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VwGH vom 06.06.2012, 2009/08/0226

VwGH vom 06.06.2012, 2009/08/0226

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des S F in Wien, vertreten durch Mag. Alexandra Cervinka, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Seilergasse 3/13, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz vom , Zl. BMASK-421064/0002- II/A/3/2009, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Weitergewährung einer Waisenpension (mitbeteiligte Partei:

Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der am geborene Beschwerdeführer beantragte am die Weitergewährung der Waisenpension über das 27. Lebensjahr hinaus. Dieser Antrag wurde von der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt mit Bescheid vom abgewiesen, weil die Voraussetzung des § 252 Abs. 2 Z 2 ASVG - Erwerbsunfähigkeit infolge Krankheit oder Gebrechens seit Vollendung des 18. Lebensjahres oder seit dem Ablauf des in Z 1 genannten Zeitraumes (Schul- oder Berufsausbildung längstens bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres) - nicht gegeben sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Klage, die mit Urteil des Landesgerichtes E vom , rechtskräftig abgewiesen wurde.

Am stellte er neuerlich einen Antrag auf Weitergewährung der Waisenpension über das 27. Lebensjahr hinaus. Dieser wurde von der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt mit Bescheid vom gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer einen am bei der mitbeteiligten Sozialversicherungsanstalt eingelangten Einspruch an den Landeshauptmann von Burgenland. Mit Schriftsatz vom beantragte er den Übergang der Entscheidungspflicht auf die belangte Behörde.

Diese gab mit Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides dem Devolutionsantrag Folge und bestätigte mit Spruchpunkt II den Bescheid der mitbeteiligten Pensionsversicherungsanstalt.

Begründend stellte die belangte Behörde nach Darstellung des Verfahrensgangs und der Rechtslage zunächst klar, dass es sich bei der Zurückweisung des Antrages wegen entschiedener Sache entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers um eine Verwaltungssache im Sinn des § 355 ASVG handle. Zur Frage, ob im konkreten Fall entschiedene Sache vorliege, führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass zum einen Identität der Sache vorliege und zum anderen keine Änderung im zu prüfenden Sachverhalt eingetreten sei. Die Frage der Kindeseigenschaft nach § 252 Abs. 2 Z 2 ASVG wegen Erwerbsunfähigkeit sei als Sozialrechtssache geprüft und rechtskräftig entschieden worden. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Befunden und Gutachten sowie eine neuerliche chefärztliche Untersuchung seien sohin rechtlich nicht mehr möglich gewesen.

Eine neuerliche Sachentscheidung wäre nur dann in Betracht gekommen, wenn der Beschwerdeführer das 27. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Urteilsfällung durch das Landesgericht E noch nicht vollendet hätte. Nur dann wäre es (im Fall eines geänderten Sachverhalts) möglich gewesen, neuerlich die Voraussetzungen einer etwaigen Erwerbsunfähigkeit zu prüfen.

Dem Vorbringen, dass die Erwerbsunfähigkeit bereits vor dem 27. Lebensjahr eingetreten sei, stehe das rechtskräftige Urteil des Landesgerichtes E entgegen, mit dem eine Erwerbsunfähigkeit definitiv verneint worden sei. Im Rahmen des sozialgerichtlichen Verfahrens sei der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers umfassend überprüft worden. Es seien mehrere Sachverständigengutachten erstellt worden, denen zufolge der Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt erwerbsfähig gewesen sei.

Die rückwirkend zuerkannte erhöhte Familienbeihilfe und die damit festgestellte rückwirkende Anerkennung der Einschätzung des Grades der Behinderung mit 50% hätten auch deswegen keine direkte Auswirkung auf die Beurteilung der Erwerbsunfähigkeit nach § 252 ASVG, weil die Erwerbsunfähigkeit im Sinn des ASVG mit dem Grad der Behinderung nach dem Familienbeihilfenrecht nicht gleichzusetzen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:

1. Die belangte Behörde ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers durch die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt wegen entschiedener Sache eine Verwaltungssache im Sinne des § 355 ASVG darstellt und daher der Einspruch nach den §§ 412 Abs. 1 und 413 Abs. 1 Z 1 ASVG zulässig war (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 2003/08/0162, und vom , Zl. 2006/08/0267).

2. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG, der trotz Nichtanführung im § 357 ASVG auch von den Sozialversicherungsträgern anzuwenden ist, sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 bis 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet und auch in den anzuwendenden Verwaltungsvorschriften keine Sonderregelung vorgesehen ist (§ 68 Abs. 6 AVG), wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

Dem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung stehen Ansuchen gleich, die eine erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezwecken, da § 68 Abs. 1 AVG in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern soll. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird demgemäß durch die "entschiedene Sache", d.h. durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits rechtskräftig abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt.

Von einer Identität der Sache kann also nur dann gesprochen werden, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteienbegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Parteienbegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (vgl. zum Ganzen etwa das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom , Zl. 2003/08/0162, mwN). Liegt eine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor oder ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt eine Änderung eingetreten, so stünde die rechtskräftige Entscheidung dem neuerlichen Antrag nicht entgegen. Dabei könnte aber nur eine solche Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten, die für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0057, VwSlg. 15.694 A, mwN).

3. Die Beschwerde bringt zunächst vor, dass sich der Spruch des Urteils des Landesgerichtes E vom nur auf die Abweisung des Antrages auf Waisenpension bezogen habe; über die Frage der Erwerbsunfähigkeit sei im Spruch hingegen nicht abgesprochen worden. Es liege daher keine Identität der Rechtssache vor.

Dem ist zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer sowohl mit seinem ersten Antrag vom und der gegen dessen Abweisung erhobenen Klage als auch mit dem neuerlichen Antrag vom die Weitergewährung der Waisenpension über das 27. Lebensjahr hinaus begehrt hat. Dieses Begehren war jeweils Gegenstand des Verfahrens. Die Erwerbsunfähigkeit ist gemäß § 260 iVm § 252 Abs. 2 Z 2 ASVG (nur) tatbestandliche Voraussetzung für die Stattgebung eines solchen Begehrens; ob sie vorliegt, ist im Verfahren zu prüfen und - wie es im Urteil des Landesgerichtes E vom erfolgt ist - in der Entscheidungsbegründung darzulegen. Anders als die Beschwerde offenbar meint, hat ein Abspruch über die Erwerbsunfähigkeit weder im Spruch des Bescheides oder Urteils betreffend die Weitergewährung der Waisenpension zu erfolgen, noch ist dafür ein eigenes Verfahren vorgesehen. Auf Grund des Antrages des Beschwerdeführers vom ist über den Anspruch auf Waisenpension über das 27. Lebensjahr hinaus aus dem Grund der Erwerbsunfähigkeit rechtskräftig abgesprochen worden.

Der belangten Behörde ist auch darin beizupflichten, dass in einer nach Vollendung des 27. Lebensjahres eingetretenen, allenfalls zur Erwerbsunfähigkeit führenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes von vornherein keine für die Weitergewährung der Waisenpension maßgebliche Sachverhaltsänderung liegen kann, weil eine erst nach dem Verlust der Kindeseigenschaft im Sinn des § 252 Abs. 2 Z 1 ASVG eingetretene Erwerbsunfähigkeit keinen Anspruch auf Weitergewährung der Waisenpension begründet (vgl. aus der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes etwa das Urteil vom , Zl. 10 ObS 209/00h, sowie den Beschluss vom , Zl. 10 ObS 4/10x).

4. Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, selbst wenn man davon ausginge, dass Identität der Rechtssache vorliege, hätte die belangte Behörde Anlass gehabt, eine "Verfügung in Richtung auf eine Aufhebung oder Abänderung einer rechtskräftigen Entscheidung" zu treffen. Die belangte Behörde habe auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers im Verwaltungsverfahren genügend Anhaltspunkte dafür gehabt, an der vom Landesgericht E festgestellten Erwerbsunfähigkeit (gemeint offenbar: Erwerbsfähigkeit) zu zweifeln bzw. hätte sie diese Feststellung zumindest zu überprüfen gehabt. Sie hätte nicht ohne weitere Prüfung von der genannten Entscheidung ausgehen dürfen. Sie hätte vielmehr erkennen müssen, dass der Antrag des Beschwerdeführers schlüssige Wiederaufnahmegründe beinhalte; der Antrag wäre daher nicht zurückzuweisen, sondern in Behandlung zu nehmen gewesen, und der bislang unvertretene Beschwerdeführer wäre entsprechend anzuleiten gewesen. Es hätte ihm Gelegenheit gegeben werden müssen, sein Vorbringen allenfalls in Richtung Wiederaufnahme zu ändern. Auch von Amts wegen habe die belangte Behörde in Richtung möglicher Wiederaufnahmegründe prüfen müssen. Sie habe völlig unberücksichtigt gelassen, dass dem Beschwerdeführer auf Grund seiner Erwerbsunfähigkeit mit Bescheid des zuständigen Finanzamtes vom erhöhte Familienbeihilfe rückwirkend mit Mai 2003 gewährt worden sei; es sei daher evident, dass der Eintritt der Erwerbsunfähigkeit früher erfolgt sei bzw. zumindest erfolgt sein hätte können.

Soweit die Beschwerde mit diesem Vorbringen ein Vorgehen nach § 101 ASVG (rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes) nahelegen möchte, ist darauf hinzuweisen, dass diese Bestimmung nur auf Bescheide eines Versicherungsträgers anwendbar ist, nicht aber auch auf Leistungsfeststellungen, die zuletzt von einem Gericht ergangen sind, da mit der Erhebung der Klage beim Gericht der Bescheid des Versicherungsträgers im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft tritt und daher insoweit jede Entscheidungsbefugnis des Versicherungsträgers wegfällt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2008/08/0083). Im Übrigen hat der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren ausdrücklich angegeben, dass seine Anträge "keinesfalls Anträge im Sinne des § 101 ASVG" seien.

Ebenso wenig wie die rückwirkende Herstellung des gesetzlichen Zustandes nach § 101 ASVG wäre eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG zulässig gewesen. Gegen rechtskräftige Urteile der Gerichte kann Abhilfe nur im Wege der Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmsklage nach Maßgabe der Vorschriften der Zivilprozessordnung gesucht werden (vgl. auch dazu das soeben genannte Erkenntnis vom ); eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 69 AVG ist in Leistungssachen nur zulässig, sofern der Bescheid des Sozialversicherungsträgers durch Einbringen einer Klage nicht im Umfang des Klagebegehrens außer Kraft getreten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 83/08/0124, VwSlg. 11.484 A).

5. Die Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Weitergewährung einer Waisenpension ist daher zu Recht erfolgt. Die Beschwerde war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.

Wien, am