VwGH vom 23.06.2015, Ro 2014/22/0030
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrat Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Lechner, über die Revision des N S in T, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom , Zl. 165.993/6-III/4/13, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid, wies die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) den am im Wege der österreichischen Botschaft Tunis eingebrachten Erstantrag des Revisionswerbers, eines tunesischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) ab.
Die Behörde führte im Wesentlichen aus, der Revisionswerber habe seinen Antrag damit begründet, dass er seit Februar 2012 eine "ernstgemeinte beidseitige Liebesbeziehung" mit K M. führe. Sie hätten sich im Internet kennengelernt. Soweit es der Gesundheitszustand von K M. und ihre Obsorgeverpflichtung gegenüber ihrem minderjährigen Sohn zuließen, hätten der Revisionswerber und K M. in seinem Herkunftsstaat eine "dauerhafte Liebesbeziehung und Lebensgemeinschaft" geführt. K M. habe für ihn auch Unterhalt geleistet und eine Haftungserklärung abgegeben. Im Jahr 2012 hätten sie im April für 14 Tage in einem näher genannten Hotel, im Juni und Juli jeweils vier Wochen in einem angemieteten Appartement sowie drei Monate später für weitere vier Wochen in einem anderen Appartement eine Lebensgemeinschaft geführt. Dabei habe K M. sämtliche Kosten (für Zimmer, Haushalt, Transport, Freizeitaktivitäten, Restaurantbesuche, alle Arten von Einkäufen) getragen und dem Revisionswerber zusätzlich zu den erfolgten Geldzuwendungen auch in Form von Geschenken und Geldüberweisungen Unterhalt geleistet. Eine länger anhaltende Lebensgemeinschaft in Tunesien sei K M. auf Grund ihrer gesundheitlichen Probleme, die sie von der österreichischen Gesundheitsversorgung abhängig machten, nicht möglich. Während der Trennung telefonierten sie mehrmals täglich und schrieben "SMS".
Mit dem Antrag sei ein Attest von Frau Dr. S., Fachärztin für Psychiatrie, vorgelegt worden, demzufolge K M. an einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung leide, wegen der sie arbeitsunfähig sei und die zu Beeinträchtigungen und Schwierigkeiten in der Lebensführung führe; K M. sei auf eine Behandlung in Österreich angewiesen; eine Verlegung ihres Lebensmittelpunktes nach Tunesien wäre aus gesundheitlichen Gründen nicht empfehlenswert, weil die Patientin in Österreich auf Therapie und das psychosoziale Netz angewiesen sei.
Darüber hinaus seien Kundenbelege einer Bank betreffend Geldüberweisungen von K M. an den Revisionswerber in der Zeit zwischen und in der Höhe von insgesamt EUR 375,00, Kontoauszüge betreffend Bankbehebungen von K M. in Tunesien im April, November und Dezember 2012 in der Höhe von insgesamt EUR 165,06 sowie Geldwechselbestätigungen, diverse Kassenzettel betreffend den Kauf von Bekleidungsartikeln, Spirituosen, Tabakwaren und Telefonwertkarten mit dem Vermerk von K M., die erworbenen Gegenstände als Geschenk nach Tunesien geschickt zu haben, darüber hinaus Rechnungen einer Telefongesellschaft, Reiseurkunden (Boardkarte, Hotelrechnung) betreffend einen Aufenthalt in Tunesien zwischen und , eine "Unterschriftensammlung" von 17 Personen, die den Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" befürworteten sowie eine Schwangerschaftsbestätigung vom vorgelegt worden. K M. habe angegeben, dem Revisionswerber bei ihren bisherigen vier Tunesienaufenthalten jeweils EUR 200,00 zur Bestreitung seines Unterhaltes gegeben zu haben.
Mit Schreiben vom habe die Behörde den Revisionswerber aufgefordert, einen Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung zwischen ihm und K M. in Tunesien vorzulegen, weil der Antrag als solcher gemäß § 47 Abs. 3 Z 2 NAG gewertet werde. In seiner Stellungnahme vom (richtig: ) habe der Revisionswerber unter Hinweis auf Art. 8 EMRK ausgeführt, dass er bis dato noch nicht in Österreich aufhältig gewesen sei; dennoch bestehe ein tatsächliches Familienleben, wenngleich es sich dabei nicht um ein über mehrere Monate hinausgehendes Zusammenleben handle. Darüber hinaus sei auf die gesundheitliche Beeinträchtigung von K M. hingewiesen und ausgeführt worden, dass die Schwangerschaft aus medizinischer Sicht durch einen Arzt bestätigt beendet worden sei. Während der Aufenthalte von K M. in Tunesien hätten sie eine Lebens- und Geschlechtsgemeinschaft geführt.
Die Behörde führte weiter aus, auf Grund des Antrages vom und der Bezugnahme auf eine bestehende Lebenspartnerschaft sei über die Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" gemäß § 47 Abs. 3 Z 2 NAG zu entscheiden gewesen, nicht jedoch, ob der Revisionswerber ein "sonstiger Angehöriger" im Sinn des § 47 Abs. 3 Z 3 NAG sei. Eine dauerhafte Beziehung mit K M. habe jedoch nicht bestanden. Das - wenn auch dreimal im Jahr - für die Dauer von wenigen Wochen erfolgte Zusammenleben im Herkunftsstaat des Revisionswerbers sei nicht geeignet, eine solche dauerhafte Beziehung nahezulegen. K M. habe den Revisionswerber im Rahmen von Urlaubsreisen in dessen Herkunftsstaat jeweils kurzfristig besucht, ihren ständigen Wohnsitz (und Aufenthalt) in Österreich jedoch niemals aufgegeben. Eine im Herkunftsstaat dauerhaft geführte Beziehung erscheine daher ausgeschlossen. Eine Fernbeziehung in Form von regelmäßigen Telefonaten und bildtelefonischen Kontakten stelle keine im Herkunftsstaat geführte Beziehung dar, zumal dadurch auch keine Wohn- bzw. Geschlechtsgemeinschaft begründet werden könne. Eine Wirtschaftsgemeinschaft habe offensichtlich auch nicht bestanden. Es fehle somit an der besonderen Erteilungsvoraussetzung der dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat, weshalb sich die Frage des tatsächlich geleisteten Unterhaltes nicht stelle. Im Übrigen entspreche das gelegentliche Versenden von Bargeld (im Jahr 2012 insgesamt EUR 155,00, im Jahr 2013 bis dato insgesamt EUR 220,00), das Bezahlen von gemeinsamen Hotelnächtigungen und Freizeitaktivitäten im Rahmen eines gemeinsamen Urlaubes sowie die gelegentliche Übermittlung von Geschenken (Bekleidungsgegenstände, Spirituosen) im hier nachgewiesenen Ausmaß für sich alleine nicht einmal den Anforderungen des § 47 Abs. 3 Z 3 lit. a NAG. Die jeweils kurzfristige Dauer der vorübergehenden gemeinsamen Unterkunftnahme in Hotels und Appartements im Zuge von Urlaubsreisen lasse ein bereits erfolgtes Leben in häuslicher Gemeinschaft im Herkunftsstaat (§ 47 Abs. 3 Z 3 lit. b NAG) nicht erkennen. Bei Fehlen einer für die Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels notwendigen besonderen Erteilungsvoraussetzung (hier: des § 47 Abs. 3 Z 2 NAG) müsse weder das Vorliegen der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen geprüft noch eine Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG vorgenommen werden (Hinweis unter anderem auf das hg. Erkenntnis vom , 2008/22/0909).
Im Weiteren führte die Behörde aus, dass auch die Durchführung einer Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG zu keinem anderen Ergebnis führen würde.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , B 243/2014-4, ablehnte und mit gesondertem Beschluss vom , B 243/2014-6, die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die - im Verfahren nach Aufforderung als Revision ausgeführte - Beschwerde, erwogen:
Zunächst ist festzuhalten, dass die abgetretene Beschwerde in sinngemäßer Anwendung des § 4 VwGbk-ÜG als Revision gilt und die Bestimmungen des VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden sind (vgl. den hg. Beschluss vom , Ro 2014/10/0029, und das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/05/0057). Nach § 4 Abs. 5 letzter Satz VwGbk-ÜG gilt Art. 133 Abs. 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht.
§ 47 NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011, lautet auszugsweise:
"Familienangehörige und andere Angehörige von dauernd in Österreich wohnhaften Zusammenführenden Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger'
§ 47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.
(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.
(3) Angehörigen von Zusammenführenden kann auf Antrag eine 'Niederlassungsbewilligung - Angehöriger' erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und
1. Verwandte des Zusammenführenden, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird,
2. Lebenspartner sind, die das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat nachweisen und ihnen tatsächlich Unterhalt geleistet wird oder
3. sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,
a) die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben,
b) die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder
c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen.
Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.
(4) ..."
Der Revisionswerber bringt vor, zwischen ihm und K M. bestehe "eine aufrechte und durch die österreichische Rechtsordnung schützenswerte Lebensgemeinschaft". Er könne seinen Lebensunterhalt nicht ausreichend bestreiten und sei auf die finanzielle Unterstützung durch seine Lebenspartnerin K M. angewiesen. Darüber hinaus weist die Revision auf einen "derart besonderen Lebenssachverhalt" (gesundheitliche Beeinträchtigung von K M. sowie Betreuungspflichten für deren minderjährigen Sohn) hin. Vor dem Hintergrund dieser besonderen Verfahrenskonstellation könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Revisionswerber und K M. keine Lebenspartnerschaft hätten.
Dazu ist Folgendes auszuführen:
In Ermangelung einer Definition des Begriffes "Lebenspartner" im NAG ist dessen Sinn durch systematische Interpretation insbesondere des § 47 leg. cit. zu ermitteln. Aus Abs. 3 Z 1 und 3 des § 47 NAG ergibt sich, dass (neben den Voraussetzungen des 1. Teiles) abhängig von der Intensität der familienrechtlichen Bindungen zwischen Drittstaatsangehörigen und Zusammenführenden unterschiedlich viele Nachweise für bestehende soziale Bindungen zu erbringen sind.
Lebenspartner (Abs. 3 Z 2) verfügen in der Regel über keine familienrechtlichen Bande und müssen neben einem tatsächlich geleisteten Unterhalt auch das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsland nachweisen. Unter einer Lebenspartnerschaft im Sinn dieser Bestimmung ist eine eheähnliche Beziehung zu verstehen, wobei das Vorliegen einer Wohngemeinschaft ein starkes Indiz, jedoch kein unbedingtes Erfordernis darstellt. Je weniger formale Kriterien (beispielsweise ein gemeinsamer Wohnsitz) vorliegen, desto höher sind die Anforderungen an den Nachweis einer besonders gefestigten Beziehung, etwa durch eine regelmäßige gemeinsame Freizeitgestaltung, einen gemeinsamen Freundes- und Bekanntenkreis oder gemeinsame Investitionen. Eine emotionale Bindung mit dem Wunsch nach einem Zusammenleben sowie gemeinsam verbrachte Urlaube stellen jedenfalls keine Lebenspartnerschaft im Sinn des § 47 Abs. 3 Z 2 NAG dar.
Aus dem angefochtenen Bescheid ergibt sich, dass der Revisionswerber K M. im Februar 2012 im Internet kennenlernte. Im gleichen Jahr verbrachten der Revisionswerber und K M. sowie ihr Sohn insgesamt ca. zehn Wochen gemeinsam in Tunesien; 2013 ist ein Besuch von K M. in Tunesien für ca. zwei Wochen nachgewiesen. Während dieser Zeit wohnten sie gemeinsam in einem Hotel bzw. in angemieteten Appartements, wobei K M. sämtliche Kosten übernahm. Sie trug - neben diversen Geschenken - darüber hinaus bei jedem Aufenthalt EUR 200,-- zum Unterhalt des Revisionswerbers bei und überwies ihm wiederholt Geldbeträge. Längere Aufenthalte in Tunesien waren K M. aufgrund ihrer Obsorgeverpflichtung und ihrer Krankheit nicht möglich. Durch tägliche Telefonate, "skypen" und "SMS" blieben sie in Kontakt. K M. legte auch die Bestätigung einer Schwangerschaft, welche allerdings beendet wurde, vor.
Angesichts dieses Sachverhaltes ist ausgehend von den oben dargestellten Kriterien fallbezogen nicht vom Vorliegen einer Lebenspartnerschaft auszugehen. Die belangte Behörde verneinte somit im Ergebnis zu Recht die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 47 Abs 3 Z 2 NAG.
Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen einzugehen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 BGBl. II Nr. 518/2013 idF BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
Fundstelle(n):
VAAAE-92582