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VwGH vom 25.01.2012, 2009/13/0001

VwGH vom 25.01.2012, 2009/13/0001

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Farcas, über die Beschwerde des Finanzamtes Gänserndorf Mistelbach in 2230 Gänserndorf, Rathausplatz 9, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , GZ. RV/1222-W/03, miterledigt RV/1223-W/03, betreffend u.a. (Spruchpunkt B.) die Aufhebung erstinstanzlicher Bescheide, nämlich "Umsatzsteuerbescheid 1997, gemäß § 200 Abs. 1 BAO idgF vorläufige Umsatzsteuerbescheide 1998 und 1999, Körperschaftsteuerbescheide 1994 - 1997, gemäß § 200 Abs. 1 BAO idgF vorläufige Körperschaftsteuerbescheide 1998 und 1999, Bescheid über die Vorauszahlungen an Körperschaftsteuer für das Jahr 2002 und Folgejahre, Haftungs- und Abgabenbescheid über den Prüfungszeitraum 1997 (Kapitalertragsteuer)" (mitbeteiligte Partei: S GmbH in W, vertreten durch Wurst Ströck, Rechtsanwälte Partnerschaft in 1010 Wien, Mahlerstraße 5), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird im Umfang der Anfechtung, somit hinsichtlich des Spruchpunktes B., wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid hob die belangte Behörde im Spruchpunkt B. vor ihr mit Berufung bekämpfte Bescheide der Abgabenbehörde erster Instanz deshalb auf, weil sie vom örtlich nicht zuständigen Finanzamt erlassen worden seien. Dagegen richtet sich die vorliegende gemäß § 292 BAO erhobene Beschwerde des Finanzamtes, in der der angefochtene Bescheid "hinsichtlich des Ausspruches auf ersatzlose Aufhebung der berufungsgegenständlichen erstinstanzlichen Bescheide wegen örtlicher Unzuständigkeit der erstbescheiderlassenden Abgabenbehörde (Finanzamt Gänserndorf) angefochten" wird.

Begründend führte die belangte Behörde im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides "Ad. Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide,

Körperschaftsteuervorauszahlungsbescheid, Abgaben- und Haftungsbescheid (Kapitalertragsteuer)" aus, sie habe über die in der Berufung vom enthaltenen Streitpunkte nicht inhaltlich zu entscheiden gehabt. Es sei nämlich zu prüfen gewesen, ob die bekämpften Bescheide von der zuständigen Verwaltungsbehörde erlassen worden seien. Dazu sei aus den Verwaltungsakten festzustellen, dass die Bescheide vom Finanzamt Gänserndorf (im Folgenden: Finanzamt G.) als Abgabenbehörde erster Instanz erlassen worden seien. Auf Grund der Verwaltungsakten sei "auch festzustellen, dass das Finanzamt (G.) die Bescheide nach Verlegung des Geschäftsbetriebes der (Mitbeteiligten) in die N. Gasse 68/2/7 in 1070 Wien erlassen hat". Dieser Standort in Wien liege im Zuständigkeitsbereich des Finanzamtes 6/7/15 Wien (im Folgenden: Finanzamt W.) und nicht innerhalb des Zuständigkeitsbereiches des Finanzamtes G.

Nach § 73 BAO habe die Zuständigkeit eines Finanzamtes für die Erhebung von Abgaben mit dem Zeitpunkt geendet, in dem ein anderes Finanzamt von den seine Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen Kenntnis erlangt habe. Über Befragung durch die belangte Behörde habe das Finanzamt W. mitgeteilt, vor der Bescheiderlassung von seiner (örtlichen) Zuständigkeit zur Abgabenfestsetzung keine Kenntnis erlangt zu haben. Die Richtigkeit dieser Aussage habe die Mitbeteiligte in einer Stellungnahme vom bestritten.

Ob das Finanzamt W. vor Bescheiderlassung von seiner Zuständigkeit zur Abgabenfestsetzung Kenntnis erlangt habe oder nicht, sei - so die weiteren Ausführungen der belangten Behörde - eine auf der Ebene der Beweiswürdigung zu beantwortende Sachfrage. Die Frage des Überganges der örtlichen Zuständigkeit sei von der belangen Behörde erstmals in der Sachverhaltsdarstellung thematisiert worden, die seitens der belangten Behörde den Vorladungen zur mündlichen Berufungsverhandlung beigelegt worden sei. Zum Beweisthema "Übergang der örtlichen Zuständigkeit vor Bescheiderlassung" habe die Mitbeteiligte in der Stellungnahme vom u.a. ein "Schreiben vom " vorgelegt, das an das Finanzamt W. gerichtet gewesen sei und in der "Betreffzeile" gelautet habe: "Steuernummer (xxx), (Mitbeteiligte), Änderung der Zuständigkeit". Der Inhalt dieses Schreiben habe gelautet: "Wir möchten Ihnen mitteilen, dass sich der Sitz und der Ort der Geschäftsleitung der (Mitbeteiligten) in 1070 Wien, N. Gasse 68/2/7 befindet und ersuchen um Erteilung einer Steuernummer."

Zu der aus dem "Schreiben vom " sich ergebenden Sach- und Beweislage führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid sodann wie folgt aus:

"I . Für den Unabhängigen Finanzsenat ist nicht vorstellbar, dass ein Schreiben mit dem v.a. Inhalt verfasst und nicht an den Adressaten versandt wird: Der Unabhängige Finanzsenat sieht deshalb als erwiesen an, dass die (Mitbeteiligte) das Schreiben vom an das Finanzamt (W.) gesandt hat.

II. Dem Vorbringen (Anm.: des Finanzamtes) in der Berufungsverhandlung - es mag schon sein, dass die (Mitbeteiligte) das Schreiben vom an das Finanzamt (W.) gesandt hat; fraglich ist, ob dieses Schreiben im Finanzamt (W.) eingelangt ist - ist entgegenzuhalten:


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Richtig ist, dass sich auf der dem Unabhängigen Finanzsenat vorgelegten Ablichtung des Schreibens kein Eingangsstempel des Finanzamtes (W.) befindet. Ein fehlender Eingangsstempel ist jedoch kein Beweis für eine nicht erfolgte Zustellung des Schreibens, da nach ständiger Verwaltungspraxis keine mit einem Eingangsstempel versehene Ablichtungen von eingebrachten Schriftstücken an den Absender retourniert werden.
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Festzustellen ist, dass der fehlende Eingangsstempel auf dem Schreiben vom nicht gegen ein Einlangen dieses Schriftstücks im Finanzamt (W.) spricht.
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Richtig ist, dass keine Finanzamts-Nummer in diesem Schriftstück angegeben wird. Die Zuordnung der (Mitbeteiligten) zu einer in einem anderen Finanzamt erfassten Steuernummer kann dennoch erfolgen, da Abfragen im Abgabeninformationssystem auch mittels Name bzw. Firmenbezeichnung des Abgabepflichtigen durchführbar sind. Datenbankabfragen, die dazu dienen, ein Schriftstück einem bestimmten Abgabepflichtigen zuzuordnen, erfolgen im dienstlichen Interesse und fallen damit nicht unter die abgabenrechtliche Geheimhaltungspflicht:
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Festzustellen ist, dass ungeachtet der fehlenden Finanzamts-Nummer dennoch nicht auszuschließen ist, dass das Finanzamt (W.) einen Zuständigkeitsübergang durch eine mit der Firmenbezeichnung der (Mitbeteiligten) durchgeführte Datenbankabfrage bewirkt hat.
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Ob das Finanzamt (W.) auf das Schreiben vom in irgendeiner Weise reagiert hat, dieses Schreiben ignoriert hat oder nicht reagieren konnte, weil das Schreiben nicht im Finanzamt eingelangt ist, ist aus den Verwaltungsakten nicht feststellbar.
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Finanzämter sind zwar gesetzlich verpflichtet, eine ihnen zur Kenntnis gebrachte Zuständigkeit sofort wahrzunehmen: Eine damals nicht erfolgte Aktenanforderung durch das Finanzamt (W.) spricht dennoch nicht gegen eine Kenntnis des Finanzamtes (W.) von seiner Zuständigkeit zur Abgabenfestsetzung:
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Aus dem Arbeitsbogen/Betriebsprüfung ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Verfassung des Schreibens vom eine Betriebsprüfung bei der (Mitbeteiligten) stattgefunden hat:
Dass Aktenabtretungen nicht während sondern nach einer abgeschlossenen Betriebsprüfung durchgeführt werden, ist ständige Verwaltungspraxis.
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Aus Aktenvermerken des Finanzamtes (G.) und aus bereits ausgefüllten Aktenabtretungsformularen ist nachweisbar, dass eine Aktenabtretung am angeordnet und am widerrufen worden ist; aus dem Aktenvermerk vom ist nachweisbar, dass die Aktenabtretung nach Abschluss der Betriebsprüfung jedoch vor Bescheiderlassung geplant gewesen ist.
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Dem Unabhängigen Finanzsenat ist die Verwaltungspraxis bekannt, vor Aktenabtretungen ein Verständigungsverfahren zwischen dem bisher zuständigen und dem neu zuständigen Finanzamt durchzuführen. Da die Verständigungsverfahren zwischen einem bisher zuständigen und einem neu zuständigen Finanzamt ständige Verwaltungspraxis sind und deshalb bei jeder geplanten Aktenabtretung stattfinden, ist für den Unabhängigen Finanzsenat nicht vorstellbar, dass ausgerechnet im Falle der (Mitbeteiligten) eine Aktenabtretung geplant; ein Verständigungsverfahren jedoch nicht durchgeführt worden ist.
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Dieses Verständigungsverfahren ist nach dem Wissenstand des Unabhängigen Finanzsenates nicht zwingend schriftlich durchzuführen: Die im Finanzamt (W.) nicht auffindbaren bzw. nicht vorhandenen Unterlagen über eine geplante Aktenabtretung sind daher kein Beweis dafür, dass das Finanzamt (W.) ab März 2001 nicht Kenntnis von seiner Zuständigkeit hatte."
Zu diesen Ausführungen sei - so die belangte Behörde weiter in der Begründung - zusammenfassend festzustellen, dass - außer dem im Finanzamt W. nicht auffindbaren Schreiben vom - "keine Indizien gegen ein Einlangen dieses Schreibens im Finanzamt (W.) sprechen". Die belangte Behörde sehe es von dieser Beweislage ausgehend als erwiesen an, dass das Finanzamt (W.) "frühestens im März 2001; spätestens im Juli 2002" - und damit vor Erlassung der Umsatz- und Körperschaftsteuerbescheide, des Körperschaftsteuervorauszahlungsbescheides und des Abgaben- und Haftungsbescheides (Kapitalertragsteuer) - Kenntnis von seiner Zuständigkeit zur Abgabenfestsetzung gehabt habe.
Damit habe vor Erlassung dieser Bescheide am , und ein Übergang der Zuständigkeit auf das Finanzamt W. stattgefunden. Die vom örtlich unzuständigen Finanzamt G. erlassenen Bescheide seien daher in Stattgebung des Berufungsbegehrens aufzuheben gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde des Finanzamtes nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde sowie die mitbeteiligte Partei erwogen:

Nach der im Beschwerdefall noch anzuwendenden (durch das BGBl. I Nr. 9/2010 aufgehobenen) Bestimmung des § 73 BAO endete die Zuständigkeit eines Finanzamtes für die Erhebung von Abgaben mit dem Zeitpunkt, in dem ein anderes Finanzamt von den seine Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen Kenntnis erlangt hat (§ 73 erster Satz leg. cit.).

Im Beschwerdefall traf die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Feststellung, dass das ihrer Ansicht nach für die Erhebung der Abgaben neu zuständig gewordene Finanzamt W. vor Ergehen der vor ihr bekämpften Abgabenbescheide Kenntnis von den seine Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen erlangt habe, nämlich "frühestens im März 2001 bzw. spätestens im Juli 2002". Dafür sprächen (wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid als Ergebnis festhält) die Verwaltungspraxis, "vor geplanten Aktenabtretungen Verständigungsverfahren zwischen bisher zuständigen Finanzamt und neu zuständigen Finanzamt durchzuführen" und das Schreiben vom .

Dieser Beurteilung kann nicht gefolgt werden.

Zur Annahme der Durchführung eines Verständigungsverfahrens führt die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ins Treffen, dass aus Aktenvermerken des Finanzamtes G. und aus (im Übrigen nicht in den vorgelegten Verwaltungsakten einliegenden) "bereits ausgefüllten Aktenabtretungsformularen" nachweisbar sei, dass eine Aktenabtretung am angeordnet und am widerrufen worden sei.

Zu Recht wirft das beschwerdeführende Finanzamt der belangten Behörde dazu Aktenwidrigkeit vor, weil in dem diesbezüglich angesprochenen, in den vorgelegten Verwaltungsakten einliegenden Aktenvermerk vom nicht von einer Aktenabtretung an das Finanzamt W. die Rede ist, sondern von einer möglichen Aktenabtretung an das Finanzamt Mödling (weil der Geschäftsführer der mitbeteiligten Partei über Befragung am bekannt gegeben habe, den Firmensitz und den Ort der Geschäftsleitung Ende Oktober 2000 von Deutsch-Wagram nach Brunn am Gebirge verlegt zu haben).

Die belangte Behörde räumt in der Gegenschrift zwar ein, "es mag sein", dass im März 2001 eine nach Abschluss des Betriebsprüfungsverfahrens durchzuführende Aktenabtretung nach Mödling geplant gewesen sei. Aus einem (beim Finanzamt G. angefertigten) Aktenvermerk "Abtretung nach Rücklangen von der Bp. " sei jedoch eindeutig auf eine das Finanzamt W. betreffende Abtretungsabsicht zu schließen, da sich dieser Aktenvermerk auf einem Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom befinde, mit dem die Sitzverlegung nach Wien, N. Gasse 68/2/7, bewilligt worden sei. Mit diesem Hinweis auf eine beabsichtigte Aktenabtretung an das Finanzamt W. allein wird aber in keiner Weise deutlich gemacht, dass im Zusammenhang mit dem angesprochenen, im Übrigen nur als Bleistiftnotiz abgefassten Aktenvermerk vom eine Verständigung des Finanzamtes W. über die seine Zuständigkeit begründenden Voraussetzungen erfolgt wäre.

Zu dem von der mitbeteiligten Partei mit der Stellungnahme vom vorgelegten - in den an den Verwaltungsgerichtshof übermittelten Akten im Übrigen nicht enthaltenen - Schriftsatz vom sieht es die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid als erwiesen an, dass dieses Schriftstück an das Finanzamt W. gesandt worden sei. Dabei übersieht die belangte Behörde offensichtlich, dass der Beweis der Postaufgabe für den Beweis des Einlangens eines Schriftstückes bei der Behörde - wofür den Absender die Beweislast trifft (vgl. z.B. Ritz , BAO4, § 108 Tz 10) - für sich nicht ausreicht (vgl. beispielsweise das hg. Erkenntnis vom , 2008/13/0149, mwN). Dass - "außer dem im Finanzamt (W.) nicht auffindbaren Schreiben vom " - nur keine Indizien "gegen" ein Einlangen des Schreibens bei diesem Finanzamt gesprochen hätten, war somit nicht ausreichend, um von einem Einlangen dieses Schriftstückes bei dem genannten Finanzamt ausgehen zu können. Insoweit hat die belangte Behörde auch die Rechtslage verkannt.

Der angefochtene Bescheid war daher im Umfang der Anfechtung gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Auf die weiters in der Beschwerde enthaltene Rüge, die belangte Behörde habe auch nicht überprüft, in welchem Finanzamtsbereich sich zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung tatsächlich der Sitz oder Ort der Geschäftsleitung der Mitbeteiligten befunden habe, war dabei nicht mehr näher einzugehen.

Wien, am