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VwGH vom 29.03.2011, 2009/11/0038

VwGH vom 29.03.2011, 2009/11/0038

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gall und die Hofräte Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des N M in S, vertreten durch Winkler - Heinzle Rechtsanwaltspartnerschaft in 6900 Bregenz, Gerberstraße 4, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom , Zl. 6-1/, betreffend Ladung in einer Angelegenheit nach dem Suchtmittelgesetz (weitere Partei: Bundesminister für Gesundheit), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Ladungsbescheid vom wurde der Beschwerdeführer für den um 8:00 Uhr zur belangten Behörde vorgeladen. Es wurde ihm mitgeteilt, dass er persönlich kommen müsse. Für den Fall der Nichtbefolgung der Ladung wurde die zwangsweise Vorführung des Beschwerdeführers angedroht. Den Gegenstand der Ladung umschrieb die belangte Behörde wie folgt: "Anzeige vom Landespolizeikommando für Tirol vom wegen Verdacht des Vergehens nach dem Suchtmittelgesetz, GZ … amtsärztliche Untersuchung Ihrer Person zur Frage, ob Sie einer gesundheitsbezogenen Maßnahme im Sinne des Suchtmittelgesetzes (ärztliche Überwachung des Gesundheitszustandes, ärztliche Behandlung, klinischpsychologische Beratung und Betreuung, Psychotherapie, psychosoziale Beratung und Betreuung) bedürfen, da aufgrund der Anzeige der PI anzunehmen ist, dass Sie Suchtgift mißbrauchen".

Diesem Ladungsbescheid gemäß § 19 AVG lag eine Anzeige des Landespolizeikommandos für Tirol vom zu Grunde, nach deren Inhalt der Beschwerdeführer "verdächtig jedoch nur teilweise geständig" sei, "im Sommer 2008 (genaues Datum steht nicht fest)", von P. (der ebenfalls angezeigt wurde) "ca 200 Gramm Marihuana zum Preis von ca 800.- Euro" erworben, "zum Teil selbst konsumiert aber aufgrund der großen Menge auch gewinnbringend weiterverkauft" und bereits im August 2008 neuerlich bei P. "eine größere Menge Marihuana bestellt" (dieses jedoch nicht erhalten) zu haben. Laut beiliegender "Beschuldigtenvernehmung" hatte der Beschwerdeführer angegeben, eine wesentlich geringere Menge von P. erworben und seit 2005 gelegentlich, zuletzt im Sommer 2008, Marihuana geraucht zu haben.

Gegen den genannten Ladungsbescheid der belangten Behörde richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde. Der Beschwerdeführer hat darauf repliziert.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Suchtmittelgesetzes (SMG) lauten auszugsweise:

"Gesundheitsbezogene Maßnahmen bei Suchtgiftmißbrauch

§ 11. (1) Personen, die wegen Suchtgiftmißbrauchs oder der Gewöhnung an Suchtgift gesundheitsbezogener Maßnahmen gemäß Abs. 2 bedürfen, haben sich den notwendigen und zweckmäßigen, ihnen nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen zu unterziehen. Bei Minderjährigen haben die Eltern oder anderen Erziehungsberechtigten im Rahmen ihrer Pflicht zur Pflege und Erziehung dafür zu sorgen, daß sie sich solchen Maßnahmen unterziehen.

(2) Gesundheitsbezogene Maßnahmen sind


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1.
die ärztliche Überwachung des Gesundheitszustands,
2.
die ärztliche Behandlung einschließlich der Entzugs- und Substitutionsbehandlung,
3.
die klinisch-psychologische Beratung und Betreuung,
4.
die Psychotherapie sowie
5.
die psychosoziale Beratung und Betreuung
durch qualifizierte und mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertraute Personen.

§ 12. (1) Ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, daß eine Person Suchtgift mißbraucht, so hat sie die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde der Begutachtung durch einen mit Fragen des Suchtgiftmißbrauchs hinreichend vertrauten Arzt, der erforderlichenfalls mit zur selbständigen Berufsausübung berechtigten Angehörigen des klinischpsychologischen oder psychotherapeutischen Berufes zusammenzuarbeiten hat, zuzuführen. Die Person hat sich den hiefür notwendigen Untersuchungen zu unterziehen.

(2) Ergibt die Begutachtung, daß eine gesundheitsbezogene Maßnahme gemäß § 11 Abs. 2 notwendig ist, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde darauf hinzuwirken, daß sich die Person einer solchen zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen Maßnahme unterzieht. ...

§ 14. (1) Steht eine Person, die Suchtgift missbraucht, im Verdacht, eine Straftat nach § 27 Abs. 1 oder 2 begangen zu haben, so hat die Bezirksverwaltungsbehörde nur dann Strafanzeige zu erstatten, wenn sich die Person den notwendigen, zweckmäßigen, ihr nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahmen gemäß § 11 Abs. 2 nicht unterzieht. Besteht Grund zur Annahme, dass die Voraussetzungen des § 35 vorliegen, so hat sie statt einer Strafanzeige sogleich eine Stellungnahme nach § 35 Abs. 3 Z 2 zu erstatten.

(2) Die Sicherheitsbehörden haben der Bezirksverwaltungsbehörde als Gesundheitsbehörde die von ihnen wegen des Verdachts einer Straftat nach den §§ 27, 28 oder 28a an die Staatsanwaltschaft erstatteten Berichte unverzüglich mitzuteilen.

..."

§ 19 AVG lautet (auszugsweise):

"§ 19. (1) Die Behörde ist berechtigt, Personen, die in ihrem Amtsbereich ihren Aufenthalt (Sitz) haben und deren Erscheinen

nötig ist, vorzuladen. ... .

(2) In der Ladung ist außer Ort und Zeit der Amtshandlung auch anzugeben, was den Gegenstand der Amtshandlung bildet, in welcher Eigenschaft der Geladene vor der Behörde erscheinen soll (als Beteiligter, Zeuge usw.) und welche Behelfe und Beweismittel mitzubringen sind. In der Ladung ist ferner bekannt zu geben, ob der Geladene persönlich zu erscheinen hat oder ob die Entsendung eines Vertreters genügt und welche Folgen an ein Ausbleiben geknüpft sind.

(3) Wer nicht durch Krankheit, Gebrechlichkeit oder sonstige begründete Hindernisse vom Erscheinen abgehalten ist, hat die Verpflichtung, der Ladung Folge zu leisten und kann zur Erfüllung dieser Pflicht durch Zwangsstrafen verhalten oder vorgeführt werden. Die Anwendung dieser Zwangsmittel ist nur zulässig, wenn sie in der Ladung angedroht waren und die Ladung zu eigenen Handen zugestellt war; sie obliegt den Vollstreckungsbehörden.

(4) Gegen die Ladung oder die Vorführung ist kein Rechtsmittel zulässig."

2. Im Hinblick auf die in der angefochtenen Erledigung enthaltene Androhung einer Zwangsmaßnahme für den Fall des Nichterscheinens vor der Behörde zum angegebenen Zeitpunkt besteht kein Zweifel, dass es sich dabei um einen Ladungsbescheid im Sinne des § 19 AVG handelt. Gemäß § 19 Abs. 4 AVG war dagegen kein Rechtsmittel zulässig. Die Voraussetzungen für die Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof liegen vor.

3. Zu den Voraussetzungen der Zulässigkeit eines Ladungsbescheides zur Verfolgung der in § 12 Abs. 1 SMG umschriebenen gesundheitspolizeilichen Zwecke hat sich der Verwaltungsgerichtshof sowohl im Hinblick auf das der Behörde zustehende Ermessen, bescheidförmig zu laden, als auch im Hinblick auf den notwendigen Verdacht der Behörde, der zu Ladende selbst missbrauche aktuell Suchtmittel, bereits mehrfach geäußert (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2001/11/0134, vom , Zl. 2002/11/0037, vom , Zl. 2009/11/0061, vom , Zl. 2009/11/0237, und vom heutigen Tag, Zl. 2009/11/0270, jeweils mwN ); auf diese Judikatur kann somit gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen werden.

4. Die Beschwerde macht unter anderem geltend, es fehlten Gründe für die Annahme, der Beschwerdeführer missbrauche (aktuell) Suchtgift, und ist damit im Recht.

4.1. Im Beschwerdefall beruft sich die belangte Behörde für ihre Annahme, der Beschwerdeführer missbrauche Suchtgift, allein auf die ihr offenbar gemäß § 14 Abs. 2 SMG zugegangene Strafanzeige vom , die Vorfälle vom Sommer 2008 betrifft.

Diese im Zeitpunkt der Erlassung des Ladungsbescheides über fünf Monate zurückliegenden Vorfälle konnten ohne das Hinzutreten weiterer Umstände aber nicht begründen, dass im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides ein hinreichender Verdacht auf aktuellen Suchtmittelmissbrauch bestand (vgl. das Erkenntnis vom , Zl. 2009/11/0061. Da somit die entscheidende Voraussetzung für einen Ladungsbescheid fehlt, erweist sich die dennoch vorgenommene Ladung als rechtswidrig.

4.2. Der angefochtene Bescheid war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben, womit sich ein Eingehen auf die weiteren Beschwerdeargumente erübrigt. Zu den rechtspolitischen Überlegungen im Vorbringen und in der Replik des Beschwerdeführers sei auf die Erkenntnisse vom heutigen Tag, Zlen. 2009/11/0039 und 2009/11/0270, verwiesen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am