zurück zu Linde Digital
TEL.: +43 1 246 30-801  |  E-MAIL: support@lindeverlag.at
Suchen Hilfe
VwGH vom 22.02.2012, 2011/16/0236

VwGH vom 22.02.2012, 2011/16/0236

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

2012/16/0057 E

2011/16/0040 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Köller, Dr. Thoma und Dr. Zehetner als Richter, im Beisein der Schriftführerin MMag. Wagner, über die Beschwerde des S in W, vertreten durch Dr. Ulla Heindl, Rechtsanwältin in 1020 Wien, Praterstraße 68, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , GZ. RV/0142- W/07, betreffend Familienbeihilfe, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen; das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein polnischer Staatsangehöriger, stellte mit einem am beim Finanzamt eingelangten Formblatt "Beih 1" einen Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe für seinen am geborenen Sohn R. Dem Antrag legte er u.a. eine Bestätigung des Magistrats der Stadt Wien über seine Meldung in Wien seit , einen Auszug aus dem Gewerberegister über die Eintragung mehrerer am angemeldeter Gewerbe für ihn als Gewerbeinhaber und ein Schreiben der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA), Landesstelle Wien, vom bei, wonach er als Inhaber einer Gewerbeberechtigung in der Kranken- und Pensionsversicherung nach dem GSVG pflichtversichert sei.

Mit einem am beim Finanzamt eingelangten Formblatt "Beih 1" beantragte der Beschwerdeführer Familienbeihilfe für seine am geborene Tochter A.

Mit Bescheid vom wies das Finanzamt die Anträge ab. Die vom Beschwerdeführer in Österreich auf Basis des gelösten Gewerbescheines ausgeübte Tätigkeit stelle eine Umgehung des Ausländerbeschäftigungsgesetzes dar. Diese Tätigkeit sei als Dienstverhältnis zu beurteilen. Daher sei die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates nicht anwendbar.

Mit Schriftsatz vom berief der Beschwerdeführer dagegen und brachte vor, er habe Gewerbescheine ausgestellt erhalten und als selbständiger Unternehmer zahlreiche Aufträge von privaten Kunden oder Unternehmen ausgeführt, zwei Jahre lang Einkommensteuererklärungen abgegeben, Rechnungen ausgestellt und SVA-Beiträge gezahlt. Er beantrage rückwirkend ab 2004 Familienbeihilfe für seine Kinder.

Mit Berufungsvorentscheidung vom wies das Finanzamt die Berufung ab. Das "Anmelden eines Gewerbescheines" sei nicht gleichbedeutend mit der Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit. Im Beschwerdefall sei davon auszugehen, dass sich die Tätigkeit nach ihrem wahren wirtschaftlichen Gehalt nicht als selbständige, sondern vielmehr als eine typische Beschäftigung als Hilfsarbeiter auf einer Baustelle darstelle.

Mit Schriftsatz vom brachte der Beschwerdeführer dagegen einen Vorlageantrag ein. Er führte aus, dass er seit selbständiger Unternehmer in der Baubranche sei und warum die von ihm ausgeübte Tätigkeit seiner Ansicht nach eine selbständige Tätigkeit sei, und verwies auf die Verpflichtung zu Zahlung der "WKO-Grundumlage", der "SVA-Beiträge" und von "Magistratsabgaben".

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Nach Wiedergabe des Verwaltungsgeschehens stellte sie fest, der Beschwerdeführer sei seit Juni 2004 in Österreich gemeldet, seine Ehefrau lebe in Polen im Familienhaushalt mit den gemeinsamen Kindern R und A. Der Beschwerdeführer habe am mehrere Gewerbe bei der Gewerbebehörde angemeldet und sei vom bis zum bei der SVA pflichtversichert. Seit August 2004 erziele der Beschwerdeführer Einnahmen "aus dieser Tätigkeit". Nach den von ihm vorgelegten Honorarnoten arbeite er für vier namentlich angeführte Auftraggeber. Seine Wohnanschrift sei auch seine Geschäftsadresse, die Wohnung sei vom Onkel des Beschwerdeführers angemietet worden. Der Beschwerdeführer beschäftige keine Dienstnehmer. Seit sei der Beschwerdeführer nichtselbständig beschäftigt und erhalte seit Oktober 2007 Familienbeihilfe für seine beiden Kinder.

Für den Zeitraum von Juni 2004 bis einschließlich Dezember 2005 bestimme § 3 Abs. 1 FLAG in der für diesen Streitzeitraum geltenden Fassung, dass Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe hätten, wenn sie im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt seien und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder zufolge einer solchen Beschäftigung Bezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet bezögen, sofern die Beschäftigung länger als drei Monate dauere und nicht gegen bestehende Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer verstoße. Nach einer ausführlichen Auseinandersetzung mit den von der hg. Rechtsprechung zu § 47 Abs. 2 EStG für die Abgrenzung einer nichtselbständigen von einer selbständigen oder gewerblichen Tätigkeit herangezogenen Merkmalen gelangte die belangte Behörde zum Ergebnis, dass im Beschwerdefall die äußere Gestaltung in Form eines selbständigen Gewerbebetriebes nach dem tatsächlichen Geschehen nicht verwirklicht worden sei. Der Beschwerdeführer sei nach dem wirtschaftlichen Gehalt in einem Dienstverhältnis beschäftigt worden.

Auch nach Auseinandersetzung mit den Kriterien des Ausländerbeschäftigungsgesetzes schloss die belangte Behörde, dass der Beschwerdeführer in einem arbeitnehmerähnlichen Verhältnis beschäftigt worden sei und seine Tätigkeit entgegen den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgeübt habe.

§ 3 Abs. 1 FLAG stehe daher einer Gewährung der Familienbeihilfe entgegen.

Mit dem EU-Erweiterungs-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 28/2004, habe Österreich von der in der Beitrittsakte 2003 über den Beitritt u.a. der Republik Polen zur Europäischen Union eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Zugang zum Arbeitsmarkt für die "neuen EU-Bürger" einzuschränken. Der Beschwerdeführer sei daher nicht vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen.

Den polnischen Staatsangehörigen sei die Freiheit des Personenverkehrs und dabei insbesondere die Freizügigkeit von Arbeitnehmern für einen Übergangszeitraum nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union nicht eingeräumt worden. Die soziale Sicherheit sei ein wesentlicher Bestandteil der Freizügigkeit des Personenverkehrs. Dass die Anwendung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 unter Punkt 2. des Anhanges II zur Beitrittsakte 2003 im Rahmen der Freizügigkeit geregelt sei, mache deutlich, dass die Verordnung nur im Zusammenhang mit Freizügigkeit zur Anwendung gelangen könne. Damit übereinstimmend führe die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 in der für den Streitzeitraum geltenden konsolidierten Fassung ihrer Präambel aus:

"Die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit gehören zur Freizügigkeit von Personen und sollen zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen.

Freizügigkeit der Personen, die eines der Fundamente der Gemeinschaft darstellt, gilt sowohl für Arbeitnehmer im Rahmen der Freizügigkeit der Arbeitskräfte als auch für Selbständige im Rahmen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs."

Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 selbst begründe nicht die Freizügigkeit der Person, sondern schaffe nur Rahmenbedingungen, welche die Inanspruchnahme des gewährten Rechts auf Freizügigkeit erleichtern, ermöglichen und gewährleisten sollen. Die Verordnung gestalte somit lediglich ein allenfalls eingeräumtes Recht auf Freizügigkeit aus, indem sie Personen, die von der vertraglich eingeräumten Freizügigkeit Gebrauch machen, sozial absichere. Die Verordnung gelange auf Grund des untrennbaren Zusammenhanges mit der Freizügigkeit nur dann zur Anwendung, wenn Freizügigkeit eingeräumt sei. Werde in den jeweiligen vertraglichen Grundlagen Freizügigkeit nicht oder nur eingeschränkt eingeräumt, so komme die Verordnung nicht oder im Bereich der Einschränkung nicht zur Anwendung. Auf Grund der einschränkenden Bestimmungen zur Freizügigkeit mangle es in der Folge auch an einer Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern.

Mit der Beitrittsakte 2003 sei den polnischen Staatsangehörigen Freizügigkeit nur hinsichtlich der Niederlassungsfreiheit und der Freiheit des Dienstleistungsverkehrs eingeräumt worden. Die Freizügigkeit von Arbeitnehmern und damit der Zugang zu Erwerbstätigkeiten des Arbeitsmarktes habe sich Österreich gegenüber polnischen Staatsangehörigen für die Übergangszeit von sieben Jahren vorbehalten. Da die Verordnung ( EWG) Nr. 1408/71 nur im Zusammenhang mit der Gewährung von Freizügigkeit zur Anwendung gelange, der Beschwerdeführer auf Grund seiner arbeitnehmerähnlichen Beschäftigung sich in einem der Freizügigkeit vorbehaltenen Bereich betätigt habe, falle der Beschwerdeführer hinsichtlich des Anspruchs auf Familienbeihilfe im Streitzeitraum mangels Freizügigkeit nicht in den Anwendungsbereich dieser Verordnung.

Für den Zeitraum ab Jänner 2006 erfülle der Beschwerdeführer zwar die Voraussetzungen des § 3 FLAG, weil er sich im Sinn des § 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalte. Allerdings sei nach § 3 Abs. 2 FLAG auch ein rechtmäßiger Aufenthalt des anspruchsvermittelnden Kindes in Österreich Voraussetzung für den Bezug der Familienbeihilfe. Da sich die Kinder des Beschwerdeführers nicht in Österreich aufhielten, bestehe für sie kein Aufenthaltstitel nach dem NAG und kein Anspruch auf Familienbeihilfe. Hinsichtlich der Anwendbarkeit der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 habe sich für den Zeitraum ab nichts geändert.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher sich der Beschwerdeführer im Recht auf Gewährung der Familienbeihilfe verletzt erachtet.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und reichte eine Gegenschrift ein, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

Nach § 3 Abs. 1 FLAG in der im Beschwerdefall für den Zeitraum bis zum maßgeblichen Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 646/1977 haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt sind und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder zufolge einer solchen Beschäftigung Bezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet beziehen; kein Anspruch besteht jedoch, wenn die Beschäftigung nicht länger als drei Monate dauert. Kein Anspruch besteht außerdem, wenn die Beschäftigung gegen bestehende Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer verstößt.

Nach § 3 Abs. 2 FLAG in der im Beschwerdefall für den Streitzeitraum bis zum maßgeblichen Fassung des Pensionsharmonisierungsgesetzes, BGBl. I Nr. 142/2004, gilt § 3 Abs. 1 nicht für Personen, die sich seit mindestens 60 Kalendermonaten ständig im Bundesgebiet aufhalten, sowie für Staatenlose und Personen, denen Asyl nach dem Asylgesetz 1997 gewährt wurde.

Nach § 3 Abs. 1 und 2 FLAG in der für den Streitzeitraum ab maßgeblichen Fassung des Fremdenrechtspaktes 2005, BGBl. I Nr. 100, haben Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG) rechtmäßig in Österreich aufhalten, und für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, nur dann, wenn sich diese nach §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufhalten.

Gemäß § 53 Abs. 1 FLAG sind Staatsbürger von Vertragsparteien des Übereinkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), soweit es sich aus dem genannten Übereinkommen ergibt, in diesem Bundesgesetz österreichischen Staatsbürgern gleichgestellt. Hierbei ist der ständige Aufenthalt eines Kindes in einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen dem ständigen Aufenthalt eines Kindes in Österreich gleichzuhalten.

Nach Art. 1 Buchstabe a) Ziffer i) der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, ABlEG Nr. L 149 vom , (in der Folge Verordnung Nr. 1408/71) in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom , ABlEG Nr. L 209 vom , gilt als Arbeitnehmer oder Selbständiger jede Person, die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist.

Nach Artikel 1 Buchstabe f) Ziffer i) der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom , ABlEG Nr. L 38 vom , gilt als Familienangehöriger jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen die Leistungen gewährt werden, oder in hier nicht interessierenden Fällen als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger angesehen wird; wird nach diesen Rechtsvorschriften eine Person jedoch nur dann als Familienangehöriger oder Haushaltsangehöriger angesehen, wenn sie mit dem Arbeitnehmer oder dem Selbständigen oder dem Studierenden in häuslicher Gemeinschaft lebt, so gilt diese Voraussetzung als erfüllt, wenn der Unterhalt der betreffenden Person überwiegend von diesem bestritten wird.

Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in der erwähnten Fassung der Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates gilt die Verordnung Nr. 1408/71 für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.

Nach Art. 4 Abs. 1 Buchstabe h) der Verordnung Nr. 1408/71 in der konsolidierten Fassung ABlEG Nr. L 28 vom gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die u.a. Familienleistungen betreffen.

Gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung der erwähnten Verordnung (EG) Nr. 1606/98 unterliegen vorbehaltlich der Artikel 14c (Sonderregelungen für Personen, die im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten gleichzeitig eine abhängige Beschäftigung und eine selbständige Tätigkeit ausüben) und 14f (Sonderregelung für in mehr als einem Mitgliedstaat tätige Beamte, die in einem dieser Staaten im Rahmen eines Sondersystems versichert sind) Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel (Art. 13 bis 17).

Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1408/71 lautet:

"(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt folgendes:

a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat;

b) eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt;

….

f) eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer der Ausnahmen bzw. Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie anwendbar würden, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften."

Nach Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71 hat ein Arbeitnehmer oder ein Selbständiger, der den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats unterliegt, vorbehaltlich hier nicht interessierender Bestimmungen in Anhang VI, für seine Familienangehörigen, die im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des ersten Staats, als ob diese Familienangehörigen im Gebiet dieses Staates wohnten.

Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 stellt Prioritätsregeln für den Fall der Kumulierung von Ansprüchen auf Familienleistungen gemäß den Rechtsvorschriften des zuständigen Staates und den Rechtsvorschriften des Staates auf, in dem die Familienangehörigen wohnen.

Der dritte Teil (Ständige Bestimmungen) Titel I (Anpassungen der Rechtsakte der Organe) der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, ABlEU Nr. L 236 vom , S. 33 ff, (im Folgenden: Beitrittsakte) sieht in Art. 20 vor, dass die in Anhang II aufgeführten Rechtsakte nach Maßgabe jenes Anhanges angepasst werden.

Anhang II (Liste nach Art. 20 der Beitrittsakte) Kapitel 2 (Freizügigkeit) Punkt A (Soziale Sicherheit) erwähnt die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 mit näher angeführten Anpassungen.

Der vierte Teil (Bestimmungen mit begrenzter Geltungsdauer) Titel I (Übergangsmaßnahmen) der Beitrittsakte sieht in Art. 24 vor, dass u.a. die in Anhang XII zu dieser Akte aufgeführten Maßnahmen auf die neuen Mitgliedstaaten unter den in diesen Anhängen festgelegten Bedingungen Anwendung finden.

Anhang XII der Beitrittsakte (Liste nach Art. 24 der Beitrittsakte: Polen) führt unter Kapitel 2 (Freizügigkeit) die Richtlinien 68/360/EWG des Rates und 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates an und sieht vor:

"1. Hinsichtlich der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und der Dienstleistungsfähigkeit mit vorübergehender Entsendung von Arbeitskräften im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 96/71/EG gelten Artikels 39 und Artikel 49 Absatz 1 des EG-Vertrages zwischen Polen einerseits und ….., Österreich, …. andererseits in vollem Umfang nur vorbehaltlich der Übergangsbestimmungen der Nummern 2 bis 14.

2. Abweichend von den Artikeln 1 bis 6 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und bis zum Ende eines Zeitraums von zwei Jahren nach dem Tag des Beitritts werden die derzeitigen Mitgliedstaaten nationale oder sich aus bilateralen Abkommen ergebende Maßnahmen anwenden, um den Zugang polnischer Staatsangehöriger zu ihren Arbeitsmärkten zu regeln. Die derzeitigen Mitgliedstaaten können solche Maßnahmen bis zum Ende eines Zeitraums von fünf Jahren nach dem Tag des Beitritts weiter anwenden.

Polnische Staatsangehörige, die am Tag des Beitritts rechtmäßig in

einem derzeitigen Mitgliedstaat arbeiten ….

…..

5. Ein Mitgliedstaat, der am Ende des unter Nummer 2. genannten Zeitraums von fünf Jahren nationale oder sich aus bilateralen Abkommen ergebende Maßnahmen beibehält, kann im Falle schwerwiegender Störungen seines Arbeitsmarktes oder der Gefahr derartiger Störungen nach entsprechender Mitteilung an die Kommission diese Maßnahmen bis zum Ende des Zeitraums von sieben Jahren nach dem Tag des Beitritts weiter anwenden. Erfolgt keine derartige Mitteilung, so gelten die Artikel 1 bis 6 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68.

…..

13. Um tatsächlichen oder drohenden schwerwiegenden Störungen in bestimmten empfindlichen Dienstleistungssektoren auf ihren Arbeitsmärkten zu begegnen, die sich in bestimmten Gebieten aus der länderübergreifenden Erbringung von Dienstleistungen im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 96/71/EG ergeben können, können Deutschland und Österreich, solange sie gemäß den vorstehend festgelegten Übergangsbestimmungen nationale Maßnahmen oder Maßnahmen aufgrund von bilateralen Vereinbarungen über die Freizügigkeit polnischer Arbeitnehmer anwenden, nach Unterrichtung der Kommission von Artikel 10 des EG-Vertrags abweichen, um ……

….."

Dem Beitrittsvertrag ist die Schlussakte angefügt, deren Titel III (Sonstige Erklärungen) Teil C (Gemeinsame Erklärungen der derzeitigen Mitgliedstaaten) Punkt 15. (Die Erklärung zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer: Polen), ABlEU Nr. L 236 vom , Seite 977, lautet:

"Die EU weist auf das hohe Maß an Differenzierung und Flexibilität in der Regelung für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer hin. Die Mitgliedstaaten werden sich bemühen, polnischen Staatsangehörigen nach nationalem Recht verstärkt Zugang zum Arbeitsmarkt zu gewähren, um die Angleichung an den Besitzstand zu beschleunigen. Die Beschäftigungsmöglichkeiten für polnische Staatsangehörige in der EU sollten sich daher mit dem Beitritt Polens erheblich verbessern. Darüber hinaus werden die Mitgliedstaaten der EU die vorgeschlagene Regelung auf die bestmögliche Weise nutzen, um so rasch wie möglich zu einer vollständigen Anwendung des Besitzstands im Bereich der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu gelangen."

Die belangte Behörde stützt die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Gewährung von Familienbeihilfe für seine in Polen lebenden Kinder darauf, dass die (nationalen) Bestimmungen des § 3 FLAG in der jeweiligen Fassung einem Familienbeihilfenanspruch widersprächen.

Die Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1408/71 im Beschwerdefall verneint die belangte Behörde mit der Begründung, die primärrechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union erlaubten Österreich die Einschränkung der Freizügigkeit von Arbeitnehmern polnischer Staatsangehörigkeit.

Die Einschränkung der Freizügigkeit polnischer Staatsangehöriger ergibt sich aus Art. 24 und Anhang XII der Beitrittsakte. Gemäß Anhang XII Nr. 1 der Beitrittsakte wird die Freizügigkeit durch die Übergangsbestimmungen des Anhangs XII Nr. 2 bis 14 eingeschränkt. Die in Anhang XII aufgeführten Maßnahmen erwähnen die Verordnung Nr. 1408/71 nicht, sondern lediglich die Verordnung Nr. 1612/68 des Rates sowie die Richtlinien 68/360/EWG des Rates und 96/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates. Bereits deshalb ist nach dem klaren Wortlaut dieser unionsrechtlichen Vorschriften, an deren Auslegung der Verwaltungsgerichtshof insoweit keinen Zweifel hegt, die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 durch die Beitrittsakte nicht eingeschränkt worden.

Auch die von der belangten Behörde gesehene Verletzung der Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes vermag die Anwendung der Verordnung Nr. 1408/71 im Beschwerdefall nicht zu verhindern

Nach § 2 Abs. 1 Z 1 des Gewerblichen Sozialversicherungsgesetzes - GSVG sind auf Grund dieses Bundesgesetzes, soweit es sich um natürliche Personen handelt, in der Krankenversicherung und in der Pensionsversicherung die Mitglieder der Kammern der gewerblichen Wirtschaft pflichtversichert.

Nach § 2 Abs. 1 des Wirtschaftskammergesetzes 1998 sind alle physischen und juristischen Personen sowie sonstigen Rechtsträger, die Unternehmungen des Gewerbes, des Handwerks, der Industrie, des Bergbaues, des Handels, des Geld-, Kredit- und Versicherungswesens, des Verkehrs, des Nachrichtenverkehrs, des Rundfunks, des Tourismus und der Freizeitwirtschaft sowie sonstiger Dienstleistungen rechtmäßig selbständig betreiben oder zu betreiben berechtigt sind, Mitglieder der Wirtschaftskammern und Fachorganisationen.

Das Unionsrecht stellt in der im Beschwerdefall noch maßgeblichen Verordnung Nr. 1408/71 darauf ab, dass die betreffende Person gegen eines der Risiken pflicht- oder freiwillig weiterversichert ist. § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG stellt bei der Pflichtversicherung u.a. auf die Mitgliedschaft zur Wirtschaftskammer ab. § 2 Wirtschaftskammergesetz wiederum sieht eine Kammermitgliedschaft einerseits bei rechtmäßigem Ausüben einer bestimmten Tätigkeit oder bei der Berechtigung zur Ausübung dieser Tätigkeit vor, wobei die tatsächliche Ausübung dieser Tätigkeit diesfalls nicht gefordert wird.

Die belangte Behörde hat im Einklang mit den aktenkundigen Auszügen aus dem Gewerberegister festgestellt, dass der Beschwerdeführer "Gewerbescheine gelöst" habe. Sohin wäre der Beschwerdeführer zur Ausübung solcher gewerblicher Tätigkeiten berechtigt und Mitglied der Kammer der gewerblichen Wirtschaft gewesen. Die Antwort der belangten Behörde auf die Vorfrage, der Beschwerdeführer sei "in der SVA" (gemeint: nach § 2 GSVG) pflichtversichert gewesen, erweist sich als insoweit folgerichtig. Dergestalt fiele der Beschwerdeführer aber als Selbständiger iSd Art. 1 Buchstabe a) Ziffer i) der Verordnung Nr. 1408/71 jedenfalls gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 in den Anwendungsbereich dieser Verordnung, auch ohne diese gewerbliche Tätigkeit ausgeübt zu haben (vgl. auch die (Dodl und Oberhollenzer), Rn 31, und vom in der Rs. C-516/09 (Tanja Borger), Rn 28, und das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2011/16/0260, sowie Aigner/Wanke, in Csaszar/Lenneis/Wanke, Familienlastenausgleichsgesetz, § 3, Rz 190 und 191).

Allfällige Überlegungen, auf einen nicht am "legalen" Arbeitsmarkt Tätigen wäre die Verordnung Nr. 1408/71 nicht anzuwenden ( Csaszar, aaO, § 53 Rz 22; diesen Überlegungen aber entgegen tretend etwa Aigner/Wanke , aaO, § 3 Rz 190 bis 192, 195 und 196) oder ein solcher wäre kein abhängig Beschäftigter iSd Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1408/71, gingen im Beschwerdefall somit ins Leere.

Soweit Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1408/71 auf den Beschwerdeführer tatsächlich nicht anwendbar wäre und Art. 13 Abs. 2 Buchstabe b) dieser Verordnung die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit verlangt, käme im Beschwerdefall - wenn sowohl Art. 13 Abs. 2 Buchstabe a) als auch Buchstabe b) nicht heranzuziehen wären - Art. 13 Abs. 2 Buchstabe f) zum Tragen, denn die belangte Behörde hat einen Sachverhalt, dass der Beschwerdeführer im Streitzeitraum weiterhin den polnischen Rechtsvorschriften unterlegen wäre (etwa im Streitzeitraum in Polen abhängig beschäftigt gewesen oder eine selbständige Tätigkeit ausgeübt hätte) nicht festgestellt.

Deshalb ergibt sich aus den unstrittig vorgelegenen Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 und des Art. 13 Abs. 2 sowie des Art. 73 der Verordnung Nr. 1408/71, dass der Beschwerdeführer für den Streitzeitraum nach diesen unmittelbar anwendbaren unionsrechtlichen Bestimmungen Anspruch auf Familienbeihilfe für seine in Polen lebenden Kinder nach Maßgabe des Vorliegens der sonstigen Voraussetzungen (insb. Art. 1 Buchstabe f) Ziffer i) der Verordnung Nr. 1408/71 und § 2 Abs. 2 FLAG) und unter Berücksichtigung der allenfalls anzuwendenden Kumulierungsregelung des Art. 76 der Verordnung Nr. 1408/71 hat.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455. Das abgewiesene Mehrbegehren betrifft die Umsatzsteuer, weil neben dem Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand ein weiterer Kostenersatz unter dem Titel von Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist.

Wien, am