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VwGH vom 29.03.2011, 2009/11/0039

VwGH vom 29.03.2011, 2009/11/0039

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des S A in M, vertreten durch Winkler - Heinzle Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom , Zl. San60-288/285-2008, betreffend Ladung in einer Angelegenheit nach dem Suchtmittelgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Gesundheit), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 610,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Ladungsbescheid vom , zugestellt am , wurde der Beschwerdeführer für den um 10:30 Uhr zur belangten Behörde vorgeladen. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er persönlich kommen müsse. Für den Fall der Nichtbefolgung der Ladung wurde die zwangsweise Vorführung des Beschwerdeführers angedroht. Den Gegenstand der Ladung umschrieb die belangte Behörde wie folgt: "Amtsärztliche Untersuchung nach dem Suchtmittelgesetz (Harnabgabe erforderlich)" und ersuchte den Beschwerdeführer, "diese Ladung", einen Lichtbildausweis sowie "30,-- Euro (Harngebühr)" mitzubringen.

Diesem Ladungsbescheid gemäß § 19 AVG lag eine Anzeige der Polizeiinspektion Lenzing vom zu Grunde, nach deren Inhalt der Beschwerdeführer verdächtig sei, "von Mitte Mai bis Ende Oktober 2008" in seinem Wohnhaus fünf Hanfpflanzen für den Eigenbedarf aufgezogen zu haben, weiters im September 2008 ca. 12 Gramm Cannabiskraut, ca. 13,7 Gramm Haschisch sowie ca. 0,1 Gramm Amphetamine (Speed) in einem PKW von Deutschland nach Österreich geschmuggelt zu haben, sowie dem M. (gegen den ebenfalls ermittelt wurde) für dessen Konsum zwei Blüten der selbst gezogenen Cannabispflanzen Ende Oktober 2008 per Post übermittelt zu haben. Der Beschwerdeführer sei "sofort geständig" gewesen und habe den Beamten am eine "freiwillige Nachschau" in seinem Haus gestattet, bei der die Hanfpflanzen, die Cannabisprodukte und die Amphetamine sichergestellt worden seien. Laut beiliegender Niederschrift über die "Beschuldigtenvernehmung" vom selben Tag sagte der Beschwerdeführer aus, seit etwa zehn Jahren in unregelmäßigen Abständen Cannabis konsumiert zu haben. Mit Schreiben vom verständigte die Staatsanwaltschaft Wels den Beschwerdeführer von der vorläufigen Zurücklegung der Anzeige gemäß § 35 Abs. 1 und Abs. 4 SMG.

Gegen den genannten Ladungsbescheid der belangten Behörde richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat darauf repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes (SMG), BGBl. I Nr. 112/1997, in der Fassung BGBl. I Nr. 110/2007, lauten auszugsweise:

"Gesundheitsbezogene Maßnahmen bei Suchtgiftmißbrauch

§ 11. (1) Personen, die wegen Suchtgiftmißbrauchs oder der Gewöhnung an Suchtgift gesundheitsbezogener Maßnahmen gemäß Abs. 2 bedürfen, haben sich den notwendigen und zweckmäßigen, ihnen nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen. Bei Minderjährigen haben die Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten im Rahmen ihrer Pflicht zur Pflege und Erziehung dafür zu sorgen, daß sie sich solchen Maßnahmen unterziehen.

(2) Gesundheitsbezogene Maßnahmen sind


Tabelle in neuem Fenster öffnen
1.
die ärztliche Überwachung des Gesundheitszustands,
2.
die ärztliche Behandlung einschließlich der Entzugs- und Substitutionsbehandlung,
3.
die klinisch-psychologische Beratung und Betreuung,
4.
die Psychotherapie sowie
5.
die psychosoziale Beratung und Betreuung
durch qualifizierte und mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertraute Personen.

§ 12. (1) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, daß eine Person Suchtgift mißbraucht, so hat sie die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde der Begutachtung durch einen mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertrauten Arzt, der erforderlichenfalls mit zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Angehörigen des klinischpsychologischen oder psychotherapeutischen Berufes zusammenzuarbeiten hat, zuzuführen. Die Person hat sich den hiefür notwendigen Untersuchungen zu unterziehen.

(2) Ergibt die Begutachtung, daß eine gesundheitsbezogene Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 notwendig ist, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darauf hinzuwirken, daß sich die Person einer solchen zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen Maßnahme unterzieht. ...

§ 14. (1) Steht eine Person, die Suchtgift missbraucht, im Verdacht, eine Straftat nach § 27 Abs. 1 oder 2 begangen zu haben, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde nur dann Strafanzeige zu erstatten, wenn sich die Person den notwendigen, zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen gemäß § 11 Abs. 2 nicht unterzieht. Besteht Grund zur Annahme, dass die Voraussetzungen des § 35 vorliegen, so hat sie statt einer Strafanzeige sogleich eine Stellungnahme nach § 35 Abs. 3 Z 2 zu erstatten.

(2) Die Sicherheitsbehörden haben der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde die von ihnen wegen des Verdachts einer Straftat nach den §§ 27, 28 oder 28a an die Staatsanwaltschaft erstatteten Berichte unverzüglich mitzuteilen.

..."

Vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft

§ 35. (1) Die Staatsanwaltschaft hat unter den in den Abs. 3 bis 7 genannten Voraussetzungen und Bedingungen von der Verfolgung einer Straftat nach den §§ 27 Abs. 1 und 2 oder 30, die ausschließlich für den eigenen persönlichen Gebrauch oder den persönlichen Gebrauch eines anderen begangen worden ist, ohne dass der Beschuldigte daraus einen Vorteil gezogen hat, unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr bis zu zwei Jahren vorläufig zurückzutreten.

...

(3) Ein vorläufiger Rücktritt von der Verfolgung setzt voraus, dass

1. eine Auskunft des Bundesministeriums für Gesundheit, Familie und Jugend im Sinne des § 26 und

2. eine Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darüber eingeholt worden sind, ob der Beschuldigte einer gesundheitsbezogenen Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 bedarf, um welche Maßnahme es sich gegebenenfalls handeln soll, ob eine solche Maßnahme zweckmäßig, ihm nach den Umständen möglich und zumutbar und nicht offenbar aussichtslos ist.

(4) Die Staatsanwaltschaft kann von der Einholung einer Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde absehen, wenn der Beschuldigte ausschließlich deshalb verfolgt wird, weil er

1. Stoffe oder Zubereitungen aus der Cannabispflanze, die in § 27 Abs. 1 Z 3 genannten Pilze oder einen psychotropen Stoff zum ausschließlich persönlichen Gebrauch erworben, besessen, erzeugt, befördert, eingeführt oder ausgeführt oder einem anderen ausschließlich für dessen persönlichen Gebrauch angeboten, überlassen oder verschafft habe, ohne daraus einen Vorteil zu ziehen, oder

2. die in § 27 Abs. 1 Z 2 und 3 genannten Pflanzen oder Pilze zum Zweck der Gewinnung oder des Missbrauchs von Suchtgift ausschließlich für den persönlichen Gebrauch oder persönlichen Gebrauch eines anderen angebaut habe,

und wenn kein Grund zur Annahme besteht, dass der Beschuldigte einer gesundheitsbezogenen Maßnahme bedarf. Eine Stellungnahme ist jedoch einzuholen, wenn gegen den Beschuldigten innerhalb der letzten fünf Jahre vor diesem Strafverfahren bereits ein Ermittlungsverfahren wegen einer Straftat nach den §§ 27 bis 31a geführt wurde.

(5) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat vor Abgabe ihrer Stellungnahme die Begutachtung des Beschuldigten durch einen mit Fragen des Suchtmittelmissbrauchs hinreichend vertrauten Arzt, der erforderlichenfalls mit zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Angehörigen des klinischpsychologischen oder psychotherapeutischen Berufes zusammenzuarbeiten hat, zu veranlassen.

......"

§ 19 AVG lautet (auszugsweise):

"§ 19. (1) Die Behörde ist berechtigt, Personen, die in ihrem

Amtsbereich ihren Aufenthalt (Sitz) haben und deren Erscheinen

nötig ist, vorzuladen. ... .

(2) In der Ladung ist außer Ort und Zeit der Amtshandlung auch anzugeben, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet, in welcher Eigenschaft der Geladene vor der Behörde erscheinen soll (als Beteiligter, Zeuge usw.) und welche Behelfe und Beweismittel mitzubringen sind. In der Ladung ist ferner bekannt zu geben, ob der Geladene persönlich zu erscheinen hat oder ob die Entsendung eines Vertreters genügt und welche Folgen an ein Ausbleiben geknüpft sind.

(3) Wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, hat die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden.

(4) Gegen die Ladung oder die Vorführung ist kein Rechtsmittel zulässig."

2. Im Hinblick auf die in der angefochtenen Erledigung enthaltene Androhung einer Zwangsmaßnahme für den Fall des Nichterscheinens vor der Behörde zum angegebenen Zeitpunkt besteht kein Zweifel, dass es sich dabei um einen Ladungsbescheid im Sinne des § 19 AVG handelt. Gemäß § 19 Abs. 4 AVG war dagegen kein Rechtsmittel zulässig. Die Voraussetzungen für die Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof liegen vor.

3. Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Ladungsbescheides zur Verfolgung der in § 12 Abs. 1 SMG umschriebenen gesundheitspolizeilichen Zwecke hat sich der Verwaltungsgerichtshof sowohl im Hinblick auf das der Behörde zustehende Ermessen, bescheidförmig zu laden, als auch im Hinblick auf den notwendigen Verdacht der Behörde, der zu Ladende selbst missbrauche aktuell Suchtmittel, bereits mehrfach geäußert (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2001/11/0134, vom , Zl. 2002/11/0037, vom , Zl. 2009/11/0061, vom , Zl. 2009/11/0237, sowie vom heutigen Tag, Zl. 2009/11/0270, jeweils mwN); auf diese Judikatur kann somit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden.

4. Die Beschwerde bestreitet die Zulässigkeit eines Ladungsbescheides auf Basis des § 12 SMG in einem Fall des § 35 Abs. 4 SMG, macht geltend, es fehlten Gründe für die Annahme, der Beschwerdeführer missbrauche (aktuell) Suchtgift, und wendet sich gegen eine vermutete Zwangsuntersuchung.

4.1. Entgegen der Beschwerdemeinung ist auch in einem Fall, in dem die Staatsanwaltschaft die Voraussetzungen des § 35 Abs. 4 SMG für gegeben erachtet und von der Einholung einer Stellungnahme der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde absieht, die Behörde nicht von ihrer - unabhängig davon bestehenden -Verpflichtung nach § 12 SMG entbunden, bei konkretem Verdacht auf aktuellen Suchtgiftmissbrauch zu beurteilen, ob der Betroffene gesundheitsbezogener Maßnahmen bedarf, und ihn zu diesem Zweck auch zu laden (vgl. Akyürek in: Hinterhofer/Rosbaud SMG § 12 Rz 13, 22), da das Gesetz diesbezüglich keine Bindung der Bezirksverwaltungsbehörde an die Einschätzung der Staatsanwaltschaft normiert. Dieser Ansatz entspricht auch dem Konzept des SMG, zu helfen statt zu strafen (vgl. dazu etwa Litzka/Matzka/Zeder , SMG2 (2009) § 11 Rz 1). Danach ist es primäre Aufgabe der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde erster Instanz, in Form gesundheitsbezogener Maßnahmen zu helfen (vgl. zu den Vorläuferbestimmungen der §§ 11 bis 14 SMG den zur Suchtgiftgesetznovelle 1980 ergangenen Ausschussbericht, 420 BlgNR XV. GP 2 f.), während die vordringliche Aufgabe der Staatsanwaltschaft im Rahmen der Diversion darin besteht, bei Vorliegen der gesundheitsbezogenen Voraussetzungen von der Strafverfolgung (vorläufig) abzusehen (vgl. die EB zur RV 301 BlgNR XXIII. GP 3, 6, 20 ff.).

4.2. Nach der Aktenlage stützte sich die belangte Behörde auf die ihr (offenbar gemäß § 14 Abs. 2 SMG) zugegangene Strafanzeige vom . An diesem Tag - welcher nicht einmal vier Monate vor der Erlassung des angefochtenen Ladungsbescheides lag - hatte der Beschwerdeführer ausgesagt, seit etwa zehn Jahren Cannabis konsumiert zu haben, und es waren Cannabisprodukte, Hanfpflanzen und Amphetamine in seiner Wohnung sichergestellt worden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde ihre Ladung auf die Annahme stützte, der Beschwerdeführer missbrauche aktuell Suchtmittel. Insofern unterscheidet sich der gegenständliche Fall von jener Konstellation, die dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0061, zugrunde lag.

4.3. Soweit der Beschwerdeführer schließlich vorbringt, er könne aufgrund des Ladungsbescheides zu Unrecht dazu gezwungen werden, sich einer amtsärztlichen Untersuchung (einschließlich Harnabgabe und Vorlage einer Harngebühr) zu unterziehen, ist ihm zu erwidern, dass ein Ladungsbescheid keine Grundlage dafür bildet, die ärztliche Untersuchung zwangsweise durchzusetzen; eine Ladung nach § 19 AVG ist lediglich der Befehl der Behörde an eine bestimmte Person, bei ihr zu erscheinen (vgl. die Nachweise bei Hengstschläger/Leeb , AVG § 19 Rz 1 und 6). Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob § 12 Abs. 1 letzter Satz SMG eine ausreichende Grundlage für die zwangsweise Durchsetzung einer ärztlichen Untersuchung böte. Aus der Gegenschrift geht hervor, dass auch die belangte Behörde nicht davon ausging, den Beschwerdeführer aufgrund ihrer Ladung zur amtsärztlichen Untersuchung (einschließlich Harnabgabe und Vorlage einer Harngebühr) zwingen zu können, sondern lediglich von der Möglichkeit, ihn (wenn auch zum Zweck der Untersuchung) vor die Behörde vorführen zu lassen.

Dass die belangte Behörde berechtigt war, das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers zu verlangen, ergibt sich schon aus dem zuvor Gesagten im Zusammenhalt mit der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Zulässigkeit eines vor dem Hintergrund des § 12 SMG erlassenen Ladungsbescheides (vgl. Punkt 3.).

5. Da dem angefochtenen Bescheid die behauptete Rechtswidrigkeit somit nicht anhaftet, war die Beschwerde gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am