VwGH vom 20.05.2015, Ro 2014/10/0074
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision des S F in U, vertreten durch Mag. Stefan Weiskopf und Dr. Rainer Michael Kappacher, Rechtsanwälte in 6500 Landeck, Malserstraße 34, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Tirol vom , Zl. IIIa1-F-10.170/5, betreffend Rodungsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurden die Anträge des Beschwerdeführers auf Erteilung der Bewilligung zur dauernden Rodung einer Teilfläche im Ausmaß von 874 m2 des Grundstückes Nr. 806/1, KG U, zur Errichtung einer neuen Wegtrasse sowie zur vorübergehenden Rodung einer Teilfläche im Ausmaß von 549 m2 dieses Grundstückes als Manipulationsfläche während der Bauarbeiten abgewiesen und die Rodungsbewilligung gemäß § 17 Abs. 3 Forstgesetz 1975 (ForstG) versagt.
Begründend führte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensganges und der angewendeten Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, aus dem im erstinstanzlichen Verfahren erstellten Gutachten des forsttechnischen Amtssachverständigen ergebe sich zweifelsfrei ein öffentliches Interesse an der Erhaltung der von den geplanten Rodungen betroffenen Fläche als Wald. Der Revisionswerber habe dieses Gutachten nicht in Zweifel gezogen.
Es sei daher eine Interessenabwägung nach § 17 Abs. 3 ForstG durchzuführen.
Der Revisionswerber habe im Wesentlichen vorgebracht, dass das öffentliche Interesse an der Rodung unter dem Gesichtspunkt des Tourismus jedenfalls gegeben sei.
Das gegenständliche Waldgrundstück, auf dem sich das Gebäude "M-Hof" befinde, sei als Freiland gewidmet; im örtlichen Raumplanungskonzept sei hiefür die konkrete Nutzungszuweisung "Gasthof" angegeben. Entsprechend dem Anhang zum örtlichen Raumplanungskonzept würden solchen Sondernutzungen außerhalb des Siedlungsraumes grundsätzlich geringfügige flächenhafte und funktionale Erweiterungsmöglichkeiten zugestanden.
Gegenstand des forstrechtlichen Verfahrens sei die Errichtung einer neuen Zufahrt zum "M-Hof". Das Haus werde derzeit als Jugendherberge genutzt und biete Betten für 60 Kinder. Die neu geplante Zufahrt diene ausschließlich der Erschließung des M-Hofs; sonstige Betriebe oder Siedlungsbereiche würden nicht erschlossen. Damit scheide die Annahme eines öffentlichen Interesses unter touristischen Aspekten aus. Auch bei Nichterrichtung der Zufahrt seien keine wesentlichen Nachteile für den Fremdenverkehr, bezogen auf die Gemeinde U oder die Region Ötztal, zu erwarten.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit sei nicht von einem massiven öffentlichen Interesse an der Errichtung der geplanten neuen Zufahrt auszugehen. Wie bereits die Erstbehörde korrekt ausgeführt habe, fehlten nachvollziehbare Angaben, dass die bereits bestehende Zufahrt zum Haus "M-Hof" bei entsprechender Pflege, Instandhaltung und entsprechendem Betrieb nicht ausreichen solle, den "M-Hof" zu bedienen. Dass auch nach Errichtung der neuen Zufahrt, insbesondere im Winter, eine ständige Erreichbarkeit mittels Fahrzeugen gegeben sei, werde vom Revisionswerber nicht behauptet und sei unter Berücksichtigung der örtlichen Situation (Höhenlage) zu bezweifeln.
Gegen diesen Bescheid richtete der Revisionswerber zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, die dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom , B 1297/2013-4, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abtrat.
Vor dem Verwaltungsgerichtshof macht der Revisionswerber inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend.
Das Landesverwaltungsgericht Tirol legte die Akten des Verfahrens vor, erstattete aber keine Gegenschrift.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die vom Verfassungsgerichtshof erst nach Ablauf des dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde gielt in sinngemäßer Anwendung des § 4 Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, als Revision, für deren Behandlung - mit einer hier nicht in Betracht kommenden Ausnahme - die Bestimmungen des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG) in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung sinngemäß anzuwenden sind (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ro 2014/10/0117, mit Hinweis auf den hg. Beschluss vom , Zl. Ro 2014/10/0029).
2. § 17 Forstgesetz 1975, BGBl. Nr. 440 (ForstG) hat (auszugsweise) folgenden Wortlaut:
"Rodung
§ 17. (1) Die Verwendung von Waldboden zu anderen Zwecken als für solche der Waldkultur (Rodung) ist verboten.
(2) Unbeschadet der Bestimmungen des Abs. 1 kann die Behörde eine Bewilligung zur Rodung erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald nicht entgegensteht.
(3) Kann eine Bewilligung nach Abs. 2 nicht erteilt werden, kann die Behörde eine Bewilligung zur Rodung dann erteilen, wenn ein öffentliches Interesse an einer anderen Verwendung der zur Rodung beantragten Fläche das öffentliche Interesse an der Erhaltung dieser Fläche als Wald überwiegt.
(4) Öffentliche Interessen an einer anderen Verwendung im Sinne des Abs. 3 sind insbesondere begründet in der umfassenden Landesverteidigung, im Eisenbahn-, Luft- oder öffentlichen Straßenverkehr, im Post- oder öffentlichen Fernmeldewesen, im Bergbau, im Wasserbau, in der Energiewirtschaft, in der Agrarstrukturverbesserung, im Siedlungswesen oder im Naturschutz.
(5) Bei der Beurteilung des öffentlichen Interesses im Sinne des Abs. 2 oder bei der Abwägung der öffentlichen Interessen im Sinne des Abs. 3 hat die Behörde insbesondere auf eine die erforderlichen Wirkungen des Waldes gewährleistenden Waldausstattung Bedacht zu nehmen. Unter dieser Voraussetzung sind die Zielsetzungen der Raumordnung zu berücksichtigen.
..."
3. Dem angefochtenen Bescheid liegt die Auffassung zu Grunde, an der Erhaltung des von der beantragten Rodung betroffenen Waldes bestehe ein besonderes öffentliches Interesse im Sinne des § 17 Abs. 2 ForstG. Dem Rodungsantrag des Revisionswerbers könne daher gemäß Abs. 3 leg. cit. nur bei Vorliegen eines überwiegenden öffentlichen Interesses am Rodungszweck entsprochen werden. Ein solches öffentliches Interesse habe jedoch nicht festgestellt werden können.
4. Die Revision räumt ausdrücklich ein, dass dem Gutachten des forstrechtlichen Amtssachverständigen zufolge bei den gegenständlichen Rodungsflächen ein öffentliches Interesse an der Walderhaltung (mittlere oder hohe Schutzfunktion) bestehe und die Erteilung einer Rodungsbewilligung nach § 17 Abs. 2 ForstG daher ausgeschlossen sei.
Der Revisionswerber bringt jedoch vor, die belangte Behörde habe - unter den Aspekten des Tourismus und der öffentlichen Sicherheit - ein an der Rodung bestehendes öffentliches Interesse nach Maßgabe des § 17 Abs. 3 ForstG zu Unrecht verneint.
Nach einer im Berufungsverfahren vom Revisionswerber vorgelegten Stellungnahme des "Ötztal Tourismus" gebe es viele Gästebeschwerden über die momentane Zufahrt zum Haus "M-Hof"; das Haus sei insbesondere für Busse nicht erreichbar. Die Gäste müssten, oft mit schwerem Gepäck, einen ca. 300m langen Fußweg auf sich nehmen, was zur Folge habe, dass grundsätzlich (an der Gemeinde) interessierte Gäste überhaupt nicht kommen oder ihren Urlaub keinesfalls in der Gemeinde verbringen wollten. Der Bürgermeister der Gemeinde U habe in seiner Stellungnahme vom festgehalten, dass die geplante Zufahrt eine "verbesserte touristische Nutzung" ermögliche. Die belangte Behörde habe demnach ein öffentliches Interesse unter touristischen Aspekten zu Unrecht verneint bzw. hätte die belangte Behörde dieses öffentliche Interesse von Amts wegen - durch Einholung entsprechender fachlicher Stellungnahmen - feststellen müssen.
Zum öffentlichen Sicherheitsinteresse habe der Revisionswerber im Berufungsverfahren weiters Stellungnahmen des Bürgermeisters der Gemeinde U, der Freiwilligen Feuerwehr U, eines Sachverständigen für vorbeugenden Brandschutz und des Österreichischen Bergrettungsdienstes vorgelegt, wonach - zusammengefasst - die Zufahrt zum "M-Hof" auf dem bestehenden steilen, kurvenreichen und nicht ausgebauten bzw. befestigten Zufahrtsweg mit größeren Fahrzeugen, insbesondere Einsatzfahrzeugen der Blaulichtorganisationen nahezu unmöglich sei. Durch die Errichtung des geplanten schwerlasttauglichen Weges wäre die Zufahrt zum "M-Hof" mit Einsatzfahrzeugen (auch im Winter) problemlos möglich, weshalb - in Notfällen - unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Lebens bzw. der körperlichen Unversehrtheit von Menschen ein massives öffentliches Interesse an der Erteilung der Rodungsbewilligung bestehe.
Die belangte Behörde habe ihre Manuduktionspflicht verletzt, indem sie den Revisionswerber nicht angeleitet habe, zum Beweis seines Vorbringens allenfalls erforderliche weitere Urkunden vorzulegen bzw. Sachverständigengutachten zu beantragen. Die belangte Behörde wäre auch verpflichtet gewesen, das öffentliche Interesse an der Rodung aus touristischer Sicht von Amts wegen festzustellen und hiezu fachlich fundierte Stellungnahmen einzuholen (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 87/10/0091, und vom , Zl. 91/10/0232).
5. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde nicht zum Erfolg:
5.1. Ein öffentliches Interesse an der Rodung unter dem Titel des Fremdenverkehrs ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nur dann gegeben, wenn bei Nichterteilung der Rodungsbewilligung wesentliche Nachteile für den Fremdenverkehr zu besorgen wären oder durch die Rodung eine wesentliche Besserung für die Belange des Fremdenverkehrs erzielt werden könnte. Zwar ist nach der auch im Rodungsverfahren geltenden Offizialmaxime das öffentliche Interesse an der Rodung von Amts wegen festzustellen, doch kommt im Rodungsverfahren die Mitwirkungspflicht der Partei insbesondere dann zum Tragen, wenn es um die Feststellung von Tatsachen geht, die im subjektiven Bereich der Partei gelegen sind; dazu zählt die Bekanntgabe der mit der Rodung verbundenen Interessen, soweit diese nicht offenkundig sind (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/10/0033, mwN).
Es ist Sache des Antragstellers, den Rodungszweck soweit zu konkretisieren, dass eine Beurteilung möglich ist, ob daran ein öffentliches Interesse besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2012/10/0133, mwN).
Dass bei Nichterteilung der gegenständlichen Rodungsbewilligung wesentliche Nachteile für den Fremdenverkehr zu besorgen wären oder durch die Rodung eine wesentliche Besserung für die Belange des Fremdenverkehrs erzielt werden könnte, ist der erwähnten, vom Revisionswerber vorgelegten, Stellungnahme des "Ötztal Tourismus" nicht zu entnehmen, zumal schon der behauptete Zusammenhang zwischen dem Erfordernis der Beschreitung eines 300 m langen Fußweges (hautsächlich durch Jugendgruppen) zur Erreichung des "M-Hofs" und dem Ausbleiben von Gästen für die (gesamte) Gemeinde nicht nachvollziehbar dargelegt wird. Ebenso wenig reicht die Befürwortung der Rodung durch den Bürgermeister für die Begründung eines öffentlichen Interesses aus (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/10/0067).
Entgegen der Auffassung der Revisionswerbers war die belangte Behörde im vorliegenden Fall auch nicht verpflichtet, das öffentliche Interesse an der Rodung unter dem Gesichtspunkt des Fremdenverkehrs von Amts wegen - durch Einholung entsprechender fachlicher Stellungnahmen - festzustellen. Der vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang zitierten hg. Rechtsprechung (hg. Erkenntnisse vom , Zl. 87/10/0091, und vom , Zl. 91/10/0232; vgl. weiters weiters etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/10/0121) lagen Konstellationen zu Grunde, in denen die Rodungsbewilligung von der Forstbehörde jeweils mit dem Hinweis auf das Vorliegen öffentlicher Interessen des Fremdenverkehrs erteilt wurde; diese Bescheide wurden vom Verwaltungsgerichtshof (infolge von dagegen vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft erhobenen Amtsbeschwerden) aufgehoben, weil den Bewilligungen keine entsprechenden - auf geeignete fachliche Stellungnahmen gestützten - Sachverhaltsfeststellungen zu Grunde lagen.
5.2. Nach der in § 17 Abs. 4 ForstG enthaltenen, lediglich demonstrativen Aufzählung von "öffentlichen Interessen" kann das überwiegende öffentliche Interesse an der Erteilung einer Rodungsbewilligung nach Abs. 3 leg. cit. grundsätzlich auch in den vom Revisionswerber vorgebrachten Aspekten der öffentlichen Sicherheit (Brandbekämpfungsmaßnahmen, Rettungseinsätzen etc.) gelegen sein.
Im vorliegenden Fall gelingt es dem Revisionswerber aber nicht, ein (überwiegendes) öffentliches Interesse an der Erteilung der Rodungsbewilligung zum Zweck der Errichtung eines neuen Zufahrtsweges zum "M-Hof" darzulegen. Den Feststellungen im angefochtenen Bescheid ist nämlich (wie bereits den diesbezüglichen Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid) zu entnehmen, dass eine Zufahrtsmöglichkeit mit Fahrzeugen unter der Voraussetzung der entsprechenden Pflege und Instandhaltung des bestehenden Weges gegeben sei. Der Revisionswerber ist diesen Feststellungen weder im Verwaltungsverfahren noch in der Revision konkret entgegen getreten. Auch in den erwähnten, vom Revisionswerber im Berufungsverfahren vorgelegten Stellungnahmen wird die Möglichkeit der Zufahrt bei entsprechender Instandhaltung des bestehenden Weges nicht explizit ausgeschlossen.
Soweit die Revision in diesem Zusammenhang eine Verletzung
der behördlichen Manuduktionspflicht (betreffend Anleitung zur
Vorlage entsprechender Dokumente, Gutachten) behauptet, geht
dieses Vorbringen schon deshalb ins Leere, weil sich bereits in
der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides der Hinweis
findet, dass "seitens des Antragstellers ... im Zuge des
durchgeführten Ermittlungsverfahrens nicht glaubhaft dargetan
werden (konnte), weshalb die bereits bestehende Zufahrt zum Haus M-
Hof bei entsprechender Pflege, Instandhaltung und entsprechendem
Betriebe nicht ausreichen sollte ... Das Vorbringen, dass ... der
Weg derzeit aufgrund von Erosionserscheinungen eher einem Bachbett
gleiche ... erscheint der Forstbehörde ohne weitere Angaben,
Nachweise und Berechnungen nicht ausreichend, ein öffentliches Interesse an der Errichtung einer neuen Zufahrt zu belegen, welche das Walderhaltungsinteresse überwiegen könnte."
6. Die Revision erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Wien, am
Fundstelle(n):
YAAAE-91249