VwGH vom 18.04.2013, 2011/21/0249

VwGH vom 18.04.2013, 2011/21/0249

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie den Hofrat Dr. Sulzbacher als Richter und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des O A O in S, vertreten durch Dr. Heinrich Schellhorn, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom , Zl. UVS-5/14139/5-2011, betreffend Übertretung des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatstangehöriger, reiste am nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde im Instanzenzug mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom abgewiesen. Unter einem wurde festgestellt, dass die (insbesondere) Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.

Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Salzburg vom wurde dem Beschwerdeführer zur Last gelegt, er habe sich "am , um 10.40 Uhr, in 5020 Salzburg, S-Platz 3", als Fremder nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und damit § 31 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG verletzt. Über den Beschwerdeführer wurde deshalb eine Geldstrafe von EUR 1.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe: 360 Stunden) verhängt.

Der dagegen erhobenen Berufung gab der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Salzburg (die belangte Behörde) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Bescheid vom (nur) dahingehend Folge, dass die Geldstrafe auf EUR 500,-- und die Ersatzfreiheitsstrafe auf 180 Stunden herabgesetzt wurde. Die angewendende Strafbestimmung habe "§ 120 Abs. 1 Z 2 FPG idF BGBl I Nr 17/2011" zu lauten.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen hat:

Der Beschwerdeführer hatte in seiner im erstinstanzlichen Verfahren erstatteten Stellungnahme vom (u.a.) vorgebracht, ihm stehe "ein Bleiberecht gem. Art. 8 EMRK" zu, weil er sich in Österreich durchgehend neun Jahre aufhalte. Eine Ausweisung nach Nigeria würde einen schwerwiegenden Eingriff in sein Privatleben darstellen, der durch öffentliche Sicherheits- und Ordnungsinteressen nicht zu legimitieren sei. Er strebe daher auch die Erlangung eines Aufenthaltstitels nach § 44 Abs. 3 NAG an; den dazu notwendigen Antrag habe er am selben Tag persönlich beim Magistrat Salzburg gestellt. Es fehle somit "an einem schuldhaft rechtswidrigen Verhalten" des Beschwerdeführers.

Auch in der Berufung machte der Beschwerdeführer (u.a.) geltend, es treffe ihn kein Verschulden, weil er die Voraussetzungen des § 11 Abs. 3 NAG erfülle. Seine Ausweisung würde daher in unzulässiger Weise in sein Privatleben eingreifen und wäre unverhältnismäßig. Das Verfahren über seinen Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels nach § 44 Abs. 3 NAG sei noch anhängig.

Dem dargestellten, die Unzulässigkeit einer Ausweisung des Beschwerdeführers im Grunde des Art. 8 EMRK behauptenden Vorbringen hielt die Bundespolizeidirektion Salzburg im Straferkenntnis vom entgegen, die vom Beschwerdeführer "vorgebrachten Grundrechte … des Art. 8 EMRK" seien "im Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof einer nachprüfenden Kontrolle unterzogen und als nicht verletzt erachtet" worden.

Dazu ist zunächst anzumerken, dass die - auch von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid übernommene - Annahme, eine gegen das Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom erhobene Beschwerde sei vom Verfassungsgerichtshof am abgewiesen worden, in den vorgelegten Akten keine Deckung findet. Vielmehr wurde - nach dem Inhalt eines Ausdrucks des Asylwerberinformationssystems - mit diesem Datum (nur) ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Einbringung einer Verfassungsgerichtshofbeschwerde abgewiesen. Vor allem verkannte die Bundespolizeidirektion Salzburg aber, dass im Asylverfahren über eine Ausweisung des Beschwerdeführers nicht abgesprochen wurde, sodass in diesem Verfahren gar nicht geprüft wurde, ob sie am Maßstab des Art. 8 EMRK (noch) zulässig gewesen wäre.

Die belangte Behörde setzte sich mit dem oben dargestellten Vorbringen nur insofern auseinander, als sie auf den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 44 Abs. 3 NAG Bezug nahm. Dazu verwies sie darauf, dass die Stellung eines solchen Antrages kein Aufenthalts- und Bleiberecht begründe.

Soweit die Beschwerde dieser Auffassung mehrfach entgegentritt, wird außer Acht gelassen, dass sich der "Tatzeitraum" auf den beschränkt und die Stellung des genannten Antrages erst am erfolgte. Die diesbezügliche Beschwerdeargumentation geht daher jedenfalls ins Leere. Die Beschwerde kommt aber auch auf das Vorbringen im Verwaltungsverfahren zurück, wonach eine Ausweisung des Beschwerdeführers "gemäß § 66 FPG iVm Art. 8 EMRK" auf Dauer unzulässig sei und ihn jedenfalls kein Verschulden an einem (unrechtmäßigen) Aufenthalt in Österreich treffe.

Damit wird ein auf unrichtiger rechtlicher Beurteilung beruhender Feststellungsmangel aufgezeigt:

Da nämlich gegen den Beschwerdeführer zum maßgebliche Tatzeitpunkt am noch keine - nach Vornahme einer Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK - rechtskräftige Ausweisung ergangen war, hätte von der belangten Behörde im Rahmen einer Vorfragenbeurteilung selbst die gebotene Interessenabwägung unter dem Gesichtspunkt der (hypothetischen) Zulässigkeit einer Ausweisung vorgenommen werden müssen. Diese Unterlassung ist für den Verfahrensausgang relevant.

Hätte sich nämlich ergeben, dass eine (hypothetische) Ausweisung des Beschwerdeführers im Tatzeitpunkt nicht gerechtfertigt gewesen wäre, so hätte sich dies im Ergebnis auch auf die Strafbarkeit des inländischen Aufenthaltes gemäß § 120 Abs. 1 Z 2 FPG auswirken müssen. Denn wären auch Fremde, die derart gravierende private (und familiäre) Bindungen in Österreich haben, dass ihr Interesse an deren Aufrechterhaltung die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an einer Ausweisung überwiegt, von der Strafdrohung der genannten Norm erfasst, so läge darin ein dem Gesetzgeber nicht zusinnbarer Wertungswiderspruch. Es muss daher das Vorliegen eines gesetzlichen Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG angenommen werden, wenn einer Ausweisung des Fremden eine zu seinen Gunsten ausfallende Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Weg steht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zlen. 2011/21/0211, 0222, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom , Zlen. 2010/21/0049, 0050, mwN; siehe daran anschließend auch noch die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2011/21/0227, und vom , Zl. 2012/21/0029).

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. In Bezug auf die Anführung der durch die Tat verletzten Verwaltungsvorschrift (§ 44a Z 2 VStG) wird im Übrigen auf das Erkenntnis vom , Zl. 2010/21/0434, verwiesen. Schließlich ist aber auch hinsichtlich der Strafbemessung noch auf das Erkenntnis vom , Zl. 2011/21/0259, zu verweisen. Demnach erwiese sich eine Geldstrafe von EUR 500,-- angesichts eines zeitlich punktuellen Tatvorwurfes und der von der belangten Behörde als "unterdurchschnittlich" bezeichneten Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers jedenfalls als unverhältnismäßig.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am