VwGH vom 22.12.2010, 2009/08/0016
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Lehofer, Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Peck, über die Beschwerde des P B in A, vertreten durch Mag. Maria-Christina Breitenecker, Dr. Christine Kolbitsch und Dr. Heinrich Vana, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in 1020 Wien, Taborstraße 10/2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom , Zl. MA 40 - SR 2651/08, betreffend Begünstigung gemäß §§ 500 ff ASVG (mitbeteiligte Partei: Pensionsversicherungsanstalt in 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf begünstigte Anrechnung von Versicherungszeiten gemäß §§ 500 ff ASVG abgewiesen.
Der Beschwerdeführer habe vorgebracht, er sei mit seinen Eltern im Jahr 1937 von Wien nach Prag übersiedelt, weil seinem Vater von seinem Arbeitgeber die Leitung des Büros in Prag übertragen worden sei. Bis zum Anschluss im Jahr 1938 habe sein Vater an eine allfällige Rückkehr nach Österreich gedacht. Er habe nicht die Mittel gehabt, einen Wohnsitz in Wien aufrecht zu erhalten. Die Auswanderungspapiere seien Anfang Februar 1940 eingelangt. Auf dem Weg zum Schiff nach Genua Ende Februar 1940 sei sein Vater für zwei Tage nach Wien zurückgekehrt, um seine Schwester zu sehen, die in Wien geblieben sei.
Laut Bestätigung der Magistratsabteilung 8, Wiener Stadt- und Landesarchiv, vom - so die belangte Behörde weiter - sei der Vater des Beschwerdeführers vom bis zum in Wien 13. gemeldet gewesen und danach nach Prag abgemeldet worden. Der am in Wien geborene Beschwerdeführer habe vor seiner Auswanderung keine Beitrags- oder Ersatzzeiten zurückgelegt, weshalb nur eine Begünstigung gemäß § 502 Abs. 6 ASVG in Betracht komme. Diese setze voraus, dass der Beschwerdeführer am seinen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich gehabt hätte. Damals sei der Beschwerdeführer noch minderjährig gewesen und habe somit den Wohnsitz seiner Eltern geteilt. Diese hätten jedoch bereits vor dem aus beruflichen Gründen des Vaters ihren Wohnsitz von Österreich in die damalige Tschechoslowakei verlegt. Die von seinen Eltern in Wien gemietete Wohnung sei anlässlich des im Jahr 1937 erfolgten Umzugs nach Prag aufgegeben worden. Ein Wohnsitz in Wien sei nicht mehr aufrechterhalten worden. Damit hätten die Eltern des Beschwerdeführers bereits vor dem den wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt ihres Lebens von Wien nach Prag verlegt. Der Beschwerdeführer habe am seinen Wohnsitz nicht mehr im Gebiet der Republik Österreich gehabt. Eine der Voraussetzungen des § 502 Abs. 6 ASVG sei nicht erfüllt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erklärte, von der Erstattung einer Gegenschrift abzusehen. Die mitbeteiligte Pensionsversicherungsanstalt hat sich an dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gemäß § 500 ASVG werden Personen, die in der Zeit vom bis aus politischen Gründen - außer wegen nationalsozialistischer Betätigung - oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Abstammung in ihren sozialversicherungsrechtlichen Verhältnissen einen Nachteil erlitten haben, nach Maßgabe der Bestimmungen der §§ 501, 502 Abs. 1 bis 3 und 5 und 506, und Personen, die aus den angeführten Gründen ausgewandert sind, nach den §§ 502 Abs. 4 bis 6, 503 und 506 begünstigt.
§ 502 Abs. 4 bis 6 ASVG idF BGBl. I Nr. 83/2009 lauten:
"(4) Personen, die in der im § 500 angeführten Zeit aus einem der dort angeführten Gründe ausgewandert sind und die vorher in der Zeit seit dem Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß §§ 228 oder 229 oder Zeiten nach dem Auslandsrenten-Übernahmegesetz zurückgelegt haben, können für die Zeiten der Auswanderung, längstens aber für die Zeit bis , Beiträge nachentrichten. Die nachzuentrichtenden Beiträge belaufen sich für jeden Monat der Auswanderung auf 23,76 EUR; an die Stelle dieses Betrages tritt ab 1. Jänner eines jeden Jahres, erstmals ab , der unter Bedachtnahme auf § 108 Abs. 6 mit der jeweiligen Aufwertungszahl (§ 108 a Abs. 1) vervielfachte Betrag. § 227 Abs. 4 ist sinngemäß mit der Maßgabe anzuwenden, daß die Beitragsentrichtung bei der Pensionsversicherungsanstalt zu erfolgen hat, wenn bei keinem Versicherungsträger Versicherungszeiten erworben worden sind. Für die Abstattung der nachzuzahlenden Beiträge gilt Abs. 2 zweiter bis letzter Satz entsprechend.
(5) Abs. 4 gilt entsprechend auch für Personen, die sich nach dem in Österreich aufgehalten haben und danach ausgewandert sind, sofern diese Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, nicht früher möglich war und sie nicht später als am erfolgt ist.
(6) Abs. 1 und 4 gelten auch für Personen, die vor der Haft, Strafe, Anhaltung, Arbeitslosigkeit, Ausbürgerung oder Auswanderung aus Gründen, auf die der (die) Betreffende keinen Einfluß hatte, keine Beitragszeiten gemäß § 226 oder Ersatzzeiten gemäß den §§ 228 und 229 zurückgelegt haben, sofern der (die) Betreffende am seinen (ihren) Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte und, in den Fällen des Abs. 4, spätestens am geboren wurde. Der erste Satz ist auch auf Personen anzuwenden, die nach dem und spätestens am geboren wurden und als Verfolgte im Gebiet der Republik Österreich oder in einem anderen Land gelebt haben, wenn zumindest ein Elternteil der betroffenen Person am seinen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte. Eine solche Nachentrichtung, soweit sie für die Zeiten der Auswanderung erfolgt, ist unbeschadet des Abs. 1 letzter Satz frühestens für Zeiten nach der Vollendung des 15. Lebensjahres der in Betracht kommenden Person zulässig."
Diese Fassung erhielt § 502 Abs. 6 ASVG durch Art. 2 Z. 1 des Bundesgesetzes über die Einrichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und über Restitutionsmaßnahmen (Entschädigungsfondsgesetz) sowie zur Änderung des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes und des Opferfürsorgegesetzes, BGBl. I Nr. 12/2001; sie ist gemäß § 592 Abs. 1 ASVG in der Fassung des Artikel I des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 41/2002 am in Kraft getreten. Gemäß der Verfassungsbestimmung des § 592 Abs. 2 ASVG in der Fassung des Art. 2 der Bundesgesetze BGBl. I Nr. 12/2001 und Nr. 99/2001 ist § 502 Abs. 4 leg. cit. für Personen, die erst auf Grund des § 502 Abs. 6 ASVG in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 12/2001 Beiträge für die Zeit der Auswanderung nachentrichten können, mit der Maßgabe anzuwenden, dass auch für die Zeit nach dem Beiträge für insgesamt höchstens 180 Versicherungsmonate nachentrichtet werden können.
2. Unter Auswanderung im Sinne der Begünstigungsbestimmungen des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes ist die Verlegung des ständigen Wohnsitzes einer Person in das Ausland zu verstehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , VwSlg. 4437/A). Nach der Rechtsprechung kann eine vor dem (vgl. VfSlg. 17506/2005) erfolgte Auswanderung aus subjektiven Gründen der Abstammung nicht die sozialversicherungsrechtlichen Begünstigungen der §§ 500 ff ASVG zur Folge haben. Eine begünstigungstaugliche Auswanderung ist aber anzunehmen, wenn sich eine Person vor dem mit der Absicht eines nur vorübergehenden Aufenthaltes in das Ausland begeben und ihren Wohnsitz in Österreich beibehalten hat, jedoch nach dem im Hinblick auf die wegen der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus zu gewärtigende Verfolgung ihren ständigen Wohnsitz im Ausland genommen hat (vgl. dem Sinn nach das hg. Erkenntnis vom , Zl. 97/08/0054, mwN, iVm dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 17506/2005). Dieser der Auswanderung gleichzusetzende, von der Rechtsprechung herausgebildete Tatbestand der verhinderten Rückkehr kann nur dann angenommen werden, wenn jemand nur durch die Ereignisse des an der Rückkehr nach Österreich gehindert wurde. Die Absicht, nach Österreich zurückzukehren, darf nicht zu einem vor dem gelegenen Zeitpunkt aufgegeben bzw. ungewiss geworden sein; denn bestand gar nicht die Absicht, zu einem nach dem liegenden Zeitpunkt nach Österreich zurückzukehren, kann auch eine Hinderung an dieser (zunächst gar nicht geplanten) Rückkehr nicht angenommen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/08/0133). So lag dem hg. Erkenntnis vom , Zl. 81/08/0038, der Fall zugrunde, dass die damalige Beschwerdeführerin nicht etwa bei einem beruflichen oder privaten Aufenthalt im Ausland von der Machtergreifung durch den Nationalsozialismus überrascht worden wäre und deshalb im Ausland ihren ständigen Wohnsitz genommen hätte, sondern dass sie schon vor einer zu gewärtigenden Verfolgung durch staatliche oder zumindest offizielle Organe des Nationalsozialismus Österreich verlassen hatte, um eine für sie günstige politische Lage im Ausland abzuwarten. Auch nach dem Sachverhalt des hg. Erkenntnisses vom , Zl. 08/3497/80, hat der dortige Beschwerdeführer ausdrücklich erklärt, er und seine Frau hätten "aus Anlass der Berchtesgadener Gespräche die Rückreise von London nach Wien in Paris nicht fortgesetzt;" so sei es gekommen, dass sie nicht nach Österreich zurückkehrten. Man habe den Entschluss gefasst, auf Grund der politischen Ereignisse vorübergehend nicht nach Österreich zurückzukehren, wobei er sich bereits im Februar 1938 definitiv bedroht gefühlt habe. Diesen Sachverhalt hat der Verwaltungsgerichtshof gleich jenem des Erkenntnisses Zl. 81/08/0038 als Tatbestand der vorzeitigen Emigration (und damit als nicht begünstigungsfähig) gewertet.
Der entscheidende Unterschied zwischen der nichtbegünstigungstauglichen Frühemigration und der einer Begünstigung zugänglichen Auswanderung in Form der verhinderten Rückkehr im Gefolge der Ereignisse vom 11. - liegt im Zeitpunkt der Wohnsitzverlegung: Ist die ausdrücklich erklärte oder aus den Umständen erschließbare dauernde Verlegung des Mittelpunktes der Lebensinteressen von Österreich in das Ausland vor dem erfolgt, liegt Frühemigration vor. Hingegen wird der Entschluss, wegen der Ereignisse des März 1938 und seiner Folgen nicht an den ständigen Wohnsitz nach Österreich zurückzukehren, als Auswanderung (erst) ab diesem Zeitpunkt gewertet (vgl. nochmals die hg. Erkenntnisse vom , Zl. 94/08/0133, und vom , Zl. 97/08/0054).
Die hier strittige Begünstigung nach § 502 Abs. 6 ASVG erfolgt unter der Voraussetzung, dass die betreffende Person am ihren Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte. Unter dem "Gebiet der Republik Österreich" ist Österreich in seinen heutigen Grenzen zu verstehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2004/08/0085). Es kann hier auf sich beruhen, ob der Gesetzgeber mit dem Erfordernis eines am aufrechten Wohnsitzes in Österreich für die Begünstigungsfälle des § 502 Abs. 6 ASVG nur die von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen für das Vorliegen einer Auswanderung in Form einer verhinderten Rückkehr fortschreiben (vgl. den für maßgeblich erachteten "Entschluss, wegen der Ereignisse des und seiner Folgen nicht an den ständigen Wohnsitz nach Österreich zurückzukehren", der einen Wohnsitz am Stichtag voraussetzen würde) oder ob er diese Begünstigung von einer zusätzlichen Voraussetzung abhängig machen wollte. Im vorliegenden Zusammenhang kommt es jedenfalls auf einen Wohnsitz in Österreich am genannten Stichtag an.
3. Der in Bezug auf die Begünstigungsbestimmungen der §§ 500ff ASVG verwendete Begriff des (ordentlichen) Wohnsitzes ist der im Sinne des § 66 Abs. 1 JN (vgl. allgemein zur Rechtslage vor dem Hauptwohnsitzgesetz, BGBl. Nr. 505/1994, Thienel, Meldung und Hauptwohnsitz, JRP 1999, 124ff; vgl. ferner das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/03/0261). Demnach ist der (ordentliche) Wohnsitz einer Person an dem Ort begründet, an welchem sie sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, da selbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen. Zu den Merkmalen eines solchen bleibenden Aufenthaltes zählt unter anderem der Umstand, dass der gewählte Aufenthaltsort bewusst und gewollt zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen gemacht wird, wobei es auf die zu Grunde liegende Motivation nicht ankommt. Die Absicht muss nicht darauf gerichtet sein, für immer an diesem Ort zu bleiben, ein Wohnsitz kann auch für eine bestimmte Dauer begründet werden (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 91/08/0122, mwN, und § 5 Abs. 1 StbG 1985 in der bis zum geltenden Fassung vor der Novellierung durch das Hauptwohnsitzgesetz, BGBl. Nr. 505/1994). Eine Person kann auch mehrere Wohnsitze haben, wenn sie an mehreren Orten gleichermaßen einen Mittelpunkt der Lebensinteressen aufweist, denn die Begründung eines neuen Wohnsitzes bedeutet nicht zwingend, dass der alte Wohnsitz aufgegeben werden muss (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis vom , Zl. 94/03/0261).
Bei der Beurteilung, ob eine Person an einem bestimmten Ort einen (ordentlichen) Wohnsitz hat, kommt den Meldedaten wenig Beweiswert zu, weil durch sie die vorhandene oder fehlende Absicht, einen bleibenden Aufenthalt zu nehmen, weder erwiesen noch widerlegt werden kann (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2004/08/0085). Ein ununterbrochener Aufenthalt am gewählten Ort ist nicht erforderlich. Auch ein aus einem bestimmten Anlass zeitlich beschränkter Aufenthalt kann einen Wohnsitz begründen (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 90/19/0009).
Lehre und Rechtsprechung zum § 66 Abs. 1 JN legen Wert sowohl auf die äußerliche Erkennbarkeit einer solchen Niederlassungsabsicht als auch auf den Mittelpunkt der Lebensinteressen an einem bestimmten Ort, etwa nach dem Familiensitz und der Haushaltsführung. Der Aufenthaltsort muss bewusst zum wirtschaftlichen und faktischen Mittelpunkt gemacht werden; es darf sich bei dieser Wahl um keine Provisorialmaßnahme handeln (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/08/0056, mwN). Als einzelne Merkmale für einen dauernden Aufenthalt in Verwirklichung des Mittelpunktes der Lebensinteressen können z.B. herangezogen werden z.B. die Dauer eines Mietvertrages, der Umfang getätigter wirtschaftlicher Investitionen, das Vorhandensein einer Dauererwerbsmöglichkeit, ein länger dauernder Dienstvertrag, das Eingehen einer Lebensgemeinschaft mit einer Person, von der die Aufgabe ihres bisherigen Wohnsitzes allgemein nicht erwartet werden kann, die Übernahme der Pflege dauernd pflegebedürftiger Angehöriger (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 93/08/0133, und die dort angeführte Judikatur).
Nach den für den Wohnsitzbegriff maßgebenden Bestimmungen der JN können - unter anderem - minderjährige Kinder nicht selbständig einen Wohnsitz begründen, da ihnen die rechtliche Verfügungsfähigkeit darüber mangelt, welchen Ort sie zum Mittelpunkt ihres Lebens wählen. Sie teilen vielmehr gemäß § 71 JN idF BGBl. Nr. 403/1977 den allgemeinen Gerichtsstand ihres gesetzlichen Vertreters. Waren beide Eltern gesetzliche Vertreter, so teilt das Kind nach der zitierten Gesetzesbestimmung deren gemeinsamen allgemeinen Gerichtsstand (Wohnsitz), haben sie keinen solchen, den allgemeinen Gerichtsstand (Wohnsitz) des Elternteils, dessen Haushalt es zugehört (vgl. nochmals das Erkenntnis Zl. 2004/08/0085).
4. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die hier strittige Frage zu beantworten, ob ein Elternteil des am in Wien geborenen Beschwerdeführers am seinen Wohnsitz im Gebiet der Republik Österreich hatte (und der Beschwerdeführer daher gemäß § 502 Abs. 6 iVm § 502 Abs. 4 ASVG zur Nachentrichtung von Beiträgen berechtigt ist).
In Anbetracht der Übersiedelung der Familie des damals minderjährigen Beschwerdeführers im Jahr 1937 in die damaligen Tschechoslowakei zum Zweck der Berufsausübung seines Vaters in Prag, der dort erfolgten Anmietung einer Wohnung und des dortigen gemeinsamen Familienlebens kann nicht zweifelhaft sein, dass der Vater des Beschwerdeführers und damit auch der Beschwerdeführer selbst am seinen Wohnsitz in Prag hatte, zumal - wie erwähnt - auch ein aus einem bestimmten Anlass (hier: Entsendung durch einen inländischen Dienstgeber) zeitlich beschränkter Aufenthalt einen Wohnsitz begründen kann.
Entscheidend ist nach dem Wortlaut des § 502 Abs. 6 ASVG, ob ein Elternteil des Beschwerdeführers am - was nach dem Gesagten grundsätzlich möglich war - (ausnahmsweise) über zwei Wohnsitze jeweils in Prag und in Wien verfügte, ob ein Elternteil also an beiden Orten einen Mittelpunkt der Lebensinteressen hatte. Dem Umstand, dass der Vater des Beschwerdeführers nur bis zum in Wien 13. gemeldet gewesen und danach nach Prag abgemeldet worden ist, kommt nach dem Gesagten keine besondere Bedeutung zu. Schwerer wiegt, dass die nach der Rechtsprechung erforderliche äußerliche Erkennbarkeit einer (weiterhin bestehenden) bewussten Absicht, (auch) Wien zum wirtschaftlichen und faktischen Lebensmittelpunkt zu machen, im vorliegenden Fall nicht oder jedenfalls nur sehr schwach erkennbar ist.
In Wien bestanden weder Familiensitz noch Haushaltsführung. Die Mietwohnung in Wien war (aus finanziellen Gründen) aufgegeben worden. Der Vater des Beschwerdeführers hatte seinen Arbeitsort nach Prag verlegt. An äußerlichen Merkmalen, die für eine Niederlassungsabsicht in Wien sprechen könnten, führte der Beschwerdeführer eine (vorübergehende) Entsendung seines Vaters durch seine österreichische Arbeitgeberin (den Verwaltungsakten zu Folge die "C" Gesellschaft m.b.H.) als Direktor des Büros in Prag sowie den damit verbundenen Umstand an, dass der Vater in Österreich pflichtversichert gewesen sei. Er verwies ferner darauf, dass seine Verwandten in Österreich geblieben seien und dass sich (nicht näher konkretisierte) "Ersparnisse und persönliche Sachen" seines Vaters in Österreich befunden hätten.
Darauf kommt es aber nach dem Wortlaut des § 502 Abs. 6 ASVG nicht an: Eine Pflichtversicherung des Vaters des Beschwerdeführers in der österreichischen Sozialversicherung lässt nämlich im vorliegenden Zusammenhang keine Rückschlüsse auf die Aufrechterhaltung eines (zweiten) Wohnsitzes in Wien zu. § 223 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend die gewerbliche Sozialversicherung, BGBl. Nr. 107/1935, legte im Sinne des Territorialitätsprinzips fest, dass nur die im Inland beschäftigten Angestellten pflichtversichert waren. Ausnahmen iSd Ausstrahlungsprinzips fanden sich in § 223 Abs. 5 leg. cit. für Staaten, mit denen keine Sozialversicherungsabkommen bestanden (z.B. für die Angestellten inländischer Betriebe, die nur vorübergehend im Ausland beschäftigt waren). Für den vorliegenden Fall einer Entsendung in die Tschechoslowakei sah Art. 3 Abs. 1 des Vertrages mit der Tschechoslowakei über Sozialversicherung, BGBl. Nr. 169/33, vor, dass für die Durchführung der Sozialversicherung grundsätzlich die Rechtsvorschriften des Staates Anwendung fanden, in dessen Gebiet die für die Versicherung maßgebende Beschäftigung ausgeübt wurde. Wurden jedoch Arbeitnehmer von einem Arbeitgeber, der in Österreich seinen Sitz hatte, zu einer vorübergehenden Beschäftigung in die Tschechoslowakei entsandt, so fanden für die Dauer eines Jahres (weiterhin) die Rechtsvorschriften Österreichs Anwendung. Dauerte die Beschäftigung länger als ein Jahr, so waren auch die entsendeten Arbeitnehmer mit dem Beginn des zweiten Jahres bei den tschechoslowakischen Versicherungsträgern versichert (vgl. Kerber,
Die gewerbliche Sozialversicherung (1936), Anm. 6 zu § 1 GSVG, sowie Anm. 2 zu Art. 2 des Vertrages mit dem deutschen Reich über Sozialversicherung). Die Fortsetzung der Pflichtversicherung in Österreich im ersten Jahr einer Entsendung hatte somit nicht zur Voraussetzung, dass die pflichtversicherte Person ihren Wohnsitz in Österreich beibehalten hatte.
Der grundsätzlich vorübergehende Charakter einer Entsendung und die damit nicht zu bestreitende Absicht der Familie des Beschwerdeführers, je nach Entwicklung der beruflichen bzw. geschäftlichen Situation wieder nach Wien zurückzukehren, reicht - auch unter Berücksichtigung in Wien verbliebener "Ersparnisse und persönlicher Sachen" seines Vaters - nicht aus, um auch während der Dauer dieser (wenn auch nur vorübergehenden) Entsendung neben dem in Prag begründeten Wohnsitz einen weiteren Mittelpunkt der Lebensinteressen und damit einen weiteren Wohnsitz in Österreich hinsichtlich eines Elternteils des Beschwerdeführers bejahen zu können. Dazu fehlt es vor allem - wie die belangte Behörde im Ergebnis richtig erkannt hat - an der Aufrechterhaltung einer Wohngelegenheit für die Familie in Österreich, die den grundlegenden Bezugspunkt der besagten Lebensinteressen bilden könnte. Die bloße Möglichkeit, sich nach einer eventuellen Rückkehr wieder eine Wohnung in Wien zu mieten, kann für die Zeit vor der Rückkehr aus Prag keinen (zweiten) Wohnsitz in Wien begründen. Da es auf die Motive für die Absicht, an einem bestimmten Ort bleibenden Aufenthalt zu nehmen, nach dem oben Gesagten nicht ankommt, können auch die finanziellen Gründe, die den Vater des Beschwerdeführers bewogen haben, die Wohnung in Wien aufzugeben, nicht im Sinne der Aufrechterhaltung des Wohnsitzes in Wien Berücksichtigung finden.
5. Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 455/2008.
Wien, am