VwGH vom 29.07.2014, 2011/13/0053
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Reinbacher als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ebner, über die Beschwerde des S in K, vertreten durch Mag. Peter A. Miklautz, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Rotenturmstraße 19/2/2/36, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom , Zl. RD/0014-W/11, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages betreffend Wiederaufnahme (Umsatzsteuer "4/2003"), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer war bis Ende Juli 2003 Geschäftsführer einer GmbH, über deren Vermögen im Mai 2004 der Konkurs eröffnet wurde.
Mit Bescheid vom wurde er gemäß § 9 Abs. 1 in Verbindung mit § 80 BAO zur Haftung für Abgabenschulden der GmbH herangezogen. Die geltend gemachte Haftung bezog sich u.a. auf "Umsatzsteuer 01/2003" (EUR 296,47), "04/2003" (EUR 96.376,61) und "05/2003" (EUR 878,44) sowie "Umsatzsteuer 2003" (EUR 2.876,15, fällig am ) und "2004" (EUR 1.324,32, fällig am ). Der Haftungsbescheid enthielt als Teil der "Recht(mittel)belehrung" einen Hinweis auf das Recht des Beschwerdeführers, innerhalb der für die Einbringung der Berufung gegen den Haftungsbescheid offen stehenden Frist "auch gegen den/die Bescheid/e über den Abgabenanspruch/die Abgabenansprüche Berufung" zu erheben (§ 248 BAO).
Der Berufung des (unvertretenen) Beschwerdeführers gegen den Haftungsbescheid wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom teilweise stattgegeben, wobei - soweit es die Umsatzsteuer anlangt - die erst nach dem Ausscheiden des Beschwerdeführers als Geschäftsführer fällig gewordenen Beträge (wie "Umsatzsteuer 2003" und "Umsatzsteuer 2004") aus dem Haftungsbetrag ausgeschieden wurden.
Der Beschwerdeführer hatte in Bezug auf die Haftung für "Umsatzsteuer 04/2003", deren besondere Höhe von EUR 96.376,61 sich im Wesentlichen aus einer einzigen Rechnung ergab, Einwendungen erhoben, denen die belangte Behörde im Berufungsbescheid vom entgegen hielt, er hätte sie in einem "Berufungsverfahren gemäß § 248 BAO" geltend machen müssen. Zur Begründung dafür wurde ausgeführt, "die Umsatzsteuervorauszahlung 04/2003" sei "mit Bescheid vom festgesetzt" worden.
Bei dem Betrag von EUR 2.876,15 an "Umsatzsteuer 2003", der aus dem Haftungsbetrag ausgeschieden wurde, handelte es sich um die Nachforderung aus dem zu Handen des Masseverwalters ergangenen Umsatzsteuerbescheid 2003 vom , der die Umsatzsteuer für das gesamte Jahr 2003 mit EUR 70.000,-- festsetzte. Dieser Bescheid, der den bisher vorgeschriebenen Betrag mit EUR 67.123,85 bezifferte, kam in der Berufungsentscheidung vom nicht vor.
Mit Schriftsatz vom beantragte der (unvertretene) Beschwerdeführer "die Wiederaufnahme des Verfahrens zur Aufhebung des Haftungsbescheides gemäß § 9 iVm § 80 BAO vom , Aufhebung des Bescheides über die Aussetzung der Einhebung vom , Aussetzung der Einhebung bis zur Ausstellung eines neuen Bescheides". Er stützte diesen Antrag auf beigelegte, ihm erst jetzt zugänglich gewordene Schriftstücke, aus denen sich ergebe, dass die für den hohen Betrag im April 2003 verantwortliche Rechnung vom Rechnungsempfänger nicht anerkannt und ungebucht zurückgestellt worden sei.
Gegen die Abweisung des Antrages "betreffend die Wiederaufnahme des Haftungsverfahrens" erhob der (unvertretene) Beschwerdeführer Berufung, die mit Bescheid der belangten Behörde vom als unbegründet abgewiesen wurde. Begründend wurde u.a. ausgeführt, vom Beschwerdeführer seien die neu hervorgekommenen Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren ohne grobes Verschulden nicht geltend gemacht worden und er habe nach Erlangung des Zugangs zu ihnen auch die Dreimonatsfrist des § 303 Abs. 2 BAO eingehalten. Aus den Beweismitteln ergebe sich jedoch "kein Wiederaufnahmsgrund betreffend das Haftungsverfahren". Sie beträfen Einwendungen, die in einem Verfahren gemäß § 248 BAO geltend zu machen gewesen wären, "da die haftungs- und berufungsgegenständliche Umsatzsteuer 04/2003 mit Bescheid vom festgesetzt wurde".
Der Jahresbescheid vom kam in dieser Berufungsentscheidung nicht vor. Die Wiedergabe der Berufungsentscheidung vom enthielt auch den darin enthaltenen Begründungsteil, die "Umsatzsteuervorauszahlung 04/2003" sei "mit Bescheid vom festgesetzt worden".
Gegen den Berufungsbescheid vom erhob der (nun vertretene) Beschwerdeführer zur hg. Zl. 2010/16/0272 Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, die mit Erkenntnis vom als unbegründet abgewiesen wurde. Dem in dieser Beschwerde schon vertretenen Standpunkt, der Wiederaufnahmsantrag vom habe sich auch auf die bescheidmäßige Festsetzung des Abgabenbetrages bezogen, hielt der Verwaltungsgerichtshof entgegen, dies könne offen bleiben, weil die Berufungserledigung nur das Haftungsverfahren betroffen habe.
Mit Schriftsatz vom hatte der Beschwerdeführer diesen Standpunkt auch im jetzt beschwerdegegenständlichen Devolutionsantrag vertreten, den die belangte Behörde mit dem angefochtenen Bescheid zurückwies. Sie verwies darauf, dass der Beschwerdeführer trotz Belehrung über § 248 BAO mit Schriftsatz vom "nur Berufung gegen den Haftungsbescheid" erhoben habe und auf sein diesbezügliches Versäumnis im nachfolgenden Berufungsverfahren auch hingewiesen worden sei. Dessen ungeachtet habe er sich auch im Schriftsatz vom "unmissverständlich" nur auf das Haftungsverfahren bezogen. In diesem Schriftsatz fehle "jeglicher Hinweis darauf", dass der Beschwerdeführer "auch eine Wiederaufnahme eines Umsatzsteuerbemessungsverfahrens beantragen wollte".
In der Darstellung des Verfahrensganges erwähnte die belangte Behörde - soweit ersichtlich, erstmals im Verfahren mit dem Beschwerdeführer als Haftungspflichtigen - den Umsatzsteuerjahresbescheid 2003 vom , der von ihr auch den vorgelegten Aktenteilen angeschlossen wurde. Sie schloss ihnen auch einen Bescheid vom über die "Festsetzung von Umsatzsteuer für 04/2003" an, der die Umsatzsteuer für diesen Monat mit EUR 97.328,86 festsetzte und den bisher vorgeschriebenen Betrag mit EUR 96.605,26 bezifferte.
In der Wiedergabe der Berufungsentscheidung vom erwähnte die belangte Behörde, der Beschwerdeführer sei in dieser Berufungsentscheidung darauf hingewiesen worden, dass Einwendungen "insbesondere gegen die Umsatzsteuerfestsetzung 4/2003 vom " nur "vermittels eines Berufungsverfahrens gegen die Umsatzsteuer" erfolgreich geltend zu machen gewesen wären. Ein Bescheid vom ist in den vorgelegten Aktenteilen nicht enthalten.
Am Schluss ihrer rechtlichen Erwägungen hielt die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe in seinem Antrag vom "keine Wiederaufnahme der Umsatzsteuer 04/2003 vom oder anderer Grundlagenbescheide" beantragt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde hat Aktenteile vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie u.a. ausführt, der Beschwerdeführer habe "nicht einmal andeutungsweise die Umsatzsteuer - sei es nun die Umsatzsteuerfestsetzung 4/2003 oder der Jahresbescheid 2003" - als Gegenstand seines Anbringens vom erwähnt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Parteierklärungen nach ihrem objektiven Erklärungswert auszulegen, d.h. es kommt darauf an, wie die Erklärung unter Berücksichtigung der konkreten gesetzlichen Regelung, des Verfahrenszweckes und der der Behörde vorliegenden Aktenlage objektiv verstanden werden muss. Bei undeutlichem Inhalt eines Anbringens ist die Absicht der Partei zu erforschen. Im Zweifel ist dem Anbringen einer Partei, das sie zur Wahrung ihrer Rechte stellt, nicht ein solcher Inhalt beizumessen, der ihr die Rechtsverteidigungsmöglichkeit nimmt (vgl. zuletzt - im Zusammenhang mit der fallbezogen erforderlichen Deutung
ausdrücklich "nachträglich", weil "nicht ... rechtzeitig"
gestellter Anträge auch als Anträge auf Wiedereinsetzung - das hg. Erkenntnis vom , 2010/15/0195).
Maßgeblich ist also, ob es zutrifft, dass dem Anbringen des Beschwerdeführers "jeglicher Hinweis darauf" fehlte, dass die nachträglich zugänglich gewordenen Beweismittel gegen den Abgabenanspruch ins Treffen geführt werden sollten. Diese Frage ließe sich nur bei isolierter Betrachtung der einleitenden Formulierung ("ich beantrage ...") im Sinne der von der belangten Behörde vertretenen Auslegung bejahen. Zieht man hingegen in Betracht, dass die neu hervorgekommenen Beweismittel und die darauf gestützte Argumentation im weiteren Text des Anbringens den Abgabenanspruch betrafen, was dem Beschwerdeführer im Verfahren über die Wiederaufnahme des Haftungsverfahrens ja auch vorgehalten wurde, so kann kein Zweifel daran bestehen, dass es das deutlich erkennbare Anliegen des zu diesem Zeitpunkt noch unvertretenen Beschwerdeführers war, die neu hervorgekommenen Urkunden gegen den Abgabenanspruch, für den er haftete, geltend zu machen. Unter diesem Gesichtspunkt war sein Anbringen auch als Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens zur Abgabenfestsetzung aufzufassen.
Anlass dazu, dem die Erwähnung nur des Haftungsbescheides und nicht auch eines rechtskräftigen Abgabenbescheides in den einleitenden Formulierungen des Anbringens entgegen zu halten, besteht gerade in der vorliegenden Verfahrenssituation (vgl. zu deren Bedeutung für die Auslegung das schon zitierte hg. Erkenntnis vom ) und im vorliegenden Fall nicht, weil nur der Haftungsbescheid an den Beschwerdeführer selbst erging und ihm jedenfalls vorlag und eine einwandfreie Bezeichnung eines rechtskräftigen Abgabenbescheides über den strittigen Betrag auch der belangten Behörde in keiner ihrer drei Entscheidungen gelungen ist.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008.
Die zitierten Bestimmungen über das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof waren gemäß § 79 Abs. 11 letzter Satz VwGG in der bis zum Ablauf des geltenden Fassung anzuwenden.
Wien, am