VwGH vom 23.11.2016, Ro 2014/15/0031
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bamminger, über die Revision des Finanzamtes Grieskirchen Wels in 4601 Wels, Dragonerstraße 31, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom , Zl. RV/1269-L/12, betreffend Umsatzsteuer 2010 (mitbeteiligte Partei: V GmbH in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
1 Die mitbeteiligte Partei, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Stammkapital zu 100 % von der Y GmbH Co KG gehalten wird, an welcher wiederum zu 100 % die X AG, eine Bank, beteiligt ist, erwarb mit Kaufvertrag vom Teile einer bebauten Liegenschaft in W und machte die Umsatzsteuer, die ihr für den Ankauf und Adaptierungsarbeiten in Rechnung gestellt wurde, als Vorsteuer geltend. Im Rahmen einer Außenprüfung stellte der Prüfer fest, dass die Mitbeteiligte in Bezug auf das zweite Obergeschoß ein Mietverhältnis mit einem Verein übernommen habe. Die aus dem Mietverhältnis resultierenden Erlöse unterlägen der Umsatzsteuer (20%), weshalb die Mitbeteiligte gemäß § 6 Abs. 2 UStG 1994 zur Steuerpflicht optiert habe. Hinsichtlich der restlichen Liegenschaftsteile sei, nach Durchführung entsprechender Adaptierungsarbeiten, eine steuerpflichtige Vermietung an die X AG beabsichtigt gewesen. Diese sei aber nicht umsatzsteuerbar, weil die Mitbeteiligte finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich in die X AG eingegliedert sei, die den Erwerb der Liegenschaft finanziert und in Bezug auf die Mitbeteiligte eine unentgeltliche Patronatserklärung abgegeben habe. Es liege eine Organschaft nach § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 vor, weshalb der bisher gewährte Vorsteuerabzug rückgängig zu machen sei.
2 Das Finanzamt folgte dem Prüfer und erließ einen der Prüfungsfeststellung entsprechenden Umsatzsteuerbescheid 2010.
3 Die Mitbeteiligte berief gegen den im Anschluss an die Außenprüfung ergangenen Umsatzsteuerbescheid und führte in der Berufung u.a. aus:
"Gemäß § 2 Abs. 2 Z 2 UStG ist eine juristische Person dann nicht mehr als selbständig zu betrachten, wenn sie einem anderen Unternehmen derart untergeordnet ist, dass sie keinen eigenen Willen mehr hat. Dies ist dann der Fall, wenn sie nach dem Gesamtbild der Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in ein anderes Unternehmen eingegliedert ist.
Sowohl nach der Rechtsprechung von VwGH und BFH sind die drei Merkmale nicht unabhängig voneinander zu beurteilen, sondern im Kontext zu sehen. Damit eine Organschaft vorliegt kann es daher ausreichen, wenn eines der drei Merkmale weniger stark ausgeprägt ist, dafür aber die anderen Merkmale erheblich deutlicher in den Vordergrund treten (vgl. ; BFH , VR30/06).
Aus dem Gesetzeswortlaut ist zu entnehmen, dass jedoch alle drei Merkmale kumulativ vorliegen müssen. Werden nur zwei Merkmale erfüllt, reicht dies nicht aus um eine Organschaft zu begründen (vgl. ).
Aus dem Vorliegen eines dieser Merkmale kann allerdings nicht auf das Zutreffen eines der beiden anderen Merkmale geschlossen werden (vgl. Kühbacher, SWI 9/2012, Umsatzsteuerliche Organschaft in Österreich und Deutschland, S. 412). Auch der VwGH sieht keinen Zusammenhang zwischen den einzelnen Merkmalen (vgl. ). Da die Höchstgerichte eine sehr separierte Betrachtungsweise der Merkmale haben, ist daraus zu schließen, dass eine sehr starke Ausprägung von zwei Merkmalen eine nur undeutliche Ausprägung des dritten Merkmales der Organschaft nicht kompensieren kann. Eine Organschaft liegt daher nur dann vor, wenn ein deutliches Verhältnis der Ober- und Unterordnung vorliegt.
(...)
Die wirtschaftliche Eingliederung ist gemäß der VwGH Rechtsprechung dann gegeben, wenn Organträger und Organgesellschaft eine wirtschaftliche Einheit bilden, bei der das Organ dem Organträger untergeordnet ist (vgl. ). Dabei ist es von Bedeutung, ob zwischen den beiden Unternehmen ein vernünftiger betriebswirtschaftlicher Zusammenhang besteht und die Tätigkeiten aufeinander abgestellt sind und sich ergänzen (vgl. ). Dies wird immer dann der Fall sein, wenn die Organgesellschaft einer Betriebsabteilung des Organträgers gleichkommt bzw. eine betriebliche Teilfunktion übernimmt. Demnach muss eine starke wirtschaftliche Leistungsverflechtung bestehen.
Keine wirtschaftliche Eingliederung liegt hingegen vor, wenn beide Unternehmen in völlig unterschiedlichen Produkt-Markt-Kombinationen tätig sind (vgl. ). Selbst wenn artverwandte, nicht identische Leistungen verschiedenen Zielgruppen angeboten werden, begründet dies noch keine wirtschaftliche Eingliederung. Vielmehr liegt eine Arbeitsteilung im Konzern vor und somit eine Nebenordnung. Dies ist auch dann der Fall, wenn von der Muttergesellschaft administrative Arbeiten übernommen werden (vgl. ).
Auch der BFH sieht die wirtschaftliche Eingliederung dann als gegeben, wenn der Organträger der Organgesellschaft die wesentliche Betriebsgrundlage zur Verfügung stellt und diese ev. auch noch durch Kündigung der Rechtsbeziehung eine wesentliche Grundlage für ihre Umsatztätigkeit entziehen kann. Schon die bloße Möglichkeit einen Mietvertrag zu kündigen gibt dem Vermieter eine beherrschende Stellung (vgl. Kranich/Siegl/Waba, UStG,§ 2 Anm 300a).
Die enge Auslegung der Organschaftsmerkmale beruht nicht zuletzt auch auf EU Recht, nämlich auf Art. 4 Abs. 4 UAbs. 2 der
6. MwSt-RL bzw. des Art. 11 UAbs. 1 MwStSyst-RL. Die Zusammenfassung von selbständigen Personen zu einer sogenannten Mehrwertsteuergruppe, wenn eine enge finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehung besteht, als einen Steuerpflichtigen, stellt eine Ausnahme vom allgemeinen Grundsatz des Art. 4 6. MwSt-RL dar. Gemäß der EUGH Rechtsprechung sind Mehrwertsteuerbestimmungen, die eine Ausnahme vom Grundsatz darstellen, besonders eng auszulegen (vgl. Kühbacher a.a.O., S. 420).
Vergleicht man die von der Rechtsprechung geforderten Merkmale für die wirtschaftliche Eingliederung mit jenem wie sie zum Prüfungszeitpunkt vorlagen, so sind diese soweit sie die wirtschaftliche Eingliederung betreffen nicht gegeben.
Die Vermietungstätigkeit der (Mitbeteiligten) umfasst die Vermietung eines Gebäudes nicht an die (X AG) sowie die Vermietung eines Ambulanzjets an ein Rettungsflugunternehmen.
Diese Tätigkeit ist uE nicht als Bankgeschäft gemäß BWG einzustufen und auch nicht als Teil des Bankgeschäftes in dem es eine ergänzende Funktion darstellt, wie z.B. das Marketing für die (X AG). Vielmehr ist es eine vom Bankgeschäft unabhängige Tätigkeit - Vermietung von beweglichen und unbeweglichen Wirtschaftsgütern.
Dass die (X AG) eine Patronatserklärung für Zwecke der Bilanzierung übernommen hat, stellt wirtschaftlich betrachtet eine Garantie für die eigene(n) Forderungen gegenüber der (Mitbeteiligten) dar, da die (X AG) der einzige Gläubiger der (Mitbeteiligten) ist. In Anbetracht der obigen Ausführungen zu den Merkmalen der Organschaft ist dieser Sachverhalt wohl der finanziellen und nicht der wirtschaftlichen Eingliederung zuzuordnen.
Die Refinanzierung ausschließlich durch die (X AG) ist nicht zwingend für die (Mitbeteiligte). Auf Grund (der) vorhandenen Sicherheiten (Immobilien) ist eine Kreditaufnahme auch bei einer anderen Bank jederzeit möglich. Die Annahme der Betriebsprüfung, dass sich die (Mitbeteiligte) zwingend bei der (X AG) refinanzieren muss, ist nicht nachzuvollziehen, da diesbezüglich keinerlei Beschränkungen in Satzung oder sonstigen Verträgen bestehen.
Der Hinweis der Betriebsprüfung auf die Konditionengestaltung des Kredites ist uE bei Projektfinanzierungen durchaus im Bereich des Möglichen. Die Betriebsprüfung führt diese jedoch als weiteres Indiz für ein Eingliederungsmerkmal an. Unseres Erachtens ist dieses Merkmal, wenn man es als Indiz für ein Merkmal der Organschaft heranzieht, der finanziellen Eingliederung zuzuordnen, da die besonderen Konditionen sich wohl nur aus der mittelbaren Gesellschafterstellung begründen. Eine wirtschaftliche Eingliederung ist dadurch nicht gegeben.
Die beabsichtigte teilweise Vermietung des angekauften Gebäudes an die (X AG) stellt uE ebenfalls keine wirtschaftliche Eingliederung dar. Zumal die (X AG) nicht der einzige Mieter im Rahmen der Vermietungstätigkeit der (Mitbeteiligten) ist. Darüber hinaus besteht auch keine Unterordnung der (Mitbeteiligten), indem die (X AG) die wesentliche Betriebsgrundlage durch Vertragskündigung entziehen kann (Kranich/Siegl/Waba, UStG,§ 2 Anm 300a). Vielmehr könnte die (Mitbeteiligte) der (X AG) den Mietvertrag kündigen und damit ergibt sich eine Umkehr der Machtausübung. Auch wenn die (X AG) den Mietvertrag kündigen würde ist der (Mitbeteiligten) nicht eine wesentliche Grundlage ihrer Geschäftstätigkeit entzogen. Die (Mitbeteiligte) müsste nur einen neuen Mieter suchen.
Daraus folgt, dass auf Grund der vorhandenen Tatbestandsmerkmale und in Auslegung der EUGH Rechtsprechung aber auch der VwGH Erkenntnisse die wirtschaftliche Eingliederung nicht gegeben ist, und somit ein Merkmal der umsatzsteuerlichen Organschaft bei diesem Sachverhalt fehlt. Daher liegt unseres Erachtens keine umsatzsteuerliche Organschaft zum Prüfungszeitpunkt vor, sodass der Vorsteuerabzug von den Anschaffungskosten der (Liegenschaft in W) zu Recht erfolgte und die (Mitbeteiligte) als eigenes umsatzsteuerliches Unternehmen zu beurteilen ist."
4 Der unabhängige Finanzsenat gab der Berufung mit dem angefochtenen Bescheid, der am unterfertigt und den Parteien des Verwaltungsverfahrens am zugestellt worden ist, Folge und begründete die stattgebenden Erledigung - nach Wiedergabe des obigen Berufungsvorbringens - wie folgt:
"Wie die (Mitbeteiligte) zutreffend dargelegt hat liegt die wirtschaftliche Eingliederung nicht vor. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn die Refinanzierung durch die (X AG) für die (Mitbeteiligte) zwingend wäre, weil dieser Umstand nur auf die (ohnehin unstrittig gegebene) finanzielle Eingliederung hindeutet. Dass die Vermietung an den Verein sowie die (steuerpflichtig geplante) Vermietung an die AG dem Grunde nach nicht anzuerkennen sei, hat das Finanzamt nicht eingewendet. Der Berufung war daher Folge zu geben."
5 Gegen diesen Bescheid, der gemäß § 323 Abs. 38 letzter Satz BAO als Erledigung des Bundesfinanzgerichtes gilt, richtet sich die Revision des Finanzamtes mit dem Antrag, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Das Finanzamt erachtet die Revision u.a. deshalb für zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage der Organschaft (§ 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994) im Zusammenhang mit der Finanzierung eines Liegenschaftskaufes durch einen Organträger und der anschließenden Vermietung der vom Organ solcherart finanzierten Liegenschaft an den Organträger fehle.
6 Das Bundesfinanzgericht legte die Revision unter Anschluss der Akten des Verfahrens und der von der Mitbeteiligten erstatteten Revisionsbeantwortung vor.
7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
8 Nach der ständigen Rechtsprechung muss die Bescheidbegründung erkennen lassen, welcher Sachverhalt der Entscheidung zugrunde gelegt wurde, aus welchen Erwägungen die belangte Behörde zur Ansicht gelangt ist, dass gerade dieser Sachverhalt vorliegt, und aus welchen Gründen die Behörde die Subsumtion des Sachverhaltes unter einen bestimmten Tatbestand für zutreffend erachtet. Die Begründung eines Abgabenbescheides muss in der Weise erfolgen, dass der Denkprozess, der in der behördlichen Erledigung seinen Niederschlag findet, sowohl für den Abgabepflichtigen als auch im Fall der Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes für diesen nachvollziehbar ist (vgl. etwa , mwN, und vom , 2011/15/0122). Nichts anderes kann für einen Bescheid gelten, der gemäß § 323 Abs. 38 letzter Satz BAO als Erledigung des Bundesfinanzgerichtes gilt.
9 Die oben wiedergegebene Begründung des im vorliegenden Fall angefochtenen Bescheides lässt nicht erkennen, von welchem Sachverhalt das Bundesfinanzgericht ausgegangen ist, und entspricht schon deshalb den beschriebenen Anforderungen an die Begründung eines Bescheides nicht.
10 Die wirtschaftliche Eingliederung ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gegeben, wenn zwischen den Gesellschaften ein vernünftiger betriebswirtschaftlicher Zusammenhang besteht und ihre Tätigkeiten aufeinander abgestellt sind und sich gegenseitig ergänzen (vgl. in diesem Sinn etwa , VwSlg 7345/F, vom , 98/13/0117, VwSlg 7523/F, vom , 96/14/0085, vom , 98/15/0007, und vom , 2006/14/0043). Letzteres träfe im Streitfall jedenfalls dann zu, wenn die Aufgabe der Mitbeteiligten als Besitzgesellschaft vornehmlich darin bestünde, der X AG die für den Betrieb ihrer Bankgeschäfte erforderlichen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. In unionsrechtskonformer Interpretation des § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 ist mit dem betriebswirtschaftlichen Zusammenhang das Tatbestandsmerkmal der wirtschaftlichen Eingliederung erfüllt, ohne das es einer wirtschaftlichen "Unterordnung" bedarf. So hat der , Larentia + Minerva, und C-109/14, Marenave , Rn 46, zur Auslegung der unionsrechtlichen Grundlagen der Organschaft ausgesprochen, dass Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2006/69 geänderten Fassung (der Art. 11 der "MWSt-SystRL entspricht") einer nationalen Regelung entgegensteht, die die in dieser Bestimmung vorgesehene Möglichkeit, eine Gruppe von Personen zu bilden, die als ein Mehrwertsteuerpflichtiger behandelt werden können, allein den Einheiten vorbehält, die juristische Personen sind und mit dem Organträger dieser Gruppe durch ein Unterordnungsverhältnis verbunden sind. Das nationale Recht, dass in § 2 Abs. 2 Z 2 UStG 1994 darauf abstellt, dass das Organ "nach der Gesamtheit der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in (das) Unternehmen eingegliedert ist", verschließt sich einer richtlinienkonformen Interpretation nicht.
11 Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
Wien, am