasse 1, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich jeweils vom , 1. Zl. LVwG-AB-14-0120 (protokolliert zur hg. Zl. Ra 2015/04/0063) und 2. Zl. LVwG-AB-14-0121 (protokolliert zur hg. Zl. Ra 2015/04/0064), jeweils betreffend Entziehung der Gewerbeberechtigung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Hollabrunn), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den revisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1.1. Mit Verfahrensanordnungen der Bezirkshauptmannschaft (BH) Hollabrunn vom wurden die revisionswerbenden Parteien als Inhaberinnen der Gewerbe "Handels- und Handelsagentengewerbe" bzw. "Betonwarenerzeuger" jeweils aufgefordert, ihren handelsrechtlichen Geschäftsführer HA innerhalb einer Frist von drei Monaten zu entfernen, widrigenfalls mit der Entziehung der Gewerbeberechtigung vorgegangen werden müsse. Diese auf § 91 Abs. 2 GewO 1994 gestützten Aufforderungen begründete die BH damit, dass HA auf Grund der ihm gegenüber (in dieser Aufforderung bezeichneten) rechtskräftig verhängten Verwaltungsstrafen nicht mehr die für die Ausübung der genannten Gewerbe erforderliche Zuverlässigkeit besitze.
1.2. Mit (im Wesentlichen inhaltsgleichen) Bescheiden der BH vom wurde den revisionswerbenden Parteien gemäß § 91 Abs. 2 iVm § 87 Abs. 1 Z 3 GewO 1994 die Berechtigung zur Ausübung der genannten Gewerbe entzogen.
Begründend führte die BH aus, HA sei im Zeitraum vom bis insgesamt 62 mal wegen Übertretungen gemäß § 66 Abs. 1 Bundesstatistikgesetz 2000 rechtskräftig bestraft worden. Hinzu kämen im Zeitraum vom bis zwei Übertretungen nach dem Mineralrohstoffgesetz, sieben nach dem Kraftfahrgesetz sowie jeweils eine nach dem NÖ Naturschutzgesetz und dem Wasserrechtsgesetz. Ein Verfahren wegen dreimaliger Bestrafung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz sei beim Verwaltungsgerichtshof anhängig. Zwei Verfahren wegen Übertretungen nach dem ASVG seien noch nicht rechtskräftig abgeschlossen. Weiters seien Strafverfahren wegen Übertretung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, dem ASVG und der Gewerbeordnung anhängig. Unabhängig vom Ausgang der noch nicht rechtskräftigen bzw. anhängigen Strafverfahren besitze HA auf Grund der wiederholten rechtskräftigen Bestrafungen nicht mehr die für die Ausübung der Gewerbe erforderliche Zuverlässigkeit. Den Verfahrensanordnungen vom sei innerhalb der festgesetzten Frist nicht entsprochen worden. Laut Firmenbuchauszügen vom habe man HA als handelsrechtlichen Geschäftsführer nicht entfernt.
2. Die gegen diese Bescheide von den revisionswerbenden Parteien erhobenen (und in der Folge als Beschwerden behandelten) Berufungen wies das Verwaltungsgericht mit den angefochtenen Erkenntnissen vom als unbegründet ab.
In der Begründung legte das Verwaltungsgericht seinen Entscheidungen - gestützt auf einen Verwaltungsstrafregisterauszug der BH vom - 37 rechtskräftige Verwaltungsstrafen zu Grunde, die seit Erlassung der angefochtenen Entziehungsbescheide im Zeitraum Februar 2010 bis Juni 2014 gegen HA verhängt worden seien. In den seit der Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides vorliegenden Verfahren seien insgesamt Verwaltungsstrafen in der Höhe von EUR 45.190,-- verhängt worden.
3. Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen.
Das Verwaltungsgericht legte die Akten des Verfahrens vor. Die BH Hollabrunn erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie ausführte, dass seit Erlassung ihrer Entziehungsbescheide vom im Zeitraum Februar 2010 bis Juni 2014 wegen Übertretungen von Rechtsvorschriften durch HA 37 rechtskräftige Verwaltungsstrafen vorlägen, die im Rahmen der gegenständlichen Gewerbeausübung zu beachten seien. Während der Dauer des Rechtsmittelverfahrens seien somit gleichartige Verstöße begangen worden. Diese Tatsache wiege so schwer, dass auch in Zukunft ein vorschriftswidriges Verhalten von HA zu befürchten sei.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtssachen zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über die Revisionen erwogen:
1. Die Zulässigkeit der (im Wesentlichen gleichlautenden) Revisionen wird unter anderem damit begründet, dass das Verwaltungsgericht entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die angefochtenen Entscheidungen allein mit Verwaltungsstrafen begründet habe, die erst nach Ablauf der in der Verfahrensanordnung der BH Hollabrunn den Gewerbetreibenden gesetzten behördlichen Frist verhängt worden seien.
2. Die Revisionen sind zulässig und berechtigt.
2.1. Die relevanten Bestimmungen der Gewerbeordnung 1994 (GewO 1994), BGBl. Nr. 194 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 48/2015, lauten auszugsweise wie folgt:
"§ 87. (1) Die Gewerbeberechtigung ist von der Behörde (§ 361) zu entziehen, wenn
(...)
3. der Gewerbeinhaber infolge schwerwiegender Verstöße gegen die im Zusammenhang mit dem betreffenden Gewerbe zu beachtenden Rechtsvorschriften und Schutzinteressen, insbesondere auch zur Wahrung des Ansehens des Berufsstandes, die für die Ausübung dieses Gewerbes erforderliche Zuverlässigkeit nicht mehr besitzt oder
(...)
Schutzinteressen gemäß Z 3 sind insbesondere die Hintanhaltung der illegalen Beschäftigung, der Kinderpornographie, des Suchtgiftkonsums, des Suchtgiftverkehrs, der illegalen Prostitution sowie der Diskriminierung von Personen aus dem Grund ihrer Rasse, ihrer Hautfarbe, ihrer nationalen oder ethnischen Herkunft, ihres religiösen Bekenntnisses oder einer Behinderung (Art. III Abs. 1 Z 3 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 - EGVG, BGBl. I Nr. 87/2008)."
"§ 91. (1) Beziehen sich die im § 87 Abs. 1 Z 1, 3 und 4 oder im § 88 Abs. 1 genannten Entziehungsgründe auf die Person des Geschäftsführers oder Filialgeschäftsführers, so hat die Behörde (§ 361) die Bestellung des Geschäftsführers oder Filialgeschäftsführers für die Ausübung des Gewerbes zu widerrufen. In diesen Fällen gilt § 9 Abs. 2 nicht.
(2) Ist der Gewerbetreibende eine juristische Person oder eine eingetragene Personengesellschaft und beziehen sich die im § 87 angeführten Entziehungsgründe oder der in § 85 Z 2 angeführte Endigungsgrund sinngemäß auf eine natürliche Person, der ein maßgebender Einfluß auf den Betrieb der Geschäfte zusteht, so hat die Behörde (§ 361) dem Gewerbetreibenden eine Frist bekanntzugeben, innerhalb der der Gewerbetreibende diese Person zu entfernen hat. Hat der Gewerbetreibende die genannte natürliche Person innerhalb der gesetzten Frist nicht entfernt, so hat die Behörde die Gewerbeberechtigung zu entziehen."
2.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in einer Vielzahl von Erkenntnissen mit der Entziehung der Gewerbeberechtigung gemäß § 91 Abs. 2 GewO 1994 auseinandergesetzt und dabei Folgendes festgehalten:
Die in § 91 Abs. 2 GewO 1994 geregelte Entziehung der Gewerbeberechtigung stellt eine Sanktion für die Nichtentfernung der Person, der ein maßgebender Einfluss auf den Betrieb der Geschäfte zusteht, dar; Änderungen im maßgebenden Sachverhalt nach Ablauf der dem Gewerbetreibenden gesetzten behördlichen Frist sind unbeachtlich (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , 2011/04/0197, und vom , 2013/04/0127, jeweils mwN). Die Aufforderung nach § 91 Abs. 2 GewO 1994 hat der Gewerbeentziehung nach dieser Gesetzesstelle voranzugehen und stellt insofern eine Voraussetzung für diese dar. Diese Aufforderung ist mangels eines rechtserzeugenden oder rechtsfeststellenden Inhalts kein Bescheid. Dem Rechtsschutzbedürfnis dessen, dem bei nicht fristgerechter Befolgung der Aufforderung die Gewerbeberechtigung entzogen wird, ist jedoch Rechnung getragen, wenn er die Rechtmäßigkeit der Aufforderung, also auch die dafür bestimmenden Gründe, im sodann folgenden Entziehungsverfahren geltend machen sowie den (allenfalls) ergangenen Entziehungsbescheid (auch) aus diesen Gründen im Rechtsmittelweg bekämpfen kann. Aus dem akzessorischen Charakter einer Entziehung nach § 91 Abs. 2 GewO 1994 folgt aber auch, dass diese nicht auf einen Entziehungstatbestand gegründet werden darf, der nicht Gegenstand der vorausgegangenen Aufforderung war (siehe das hg. Erkenntnis vom , 2008/04/0213, mit Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , 94/04/0221).
Durch die Aufforderung nach § 91 Abs. 2 GewO 1994 wird die Sache des Entziehungsverfahrens festgelegt, welche auch die in dieser Aufforderung angeführten für die Entfernung der genannten natürlichen Person bestimmenden Gründe umfasst (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2012/04/0013, mwN).
Es steht dem Verwaltungsgericht daher nicht zu, nach der Aufforderung gemäß § 91 Abs. 2 GewO 1994 die Gründe, aus denen die Entfernung einer Person mit maßgebendem Einfluss für erforderlich erachtet wurde, auszutauschen. Dies würde nämlich, weil nur die im Entziehungsbescheid genannten Gründe überprüfbar sind, dazu führen, dass die nicht gesondert anfechtbare Aufforderung und vor allem die dafür bestimmend gewesenen Gründe keiner rechtlichen Kontrolle unterlägen, was dem Rechtsschutzbedürfnis des Gewerbetreibenden zuwider liefe (vgl. wiederum das bereits zitierte Erkenntnis 2008/04/0213).
2.3. In den vorliegenden Fällen hat die erstinstanzliche Behörde die revisionswerbenden Parteien unter Verweis auf mehrere in dieser Aufforderung bezeichnete Verwaltungsstrafen, die im Zeitraum bis bzw. bis verhängt worden waren, jeweils mit Schreiben vom aufgefordert, den handelsrechtlichen Geschäftsführer HA aus ihrem maßgeblichen Einflussbereich zu entfernen, und - gestützt auf die Nichterfüllung dieses Auftrags - den revisionswerbenden Parteien die besagten Gewerbeberechtigungen entzogen. Damit ist die Sache der gegenständlichen Verfahren festgelegt.
Das Verwaltungsgericht hat den dagegen erhobenen (in der Folge als Beschwerden behandelten) Berufungen der revisionswerbenden Parteien keine Folge gegeben, begründete dies aber ausschließlich mit Verwaltungsstrafen, die im Zeitraum Februar 2010 bis Juni 2014 gegen HA verhängt worden und somit in den Aufforderungsschreiben vom nicht enthalten waren. Die mit den Aufforderungsschreiben der BH jeweils als Grundlage für die erstinstanzliche Entziehung der Gewerbeberechtigung festgelegten Verwaltungsübertretungen des HA wurden vom Verwaltungsgericht in den angefochtenen Erkenntnissen nicht gesondert dargestellt.
Mit diesem Vorgehen hat das Verwaltungsgericht die Sache der bei ihr anhängigen Beschwerdeverfahren überschritten. Die Sache des Entziehungsverfahrens wird - wie oben dargestellt - durch die der erstinstanzlichen Entscheidung vorausgegangene Aufforderung nach § 91 Abs. 2 GewO 1994 und die darin angeführten, für die Entfernung der genannten natürlichen Person bestimmenden Gründe festgelegt.
Da somit an die revisionswerbenden Parteien keine Aufforderung im Sinne des § 91 Abs. 2 erster Satz GewO 1994 erging, den handelsrechtlichen Geschäftsführer wegen der Begehung der vom Verwaltungsgericht nunmehr herangezogenen Verwaltungsübertretungen zu entfernen, fehlte es an der Voraussetzung für die Entziehung der Gewerbeberechtigung nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung.
3. Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhalts aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am