VwGH vom 14.10.2011, 2009/09/0239
Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):
2012/09/0079 E
2012/09/0078 E
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulyok und die Hofräte Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler, Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Henk, über die Beschwerde des HP in W, vertreten durch Ploil Krepp Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Stadiongasse 4, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom , Zl. UVS- 07/A/5/8349/2004-63, betreffend Bestrafung nach dem AuslBG (weitere Parteien: Bundesministerin für Finanzen, Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis des Magistrates der Stadt Wien vom wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der D. GmbH zu verantworten, dass diese Gesellschaft als Arbeitgeberin mit Sitz in L auf dem Gütermotorschiff N fünf namentlich genannte ungarische und einen namentlich genannten slowakischen Staatsangehörigen als Schiffsführer, Maschinisten, Bootsmann bzw. Matrose beschäftigt habe, obwohl für diese Ausländer keine der im Einzelnen aufgezählten arbeitsmarktrechtlichen Berechtigungen ausgestellt worden seien. Er habe dadurch § 28 Abs. 1 Z. 1 iVm § 3 Abs. 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) verletzt und werde mit sechs Geldstrafen zu je EUR 6.300,-- (Ersatzfreiheitsstrafen von je einer Woche, vier Tagen und fünf Stunden) bestraft.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung erließ die belangte Behörde in der mündlichen Verhandlung vom durch Verkündung folgenden Bescheid:
"Gemäß § 66 Abs 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG wird der Berufung keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass anstelle des dritten Strafsatzes der vierte Strafsatz des § 28 Abs 1 Z 1 AuslBG zur Anwendung kommt und dass der den § 3 Abs. 1 AuslBG betreffende Spruchteil des Straferkenntnisses in der schriftlichen Ausfertigung gemäß § 3 Abs 1 idF BGBl. I Nr. 126/2002 gefasst werden wird.
Gemäß § 64 Abs 1 und 2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG wird dem Berufungswerber ein Beitrag von insgesamt 7.560 Euro (d.s. 20 % der verhängten Strafen) zu den Kosten des Berufungsverfahren auferlegt."
Am wurde dem Beschwerdeführer mit der schriftlichen Ausfertigung dieses Berufungsbescheides (Spruchpunkt I) ein integrierter Bescheid gemäß § 52a VStG (Spruchpunkt II) mit insgesamt folgendem Wortlaut zugestellt:
"BERUFUNGSBESCHEID
I.):
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat (...) nach durchgeführter öffentlicher mündlicher Verhandlung am und , am entschieden und verkündet:
Gemäß § 66 Abs 4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG wird der Berufung keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass an die Stelle des Spruchteiles 'obwohl für diese Ausländer weder eine Beschäftigungsbewilligung (§§ 4 und 4c) oder Zulassung als Schlüsselkraft (§ 12) oder Entsendebewilligung oder die Anzeigebestätigung gemäß § 3 Abs. 5 oder die EU-Entsendebewilligung gemäß § 18 Abs. 12 erteilt noch eine Anzeigebestätigung (§ 3 Abs. 5) oder eine Arbeitserlaubnis (§ 14a) oder ein Befreiungsschein (§§ 15 und 4c) oder Niederlassungsnachweis (§ 24 FrG) ausgestellt wurde' der Spruchteil 'obwohl für diese Ausländer weder eine Beschäftigungsbewilligung, eine Zulassung als Schlüsselkraft oder eine Entsendebewilligung erteilt oder eine Anzeigebestätigung ausgestellt wurde, noch diese Ausländer eine für diese Beschäftigung gültige Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein oder einen Niederlassungsnachweis besaßen' tritt und anstelle des dritten Strafsatzes der vierte Strafsatz des § 28 Abs 1 Z 1 AuslBG zur Anwendung kommt.
Gemäß § 64 Abs 1 und 2 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG wird dem Berufungswerber ein Beitrag von insgesamt 7.560 Euro (d.s. 20 % der verhängten Strafen) zu den Kosten des Berufungsverfahren auferlegt.
II):
Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien hat (...) den oben unter I) angeführten mündlich verkündeten Bescheid hinsichtlich des Strafausspruches gemäß § 52a VStG dahingehend abgeändert, dass anstelle der sechs Geldstrafen zu je 6.300 Euro sechs Geldstrafen zu je 2.000 Euro verhängt und die für den Fall der Uneinbringlichkeit verhängten sechs Ersatzfreiheitsstrafen von je 1 Woche 4 Tage und 5 Stunden auf je 3 Tage herabgesetzt werden, wobei nunmehr der dritte Strafsatz des § 28 Abs 1 Z 1 AuslBG zur Anwendung kommt.
Der erstinstanzliche Verfahrenskostenbeitrag ermäßigt sich demnach gemäß § 64 Abs 1 und 2 VStG auf insgesamt 1.200 Euro.
Gemäß § 65 VStG wird dem Berufungswerber ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens nicht auferlegt."
Nach näherer Begründung des Spruchpunktes I führte die belangte Behörde zu Spruchpunkt II aus, dass die unabhängigen Verwaltungssenate die von ihnen erlassenen Bescheide gemäß § 52a VStG aufheben oder abändern könnten, wenn durch diesen Bescheid das Gesetz offenkundig zum Nachteil des Bestraften verletzt worden sei. Das Verfahren (zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides) habe bis zur Ausfertigung des Berufungsbescheides mehr als fünf Jahre gedauert. Dies sei gemäß § 19 VStG iVm § 34 Abs. 2 StGB strafmildernd zu bewerten. Es liege daher eine Gesetzesverletzung iSd § 52a VStG vor. Bei der neu vorzunehmenden Strafbemessung sei zu berücksichtigen, dass der objektive Unrechtsgehalt der angelasteten Taten nicht als gering bewertet werden könne, weil die illegale Beschäftigung von ausländischen Arbeitskräften auf gesamtwirtschaftlicher Ebene zu volkswirtschaftlichen Schäden und - zusätzlich - zu einer Wettbewerbsverzerrung führe. Auch das Ausmaß des Verschuldens sei nicht geringfügig, weil die Einhaltung der verletzten Rechtsvorschriften keine besondere Aufmerksamkeit erfordert habe. Es sei von günstigen Einkommens- und Vermögensverhältnissen auszugehen. Da alle zum Tatzeitpunkt vorgelegenen verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen (auch die Vormerkungen wegen illegaler Beschäftigung von mehr als drei Ausländern, die einen den Strafsatz erhöhenden Umstand bildeten) nunmehr als getilgt anzusehen seien, komme als Milderungsgrund die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers zum Tragen und der dritte Strafsatz des § 28 Abs. 1 Z. 1 AuslBG zur Anwendung. Als weiterer Milderungsgrund sei die überlange Verfahrensdauer zu werten. Erschwerungsgründe seien nicht zu Tage getreten. Unter Bedachtnahme auf diese Strafzumessungsgründe und den für jeden unberechtigt beschäftigten Ausländer von EUR 2.000,--
bis EUR 10.000,-- reichenden gesetzlichen Strafrahmen seien lediglich die Mindeststrafen zu verhängen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, dass das Gesetz bei der Strafbemessung in einer dem Art. 6 EMRK widersprechenden Weise angewendet wurde, wenn eine überlange Verfahrensdauer nicht festgestellt und strafmildernd bewertet wurde (vgl. die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2003/10/0002, und vom , Zl. 2008/09/0094, jeweils mwN). Die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer ist dabei an Hand der besonderen Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Schwierigkeit des Falles, des Verhaltens der Partei und der staatlichen Behörden im betreffenden Verfahren und der Bedeutung der Sache für die Partei zu beurteilen. Die maßgebliche Frist beginnt, sobald die Partei durch offizielle Mitteilung oder auch in sonstiger Weise in Kenntnis gesetzt wird, dass gegen sie wegen des Verdachts, eine strafbare Handlung begangen zu haben, Ermittlungen mit dem Ziel strafrechtlicher Verfolgung durchgeführt werden (vgl. zum Ganzen die oben angeführten Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom und vom ). In den angeführten Erkenntnissen wurde dargelegt, dass auch ein überlanger Zeitraum zwischen Verkündung und Zustellung der schriftlichen Ausfertigung eines Straferkenntnisses als mildernd zu berücksichtigen ist. Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde zutreffend erkannt, dass auch hier angesichts eines ungerechtfertigt langen Zeitraumes zwischen Verkündung und Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des verkündeten Bescheides die Strafe nachträglich unter Bedachtnahme auf den Milderungsgrund der überlangen Verfahrensdauer in Anwendung des § 52a VStG herabzusetzen war. Die belangte Behörde hat aber nicht in Betracht gezogen, dass sie dabei auch die Verjährungsbestimmungen des VStG zu beachten hatte.
Die Beschwerde richtet sich nur gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides. Der Beschwerdeführer erachtet sich in dem durch § 31 Abs. 1 iVm § 33 Abs. 2 und 3 VStG gewährleisteten Recht, nach Eintritt der Strafbarkeitsverjährung nicht bestraft zu werden, verletzt. Die belangte Behörde habe den Berufungsbescheid am verkündet und die von der erstinstanzlichen Strafbehörde verhängten Geld- sowie Ersatzfreiheitsstrafen bestätigt. Die schriftliche Ausfertigung des Berufungsbescheides sei dem Beschwerdeführer am zugestellt worden. Die belangte Behörde habe auf der Grundlage des § 52a VStG einen Ersatzbescheid erlassen. Der am verkündete Bescheid sei mit der Zustellung (auch) des Ersatzbescheides am aus dem Rechtsbestand ausgeschieden. Gemäß § 31 Abs. 3 VStG dürfe ein Straferkenntnis nicht mehr gefällt werden, wenn seit dem im § 31 Abs. 2 VStG genannten Zeitpunkt drei Jahre vergangen seien. Diese Frist sei von dem Zeitpunkt zu berechnen, an dem die strafbare Handlung abgeschlossen worden sei oder das strafbare Verhalten aufgehört habe. Das Verwaltungsstrafverfahren sei anlässlich einer Grenzkontrolle in Wien, Donaustrom linkes Ufer, am eingeleitet worden. Der Ersatzbescheid vom sei am zugestellt worden. Daher seien weit mehr als drei Jahre vergangen. Die belangte Behörde hätte das erstinstanzliche Straferkenntnis beheben und das Verfahren einstellen müssen. Selbst wenn man davon ausginge, dass der Berufungsbescheid vom (Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides) infolge Aufhebung des Ersatzbescheides (Spruchpunkt II) wiederhergestellt wäre, so wäre dieser nicht mehr vollstreckbar, da die Vollstreckbarkeitsverjährung gemäß § 31 Abs. 3 VStG mit der Verkündung des Bescheides am zu laufen begonnen habe. Da bis zum kein Vollstreckungsverfahren eingeleitet worden sei, käme eine Vollstreckung des ursprünglichen Bescheides gleichfalls nicht in Betracht.
Die Ausführungen führen die Beschwerde zum Erfolg.
§ 52a Abs. 1 VStG lautet:
"(1) Von Amts wegen können der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegende Bescheide, durch die das Gesetz zum Nachteil des Bestraften offenkundig verletzt worden ist, sowohl von der Behörde als auch in Ausübung des Aufsichtsrechtes von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden.
§ 68 Abs. 7 AVG gilt sinngemäß."
§ 52a VStG setzt das Vorliegen eines formell rechtskräftigen
Bescheides voraus. Der schriftlichen Ausfertigung des Spruchpunktes I des in Beschwerde gezogenen Bescheides liegt dessen Verkündung in der mündlichen Verhandlung vor der belangten Behörde vom zu Grunde. Die bei der mündlichen Berufungsverhandlung vor dem unabhängigen Verwaltungssenat, zu der die Parteien ordnungsgemäß geladen wurden, erfolgte Verkündung des Berufungsbescheides hat die Wirkung seiner Erlassung. Da der Inhalt und die Verkündung des Berufungsbescheides in der Verhandlung am ordnungsgemäß entsprechend § 62 Abs. 2 AVG iVm § 24 VStG am Schluss der Verhandlungsschrift beurkundet wurden, ist dieser Bescheid mit seiner Verkündung und mit dem verkündeten Inhalt in Rechtswirksamkeit getreten. Da der genannte Bescheid einer Berufung nicht unterliegt, ist er mit seiner Erlassung auch formell rechtskräftig geworden. Ein solcher Bescheid kann von Amts wegen von der Behörde nicht mehr oder nur ganz bestimmten Voraussetzungen widerrufen, d.h. aufgehoben, abgeändert oder für nichtig erklärt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/03/0021).
Der Eingriff in die formelle Rechtskraft des Bescheides unter Anwendung des § 52a Abs. 1 VStG erfolgte vorliegend in der Weise, dass einerseits der das Gesetz verletzende Bescheid (Spruchpunkt I) in seinem Strafausspruch aufgehoben wurde und insoweit aus dem Rechtsbestand ausgeschieden ist (vgl. etwa den hg. Beschluss vom , Zl. 96/04/0288), andererseits aber mit dem Abänderungsbescheid (Spruchpunkt II) ein (niedrigerer) Strafausspruch erfolgte. Dabei wäre aber im Zeitpunkt der Erlassung des abändernden Strafbescheides zu beachten, dass mittlerweile keine Verfolgungsverjährung (§ 31 Abs. 1 VStG) bzw. keine Strafbarkeitsverjährung (§ 31 Abs. 3 erster Satz VStG) eingetreten und - im Fall der Entscheidung durch die Berufungsbehörde - auch die Entscheidungsfrist des § 51 Abs. 7 VStG noch nicht abgelaufen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , VwSlg 12958 A/1989, sowie Hauer/Leukauf6, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, Anm. 5 und 6 zu § 52a VStG). Überdies wäre im Hinblick auf die Beurteilung der Frage, ob eine Gesetzesverletzung "zum Nachteil des Bestraften" (noch) vorliegt, eine mittlerweile eingetretene Vollstreckungsverjährung (§ 31 Abs. 3 zweiter Satz VStG) zu berücksichtigen, weil mit der Abänderung des Strafausspruchs die Vollstreckungsverjährung iSd angeführten Gesetzesstelle - idR nicht zum Vorteil des Bestraften - neu zu laufen beginnen würde. Wäre eine Abänderung des Strafbescheids gemäß § 52a Abs. 1 VStG nach dem Gesagten rechtswidrig, so steht der Behörde zur Beseitigung einer zum Nachteil des Bestraften erfolgten Gesetzesverletzung nur die (ersatzlose) Aufhebung des Strafbescheides gemäß § 52a Abs. 1 VStG offen.
Im vorliegenden Fall war die strafbare Tätigkeit am abgeschlossen. Die Strafbarkeitsverjährung endete gemäß § 31 Abs. 3 erster Satz iVm Abs. 2 VStG am . Der abändernde Strafbescheid (Spruchpunkt II) wurde am zu einem Zeitpunkt erlassen, zu dem ein Straferkenntnis nach der angeführten Gesetzesstelle wegen der seit fast drei Jahren eingetretenen Strafbarkeitsverjährung nicht mehr hätte gefällt werden dürfen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am