VwGH vom 19.12.2011, 2009/11/0072
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde der G W in K, vertreten durch Dr. Franz Zimmermann, Rechtsanwalt in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 8/1, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten vom , Zl. 41.550/985- 9/08, betreffend Einziehung eines Behindertenpasses, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Landesinvalidenamts für Kärnten vom war über Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 14 Abs. 2 des Behinderteneinstellungsgesetzes (BEinstG) festgestellt worden, dass die Beschwerdeführerin ab dem Kreis der begünstigten Behinderten angehöre. Ihr Grad der Behinderung betrage 50 %. Bei der Beschwerdeführerin liege "chronischer Lumbago und Restsymptomatik bei Zustand nach Bandscheibenoperation L5/S1 links" vor, was einer Position "I f 191" in den Richtsätzen und einem Grad der Behinderung von 50 %, auf Grundlage der mittelgradigen Funktionsstörung, entspreche.
Auf Grund eines Antrags der Beschwerdeführerin um Neufestsetzung des Grades der Behinderung veranlasste das Bundessozialamt, Landesstelle Kärnten (iF: BSA), die Untersuchung der Beschwerdeführerin durch die Sachverständige Dr. P, Fachärztin für Orthopädie. In dem von ihr auf Basis einer Untersuchung am erstatteten Gutachten heißt es unter "Untersuchungsbefund" (u.a.) wie folgt:
"Wirbelsäule:
Beckengeradstand, Wirbelsäule im Lot, Klopfschmerz und blande Narbe lumbosacral, kein Stauchungsschmerz, kein Druckschmerz;
erhöhter Muskeltonus im Bereich der langen Rückenstrecker lumbal.
Halswirbelsäule:
Sämtliche Bewegungsebenen sind uneingeschränkt durchführbar.
Kinnjugulumabstand 21/1 cm, die Bewegungen sind ohne
wesentliche Schmerzangabe durchführbar.
Brustwirbelsäule:
Die Rumpfdrehung und Rumpfseitneigung nach beiden Seiten ist
uneingeschränkt und ohne Schmerzen durchführbar.
Lendenwirbelsäule:
Das Vorbeugen ist bis zu einem Fingerbodenabstand von 5 cm
möglich.
Das Aufrichten ist prompt und ohne Zuhilfenahme der Hände
durchführbar.
Das Rückbeugen schmerzbedingt zur Hälfte eingeschränkt, das
Seitbeugen beidseits im letzten Drittel eingeschränkt.
Schober 10/13,5. Die Bewegungen sind ohne Schmerzangabe
durchführbar."
Es liege folgende Gesundheitsschädigung, die für die
Gesamteinschätzung des Grads der Behinderung berücksichtigt werde, vor:
Lumbales Schmerzsyndrom mit Bewegungseinschränkung bei Zustand nach Laminotomie L4/5; der Grad der Behinderung betrage 40 %.
Die diesbezügliche Begründung lautet:
"… unterer Rahmensatz: es werden lumbale Schmerzen mit Ausstrahlung in das rechte Bein angegeben. Es zeigt sich eine mittelgradige Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule ohne frische radikuläre Symptomatik. Nach wie vor besteht eine Hyposensibilität seit der Operation, im Bereich S 1 links bei Zustand nach zweimaliger Laminotomie L4/5 1991 und 1993. Weiters findet sich auch eine verminderte Knochendichte."
Die Beschwerdeführerin nahm dazu mit Schreiben vom Stellung, wobei sie im Wesentlichen geltend machte, auf Grund ihrer gesundheitlichen Beschwerden davon ausgehen zu müssen, dass keine Verbesserung, sondern eine wesentliche Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes eingetreten sei. Sie verwies dazu auf einen MRT-Befund vom , in dem bescheinigt werde, dass sie an "Zn Laminotomie L4-5 rechts, Höhenreduktion des Bandscheibenraumes, Osteochondrose, chron. Protrusion der Restbandscheibe, Spondylarthrosen sowie an Spinalkanalstenosen und an einer Protrusion L5-S1" leide.
Der ärztliche Dienst des BSA nahm dazu dahin Stellung, dass der Gesundheitszustand entsprechend der vorliegenden Funktionseinschränkung eingeschätzt worden sei und sensible oder motorische Ausfälle nicht vorlägen, weshalb eine "höhere Einschätzung derzeit nicht möglich" sei.
Daraufhin wurde mit Bescheid des BSA vom der Behindertenpass der Beschwerdeführerin gemäß § 43 Abs. 1 BEinstG eingezogen.
In der dagegen erhobenen Berufung machte die Beschwerdeführerin geltend, sie leide an folgenden, bisher nicht berücksichtigten Gesundheitszuständen:
"Fortgeschrittene Osteoporose, Lähmungserscheinungen in den linken Zehen, Lähmungserscheinungen im Beckenbereich re/li, Venenproblemen - Wasseransammlung in den Beinen, HWS-Versteifung rechts mit Ausstrahlung in den Arm und die Hand mit Fingersteifigkeit,
Chronische Bronchitis,
Chronische Reizblase,
Blasenschwäche mit Harndrang,
Zeitweise auslassen des Gehapparates mit Sturzgefahr,
Schlafstörungen,
Knötchen in der Brust."
Die belangte Behörde veranlasste die Einholung weiterer
Gutachten.
Im orthopädischen Gutachten des Sachverständigen Dr. K vom heißt es unter anderem:
"...
Befund Dris. G Neurologie vorgelegt v. :
Alte S 1 Läsion links, Hypästhesie, intermittierende C7
Reizsymptomatik beidseits
...
Objektiver Befund:
...
Obere Extremitäten:
Beide Schultergelenke in allen Ebenen aktiv uneingeschränkt beweglich. Kein Bewegungsschmerz. Die isometrische Prüfung unauffällig.
Nackengriff und Schürzengriff beidseits uneingeschränkt ausführbar.
Beide Ellbogengelenke in allen Ebenen passiv uneingeschränkt beweglich. Kein Bewegungsschmerz.
Beide Handgelenke äußerlich unauffällig, in allen Ebenen passiv uneingeschränkt beweglich. Kein Bewegungsschmerz.
Faustschluss beidseits vollständig möglich. Der Spitzgriff beidseits ausführbar.
Der Grobgriff beidseits ausführbar. Die Hohlhandbenützungszeichen seitengleich schwach.
Die orientierende neurologische Untersuchung unauffällig. Stamm:
Das Becken in der Aufsicht gerade. Reizlose Narbe an der Lendenwirbelsäule. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule aktiv mittelbis höhereingeschränkt bei Finger-Boden-Abstand von 35 cm. Das Aufrichten unauffällig ohne Ausweichbewegung und ohne Zuhilfenahme der Hände. Die Rückbeuge wird nicht ausgeführt, die Seitbeuge mittelgradig eingeschränkt.
Bewegungsschmerz wird angegeben.
Untere Extremitäten:
Die Muskulatur am Becken, an den Ober- und Unterschenkeln
unauffällig, die Achsen unauffällig.
Beide Hüftgelenke äußerlich unauffällig, bei Bewegungsprüfung Schmerzen in der Lendenwirbelsäule.
Beide Kniegelenke in allen Ebenen passiv uneingeschränkt beweglich. Kein Bewegungsschmerz. Der Bandapparat der Kniegelenke in allen Ebenen fest.
Beide Sprunggelenke äußerlich unauffällig, in allen Ebenen passiv uneingeschränkt beweglich. Kein Bewegungsschmerz.
Fußform: Spreizfuß, sonst unauffällig. Die Fußsohlenbenützungszeichen seitengleich mittelkräftig.
Die orientierende neurologische Untersuchung ohne eindeutige Ausfälle, keine muskulären Atrophien."
Es bestehe ein Wirbelsäulensyndrom, der Grad der Behinderung betrage 40 %, wobei der untere Richtsatzwert der Position I/f/191 anzunehmen sei, weil keine Lähmungserscheinungen bestünden und der neurologische Befund Dris. G keine Paresen beschreibe, lediglich eine Hautgefühlsminderung im Gebiet der Wurzel S 1 rechts. Eine höhere Einschätzung sei zur Zeit wegen fehlender radikalerer Zeichen nicht möglich.
Im Gutachten des Sachverständigen Dr. S, Arzt für Allgemeinmedizin, vom , heißt es schließlich:
"Obere Extremitäten:
Die Bewegung ist in den Schultergelenken beidseitig aktiv und passiv uneingeschränkt durchführbar. Die Ellenbogengelenke normal beweglich ebenso die Handgelenke. Kräftiger Faustschluss. Pulse an typischer Stelle palpabel. Reflexe seitengleich auslösbar.
Untere Extremitäten:
Lasegue beidseitig negativ, Hüftgelenke und Kniegelenke frei beweglich. Bei Bewegungsprüfung der Hüftgelenke, Schmerzen in der Lendenwirbelsäule. Die Pulse an typischer Stelle palpabel. Reflexe seitengleich auslösbar. Spreizfuß beidseitig, Rezidivvarizen linker Unterschenkel, Besenreiser rechter Unterschenkel.
Wirbelsäule:
Beckengeradstand, unauffällige Brustkyphose, sowie Lenden- und Halslordose, Klopfschmerzhaftigkeit über der LWS, kein Stauchungsschmerz.
HWS:
Die Bewegung in allen Ebenen mittelgradig eingeschränkt durchführbar, Verspannung der paravertebralen Muskulatur. Kinnjugulumabstand 4 Zentimeter. Kopfdrehung nach rechts und links 50 Grad .
BWS:
Die Rumpfdrehung und Rumpfseitenneigung nach beiden Seiten zu einem Drittel eingeschränkt und mit Schmerzen durchführbar.
LWS:
Aufsitzen in den Langsitz gelingt nur nach Seitwärtsdrehen und Anhalten, die Iliosacralgelenke und Ischiadicusdruckpunkte sind schmerzhaft, die paravertebrale Muskulatur verspannt. FBA 35 cm Schober 10/13, deutliche Schmerzen beim Bücken und Wiederaufrichten werden angegeben.
...
D. Beurteilung
Tabelle in neuem Fenster öffnen
lfd.Nr. | Art der Gesundheitsschädigung | Position in den Richtsätzen | GdB in % |
I. Gesundheitsschädigungen, die für die Gesamteinschätzung des GdB berücksichtigt werden: | |||
1. | Lumbales Schmerzsyndrom mit Bewegungseinschränkung bei Zustand nach Laminotomie L4/5 | I f 191 | 40 |
2. | Rezidivvarizen links mehr als rechts | IX b 701 | 20 |
II. Gesundheitsschädigungen, mit einem GdB von weniger als 20 v.H., die auch im Zusammenwirken mit anderen Gesundheitsschädigungen keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursachen. | |||
2. | Chronische Bronchitis | III a 283 | 10 |
3. | Reizblase | II b 245 | 10 |
...
Begründung:
ad I/1 Übernahme der Einschätzung aus dem orthopädischen
Gutachten.
ad I/2 unter Rahmensatz entsprechend der ständigen notwendigen Medikation sowie der Kompressionstherapie im Sommer.
ad I/3. mittlerer Rahmensatz entsprechend dem rezidivierend Husten sowie dem Auskultationsbefund mit trockenen Rasselgeräuschen ohne subjektive Symptomatik.
ad I/4 unter Rahmensatz entsprechend der rezidivierend auftretenden Drangsymptomatik mit zeitwesen tropfenweisen unwillkürlichen Harnverlust.
Führend ist Position 1, zwei steigert aufgrund ungünstiger Wechselwirkung im Alltagsleben (Stehen länger Sitzen) um eine Stufe, 3 und 4 steigern aufgrund von Geringfügigkeit nicht weiter.
Korrektur = führend ist GS 1, die übrigen GS steigern auf Grund von Geringfügigkeit nicht mehr."
Die belangte Behörde veranlasste weiters die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von Dr. K zur Frage, ob und gegebenenfalls inwiefern sich das Wirbelsäulenleiden der Beschwerdeführerin im Vergleich zur früheren Beurteilung gebessert habe. Die diesbezügliche Stellungnahme des Dr. K vom lautet:
"Der Funktionszustand hat sich insoferne gegenüber dem Gutachten aus Abl. 7 F-Akt gebessert, als das Gangbild bei der Begutachtung 2008 nachvollziehbar besser war und keine Zeichen einer Nervenwurzelreizung vorlagen.
Bei der Begutachtung 1992 war das Gangbild linksseitig hinkend, der Zehengang und Fersengang nicht möglich. Zusätzlich bestand ein linksseitig positiver Laseguetest bei 40 Grad als Zeichen einer Nervenwurzelreizung.
Bei der Begutachtung v. war das Gangbild bis auf ein gering verkürztes Schrittmaß unauffällig, jedenfalls nicht hinkend und war der Zehengang ausführbar.
Weiters bestand kein Zeichen einer Nervenwurzelreizung. Die Einschätzung war daher im unteren Rahmensatz vorzunehmen."
Mit Erledigung vom übermittelte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin die Gutachten der Sachverständigen Dr. K und Dr. S sowie die ergänzende Stellungnahme des Dr. K mit dem Hinweis, davon ausgehend betrage der Grad der Behinderung 40 %; die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses lägen nicht mehr vor. Der Beschwerdeführerin stehe es frei, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens binnen zwei Wochen eine Stellungnahme abzugeben.
Dies unterblieb, woraufhin die belangte Behörde mit dem nun angefochtenen Bescheid vom die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß §§ 40 Abs. 1, 41 Abs. 1 und 43 Abs. 1 des Bundesbehindertengesetzes abwies.
In der Begründung gab die belangte Behörde zunächst - auszugsweise - die eingeholten Gutachten wieder, legte die maßgebenden Vorschriften des Bundesbehindertengesetzes (BBG) dar und führte aus, die eingeholten Sachverständigengutachten seien schlüssig, nachvollziehbar und wiesen keine Widersprüche auf. Ihr Inhalt sei im Rahmen des Parteiengehörs von der Beschwerdeführerin unbeeinsprucht zur Kenntnis genommen worden. Darin sei auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen worden, wobei die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen der persönlichen Untersuchung erhobenen klinischen Befunden, den festgestellten Funktionseinschränkungen entsprächen. Aus der Gesundheitsschädigung Nr. 2 (Rezidivvarizen) resultiere im Hinblick auf den Gesamtgrad der Behinderung in funktioneller Hinsicht kein maßgeblicher zusätzlicher Behinderungswert, die Leiden 3 und 4 höben den Gesamtgrad der Behinderung wegen Geringfügigkeit nicht weiter an. Bezüglich der in der Berufungsschrift angeführten Osteoporose und der Knötchen in der Brust seien keine diesbezüglichen Beweismittel vorgelegt bzw. im Rahmen der persönlichen Untersuchungen keine entsprechenden Beschwerden angegeben worden. Die beeinspruchten Schlafstörungen würden als Folge von möglichen stark auftretenden Schmerzen beschrieben. Ein daraus resultierender, nicht nur vorübergehender Leidenszustand sei nicht anzunehmen. Im Vergleich zur rechtskräftigen Einschätzung vom habe im Leidenszustand an der Wirbelsäule eine Verbesserung objektiviert werden können. Ausgehend von einem Grad der Behinderung von bloß 40 % seien die Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses nicht mehr erfüllt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
1. Im Beschwerdefall sind folgende Bestimmungen des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970 idF BGBl. I Nr. 67/2008 (BEinstG), sowie des Bundesbehindertengesetzes, BGBl. Nr. 283/1990 idF BGBl. I Nr. 109/2008 (BBG), von Bedeutung:
1.1. BEinstG:
"Begünstigte Behinderte
§ 2. (1) Begünstigte Behinderte im Sinne dieses Bundesgesetzes sind österreichische Staatsbürger mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 vH . . ...
Behinderung
§ 3. Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen, die geeignet ist, die Teilhabe am Arbeitsleben zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
…
Feststellung der Begünstigung
§ 14. (1) Als Nachweis für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten gilt der letzte rechtskräftige Bescheid über die Einschätzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit mindestens 50 vH
a) eines Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen (der Schiedskommission) bzw. des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen oder der Bundesberufungskommission im Sinne des Bundesberufungskommissionsgesetzes, BGBl. 1 Nr. 150/2002;
…
Die Feststellung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Nachweis gilt zugleich als Feststellung des
Grades der Behinderung . ... .
(2) Liegt ein Nachweis im Sinne des Abs. 1 nicht vor, hat auf Antrag des Behinderten das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen den Grad der Behinderung einzuschätzen und bei Zutreffen der im § 2 Abs. 1 angeführten sonstigen Voraussetzungen die Zugehörigkeit zum Kreis der nach diesem Bundesgesetz begünstigten Behinderten (§ 2) sowie den Grad der Behinderung (Abs. 3) festzustellen. Hinsichtlich der ärztlichen Sachverständigen ist § 90 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, anzuwenden. Die Begünstigungen nach diesem Bundesgesetz werden mit dem Zutreffen der Voraussetzungen, frühestens mit dem Tag des Einlangens des Antrages beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen wirksam. Sie werden jedoch mit dem Ersten des Monates wirksam, in dem der Antrag eingelangt ist, wenn dieser unverzüglich nach dem Eintritt der Behinderung (Abs. 3) gestellt wird. Die Begünstigungen erlöschen mit Ablauf des Monates, der auf die Zustellung des Bescheides folgt, mit dem der Wegfall der Voraussetzungen für die Zugehörigkeit zum Kreis der begünstigten Behinderten rechtskräftig ausgesprochen wird.
(3) Der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales ist ermächtigt, nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates gemäß § 8 BBG durch Verordnung nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung festzulegen. Diese Bestimmungen haben die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf das allgemeine Erwerbsleben zu berücksichtigen und auf den Stand der medizinischen Wissenschaft Bedacht zu nehmen.
…
Übergangsbestimmungen
§ 27. (1) Bis zum Inkrafttreten der Verordnung gemäß § 14 Abs. 3 sind für die Einschätzung des Grades der Behinderung die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, daß Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 vH außer Betracht zu lassen sind, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht.
…"
1.2. BBG:
"Ziel
§ 1. Behinderten und von konkreter Behinderung bedrohten Menschen soll durch die in diesem Bundesgesetz vorgesehenen Maßnahmen die bestmögliche Teilnahme am gesellschaftlichen Leben gesichert werden.
...
BEHINDERTENPASS
§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihrer Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
...
§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach den Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. Nr. 152, einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Bestimmungen keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
...
§ 42. (1) Der Behindertenpaß hat den Vor- und Familiennamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.
(2) Der Behindertenpaß ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist.
§ 43. (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.
...
§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.
(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben oder der Paß eingezogen wird.
(3) (Verfassungsbestimmung) Über Berufungen gegen Bescheide des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen gemäß Abs. 2 entscheidet die Bundesberufungskommission nach dem Bundesberufungskommissionsgesetz, BGBl. I Nr. 150/2002.
(4) Gegen die Entscheidung der Bundesberufungskommission ist eine weitere Berufung unzulässig. …
§ 46. Auf das Verfahren zur Ausstellung und Einziehung eines Behindertenpasses finden, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991, BGBl. Nr. 51, und des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes 1991, BGBl. Nr. 53, mit der Maßgabe Anwendung, dass die Berufungsfrist sechs Wochen beträgt."
1.3. Wie die belangte Behörde zutreffend ausführt, hat die Gesamteinschätzung mehrerer Leidenszustände nicht im Wege der Addition der aus den Richtsatzpositionen sich ergebenden Hundertsätze zu erfolgen, vielmehr ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste Minderung der Erwerbsfähigkeit verursacht, und dann zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit gerechtfertigt ist (vgl. etwa das Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0034), wobei die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigung auf die Erwerbsfähigkeit im Vordergrund zu stehen haben (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/11/0321).
Bei dieser Beurteilung hat sich die Behörde eines oder mehrerer Sachverständigen zu bedienen (§ 14 Abs. 2 BEinstG), wobei es dem Antragsteller frei steht, zu versuchen, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2000/11/0093).
2. Die Beschwerde macht - unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften - im Wesentlichen geltend, die belangte Behörde habe es entgegen der sie nach § 13a AVG treffenden Verpflichtung, einer nicht durch berufsmäßige Parteienvertreter vertretenen Person Anleitung zur Vornahme der nötigen Verfahrenshandlungen zu geben, unterlassen, die im Berufungsverfahren lediglich durch einen Sachgebietsleiter des Behindertenservice des Landes Kärnten vertretene Beschwerdeführerin entsprechend anzuleiten. So wäre es erforderlich gewesen, die Beschwerdeführerin hinsichtlich des Osteoporose und Knötchen in der Brust geltend machenden Berufungsvorbringens anzuleiten, Beweise beizubringen. Dies gelte auch für das weitere Berufungsvorbringen, es bestünden Lähmungserscheinungen in den linken Zehen und im Beckenbereich rechts/links. Diese (erkennbar) neurologischen Krankheitsbilder hätten die amtswegige Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet Neurologie, zumindest aber die Anleitung der Beschwerdeführerin zu einer entsprechenden Antragstellung erfordert.
Zudem habe die belangte Behörde eine detaillierte Auseinandersetzung mit den im Vergleich zu den Untersuchungsergebnissen des Jahres 1992 (die zu einer Beurteilung des Grads der Behinderung mit 50 % geführt hatten) eingetretenen Veränderungen unterlassen. So sprächen schon Grundsätze der Logik und der allgemeinen Lebenserfahrung gegen die Richtigkeit der Annahme, dass sich im Laufe von rund 16 Jahren eine nachvollziehbare Besserung eingestellt habe. Weiters könne aus dem Umstand, dass die Beschwerdeführerin anlässlich der Untersuchung beim Sachverständigen Dr. K am nicht gehinkt habe, nicht der Schluss gezogen werden, es habe sich eine signifikante, eine Verminderung des Grads der Behinderung von 50 auf 40 % rechtfertigende Verbesserung ergeben, wo doch das vorgelegte Attest Dris. G eine neurologische Symptomatik bestätigt habe. Auch ließen die Gutachten der Sachverständigen Dr. K und Dr. S nicht erkennen, dass sich diese beiden mit dem am eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten im Detail auseinander gesetzt hätten, zumal damals bei identer Diagnose betreffend die Art der Gesundheitsschädigung ein Grad der Behinderung von 50 % festgestellt worden sei.
Zu rügen sei auch, dass die im Rahmen des Parteiengehörs von der belangten Behörde eingeräumte Frist von lediglich zwei Wochen zu kurz gewesen sei, um auf die Beweisergebnisse in entsprechender Weise entgegnen zu können. Der Umstand, dass die Untersuchung der Beschwerdeführerin beim Sachverständigen Dr. K lediglich 30 Minuten gedauert habe, stelle ein Indiz dafür dar, dass die Befundaufnahme nur oberflächlich erfolgt sei, wobei überdies zu bemerken sei, dass dieser Sachverständige offenbar fachübergreifend tätig geworden sei, wenn er auf eine "orientierende" neurologische Untersuchung Bezug nehme. Dr. K habe zwar den MRT-Befund Dris. Ka zitiert, sich mit dessen Inhalt jedoch ersichtlich nicht auseinander gesetzt. Soweit er schließlich vom "unteren" Richtsatzwert spreche, sei ihm entgegen zu halten, dass nach der Richtsatztabelle 199 ein Grad der Behinderung von 40 % den untersten Wert darstelle, weil die Bandbreite von 40 bis 100 % reiche.
Auch das Gutachten Dris. S lasse nicht erkennen, dass sich dieser mit dem medizinischen Gutachten des Jahres 1992 auseinander gesetzt habe. Dr. S objektiviere deutliche Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule der Beschwerdeführerin, übernehme allerdings zu diesem Krankheitsbereich die Einschätzung aus dem orthopädischen Gutachten und gelange zunächst zum Ergebnis, dass Position 2 die Position 1 auf Grund ungünstiger Wechselwirkung im Alltagsleben um eine Stufe steigere, korrigiere diese Einschätzung jedoch dann handschriftlich und gelange im Ergebnis zu einem vorläufigen Gesamtgrad der Behinderung von bloß 40 %, ohne dass ersichtlich wäre, inwieweit er sich mit dem MRT-Befund Dris. Ka auseinander gesetzt hätte. Durch den zwischenzeitig am eingeholten MRT-Befund würden wesentlich massivere Beschwerdesymptomatiken als von den Gutachtern angenommen bestätigt.
Es ergebe sich daher, dass die von der belangten Behörde eingeholten ärztlichen Sachverständigengutachten nicht frei von Widersprüchen seien, und es zu deren Beseitigung sowie zur Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage weiterer Gutachten, insbesondere aus dem Fachgebiet der Neurologie bedurft hätte.
3. Mit diesem Vorbringen wird eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids führende Rechtswidrigkeit nicht aufgezeigt.
3.1. Die von der belangten Behörde verwerteten Sachverständigengutachten (Dris. Ka und Dris. S) sind auf die bei der Beschwerdeführerin aufgetretenen Leidenszustände einzeln eingegangen, haben sie bewertet und zusammenfassend festgestellt, dass das führende Leiden (lumbales Schmerzsyndrom mit Bewegungseinschränkung bei Zustand nach Laminotomie L4/5) einen Grad der Behinderung von 40 % erreiche, und die übrigen beschriebenen Gesundheitseinschränkungen keine Erhöhung des Gesamtgrades der Behinderung bewirkten, weil keine weitere ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung bestehe.
3.2. Zur Frage, inwieweit eine Verbesserung des Gesundheitszustands der Beschwerdeführerin gegenüber ihrem zur Feststellung eines Gesamtgrads der Behinderung von 50 % führenden Gesundheitszustand im Jahr 1992 erfolgt sei, hat der Sachverständige Dr. K im Einzelnen Stellung genommen, und insbesondere ausgeführt, das Gangbild habe sich nachvollziehbar gebessert (kein Hinken, Zehengang ausführbar) und es bestünden nunmehr keine Zeichen einer Nervenwurzelreizung mehr.
Der Sachverständige Dr. K hat auf den Befund Dris. G Bedacht genommen (die Beschwerde behauptet nicht einmal, dass dessen Inhalt unrichtig wiedergegeben worden sei); mit dem bloßen Hinweis, die belangte Behörde habe die Einholung eines neurologischen Gutachtens unterlassen, wird daher kein relevanter Verfahrensmangel aufgezeigt.
3.3. Die Beschwerdeführerin hatte Gelegenheit, die wiedergegebenen, ausführlich begründeten, auf klinischen Untersuchungen beruhenden Ausführungen der Sachverständigen in geeigneter Weise, etwa mit einem von ihr selbst in Auftrag gegebenen Gutachten zu widerlegen. Dies hat sie jedoch unterlassen. Dem Argument, die ihr im Verwaltungsverfahren im Rahmen des Parteiengehörs eingeräumte Frist zur Stellungnahme sei zu kurz gewesen, ist lediglich zu entgegnen, dass sie nicht einmal einen Verlängerungsantrag gestellt hat.
3.4. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin folgt aus dem Umstand, dass im Vorverfahren ihr Gesundheitszustand mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 50 % bewertet worden sei, nicht die Unschlüssigkeit einer nunmehrigen Beurteilung mit bloß 40 %.
Entscheidend ist vielmehr, ob das führende Leiden sich verbessert hat (was von der belangten Behörde als Ergebnis einer nicht als unschlüssig zu erkennenden Beweiswürdigung angenommen wurde), und ob wegen des Hinzutretens weiterer Gesundheitseinschränkungen eine Erhöhung des Gesamtgrads der Behinderung anzunehmen ist. Dass die belangte Behörde letzteres unter Bezugnahme auf die eingeholten Sachverständigengutachten verneint hat, ist im Lichte des Beschwerdevorbringens vom Verwaltungsgerichtshof nicht zu beanstanden.
3.5. Mit dem pauschalen Hinweis der Beschwerde, die Beschwerdeführerin sei von der belangten Behörde nicht angeleitet worden, weitere Beweismittel (hinsichtlich Osteoporose, Knötchen in der Brust, Lähmungserscheinungen) vorzulegen, wird ein relevanter Verfahrensmangel nicht aufgezeigt, zumal die Beschwerde ein konkretes Vorbringen hinsichtlich relevanter Auswirkungen auf Grund der genannten Gesundheitsbeeinträchtigungen unterlässt.
4. Aus diesen Erwägungen war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.
Wien, am
Fundstelle(n):
SAAAE-91922