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VwGH vom 17.11.2009, 2009/11/0061

VwGH vom 17.11.2009, 2009/11/0061

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S N in W, vertreten durch Winkler - Heinzle Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom , Zl. D1/448894/2008#2, betreffend Ladung in einer Angelegenheit nach dem Suchtmittelgesetz, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Ladungsbescheid des Magistrates der Stadt Wien vom wurde der Beschwerdeführer unter Angabe des Gegenstandes "Ärztliche Untersuchung wegen Verdachts des Suchtgiftmissbrauchs (Verdacht des Konsums illegaler Drogen) gemäß § 12 Suchtmittelgesetz" für den um 13.15 Uhr zur belangten Behörde vorgeladen. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er persönlich kommen müsse. Für den Fall der Nichtbefolgung der Ladung wurde die Verhängung einer Zwangsstrafe angedroht.

Diesem Ladungsbescheid gemäß § 19 AVG lag zu Grunde, dass die Bundespolizeidirektion Wien eine Anzeige gegen den Beschwerdeführer erstattet hatte, worin angeführt wird, dass dieser dringend verdächtig sei, den bestehenden Vorschriften zuwider am von O. (der ebenfalls angezeigt wurde) "ein Päckchen Marihuana (-1,0-gr.BTO) für den eigenen Gebrauch erworben" zu haben. Nach dem Inhalt der Anzeige habe O. am gegen 22.35 Uhr in Wien 2., Augartenbrücke, Abgang Treppelweg, an den Beschwerdeführer insgesamt ein Päckchen Marihuana zum Preis von EUR 10,-- verkauft. Der Beschwerdeführer sei "zum Sachverhalt geständig".

Gegen den genannten Ladungsbescheid der belangten Behörde richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes (SMG) lauten auszugsweise:

"Gesundheitsbezogene Maßnahmen bei Suchtgiftmißbrauch

§ 11. (1) Personen, die wegen Suchtgiftmißbrauchs oder der Gewöhnung an Suchtgift gesundheitsbezogener Maßnahmen gemäß Abs. 2 bedürfen, haben sich den notwendigen und zweckmäßigen, ihnen nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen. Bei Minderjährigen haben die Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten im Rahmen ihrer Pflicht zur Pflege und Erziehung dafür zu sorgen, daß sie sich solchen Maßnahmen unterziehen.

(2) Gesundheitsbezogene Maßnahmen sind


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1.
die ärztliche Überwachung des Gesundheitszustands,
2.
die ärztliche Behandlung einschließlich der Entzugs- und Substitutionsbehandlung,
3.
die klinisch-psychologische Beratung und Betreuung,
4.
die Psychotherapie sowie
5.
die psychosoziale Beratung und Betreuung
durch qualifizierte und mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertraute Personen.
...

§ 12. (1) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, daß eine Person Suchtgift mißbraucht, so hat sie die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde der Begutachtung durch einen mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertrauten Arzt, der erforderlichenfalls mit zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Angehörigen des klinischpsychologischen oder psychotherapeutischen Berufes zusammenzuarbeiten hat, zuzuführen. Die Person hat sich den hiefür notwendigen Untersuchungen zu unterziehen.

(2) Ergibt die Begutachtung, daß eine gesundheitsbezogene Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 notwendig ist, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darauf hinzuwirken, daß sich die Person einer solchen zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen Maßnahme unterzieht. ...

...

§ 14. (1) Steht eine Person, die Suchtgift missbraucht, im Verdacht, eine Straftat nach § 27 Abs. 1 oder 2 begangen zu haben, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde nur dann Strafanzeige zu erstatten, wenn sich die Person den notwendigen, zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen gemäß § 11 Abs. 2 nicht unterzieht. Besteht Grund zur Annahme, dass die Voraussetzungen des § 35 vorliegen, so hat sie statt einer Strafanzeige sogleich eine Stellungnahme nach § 35 Abs. 3 Z 2 zu erstatten.

(2) Die Sicherheitsbehörden haben der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde die von ihnen wegen des Verdachts einer Straftat nach den §§ 27, 28 oder 28a an die Staatsanwaltschaft erstatteten Berichte unverzüglich mitzuteilen.

...

Vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft

§ 35. (1) Die Staatsanwaltschaft hat unter den in den Abs. 3 bis 7 genannten Voraussetzungen und Bedingungen von der Verfolgung einer Straftat nach den §§ 27 Abs. 1 und 2 oder 30, die ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden ist, ohne dass der Beschuldigte daraus einen Vorteil gezogen hat, unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bis zu zwei Jahren vorläufig zurückzutreten.

...

(3) Ein vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung setzt voraus, dass

1. eine Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jugend im Sinne des § 26 und

2. eine Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darüber eingeholt worden sind, ob der Beschuldigte einer gesundheitsbezogenen Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 bedarf, um welche Maßnahme es sich gegebenenfalls handeln soll, ob eine solche Maßnahme zweckmäßig, ihm nach den Umständen möglich und zumutbar und nicht offenbar aussichtslos ist.

(4) Die Staatsanwaltschaft kann von der Einholung einer Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde absehen, wenn der Beschuldigte ausschließlich deshalb verfolgt wird, weil er

1. Stoffe oder Zubereitungen aus der Cannabispflanze, die in § 27 Abs. 1 Z 3 genannten Pilze oder einen psychotropen Stoff zum ausschließlich persönlichen Gebrauch erworben, besessen, erzeugt, befördert, eingeführt oder ausgeführt oder einem anderen ausschließlich für dessen persönlichen Gebrauch angeboten, überlassen oder verschafft habe, ohne daraus einen Vorteil zu ziehen, oder

2. die in § 27 Abs. 1 Z 2 und 3 genannten Pflanzen oder Pilze zum Zweck der Gewinnung oder des Missbrauchs von Suchtgift ausschließlich für den persönlichen Gebrauch oder persönlichen Gebrauch eines anderen angebaut habe,

und wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass der Beschuldigte einer gesundheitsbezogenen Maßnahme bedarf. Eine Stellungnahme ist jedoch einzuholen, wenn gegen den Beschuldigten innerhalb der letzten fünf Jahre vor diesem Strafverfahren bereits ein Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat nach den §§ 27 bis 31a geführt wurde.

(5) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat vor Abgabe ihrer Stellungnahme die Begutachtung des Beschuldigten durch einen mit Fragen des Suchtmittelmissbrauchs hinreichend vertrauten Arzt, der erforderlichenfalls mit zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Angehörigen des klinischpsychologischen oder psychotherapeutischen Berufes zusammenzuarbeiten hat, zu veranlassen.

......"

2. Im Hinblick auf die in der angefochtenen Erledigung enthaltene Androhung einer Zwangsmaßnahme für den Fall des Nichterscheinens vor der Behörde zum angegebenen Zeitpunkt besteht kein Zweifel, dass es sich dabei um einen Ladungsbescheid im Sinne des § 19 AVG handelt. Gemäß § 19 Abs. 4 AVG war dagegen kein Rechtsmittel zulässig. Die Voraussetzungen für die Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof liegen vor.

3. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Zusammenhang mit § 12 SMG bereits mehrfach die Auffassung vertreten, dass dann, wenn der Verdacht gegeben ist, eine Person missbrauche Suchtgift, im Hinblick auf allenfalls zu setzende ärztliche Maßnahmen Raschheit geboten sei. Im Regelfall könne daher nicht gesagt werden, dass es gleichgültig sei, ob der Betreffende früher oder später bei der Behörde erscheine, weshalb der Behörde eine Überschreitung des Auswahlermessens hinsichtlich der Form der Ladung nicht vorzuwerfen sei, wenn sie sich für einen Ladungsbescheid entscheidet (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2003/11/0046, und vom , Zl. 2003/11/0042).

4. Die Beschwerde macht u.a. geltend, es fehlten Gründe für die Annahme, der Beschwerdeführer missbrauche (aktuell) Suchtgift. Der einzige aktenkundige Vorfall vom biete dafür keine ausreichende Grundlage.

Schon dieses Vorbringen ist zielführend.

4.1. Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Ladungsbescheides zur Verfolgung der im § 12 Abs. 1 SMG umschriebenen gesundheitspolizeilichen Zwecke ist, dass bestimmte Tatsachen zur Annahme zwingen, dass "eine Person Suchtgift missbraucht"; im Hinblick auf den Regelungsgegenstand ist als tatbestandsmäßig anzusehen, dass der Suchtgiftmissbrauch in der Person des Betreffenden selbst gelegen sein muss. Das Vorhandensein derartiger "bestimmter Tatsachen" muss im Zeitpunkt der Ladung (hier: Erlassung des Ladungsbescheides) gegeben sein, wobei "der Verdacht eines aktuellen Suchtmittelmissbrauchs in einer bestimmten Dichte gegeben sein muss" (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2002/11/0037, mwN). Diese Voraussetzungen sind im Beschwerdefall jedoch nicht erfüllt.

4.2. Im Beschwerdefall beruft sich die belangte Behörde für ihre Annahme, der Beschwerdeführer missbrauche Suchgift, allein auf die Anzeige der Bundespolizeidirektion Wien, die einen Vorfall vom betrifft, wonach der Beschwerdeführer ein Gramm Marihuana für den eigenen Gebrauch erworben habe.

Dieser einmalige, im Zeitpunkt der Erlassung des Ladungsbescheides mehr als vier Monate und bezogen auf den Zeitpunkt, für den der Beschwerdeführer geladen wurde, mehr als sechs Monate zurückliegende Vorfall konnte ohne das Hinzutreten weiterer Umstände aber nicht begründen, dass im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein hinreichender Verdacht auf aktuellen Suchtmittelmissbrauch bestand oder auch nur kurze Zeit zurückliegend Suchtgift tatsächlich missbraucht wurde. Fehlt aber die entscheidende Voraussetzung für einen Ladungsbescheid, so erweist sich die vorgenommene Ladung als rechtswidrig.

5. Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen werden müsste.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am

Fundstelle(n):
EAAAE-91905