VwGH vom 20.11.2015, Ra 2015/02/0140

VwGH vom 20.11.2015, Ra 2015/02/0140

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck, die Hofräte Mag. Dr. Köller, Dr. Lehofer und Dr. N. Bachler sowie die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Harrer, über die Revision der R reg. Gen.m.b.H. in G, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W107 2009745-2/16E, betreffend Auftrag gemäß § 70 Abs. 4 Z 1 BWG (Partei gemäß § 21 Abs. 2 Z 1 VwGG:

Finanzmarktaufsichtsbehörde; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Zur Vorgeschichte in dieser Rechtssache wird auf das Erkenntnis vom , Zl. Ro 2015/02/0011 (in der Folge: Vorerkenntnis) verwiesen, mit dem der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts mit der wesentlichen Begründung aufgehoben hat, die dort mitbeteiligte und hier revisionswerbende Partei sei ein angeschlossenes Institut im Sinne des § 27a BWG und daher verpflichtet, an dem in dieser Norm genannten System des gemeinsamen Liquiditätsausgleichs teilzunehmen und eine Liquiditätsreserve bei entsprechender Ausgestaltung der vertraglichen Beziehung zu jenem Institut, bei dem die Liquiditätsreserve einzulegen ist, zu halten.

Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht die Beschwerde der revisionswerbenden Partei als unbegründet abgewiesen und die Revision als nicht zulässig erklärt.

Nach der im Wesentlichen an die Entscheidungsgründe des Vorerkenntnisses angelehnten Begründung ging das Verwaltungsgericht von einem Anschluss der revisionswerbende Partei an ein Zentralinstitut gemäß § 27a BWG mit allen dort genannten Rechtsfolgen aus.

In der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Revision wird Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Die FMA hat die Revision beantwortet und deren kostenpflichtige Abweisung bzw. Zurückweisung beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.

Verletzt ein Kreditinstitut unter anderem Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, so hat die FMA gemäß § 70 Abs. 4 Z 1 BWG dem Kreditinstitut unter Androhung einer Zwangsstrafe aufzutragen, den rechtmäßigen Zustand binnen jener Frist herzustellen, die im Hinblick auf die Umstände des Falles angemessen ist.

Das belangte Verwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Erkenntnis den erstbehördlichen Bescheid zur Gänze bestätigt, somit auch hinsichtlich der mit bestimmten Leistungsfrist. Diese Frist war bei Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses vom bereits abgelaufen. Im Hinblick darauf, dass der revisionswerbenden Partei wegen der Gewährung der aufschiebenden Wirkung nicht die gesamte Leistungsfrist bis zur Verfügung gestanden und die spätere Vollstreckung wegen des aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes vom unzulässig gewesen ist, war das Verwaltungsgericht verhalten, in dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis gemäß § 70 Abs. 4 Z 1 BWG eine neue angemessene Leistungsfrist festzusetzen.

Das angefochtene Erkenntnis erweist sich aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig.

Auch liegt eine Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, weil das Verwaltungsgericht entgegen der Bestimmung des § 25 Abs. 7 zweiter Satz VwGVG, der auch für den Fall der neuerlichen Durchführung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nach einem aufhebenden Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes gilt (vgl. dazu auch das Erkenntnis vom , Zl. 95/07/0165), trotz geänderter Zusammensetzung des Senates die Verhandlung nicht wiederholt hat.

Für das weitere Verfahren ist Folgendes wesentlich:

Mit der Unionsrechtswidrigkeit von § 27a BWG hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Vorerkenntnis bereits insoweit auseinander gesetzt, als in der im Vorverfahren von der hier revisionswerbenden Partei erstatteten Revisionsbeantwortung Unvereinbarkeiten der in Rede stehenden Bestimmung mit sekundärrechtlichen Normen und ein Verstoß gegen den Grundsatz des freien Wettbewerbs behauptet worden sind.

Konkret hat der Verwaltungsgerichtshof die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 (CRR) sowie die delegierte Verordnung (EU) 2015/61 der Kommission vom zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Liquiditätsdeckungsanforderungen an Kreditinstitute einer Prüfung unterzogen.

Da die sekundärrechtlichen Normen mittlerweile insofern eine Änderung bzw. Ergänzung erfahren haben, als Art. 38 Abs. 1 lit. a der delegierten Verordnung (EU) 2015/61 ab die Liquiditätsdeckungsquote mit 60 % der Liquiditätsanforderung eingeführt hat, war die Frage, ob § 27a BWG weiterhin unionsrechtskonform ist, mit Rücksicht auf diese Neuerung zu beantworten.

Vorauszuschicken ist, dass das in Österreich in Geltung gewesene Liquiditätssystem ab von einem EU-weit harmonisierten Liquiditätssystem abgelöst wurde, das auf Empfehlungen des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht basiert ("Basel III") (vgl. RV 2438 Blg. XXIV GP S 38).

Bis zum regelte der ab außer Kraft getretene § 25 BWG ("Liquidität") die von den Kreditinstituten durchschnittlich zu haltenden Prozentsätze an flüssigen Mitteln ersten und zweiten Grades, die auf Basis näher genannter Euro-Verpflichtungen bemessen wurden.

§ 27a BWG in der bis zum gültigen Fassung

BGBl. I Nr. 184/2013 lautete:

"Liquiditätsverbünde

§ 27a. Kreditinstitute, die einem Zentralinstitut angeschlossen sind, haben zur Sicherung der Finanzmarktstabilität an einem System des gemeinsamen Liquiditätsausgleichs teilzunehmen. Dazu haben sie bei ihrem Zentralinstitut oder bei einem anderen vertraglich oder statutarisch festgelegten Kreditinstitut mit Sitz in einem Mitgliedstaat eine Liquiditätsreserve im Ausmaß von 10 vH der Spareinlagen und 20 vH der sonstigen Euro-Einlagen, höchstens jedoch 14 vH der gesamten Euro-Einlagen zu halten. Das Kreditinstitut muss zur Entgegennahme von Einlagen berechtigt und auf Grund seiner Geschäftsstruktur geeignet sein, die sich aus Gewährleistung eines Liquiditätsverbundes ergebenden Anforderungen zu erfüllen. Insbesondere hat es eine ausreichende Bonität aufzuweisen und liquide Mittel wie auch Refinanzierungsmöglichkeiten haben dauerhaft zur Verfügung zu stehen, um im Bedarfsfall rasch Liquiditätsunterstützung gewähren zu können. Die Modalitäten der konkreten Leistungsbeziehung zwischen dem Zentralinstitut oder dem sonstigen Kreditinstitut, bei dem die Liquiditätsreserve gehalten wird, und den übrigen am Liquiditätsverbund teilnehmenden Kreditinstituten sind unter Bedachtnahme auf § 39 Abs. 1 vertraglich oder statutarisch zu regeln. Die vertraglichen oder statutarischen Regelungen haben insbesondere zu enthalten:

1. Die Voraussetzungen für die Versorgung der angeschlossenen Kreditinstitute mit Liquidität, im Bedarfsfall;

2. die nähere Ausgestaltung der Leistungsverpflichtung des Zentralinstitutes oder sonstigen Kreditinstitutes, bei dem die liquiden Mittel gehalten werden, im Bedarfsfall;

3. die Willensbildung, insbesondere die Beschlusserfordernisse, bei den entsprechenden Entscheidungen;

4. eine Kündigungsfrist, die mindestens ein Jahr betragen muss.

Das Ausmaß der Liquiditätsreserve ist jeweils zum Ende der Monate März, Juni, September und Dezember nach dem Stand der Einlagen zu ermitteln und für das jeweils folgende Vierteljahr anzupassen. Sinken die Einlagen um mehr als 20 vH unter den Stand der letzten maßgeblichen Berechnungsgrundlage, so kann das Kreditinstitut eine Anpassung zum nächstfolgenden Monatsletzten verlangen. Diese Liquiditätsreserve zählt zu den flüssigen Mitteln ersten Grades. Sonstige Einlagen sind täglich fällige Gelder des Zahlungsverkehrs (Sichteinlagen), alle Kündigungs- und Festgelder sowie die Einlagen gegen Ausgabe von Kassenscheinen."

Die zu haltende Liquiditätsreserve zählte gemäß § 27a BWG vorletzter Satz zu den flüssigen Mitteln ersten Grades und wurde dadurch etwa den Kassenbeständen oder den Guthaben des Kreditinstitutes bei der Österreichischen Nationalbank (ÖNB) gleich gehalten (vgl. früher § 25 Abs. 4 BWG).

In der am in Kraft getretenen Fassung von § 27a BWG, BGBl. I Nr. 98/2014, wurde der vorletzte Satz ("Diese Liquiditätsreserve zählt zu den flüssigen Mitteln ersten Grades.") gestrichen. Nach den Erläuterungen (RV 361 Blg. XXV GP) war dieser Satz zu streichen, weil sich die Einordnung der Liquiditätsreserve als liquide Aktiva aufgrund des Außerkrafttretens des nationalen Liquiditätsregimes künftig ausschließlich nach den unionsrechtlichen Vorschriften über die Liquiditätsdeckungsanforderung im Sinne von Art. 412 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 richtet.

Gemäß Art. 412 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 ("Liquiditätsdeckungsanforderung") müssen Institute über liquide Aktiva verfügen, deren Gesamtwert die Liquiditätsabflüsse abzüglich der Liquiditätszuflüsse unter Stressbedingungen abdeckt, damit gewährleistet wird, dass sie über angemessene Liquiditätspuffer verfügen, um sich einem möglichen Ungleichgewicht zwischen Liquiditätszuflüssen und -abflüssen unter erheblichen Stressbedingungen während 30 Tagen stellen zu können. In Stressperioden dürfen Institute ihre liquiden Aktiva zur Deckung ihrer Netto-Liquiditätsabflüsse verwenden.

Die Bestimmung soll gewährleisten, dass Banken ihren Zahlungsverpflichtungen ohne fremde Hilfe zumindest 30 Tage nachkommen können. In Stressperioden dürfen Institute ihre liquiden Aktiva zur Deckung ihrer Netto-Liquiditätsabflüsse verwenden.

Art. 460 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 lautet auszugsweise:

"Liquidität

(1) Der Kommission wird die Befugnis übertragen, zur Präzisierung der allgemeinen Anforderung nach Artikel 412 Absatz 1 einen delegierten Rechtsakt gemäß Artikel 462 zu erlassen. ...

(2) Die Liquiditätsdeckunganforderung gemäß Artikel 412 wird in folgenden Stufen schrittweise eingeführt:


Tabelle in neuem Fenster öffnen
a)
60 % der Liquiditätsdeckunganforderung 2015,
b)
70 % ab dem ,
c)
80 % ab dem ,
d)
100 % ab dem ."
In Ergänzung von Art. 460 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 wurde gemäß Artikel 38 Abs. 1 der delegierten Verordnung (EU) 2015/61 die Liquiditätsdeckungsquote von 60 % der Liquiditätsdeckungsanforderung ab eingeführt, die grundsätzlich für alle einzelnen Kreditinstitute gilt.
Art. 8 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 ermöglicht es unter bestimmten Bedingungen nach Genehmigung durch die FMA, die Liquiditätsanforderungen statt auf Einzelinstitutsebene nur auf Ebene einer Institutsgruppe zu erfüllen. Dasselbe gilt für das Management des Liquiditätsrisikos und das Meldewesen.
Gemäß Artikel 10 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 können die zuständigen Behörden nach Maßgabe des nationalen Rechts ein Institut oder mehrere Institute, die im selben Mitgliedstaat niedergelassen und ständig einer Zentralorganisation im selben Mitgliedstaat, die sie beaufsichtigt, zugeordnet sind, unter näher genannten Voraussetzungen ganz oder teilweise von den Anforderungen unter anderem hinsichtlich der Liquidität ausnehmen.
Ausdrücklich sieht Art. 16 delegierte Verordnung (EU) 2015/61 für Kreditinstitute, die einem Genossenschaftsnetz angehören, Folgendes vor:

"(1) Gehört ein Kreditinstitut einem institutsbezogenen Sicherungssystem nach Artikel 113 Absatz 7 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013, einem Netz, das für die in Artikel 10 der genannten Verordnung vorgesehene Ausnahme in Frage käme, oder einem Genossenschaftsnetz in einem Mitgliedstaat an, so werden die von dem Kreditinstitut beim Zentralinstitut gehaltenen Sichteinlagen gemäß einer der nachstehenden Bestimmungen als liquide Aktiva behandelt:..."

Artikel 113 Abs. 7 Verordnung (EU) Nr. 575/2013 lautet einleitend:

"Mit Ausnahme von Risikopositionen, die Posten des harten Kernkapitals, des zusätzlichen Kernkapitals und des Ergänzungskapitals begründen, darf ein Institut nach vorheriger Erlaubnis der zuständigen Behörden Risikopositionen gegenüber Gegenparteien, mit denen es ein institutsbezogenes Sicherungssystem gebildet hat, d.h. eine vertragliche oder satzungsmäßige Haftungsvereinbarung geschlossen hat, die Institute absichert und insbesondere bei Bedarf ihre Liquidität und Solvenz sicherstellt, um einen Konkurs zu vermeiden, von den Anforderungen nach Absatz 1 ausnehmen. Die zuständigen Behörden sind befugt, die Erlaubnis zu geben, sofern die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind:"

Nach Art. 416 Abs. 1 lit. f Verordnung (EU) Nr. 575/2013 melden Institute unter den hier nicht strittigen weiteren Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 dieser Bestimmung als liquide Aktiva, wenn das Institut auf Grund von Rechts- oder Satzungsvorschriften zu einem Verbund gehört, die gesetzlichen oder satzungsmäßigen Mindesteinlagen bei dem Zentralkreditinstitut oder sonstige satzungs- oder vertragsgemäß verfügbare liquide Finanzierungsmittel vom Zentralkreditinstitut oder von Instituten, die Mitglieder des Systems nach Art. 113 Abs. 7 sind oder für die nach Art. 10 eine Ausnahme gelten kann, insoweit als diese Finanzierungsmittel nicht durch liquide Aktiva besichert sind.

Demnach zählt Art. 416 Abs. 1 lit. f Verordnung (EU) Nr. 575/2013 - ungeachtet der gemäß Art. 416 Abs. 3 und 417 an liquide Aktiva gestellten Anforderungen - die Liquiditätsreserve, wie sie gemäß § 27a BWG zu halten ist, zu den liquiden Aktiva. Sie ist damit Teil des Liquiditätspuffers und kann die Liquiditätsquote bis zu 100% abdecken.

Nicht nur dass die Unionsrechtslage nach dem dargestellten Sekundärrecht vom Vorliegen nationaler Liquiditätsverbünde und von Genossenschaftsnetzen ausgeht und selbst die - auch gesetzliche - Bildung von Liquiditätsverbünden bzw. von Institutsgruppen mit konsolidierten Liquiditätsanforderungen und entsprechender vertraglicher oder statutarischer Ausgestaltung vorsieht, werden die in einem Genossenschaftssystem bei Zentralinstituten (oder anderen Instituten) gehaltenen Liquiditätsreserven wie die nach § 27a BWG ausdrücklich als liquide Aktiva anerkannt und tragen damit im neuen Liquiditätsregime zur Erfüllung der Liquiditätsanforderungen bei.

Die Institute werden dadurch konkret nicht zusätzlich mit Liquiditätsdeckungsanforderungen konfrontiert, sondern die von ihnen bei den Zentralinstituten oder sonstigen Instituten zu haltenden Mindesteinlagen werden den liquiden Aktiva hinzugerechnet. Die im § 27a BWG vorgesehenen Maßnahmen finden demnach im einschlägigen Sekundärrecht Deckung und gehen mit ihm konform.

Nach Auffassung der revisionswerbenden Partei verstoße § 27a BWG auch gegen das in Art. 63 AEUV normierte Verbot aller Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern. § 27a BWG beschränke die Kapitalverkehrsfreiheit - so die Revision in der Zulassungsbegründung wörtlich -,

"indem die Bestimmung einerseits den betroffenen Kreditinstituten die Verpflichtung auferlegt, einen Teil ihrer Einlagen bei bestimmten Kreditinstituten zu veranlagen: entweder bei ihrem Zentralinstitut oder bei einem Kreditinstitut, das gewissen im Gesetz normierten Anforderungen genügen muss. Die von der Regelung betroffenen Kreditinstitute sind somit in der Verwendung dieses Teils ihrer Einlagen beschränkt. Sie müssen sie bei bestimmten Kreditinstituten veranlagen.

Andererseits verpflichtet § 27a BWG die betroffenen Kreditinstitute zur Teilnahme an einem System des gemeinsamen Liquiditätsausgleichs, der vertraglich oder statutarisch zu regeln ist und den im Gesetz näher angeführten Anforderungen genügen muss. Auch diese Verpflichtung schränkt das Recht der Kreditinstitute zur Verwendung dieses Teils ihrer Einlangen ein, weil die Bedingungen über den Zugriff auf den betroffenen Teil der Einlagen von der Ausgestaltung des Systems des gemeinsamen Liquiditätsausgleichs abhängt. Dies hat, wie im Verfahren vor dem BVwG festgestellt, Auswirkungen auf die Höhe der Verzinsung der Einlagen."

Da die Bestimmungen des § 27a BWG gegen das Verbot der Beschränkung des Kapital- und Zahlungsverkehrs verstießen, seien sie nicht anwendbar.

Die Frage, ob § 27a BWG die in Art. 63 AEUV postulierte Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs beschränke, wurde im Vorverfahren nicht gestellt und mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Vorerkenntnis auch nicht beantwortet. Da zu dieser Frage weder Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch solche des EuGH vorliegt und ihre Beantwortung nicht nur für den Revisionsfall wesentlich ist, kommt der vorliegenden Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu (vgl. zur Grundsätzlichkeit unionsrechtlicher Fragen die Beschlüsse vom , Ra 2014/01/0172, vom , Ra 2014/18/0062, und vom , Ro 2014/16/0010).

Gemäß Art. 63 AEUV sind im Rahmen der Bestimmungen dieses Kapitels (Kapitel 4: Der Kapital- und Zahlungsverkehr) alle Beschränkungen des Kapitalverkehrs und des Zahlungsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern verboten.

Die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs ist eine der Grundfreiheiten der Union. Gemeinsam mit der Integration der Banken- und sonstigen Finanzmärkte zählt sie zu den Kernelementen der Wirtschafts- und Währungsunion (vgl. Schneider in Mayer, Kommentar zu EUV und AEUV, Rz 1 zu Art. 63).

§ 27a BWG erlaubt die Veranlagung der Liquiditätsreserve auch bei einem Kreditinstitut in einem anderen Mitgliedstaat, somit Geschäfte mit ausländischen Finanzinstitutionen, was sich als Anwendungsfall von Kapitalverkehr im Sinne des Art. 63 AEUV darstellt (vgl. die Richtlinie des Rates vom zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (88/361/EWG), Anhang I,

VI. B.).

In das Beschränkungsverbot des Art. 63 AEUV sind alle unmittelbaren oder mittelbaren, aktuellen oder potentiellen Behinderungen, Begrenzungen oder Untersagungen für den Zufluss, Abfluss oder Durchfluss von Kapital einbezogen. Hemmnisse der indirekten Art können sein zum Beispiel Genehmigungs- oder Zulassungserfordernisse für Kapitalmarktprodukte oder Formvorschriften für die Zulassung von Wertpapieren zum Börsenhandel oder für die Ausgabe von Schuldverschreibungen, Anlagevorschriften für Sparkassen, Banken, Versicherungen und Investmentfonds (vgl. Ress/Ukrow in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Rz 158 und Rz 179 zu Art. 63 AEUV).

§ 27a BWG enthält auch Anlagevorschriften für angeschlossenen Institute und beschränkt dadurch die Kapitalverkehrsfreiheit.

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH darf der freie Kapitalverkehr durch eine nationale Regelung nur beschränkt werden, wenn diese aus einem der in Art. 65 AEUV genannten Gründe oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne das Urteil vom , VBV-Vorsorgekasse AG , Rs. C 39/11, Rn 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). Um die Ausübung der durch den Vertrag garantierten Freiheiten in zulässiger Weise zu beschränken, müssen die nationalen Vorschriften vier Bedingungen erfüllen: sie müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit Ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. das Gebhard , Rs. C-55/94, Rn 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs kann demnach zugelassen werden, wenn sie einem im Allgemeininteresse liegenden Ziel dient.

Einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, der Beschränkungen des freien Verkehrs von Finanzdienstleistungen rechtfertigt, kann die Aufrechterhaltung des guten Rufes des nationalen Finanzsektors darstellen (vgl. das , Alpine Investments , Rn 44).

Wörtlich heißt es dort:

"Das in einem Mitgliedstaat für die dort ansässigen Finanzvermittler geltende Verbot, mit potentiellen Kunden in einem anderen Mitgliedstaat ohne deren vorherige Zustimmung telefonisch Kontakt aufzunehmen, um ihnen Dienstleistungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen in Warenterminverträgen anzubieten, stellt zwar eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, ist aber durch den zwingenden Grund des Allgemeininteresses, den die Aufrechterhaltung des guten Rufes des nationalen Finanzsektors darstellt, gerechtfertigt. Das ordnungsgemässe Funktionieren der Finanzmärkte hängt nämlich weitgehend von dem Vertrauen ab, das sie bei den Kapitalanlegern genießen."

Ist die Aufrechterhaltung des guten Rufes des nationalen Finanzsektors als Rechtfertigungsgrund für eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit anerkannt, muss dies umso mehr für eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit gelten.

Nach den Materialien zu § 27a BWG (früher § 25 Abs. 13 BWG) ist das Halten liquider Mittel ein wichtiges Element nicht nur für die Sicherung auf Einzelinstitutsebene, sondern auch unter dem volkswirtschaftlichen Aspekt der Finanzmarktstabilität. Gesichert werden soll unter anderem die Zurverfügungstellung von Liquidität im Notfall, das begünstigte Institut soll am Markt aktiv bleiben können. Die Mittel sollten im Liquiditätsfall rasch zur Verfügung gestellt werden können (vgl. RV 313 Blg. XXIII. GP 5f).

§ 27a BWG zielt danach auf die Sicherung der Funktionsfähigkeit und der Stabilität des nationalen Finanzmarktes ab. Die revisionswerbende Partei gehört einem Kreditinstitutssektor an, der entsprechend einer auf der Website der ÖNB veröffentlichten Tabelle im Jahr 2014 auf Basis der vergebenen Konzessionen 498 Hauptanstalten (selbstständige Banken) und 1.608 Zweiganstalten (Bankstellen) zählte, während die übrigen fünf Sektoren zusammen über 158 Hauptanstalten und

2.635 Zweiganstalten verfügten (ohne Berücksichtigung des Umbaus des Volksbankensektors).

Schon der Umstand, dass der hier interessierende Sektor in Österreich mehr als drei Mal so viele Hauptanstalten betreibt wie alle übrigen Sektoren, legt nahe, dass in diesem Sektor getroffene Maßnahmen etwa im Liquiditätsbereich Auswirkungen auf den gesamten nationalen Bank- und Finanzmarkt haben, somit den Ruf des Bankensektors als solchen beeinflussen. Der im § 27a BWG verordnete Liquiditätsausgleich sichert zum einen jedem einzelnen teilnehmenden Institut Liquidität im Bedarfs- und Notfall, verringert die Gefahr eines übermäßigen Rückgriffes auf Marktliquidität und damit auch die Gefahr von Systemrisiken für den gesamten Finanzsektor, gewährleistet einen hohen Grad an Anleger- und Einlegerschutz und erhöht dadurch zum anderen in volkswirtschaftlicher Hinsicht die Funktionsfähigkeit, Stabilität und Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems. Jedenfalls ist davon auszugehen, dass eine solche Maßnahme der Aufrechterhaltung des guten Rufes des Finanzsektors dient und damit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses, der Beschränkungen des freien Kapitalverkehrs rechtfertigt, darstellt.

Das im § 27a BWG verordnete System wird in nicht diskriminierender Weise angewandt und ist durch die Gleichstellung der Liquiditätsreserve mit liquiden Aktiva zur Erreichung der angeführten Ziele geeignet und geht auch nicht über das hinaus, was zur Erreichung des Zieles erforderlich ist.

Gemäß der Zielsetzung der Steigerung der Finanzmarktstabilität versteht es sich auch von selbst, dass einerseits die Liquiditätsreserve nur bei Kreditinstituten, die bestimmten Kriterien entsprechen, zu halten und auch Vorsorge dafür zu treffen ist, dass die Liquidität im Bedarfsfall und im Notfall uneingeschränkt ohne organisatorische Verzögerungen dem Kreditinstitut zur Verfügung gestellt werden kann.

In Anbetracht der dargestellten Rechtfertigungsgründe geht der Verwaltungsgerichtshof davon aus, dass die in Rede stehende Bestimmung des § 27a BWG die Kapitalverkehrsfreiheit in zulässiger Weise beschränkt.

Auf Grund des Vorranges inhaltlicher Aufhebungsgründe war das angefochtene Erkenntnis - wie oben näher begründet - angesichts der bereits verstrichenen Leistungsfrist wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl II Nr. 518/2013 idF BGBl II Nr. 8/2014.

Wien, am