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VwGH vom 17.10.2012, 2009/08/0206

VwGH vom 17.10.2012, 2009/08/0206

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer und MMag. Maislinger als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde der L HandelsgesmbH in S, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in 5020 Salzburg, Erzabt-Klotz-Straße 21A, gegen den Bescheid der Landeshauptfrau von Salzburg vom , Zl. 20305- V/14.564/7-2009, betreffend Beitragsnachverrechnung (mitbeteiligte Partei: Salzburger Gebietskrankenkasse in 5020 Salzburg, Engelbert-Weiß-Weg 10), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom wurde die beschwerdeführende Partei verpflichtet, die mit Beitragsvorschreibung vom nachverrechneten Sozialversicherungsbeiträge von EUR 6.526,61 sowie den Beitragszuschlag gemäß § 113 Abs. 1 Z 3 ASVG von EUR 1.067,96 umgehend an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu entrichten.

Begründend führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse im Wesentlichen aus, die beschwerdeführende Partei habe für näher genannte Dienstnehmer in näher genannten Zeiträumen (von Jänner 2003 bis Dezember 2006) bestehende Überzahlungen der kollektivvertraglichen Mindestgehälter nicht aufrechterhalten und keine Sozialversicherungsbeiträge für diese abgeführt. Der für die genannten Dienstnehmer zur Anwendung kommende Kollektivvertrag für Handelsangestellte in Österreich sehe in den ab , 2004, 2005 und 2006 geltenden Fassungen jeweils vor, dass die am 31. Dezember bestehenden Überzahlungen der kollektivvertraglichen Mindestgehälter in ihrer euromäßigen Höhe (cent-genau) gegenüber den ab 1. Jänner erhöhten kollektivvertraglichen Mindestgehältern aufrecht zu erhalten seien. Für die genannten Dienstnehmer seien die Überzahlungen aber nicht aufrechterhalten worden. Der Dienstgeber stütze diese Vorgehensweise auf eine von den Dienstnehmern (B, P, S und Y) ex post () unterfertigte Bestätigung. Diese Bestätigung lautet (Inhalt wiedergegeben nach der in den Verwaltungsakten erliegenden Urkunde):

"Wir haben von der (beschwerdeführenden Partei) bis zum Jahr 2002 regelmäßig Gehaltserhöhungen erhalten und bezogen dadurch Gehälter, die erheblich über dem Kollektivvertrag lagen.

Auf Grund dieser nicht unerheblichen Überzahlungen wurde von uns auch die Zusage abgegeben, dass diese Gehaltserhöhungen Vorwegnahmen sowie Anrechnungen für eine zukünftige kollektivvertragliche Lohnerhöhung darstellen können, insbesondere dann, wenn die Ertragslage der (beschwerdeführenden Partei) weitere Gehaltserhöhungen nicht mehr zulässt.

Es ist uns bekannt, dass der Geschäftsgang der (beschwerdeführenden Partei) in den letzten Jahren sehr schlecht war und Gehaltserhöhungen aus diesem Grund nicht möglich waren. Um einen Verlust des Arbeitsplatzes zu vermeiden wurden daher mit unserem vollen Einverständnis die Bezüge unverändert belassen und von unserer Seite auf eine Anpassung der kollektivvertraglichen Istlöhne ausdrücklich verzichtet. In diesem Zusammenhang fanden jährlich gemeinsame Besprechungen statt."

Dabei handle es sich aber um einen "undurchschaubaren" und damit unzulässigen Pauschalverzicht. Keinesfalls könnten Anrechnungsklauseln solcher Art, die eine unbestimmte Anzahl kollektivvertraglicher Ist-Lohnerhöhungen für anrechenbar erklärten, für gültig gehalten werden.

Mit weiterem Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom wurde die beschwerdeführende Partei verpflichtet, die mit Beitragsvorschreibung nachverrechneten Sozialversicherungsbeiträge von EUR 1.902,12 sowie Verzugszinsen in Höhe von EUR 58,20 umgehend an die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse zu entrichten.

Begründend führte die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aus, die beschwerdeführende Partei habe für die näher genannten Dienstnehmer in näher genannten Zeiträumen (von Jänner bis Dezember 2007) die bestehenden Überzahlungen der kollektivvertraglichen Mindestgehälter nicht aufrechterhalten und keine Sozialversicherungsbeiträge für diese abgeführt.

Die beschwerdeführende Partei erhob gegen diese Bescheide jeweils Einspruch.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde den Einsprüchen keine Folge. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, Bestimmungen in Kollektivverträgen könnten, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regelten, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Sondervereinbarungen seien nur gültig, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger seien. Ein Verzicht auf (künftige) Rechte sei nur zulässig, wenn eine ausreichende Bestimmbarkeit des Rechts erkennbar sei, auf welches verzichtet werden solle. Laut dem Inhalt der vorgelegten Bestätigungen seien zwar Zusagen abgegeben worden; der Inhalt, es werde auf eine Anpassung der kollektivvertraglichen Istlöhne ausdrücklich verzichtet, sei jedoch nicht ausreichend bestimmt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt. Die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse teilte mit, sie erstatte keine Gegenschrift.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Die beschwerdeführende Partei macht geltend, die "Aufsaugungsklausel" sei zulässig, weil sich die Vereinbarung jedenfalls als günstiger erweise, als wäre der Arbeitnehmer nur zum Mindestlohn beschäftigt worden und hätte jährlich einen Anspruch auf eine Erhöhung des Mindestlohnes laut Kollektivvertrag gehabt. Zumindest wäre die Aufsaugungsklausel drei Jahre lang (somit für die Jahre 2003, 2004 und 2005) wirksam gewesen, sodass aber auch in den Jahren 2005 und 2006 lediglich geringere Erhöhungen des Anspruchslohnes zu berücksichtigen gewesen wären. Bei den getroffenen Vereinbarungen handle es sich auch um keinen Verzicht auf alle zukünftigen Ist-Lohnerhöhungen; der Verzicht sei auf den Zeitraum der schlechten Vermögens- und Ertragslage der beschwerdeführenden Partei beschränkt gewesen. Damit sei auch die erforderliche Bestimmbarkeit der Dauer des Vorwegverzichtes gegeben gewesen. Darüber hinaus sei für jedes Jahr separat im Zuge einer Besprechung die Ertragslage und die Möglichkeit einer Lohnerhöhung gemeinsam erörtert worden. Für die Jahre 2003 bis 2006 sei in den entsprechenden Jahresbesprechungen aufgrund der schlechten Vermögens- und Ertragslage auf eine Ist-Lohnerhöhung verzichtet worden; dies jeweils nur für ein Jahr. Ein derartiger Verzicht auf die nächste anstehende kollektivvertragliche Ist-Lohnerhöhung sei jedenfalls zulässig.

Als Verfahrensmangel rügt die beschwerdeführende Partei, die belangte Behörde hätte das Ermittlungsverfahren amtswegig durch die Einvernahme der Dienstnehmer B, P, S und Y ergänzen müssen. Erst mit der Durchführung der Befragung der Dienstnehmer wäre die belangte Behörde in der Lage gewesen, den genauen Inhalt und das exakte Zustandekommen der mündlich getroffenen Vereinbarungen, mit denen auf bestimmte Ist-Lohnerhöhungen verzichtet worden sei, zu beurteilen und festzustellen. Hätte die belangte Behörde die Ermittlungstätigkeit durchgeführt, hätte sie auch festgestellt, dass aufgrund der nunmehr wieder verbesserten Vermögens- und Ertragslage der beschwerdeführenden Partei mit die Gehälter der Mitarbeiter entsprechend angepasst worden seien. Auch rügt die beschwerdeführende Partei, die belangte Behörde führe nicht aus, ob sie die Angaben der beschwerdeführenden Partei bzw. ihrer Mitarbeiter in der Bestätigung vom für glaubwürdig erachtet oder nicht.

2. Gemäß § 44 Abs. 1 Z 1 ASVG ist Grundlage für die Bemessung der allgemeinen Beiträge (allgemeine Beitragsgrundlage) für Pflichtversicherte, sofern im Folgenden nichts anderes bestimmt wird, der im Beitragszeitraum gebührende, auf Cent gerundete Arbeitsverdienst mit Ausnahme allfälliger Sonderzahlungen nach § 49 Abs. 2 ASVG. Als Arbeitsverdienst in diesem Sinne gilt bei den pflichtversicherten Dienstnehmern das Entgelt im Sinne des § 49 Abs. 1, 3, 4 und 6 ASVG.

Unter Entgelt sind gemäß § 49 Abs. 1 ASVG die Geld- und Sachbezüge zu verstehen, auf die der pflichtversicherte Dienstnehmer aus dem Dienstverhältnis Anspruch hat oder die er darüber hinaus auf Grund des Dienstverhältnisses vom Dienstgeber oder von einem Dritten erhält.

3. Für die Bemessung der Beiträge ist nicht lediglich das tatsächlich gezahlte Entgelt (Geld- und Sachbezüge) maßgebend, sondern, wenn es das tatsächlich bezahlte Entgelt übersteigt, jenes Entgelt, auf dessen Bezahlung bei Fälligkeit des Beitrages ein Rechtsanspruch bestand. Ob ein Anspruch auf einen Geld- oder Sachbezug besteht, ist nach zivilrechtlichen (arbeitsrechtlichen) Grundsätzen zu beurteilen (vgl. aus der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0028, VwSlg. 16.382 A/2004, mwN).

Gemäß § 3 Abs. 1 ArbVG können die Bestimmungen in Kollektivverträgen, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regeln, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Sondervereinbarungen sind, sofern sie der Kollektivvertrag nicht ausschließt, nur gültig, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind oder Angelegenheiten betreffen, die im Kollektivvertrag nicht geregelt sind.

Nach § 3 Abs. 2 ArbVG sind bei der Prüfung, ob eine Sondervereinbarung im Sinne des Abs. 1 leg.cit. günstiger ist als der Kollektivvertrag, jene Bestimmungen zusammenzufassen und gegenüberzustellen, die in einem rechtlichen und sachlichen Zusammenhang stehen.

4. Im Verfahren ist nicht strittig, dass die hier zu beurteilenden Dienstnehmer (im gesamten Zeitraum) überkollektivvertraglich entlohnt wurden. Der auf die Dienstverhältnisse anwendbare Kollektivvertrag sah im Streitzeitraum eine Erhöhung dieses Ist-Lohnes durch Aufrechterhaltung der Überzahlungen vor, die die beschwerdeführende Partei nicht durchführte, die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse aber ihrer Beitragsvorschreibung zu Grunde legte.

Bei einer schlichten Ist-Lohnklausel ist davon auszugehen, dass diese mit Inkrafttreten des Kollektivvertrages eine Erhöhung des Ist-Lohnes zwingend bewirkt, die Aufrechterhaltung des neuen Lohnansatzes ist aber nicht zwingend vorgesehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0129, mwN). Die Erhöhung des Ist-Lohnes ist demnach - bis zum kollektivvertraglichen Mindestlohn - abdingbar (vgl. auch Reissner in Zeller Kommentar2, § 2 ArbVG Rz 58 ff).

Ein hinsichtlich des Ausmaßes unbestimmter "Vorausverzicht" auf Ist-Lohnerhöhungen ist aber unwirksam (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2001/08/0145, mwN). Hingegen ist es aber zulässig, dass bereits bei Abschluss des Arbeitsvertrages vereinbart wird, dass der überkollektivvertragliche Entlohnungsteil auf allfällige gesetzliche und oder kollektivvertragliche Erhöhungen angerechnet werden soll, weil eine solche Lohnvereinbarung in Wahrheit eine vom Arbeitgeber bei Vertragsabschluss freiwillig vorweg gewährte Lohnerhöhung ist, die sich stufenweise in den gesetzlichen Mindestlohn einschleifen soll. Da der sozialpolitische Zweck der Ist-Lohnerhöhung darin besteht, dem Arbeitnehmer die Kaufkraft des individuell vereinbarten Lohnes zu sichern, sind der privatautonomen Vereinbarung einer Anrechnungsklausel aber zeitliche Grenzen gesetzt (vgl. ). Darüber hinaus ist auch eine "Verschlechterungsvereinbarung", nämlich die Herabsetzung des Lohnes (sofern der geänderte Vertragsinhalt den durch Gesetz, Kollektivvertrag oder Betriebsvereinbarung zwingend normierten Mindesterfordernissen entspricht) nicht jedenfalls rechtswidrig. Entscheidend ist dabei, ob es sich um einen Verzicht auf bereits erworbene Ansprüche oder um eine ausdrücklich nur die Rechtsstellung für die Zukunft teilweise verschlechternde einvernehmliche Vertragsänderung handelt. Eine einvernehmliche Lohnherabsetzung nach der durch den Kollektivvertrag bewirkten Ist-Lohnerhöhung (oder in Kenntnis der bevorstehenden Ist-Lohnerhöhung) in Form der Aufrechterhaltung der an einem bestimmten Stichtag bestehenden Überzahlung für die Zukunft widerspricht nicht (jedenfalls) zwingenden Normen des Arbeitsrechts, sofern der Lohn auch unter Berücksichtigung der Verschlechterungsvereinbarung im überkollektivvertraglichen Bereich verbleibt (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 87/08/0121, mwN).

Im hier vorliegenden Fall behauptete die beschwerdeführende Partei - unter Vorlage einer (wenn auch erst im Zuge der Prüfung durch die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse erstellten) Urkunde -, sie habe sich mit ihren Dienstnehmern darauf geeignet, dass (kollektivvertragliche) Überzahlungen Vorwegnahmen sowie Anrechnungen für eine zukünftige kollektivvertragliche Lohnerhöhung darstellen könnten, insbesondere dann, wenn die Ertragslage der beschwerdeführenden Partei weitere Gehaltserhöhungen nicht mehr zulasse. Eine derartige "Vereinbarung" ist allerdings lediglich als bloße Absichtserklärung zu beurteilen; konkrete Rechtswirkungen im Sinne einer "Aufsaugungsklausel" kann diese Absichtserklärung nicht bewirken.

Die beschwerdeführende Partei behauptet allerdings - wiederum gestützt auf die erwähnte Urkunde - weiter, die Bezüge der Dienstnehmer seien mit vollem Einverständnis der Dienstnehmer unverändert belassen worden; die Dienstnehmer hätten auf eine kollektivvertragliche Anpassung der Ist-Löhne verzichtet; in diesem Zusammenhang hätten jährlich gemeinsame Besprechungen stattgefunden.

Eine Vereinbarung darüber, dass eine schon feststehende Ist-Lohnerhöhung für bestehende Dienstverträge nicht durchgeführt wird, wäre aber nach dem oben Gesagten nicht jedenfalls unzulässig. Ob derartige (jährliche) Vereinbarungen aber wirksam getroffen wurden, wurde von der belangten Behörde in Verkennung der Rechtslage nicht untersucht.

5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet in §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008. Das Mehrbegehren ("Barauslagen") war im Hinblick auf die auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltende sachliche Abgabenfreiheit (§ 110 ASVG) abzuweisen.

Wien, am