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VwGH vom 16.03.2016, Ra 2015/04/0042

VwGH vom 16.03.2016, Ra 2015/04/0042

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Pürgy als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pichler, über die Revision des V S in S, vertreten durch die Fellner Wratzfeld Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Schottenring 12, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , Zl. VGW-021/049/8386/2014-2, betreffend Übertretung der GewO 1994 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1 1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vor dem Verwaltungsgericht vom wurde dem Revisionswerber vorgeworfen, er habe es als gewerberechtlicher Geschäftsführer der F GmbH zu verantworten, dass diese zum Betrieb eines Fitness-Studios berechtigte Gesellschaft mit der Absicht, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, am an einem konkret bezeichneten Standort in Wien durch Anbieten von näher bezeichneten Nahrungsergänzungsmitteln zum Verkauf das Handelsgewerbe ausgeübt habe, ohne über die hiefür erforderliche Gewerbeberechtigung zu verfügen. Der Revisionswerber habe dadurch § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 verletzt, weshalb über ihn eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von EUR 380,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 22 Stunden) zu verhängen sei.

2 In der Begründung wurde unter anderem ausgeführt, dass es sich beim Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln um kein Nebenrecht gemäß § 32 GewO 1994 handle. Keines der in dieser Bestimmung genannten Rechte berechtige Fitness-Studios zum Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln. Den Gewerbetreibenden sei lediglich der unentgeltliche Ausschank von Getränken gestattet.

3 2. In der gegen dieses Straferkenntnis gerichteten (nunmehr als Beschwerde geltenden) Berufung brachte der Revisionswerber vor, gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 stehe jedem Gewerbetreibenden das Nebenrecht zu, Waren zu kaufen, zu verkaufen, zu vermieten und zu vermitteln, soweit diese Tätigkeiten nicht Gegenstand eines reglementierten Gewerbes seien. Bei Ausübung des Nebenrechts müssten der wirtschaftliche Schwerpunkt und die Eigenart des Betriebes erhalten bleiben. Der wirtschaftliche Schwerpunkt sei von der Gewerbeberechtigung "Betrieb eines Fitness-Studios" definiert. Dies stelle die Haupttätigkeit des Unternehmens hinsichtlich der erzielten Umsätze und Gewinne sowie der Art, Dauer und des Umfanges der ausgeübten Dienstleistung dar. Das Erscheinungsbild des Unternehmens werde durch sein Auftreten gegenüber den Kunden geprägt. Für einen Kunden, der das Unternehmen betrete oder die Internetseite abrufe, sei eindeutig und leicht erkennbar, dass es sich um ein Fitness-Studio handle und nicht um einen Handelsbetrieb. Die Kühlvitrine, in der die Nahrungsergänzungsmittel bereitgehalten würden, ändere weder den Schwerpunkt des Betriebes noch das Erscheinungsbild. Überdies handle es sich bei den Nahrungsergänzungsmitteln um Waren, die in einem Zusammenhang mit der Dienstleistung stünden und eine sinnvolle Ergänzung darstellten.

4 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der (nunmehr als Beschwerde geltenden) Berufung des Revisionswerbers nicht Folge und bestätigte das bekämpfte Straferkenntnis mit der Maßgabe, dass im Spruch das Wort "gewerberechtlicher" durch das Wort "handelsrechtlicher" zu ersetzen sei und die Wortgruppe "(§ 370 Abs. 1 GewO 1994)" zu entfallen habe. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Verwaltungsgericht für unzulässig.

5 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe im Rechtsmittelverfahren lediglich vorgebracht, dass die in Rede stehenden Nahrungsergänzungsmittel auf Grund des gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 zukommenden Nebenrechts zum Verkauf bereit gehalten worden seien. Die nach dieser Bestimmung in geringem Umfang zulässigerweise erbrachten Leistungen anderer Gewerbe müssten im Rahmen eines Vertragsverhältnisses erbracht werden, das auf die Erbringung einer Gesamtleistung abziele, die die eigene Leistung (also jene, die ein Gewerbetreibender im Rahmen seines Berechtigungsumfanges erbringe) und die ergänzende Leistung (eines anderen Gewerbes, die nicht alleinig Vertragsgegenstand sein könne) umfasse. Dass dies der Fall wäre, sei vom Revisionswerber nicht einmal behauptet worden. Er habe sogar ausgeführt, für einen Kunden sei "eindeutig und leicht erkennbar, dass wir ein Fitnessstudio betreiben und nicht einen Handelsbetrieb". Ausgehend von den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen sei somit das dem angefochtenen Straferkenntnis zugrunde liegende Tatbild erfüllt. Es folgen Ausführungen zur subjektiven Tatseite und zur Strafbemessung.

6 4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 7 VwGG unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 1. Die Zulässigkeit der Revision wird unter anderem damit begründet, dass das Verwaltungsgericht nur das Vorliegen des in der Berufung vorgebrachten Nebenrechts gemäß § 32 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 geprüft habe, ohne auf die inhaltlichen Ausführungen des Revisionswerbers einzugehen, die sich eindeutig auf das allgemeine Handelsrecht des Gewerbetreibenden gemäß § 32 Abs. 1 Z 10 GewO 1994 bezogen hätten. Wie der Verwaltungsgerichtshof mittlerweile insbesondere zu § 27 VwGVG ausgesprochen habe, sei das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Prüfung nicht an die Rechtsansicht des Beschwerdeführers gebunden und müsse den vorliegenden Sachverhalt nach der geltenden Rechtslage beurteilen.

8 2. Die Revision ist zulässig und auch berechtigt. 9 2.1. Gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 in der hier

maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 85/2012 ist mit einer Geldstrafe bis zu EUR 3.600,-- zu bestrafen, wer ein Gewerbe ausübt, ohne die erforderliche Gewerbeberechtigung erlangt zu haben.

§ 32 Abs. 1 GewO 1994 in der hier maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 131/2004 lautet auszugsweise wie folgt:

"Sonstige Rechte von Gewerbetreibenden

§ 32. (1) Gewerbetreibenden stehen auch folgende Rechte zu:

1. alle Vorarbeiten und Vollendungsarbeiten auf dem Gebiet anderer Gewerbe vorzunehmen, die dazu dienen, die Produkte, die sie erzeugen oder vertreiben sowie Dienstleistungen, die sie erbringen, absatzfähig zu machen sowie in geringem Umfang Leistungen anderer Gewerbe zu erbringen, die eigene Leistungen wirtschaftlich sinnvoll ergänzen;


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2.
bis 9. (...)
10.
Waren zurückzunehmen, zu kaufen, zu verkaufen, zu vermieten und zu vermitteln, soweit diese Tätigkeiten nicht Gegenstand eines reglementierten Gewerbes sind;
11.
bis 15. (...)

(2) Bei der Ausübung der Rechte gemäß Abs. 1 müssen der wirtschaftliche Schwerpunkt und die Eigenart des Betriebes erhalten bleiben. Soweit dies aus Gründen der Sicherheit notwendig ist, haben sich die Gewerbetreibenden entsprechend ausgebildeter und erfahrener Fachkräfte zu bedienen.

(3) bis (6) (...)"

10 § 27 VwGVG hat folgenden Wortlaut:

"§ 27. Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen."

Nach § 9 Abs. 1 VwGVG hat die Beschwerde die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, (Z 3) und das Begehren (Z 4) zu enthalten.

§ 50 VwGVG bestimmt für das Verwaltungsstrafverfahren, dass - sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist - das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden hat.

11 2.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits ausgesprochen hat, stellt der Wortlaut des § 27 VwGVG - "auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4)" - klar, dass sich das Verwaltungsgericht sowohl mit den Beschwerdegründen als auch mit dem Begehren der beschwerdeführenden Partei im Rahmen der Prüfung des bei ihm angefochtenen Bescheides inhaltlich auseinanderzusetzen hat, und dass der Gesetzgeber den Prüfungsumfang nicht ausschließlich an das Vorbringen der jeweiligen beschwerdeführenden Partei binden wollte (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/03/0032, 0031, mwN). Darüber hinaus ist auch das Amtswegigkeitsprinzip des § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG als ein bei den Verwaltungsgerichten maßgebliches Prinzip jedenfalls in den der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungspflicht unterliegenden Fällen im Rahmen der von diesen Gerichten zu führenden Ermittlungsverfahren zu beachten (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2015/03/0019).

Eine Auslegung des § 27 VwGVG dahingehend, dass die Prüfbefugnis der Verwaltungsgerichte jedenfalls stark eingeschränkt zu verstehen wäre, ist daher unzutreffend. Von einem Beschwerdeführer kann nicht erwartet werden, dass er in seiner Beschwerde sämtliche rechtlichen Angriffspunkte aufzeigt. Ebenso wenig kann davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber den Prüfungsumfang ausschließlich an das Vorbringen des Beschwerdeführers binden wollte. Die Prüfungsbefugnis der Verwaltungsgerichte ist aber keine unbegrenzte. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis ist die "Sache" des bekämpften Bescheides (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/07/0077). Entscheidet das Verwaltungsgericht "in der Sache selbst", hat es nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde abzusprechen, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/03/0076).

12 2.3. Sache des vor dem Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheides war die auf § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 gestützte Verhängung einer Verwaltungsstrafe über den Revisionswerber, weil er als gewerberechtlicher Geschäftsführer der F GmbH dafür verantwortlich sei, dass diese zum Betrieb eines Fitness-Studios berechtigte Gesellschaft durch Anbieten von näher bezeichneten Nahrungsergänzungsmitteln zum Verkauf das Handelsgewerbe ausgeübt habe, ohne über die hiefür erforderliche Gewerbeberechtigung zu verfügen. Die belangte Behörde begründete dies damit, dass es sich beim Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln um kein Nebenrecht gemäß § 32 GewO 1994 handle, weil keines der in dieser Bestimmung genannten Rechte Fitness-Studios zum Verkauf von Nahrungsergänzungsmitteln berechtige.

13 Der Revisionswerber hat sich in der dagegen erhobenen (nunmehr als Beschwerde geltenden) Berufung zwar formal auf § 32 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 berufen, dabei jedoch den Wortlaut des § 32 Abs. 1 Z 10 GewO 1994 wiedergegeben und auch seine inhaltlichen Ausführungen auf das (im zweitgenannten Tatbestand normierte) allgemeine Handelsrecht aller Gewerbetreibenden gestützt. Voraussetzung für das Vorliegen einer unbefugten Gewerbeausübung im Sinne des § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 ist der Mangel jeglicher Gewerbeberechtigung für die Tätigkeit, die den Gegenstand der unbefugten Gewerbeausübung bildet (vgl. Grabler/Stolzlechner/Wendl , Kommentar zur GewO3 (2011) § 366 Rz. 15). Angesichts dessen durfte sich das Verwaltungsgericht - auch unabhängig von der offensichtlich missverständlich formulierten Berufung - bei der Entscheidung über die vorliegende Sache (nämlich der Verhängung einer Verwaltungsstrafe gemäß § 366 Abs. 1 Z 1 GewO 1994) nicht auf die Prüfung des § 32 Abs. 1 Z 1 GewO 1994 beschränken. Es war vielmehr von amtswegen verpflichtet, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob das im Rahmen eines Fitness-Studios erfolgte Anbieten von Nahrungsergänzungsmitteln zum Verkauf nicht auf andere in Betracht kommende Tatbestände des § 32 Abs. 1 GewO 1994 - fallbezogen insbesondere auf das in Z 10 normierte allgemeine Handelsrecht aller Gewerbetreibenden - gestützt werden kann (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom , 2010/04/0018).

14 3. Auf Grund dieses Begründungsmangels erweist sich das angefochtene Erkenntnis als inhaltlich rechtswidrig, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

15 4. Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am